Stationen der Seligkeit.
Novelle von F. Stöckert.
(Nachdruck ve boten.)
Volles Glück strahlte aus ihren Augen, als sie am Abend mit ihrem Gemahl im Opernhause erschien und voll Entzücken den süßen, schmeichelnden Melodien der Cavalleria rusticana lauschte. In der Zwischenpause, wo man in dem kühlen Concerlsaal promenierte, wurde lebhaft über das neue Opernwerk debattiert.
Teilweise war man entzückt begeistert, kritischere Naturen hingegen standen solcher Begeisterung kühl bis ans Herz hinan gegenüber, und sprachen dem Werk, das eine Welt bejubelte, jeden klassischen Werl ab, den Erfolg konnten sie ihm ja nicht streitig machen, sie erklärten denselben jedoch für einen vorübergehenden, einen Zeiterfolg, der Compo- Nlst habe eben den Ton, der über Welt und Zeit steht, und darum an die Unsterblichkeit heranreicht, Man müsse erst abwarten, wie dieses junge Talent sich weiter entwickele.
„Ist Mascagni wirklich noch so jung ?" fragte Ellinor ihren Mann.
„Ja, es heißt so, er hat eben Glück gehabt, der junge Mann, wie eS unter Hunderten einmal einem zu teil wird."
Koser, der auch nicht in die Begeisterung der meisten Anwesenden mit einstimmen konnte, fühlte fast etwas wie Neid in sich aussteigen. Es mußte berauschend sein, so jung noch schon einen solchen Weltruhm erreicht zu haben. Auch er hatte einst derartige Ruhmesträume gehegt, und ganz begraben waren sie jetzt noch nicht. Freilich wenn er es so forttrieb wie bisher, dann mochte er sie nur ruhig einsorgen; cs war wirklich die höchste Zeit, daß es anders wurde, die Phantasie ist flüchtig wie das Glück, wehe der Stunde, wo der Künstler, der Schriftsteller sich sagen muß: Meine Phantasie, die einst überschäumte wie die Bäche in der LenzeS- zeit, ist mir treulos geworden, ich habe diese Himmelsgabe zu sehr vernachlässigt, nun hat sie sich von mir gewandt. Ein leises Grauen erfaßte ihn, wenn sie ihm so treulos werden könnte, seine reiche, himmelanstürmende Phantasie, einst sein einziges, sein höchstes Gut-
„Es ist doch etwas Schönes um solch einen Erfolg," mit diesen Worten trat Berner zu dem jungen Ehepaar heran.
„Freilich solche spontane Erfolge erzielt nur die Musik, sie ist von hinreißender Kraft, wenn, wie hier, die Melodien aus tem Ge Hirn eines Genies hervorgegangen, und vor einem solchen stehen wir doch wohl!"
„Meinen Sie?" versetzte Koser.
„Nun, daran ist doch kein Zweifel!" rief da Fräulein Klein, die sich an Frau Straten angeschlossen und mit ihr jetzt zu der Gruppe herantrat. „Ich finde eS wahrhaft herzerquickend, wenn so ein wirkliches Genie einmal auflaucht in dieser geniearmen Zeit."
„Von solcher Herzerquickung habe ich leider noch nichts gespürt," spöttelte Koser.
„Ja die Damen sind darin glücklicher dran wie wir, die wir gar zu gern und überall Kritik üben," meinte Berner. „Sie geben sich viel unbefangener jedem Eindruck hin."
„O bitte, Herr Doktor," unterbrach ihn Fräulein Klein; „die moderne Frau prüft und kritisiert auch, sie bildet sich ihre eigene Meinung und läßt sich dieselbe nicht anf-
drängeu, von keinem Mann und wäre er noch so geistreich I" Sie personificierle die moderne Frau in diesem Augenblick selbst in jeder Hinsicht, wie sie da förmlich kampfbereit, mit energischem GestchtSausdruck vor dem Gelehrten stand.
„Verzeihen Sie, an die moderne Frau dachte ich allerdings jetzt nicht," versetzte dieser. Mir schwebte etwas ganz anderes vor, eine Frauenerscheinung, ja, wie soll ich mich ausdrücken, wie meine Mutter war, sie war, und ist es heute noch, für mich stets das Ideal einer deutschen Frau, freilich wohl jetzt ein etwas veraltetes. Hin und wieder aber begegnen uns doch derartige Erscheinungen voll des Zaubers des ewig Weiblichen, — sein Blick streifte Ellinor; sie fachen die Leidenschaft nicht an, aber sie werden treuer und inniger geliebt, wie ihre modernen Schwestern, die uns Männern so gern den Fehdehandschuh jetzt hinwcrsen."
„Aber Berner I" rief Koser lachend, „wie können Sie eine Vertreterin der modernen Frauenwelt so beleidigen I"
„Beleidigen I meinen Sie, das soll mich belcidig-n," sagte .die Malerin sehr geringschätzig.
„Es giebt auch heute noch genug solche in Ihren Augen ideale Frauenerscheinungeu, die ein gütiges Schicksal von Jugend auf auf Rosen gebettet hat, deren reine Stirn nie der Hauch der Sorgen gestreift, und die den Kampf ums Dasein kaum vom Hörensagen kennen. Wirst das wechselnde Leben sie aber doch einmal hinaus auf die Arena, wo ihre Schwestern ringen und kämpfen, dann gehen sie sicher an ihrer Charakterschwäche zu Grunde. Ein Zug zur stillen Häuslichkeit liegt wohl in den meisten Frauen, aber dürfen sie ihm denn folgen, treibt nicht das ganze Leben jetzt sie hinaus in die Oeffentlichkeit."
