I

Kerzenswege.

Novelle von F. Stöckert.

(Nachdruck verboten.)

7 .

Ein leichter Schritt ließ sich jetzt draußen vernehmen, und Emmy, mit rosig angehauch­tem Gesicht, die Schlittschuhe am Arm, trat in das Zimmers

Ach, war das schön heute!" rief sie, indem sie sich ihrer winterlichen Umhüllungen entledigte.Das EiS wird nun leider schon zu weich, die Februarsonne hat zu viel Kraft."

Ja, das Vergnügen hat wohl nun die längste Zeit gedauert," erwiderte die Frau Professor.

Ich hoffte immer, eS würde beim Schlitt­schuhlaufen nun endlich daS schwergefundene Zauberwort von einem gewissen Jemand ge­sprochen werden," fuhr sie lächelnd fort.

Heute dachte ich es selbst," sagte Emmy und blickte sinnend auf ein Veilchensträußchcn, das sie in der Hand hielt.ES war als ob LenzeSlüfte wehten, Veilchensträußchen wurden feilgeboten, und Schmit führte so verwirrte, wunderbare Reden, die mir vor­kamen, wie die Einleitung zu einer endlichen Erklärung. Ich glaube, geistvollen Männern wird solche Erklärung schwerer als andern; die gewöhnlichen banalen Redensarten wollen sie nicht machen."

Elise lachte hell auf bei diesen letzten Worten ihrer Schwester.

Ich bin wirklich gespannt, wie die Worte schließlich lauten werden, mit welchen dieser große Geist seiner Liebe noch Ausdruck geben wird. Vielleicht thut er eS schriftlich, wie Otto, der mir, nachdem er mir acht Wochen lang die Cour gemacht, kurz und bündig schrieb: er liebe mich, und so weiter."

Ja Otto!" Emmy verschluckte noch recht- zeitig die etwas geringschätzige Bemerkung, die auf ihren Lippen schwebte. Hier einen Vergleich zu machen, das war Unsinn. In seiner Art mochte ihr Schwager seine Frau gewiß lieb haben, und diese ihn auch. Solche Liebe aber, wie sie ihr aufgegangen, so voll Porste, so reich an Seligkeit und Glück, nein, das war denn doch etwas ganz andres.

Ihre Schwester mochte ihre Gedanken er­raten.

Du denkst natürlich, Eure Liebe ist einzig in ihrer Art, da sind keine Vergleiche möglich; aber tritt nur erst ein in die Prosa de« Ehestands, da ändert sich manches."

Nun, vorläufig find wir noch garnicht verlobt und von Proso ist noch lange keine Rede."

Fröhlich ein Liedchen trällernd, suchte sie ihr Zimmer auf und warf sich dort, müde vom Schlittschuhlaufen, aus das Sopha. Die vergangenen Stunden zogen noch einmal an ihrem Geist vorüber, alle Worte, die Schmit zu ihr gesprochen, und die ihr seinen erregten Seelrnzustand genugsam verraten, tönten wie­der an ihre Ohren, wie leidenschaftlich, wie bestrickend hatte seine Stimme geklungen, dazu die Herzensluft, die Veilchendüfte, der blaue Himmel, der warme Sonnenschein. Jetzt war die Sonne, die ihnen in diesen seligen Stunden geleuchtet, im Untergehrn, und, als wollte sie das junge Mädchen noch einmal grüßen, sandte ihre letzten, verglüh­enden Strahlen in das trauliche, blumen- durchduftete Gemach, dieselben fielen gerade

auf das Bild SidonienS, und unwillkürlich richtete Emmy ihre Blicke darauf.

Wie interessant war doch dieser Kopf, mit den großen dunklen Augen, der schmalen Stirn, und um den Mund jener feine Lei­denszug I Daß sie auch all ihr reiches Lieben an einen Unwürdigen verschwenden mußte; und wie lächerlich, daß sie jemals hatte denken können, Schmit sei dieser Unwürdige gewesen. Die Personalien fines Tagebuchhelden stimm­ten ja allerdings so ziemlich mit denen Schmit'S, und Fritz hießen sie auch beide, aber sie kannte jetzt den noblen, vornehmen Charakter des Doktors viel zu gut, um ihm eine derartige Schlechtigkeit zutrauen. Später wollte sie ihm einmal alles erzählen, Wieste durch dieses Tagebuch so unendlich mißtrauisch gegen alle Männer geworden. Sie hörte schon im Geiste sein fröhliches Gelächter, womit er diese Eröffnungen aufnehmen würde; und es geschah ihr auch ganz recht, wenn sie ausgelachl würde, warum hatte sie solchen kindischen, thörichten Gedanken Raum gege­ben in ihrem Herzen, erst neulich wieder, wo er gesagt, daß er auch einst eine Stdonie gekannt. Dünkte sie ihr Glück zu groß, zu übermächtig, daß sie es selbst versuchen mußte, daran zu rütteln? Sie wahr so in ihr Sinnen verloren, daß sic ganz überhörte, wie draußen an die Thür geklopft, und diese jetzt leise geöffnet wurde.

