Aus-erIrrschrldesKbens.
Roman nach dem Englischen von Jenny
Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
I.
Erstes Kapitel.
Es war in London während der Saison. In einem warmen, Hellen, sonnigen Zimmer, durch dessen Fenster man auf einen der schönsten Plätze der Stadt blickte, saß am äußersten Ende des Gemachs, wohin die Sonnenstrahlen nicht drangen, eine schöne junge Frau in einem Armstuhl znrückge- lehnt; fieberhafte Röte färbte ihre Wangen, im Uebrigen aber war sie so bleich wie das Kissen, auf dem sie ruhte. Das Haus gekörte Herrn Werner-Remy und die junge Frau war seine kranke Gemahlin.
Ueber ihre eigentliche Krankheit waren selbst ihre Freunde und Aerzte nicht einig. Einige hielten es nur für allgemeine Schwäche, Andere meinten, die arme Frau sei rücken- wcnk- oder brustleidend, aber Keinem kam ea in den Sinn, daß Kummer und enttäuschte, gekränkte Gefühle mit der Krankheit zu Ihun haben könnten. Und doch hatten dieselben wahrscheinlich mehr Schuld an dem nahen Tode als alle andere» ihr ungeschriebenen körperlichen Leiden; auch etwas Gewissensbisse mögen ihr Teil dazu beigetragen haben.
Eie hatte sich einst als sehr junges Mädchen mit einem Herrn Marr verlobt. Sie glaubte ihn zu lieben, sie liebte ihn auch wirklich, aber Herr Werner, der in den Augen der Welt höher stand als Herr Marr, kreuzte ihren Pfad. Sein glänzendes Aeußere blendete ihre Augen, seine Stellung bestach ,hr Urteil und Marie Remy hätte um seinetwillen gern Arthur Marr aufgegeben. Ihre Eilern sagten: „Nein", die Welt sagte: „Nein"; aber Herr Werner wandte seine ganze UeberredungSkunst auf und Marie folgte ihrem eigenen Willen; heimlich verließ sie das Elternhaus, um seine Frau zu werden. Der geheimen Verbindung folgte bald eine öffentliche große Hochzeitsfeier, und der Bräutigam nahm mit dem Vermögen seiner Gattin zugleich von ihrem Namen Besitz und wurde Werner-Remy. Nur zu bald war der Rausch verflogen und sie sah ein, daß sie einen Edelstein hatte fallen lassen, um nach einem Schatten zu greifen. Herr Remy war seines neuen Spielwerks bald müde und vernachlässigte seine junge Frau. Er führte ein wildes Leben und Vergeudete auch ihr Vermögen, nachdem er schon das seine verschwendet halte. Inzwischen war der verschmähte Arthur Marr durch den unerwarteten Tod eines Verwandten zu Reich, tum, Ansehen und Stellung gekommen. Vermutlich hatte er Marie Remy rasch vergesse», denn ihrer Vermählung folgte bald die seine; Vielleicht wollte damit er der Welt zeigen, daß ihr unverzeihliches Betragen ihm nicht zu nahe gegangen war.
Frau Remy hatte manches Jahr hindurch ihren Kummer schweigend getragen und mit ihrer Reue gekämpft; endlich aber verließen sie ihre Kräfte, sie fing an zu kränkeln; wenige Monate stillen Dultens — und sie war dem Grabe nahe. Sie war sich dessen bewußt, heute mehr denn jemals dis, her. Ihr erstes Kind, ein Mädchen, war bald wieder gestorben, mehrere Jahre danach
ward ihr ein Sohn geboren. Wie sie jetzt so dalag und voll Kummer an denselben dachte, trat ihr Gatte ein. Er war nur nach Hause gekommen, um für ein Fest Toilette zu machen.
„Wie erhitzt Du aussiehst," bemerkte er leichthin, als er die ungewöhnliche Röte auf ihren Wangen bemerkte.
„Ich habe Mancherlei auf dem Herzen," antwortete sie mühsam atmend. „Alfred, ich habe mit Dir zu reden."
„So beeile Dich," sagte er und sah ungeduldig nach der Uhr, „ich habe keine Zeit zu verschwenden."
„Zeit verschwenden I An Deiner sterbenden Gemahlin I Heute müssen andere Verpflichtungen vor mir zurückstehen, es wird ja zum letzten Male sein," erklärte sie.
„Thorheit, Marie. Du bist nervös, gieb Dich nicht derartigen Gedanken hin. Was hast Du mir zu sagen?" frug Werner ungeduldig.
„Es sind mir nur noch wenige Tage, höchstens eine Woche beschieden; Alfred, würdest Du je einen Eid brechen können?"
„Einen Eid brechen!" wiederholte er überrascht.
„Du vergißt ein Versprechen oft so rasch wie Du es giebst, aber ein Eid legt feierliche Verpflichtungen auf; willst Du mir einen solchen leisten?"
„Daß ich nicht wieder heiraten will?" entgegnete er im Tone unterdrückten Spottes; „beruhige Dich, habe durchaus keine Absicht dazu."
„Nicht doch," crwiederte sie traurig, „das wäre ein Zwang, den Dir aufzuerlcgen ich kein Recht habe; mein Tod giebt Dich frei. Ich flehe nur, daß Du unserm Kinde ein guter Vater seist."