Das war ziemlich deutlich gesprochen, und Niemand konnte tm Zweifel sein, worauf die Rede zielte. Mit blitzenden Augen sah sich Fräulein Klein um, aber von keiner Seite wurde ihr widersprochen, also gab man ihr stillschweigend recht.
Ellinor lehnte sich nur fester auf den Arm ihres Mannes, als sie sich jetzt wieder nach ihrer Loge begaben.
„Na, Kind, würdest Du auch zu Grunde gehen an Charakterschwäche, wenn daö Leben Kämpfe von Dir fordert?" fragte dieser sie lächelnd.
„Ich weiß eS nicht meinen Charakter darauf hin zu prüfen hatte ich ja noch nie Gelegenheit; aber ich habe ja Dich, Du wirst mich schon schützen, und mir bcistehn, wenn je dergleichen von mir gefordert würde!"
Eine derartige Perspective hatten sie beide wohl noch nie in's Auge gefaßt, sie zog an ihnen vorüber gleich der flüchtigen Wolke, die nur einen Augenblicksschatten auf eine sonnenhelle Landschaft wirft.
Die Musik, daö ganze bunte Treiben da vor ihren Augen nahm sie sofort wieder gefangen. Fräulein Klein, die unten im Par- quet saß, warf einen spähenden Blick zu ihnen herauf, wie sorglos, glücklich sie beide aus- sahen, ihre Rede vorhin schien Ellinor in keiner Weise aufgerültelt zu haben aus ihrer GlÜckSstcherheit.
„Eine herzige Frau, die Frau Doktor Koser," sagte da Jemand neben ihr ; es war Berner, der ihre spähenden Blicke beobachtet hatte, „und trotz aller Lieblichkeit liegt doch
etwas in ihren GefichtSzügen, bas auf Charakter schließen läßt, ich bin sicher sie würde nicht zu Grunde gehn im Kampf auf der Arena des Lebens, welches Bild vorhin von Ihnen gebraucht wurde."
„Nun, hoffen wir es," versetzte Fräulein Klein ziemlich kurz und wandte dann ihre ganze Aufmerksamkeit den Vorgängen auf der Bühne zu.
Auf dem Heimweg war Koker ziemlich schweigsam, und lag dann lange Stunden schlaflos, von den Gedanken gequält, daß er so viele kostbare Zeit nutzlos vergeudet hatte.
(Fortsetzung folgt.)
Neueste Nachrichten. Gens, 10. Sept. Die Kaiserin von Oesterreich wurde heute mittag 12^ Uhr am Landungssteg vom Hotel Beaurivage von einem sttal. Anarchisten in die Herzgegend gestochen.
Die Kaiserin starb im Hotel ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Der Thäter ist verhaftet.
Verschiedenes.
— Die Frau des Kontrolleurs. Beider Revision eines Zuges einer der nach Charkow führenden Bahnen traf der Beamte dieser Tage in einem Abieil zweiter Klasse eine Dame an, die mit einer auf den Namen der Frau desselben Kontrolleurs ausgestellten Freikarte versehen war. Zwischen bem Kontrolleur und der Dame entspann sich nun folgendes Gespräch: „Darf ich um Ihren Namen bitten?" — „Da ist er ja aufgeschrieben, können Sie denn nicht lesen ?" ent- gegnelc die Dame eifrig. — „Ich möchte aber den Nomen von Ihnen selbst hören." — „Bitte, wenn das so notwendig ist: ich bi» die Frau des Kontrolleurs N-, aller Wahrscheinlichkeit nach Ihres Kollegen." — „Entschuldigen Sie Madame, der Kontrolleur N — der bin ich selbst und meine Frau kenne ich ausgezeichnet." Die vorher so keck auf- Iretende Dame geriet nun doch in Verlegenheit. „Ach, entschuldigen Sie," begann sie errötend, „ich wußte das wirklich nicht . . . Ich kenne weder Sie, noch Ihre Frau . . . Die Karte habe ich gefunden und ich beging die Dummheit, sie zu benutzen. Die Dame mußte den doppelten Betrag des Fahrpreises als Strafe zahlen.
(Gut angebracht.) Herr Schulz: „Das ist doch eine Gemeinheit von dem Kassierer, uns Plätze in der allerletzten Reihe zu geben." — Frau Schulz: „Er hat wahrscheinlich bemerkt, daß ich noch meinen Hut vom vorigen Jahre tragen muß, mit dem ich mich da vorne gar nicht sehen lassen könnte."
.'. (Zweischneidiger Zweifel) A.: „Hast Du unseren Freund Leichtfuß und seiner jungen Fau schon zurVermählung gratuliert?" B.: „Nein — sieh Du, das ist 'ne eigene Sache: Sie kenne ich nicht, folglich kann ich ihm nicht gratulieren; ihn kenne ich dagegen sehr genau, und darum kann ich ihr nicht gratul e en I"
(Zerstreut.) Bekannter: „Herr Professor, heut ist Wahltag. Da werden sie doch auch Ihre Stimme abgeben ?" — Professor „Bedaure sehr! Ich bin heute ganz heiser!"
Redaktion, Druck und Verlag von Brrnh. Hvfmann in Wildbad.