„Und dazu willst Du mich verpflichten !" rief Remy aus. „Das ist wohl kaum nötig. Gewiß werde ich gut gegen Karl sei». Was fällt Dir ein, Marie? Meinst Du, ich werde ihn schlagen oder aus dem Hause jagen? Ich werde den Knaden nach Eton und von da auf die Universität schicken. Ich verspreche Dir, daß ich stets sein Bestes im Auge haben werde. Und nun ruhe ein wenig, Marie, daß ich Dich besser finde, wenn ich wieder heimkehre."
Nach diesen Worten wandte er sich eilig um und verließ das Zimmer, ohne daß sie ihn zurückgerusen hätte.
Kurz darauf guckte ihr Sohn Karl zur Thür herein, ein Kind von sieben Jahren, das seiner Mutter Schönheit geerbt hatte, aber für sein Alter zu klug, zu empfindsam, zu nachdenklich war.
Auf den Zehen schlich er zu seiner Mutter heran und und blickte sie mit seinen großen glänzenden braunen Augen mit traurigem Ausdruck zärtlich fragend an. Dann senkten sich seine langen dunklen Augenwimpern, er legte seinen Kopf auf ihre Brust und schlug seine Arme liebevoll um ihren Hals.
„Karl, soeben beschäftigten sich meine Gedanken mit Dir. Ich habe Dir etwas zu sagen."
Als ob er ein ängstliches Vorgefühl des Kommenden habe, schwieg er, senkte seinen Kopf noch iieser, daß sie ihn nicht sehen konnte und erbebte leicht.
„Mein Karl, mein Liebling, weißt Du, daß ich Dich verlassen muß, daß ich in den Himmel gebe?"
Und die Mutter fühlte, wie das Kind vom Kopf zu Fuß erzitterte und sie noch fester umschlang.
„Aber ich werde Dir immer nahe sein und Deine Gedanken und Schritte lesien und sie von jedem Harm und Fehltritt fernhalten; ich werde im Geiste über Dich wachen."
Da konnte der Knabe seinen Kummer nicht mehr in dem armen kleinen Herzen zurückhalten, sein Schluchzen nicht mehr unterdrücken und erbrach in heftige Thränen aus.
„Karl, Du hast oft gehört, daß diese Well voll Kummer ist, für einzelne weniger, für Andere mehr. Wenn auch Dich einst Not und Trübsal heimsuchen, so denke daran, daß dies nur Prüfungen sind, um Dich für ein besseres Leben vorzubereiten."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Im vergangenen Jahre waren cs 50 Jahre seit dem großen TeuerungS-Jahr 1847, dem Vorläufer des Revolutions- und Sturm-Jahres 1848. Nur ältere Leute werden sich der damaligen großen Not erinnern. Die Ernte von 1846 war eine völlige Mißernte ; der Scheffel Brotkorn von 80 Pfund stieg bis zu 5 Thaler, für 6—8pfündiges Brot mußte 2 bis 2 ^ 50 nach heutigem Geld bezahlt werden. Die Kartoffeln waren zum erstenmale faul geworden, in Folge der großen Nässe. Man denke sich diese teuren Verhältnisse bei den damaligen niederen Arbeitslöhnen und Gehältern. Der höchste Taglohn betrug 1 Mark. Manche Familie mußte sich derart einschränken, wie unsere heutige Generation es nicht kennt und hoffentlich auch nicht kennen zu lernen braucht. Eine nur halbwegs starke Familie brauchte den ganzen Verdienst ihres Ernährers dazu, um Brot zu kaufen. Erst als dte Ernte- aussichten des Jahres 1847 sich günstiger zeigten, begannen die Preise nach und nach zu fallen. Aber noch Jahre lang hatten die meisten Leuten an den Brotschulden des „Hunger Jahres 1847" zu zahlen.
— Glücklicher Rutsch Seit unvordenklichen Zeiten gilt der Rheinfall bei Schafshausen als ein Hindernis, über welches die stärksten Fische, selbst der Hakenlachs des Rheins, nicht stromaufwärts weiter fort gelangen kann. Nicht geringes Erstaune» muß es deshalb erregen, daß vor kurzem 1,5 Kilometer oberhalb des Rheinfalls ein etwa 20 Pfund schwerer Salm von Fischern erbeutet ist. Allerdings war der Wasserstand damals ungewöhnlich niedrig. Der Fisch ist arg zerschunden gewesen, ein Beweis, daß ihm der „glückliche Rutsch" sauer genug geworden ist.
— Eine seltsame Jagdseene, die man schon fast als Jägerlatein hinzunehmen geneigt ist, wirb aus dem Elsaß berichtet: Auf einer Feldjagd bei Offenhauien wurde ein leicht angeschossener Hase von den Hunden auf einen Bahndamm gehetzt, auf dem ein Personenzug dahergebraust kam. Von den Hunden bedrängt, sprang Lampe aus den vorbeifahrenden Zug und kam glücklich auf ein Trittbrett zu sitzen, von dem er eine Strecke weiter wieder herabfprang, wobei er, trotzdem er dem Bahndamm? entlang herabrollte, doch wieder auf die Läufe kam und sich saldierte, ehe ihn die ihm nachsetzenden Hunde erreicht halten.
Redaktion, und Verlag von Beruh. H » smann in Wildhad,