Doktor Schmit trat ein. Sein sonst blasses Gesicht war gerötet vor innerer Er­regung.

Emmy, Frl. Emmy!" rief er,Eie ahnen, Sie wissen, warum ich hier eindringe. Schon draußen auf dem Eise wollte ich es aussprechen, das das schwergefundene Zau­berwort. Doch wozu noch viele Worte, wir wissen eS ja längst, daß wir uns lieben, und da Ihr Schwager neulich auch meinte, es wäre nun endlich an der Zeit, daß die Welt davon Kunde bekäme, da denke ich, wir zögern nun nicht länger mehr, uns unfern lieben Mitmenschen als Brautpaar zu präsen­tieren."

DaS war nun die endliche Erklärung des geistvollen Mannes. Elise hätte gewiß ge« lacht, wenn sie dieselbe mit angehört, und Emmy benahm sich, nach dieser Erklärung, durchaus nicht, wie eine holde errötende, selige Braut, es blitzte sogar in ihren braunen Augen.

Mein Schwager veranlaßte Sie?" stieß sie mit bebenden Lippen hervor; und es wahr ihr, als hätten rauhe, harte Hände in dem Blumengarten ihre Liebe herumgetastet.

Nun ja, Ihr Schwager, waS ist da weiter dabei, eS ist eben nur der erste fremde Ton der da hineingedrungen in unser Glück. Einmal müssen wir die träumenden Augen doch öffnen, und uns besinnen, daß die Welt, in der wir leben, Rechte an uns hat I" Während er noch sprach, fiel sein Blick auf das Bild SidonienS.

Sidonie Welten! Mein Gott, wie kommt das Bild hierher?" rief er erstaunt

Sie kennen sie, Sie kennen Sidonie Welten?" Blaß und erschrocken starrte Emmy ihn an.

Ob ich sie kenn-, diese Sidonie, o ge­wiß, sie war sogar die Heldin einer kurzen Episode meines Lebens, ich will Dir später einmal davon erzählen, Kind."

O nein, das ist nicht nötig, ich glaube diese Episode ziemlich genau zu kennen. Wa­

ren Sie nicht einmal zusammen auf einem Maskenball ? Sidonie als Gleichen, Sie als Faust costumiert?"

Ja, dieses Maskenballs entsinne ich mich noch ganz gut, doch wozu alle diese alten Geschichten, jetzt zu dieser Stunde, Emmy? Haben wir uns nichts andres zu sagen darf ich nicht in die Rechte Deines Verlobten ein- trrten?" Er trat näher zu ihr heran und wollte ihre Hand erfassen, Emmy aber entzog ihm dieselbe; mit bebender Stimme fuhr sie fort, ihn zu iuquiriercn:

Auf diesem Maskenball haben Sie Sidonie ihre Liede erklärt?"

Gott ja, es ist schon möglich, daß ich an jenem Abend, jung, wie ich war, und in der Champagnerlaune einige unbedachte Worte gesprochen habe, ohne mir weiter etwas da­bei zu denken. Sidonie wird sie längst ver» gessen haben."

Sie hat sie nie vergessen. Sie ist an diesem Spiel, das Sie mit ihr getrieben, zu Grunde gegangen. Sterbenskrank traf ich sie im Sommer in Langooge, und jetzt ist sie ewiß tot, sonst hätte ich sicher ein Lebens­zeichen von ihr erhalten."

Und ich, ich soll Schuld tragen an diesem traurigen Ende?"

Allerdings!" kam es kalt, fast rauh von den Lippen des jungen Mädchens.

Emmy! Kind! Geliebte, besinne Dich? Soll unser beider LebenSglück daran zu Grunde gehen, weil ich einmal in der Champagner­laune einem schwärmerischen jungen Mädchen tbörichte Worte gesagt?"

Sie hat an ihre Liebe geglaubt," er­widerte Emmy feierlich,bis Sie ihr an einem Abend mit einer andern Dame am Arm begegnet, mit welcher Sic jedenfalls dasselbe Spiel getrieben."

Großer Gott, Sie machen ja einen wahren Don Juan aus mir I Jene Dame war eine Cousine von mir, und zu solchen Vorwürfen, wie sie mir Ihre Freundin den­selben Abend noch machte, dazu war durch­aus kein Grund vorhanden. Ich sagte ihr das natürlich, vielleicht war ich etwas zu heftig bei diesen Auseinandersetzungen."

Grausam waren Sie?" fiel Emmy ein.

Nun meinelwegen auch grausam. Der Sache mußte eben durchaus ein Ende ge­macht werden. Es war ein Spiel, eine Tändelei. Dich aber, Emmy, liebe ich mit der ganzen Kraft meiner Seele, Du kannst und wirst dieser Jugendlhorheit wegen unser beider LebenSglück nicht zerstören wollen I"

Er hatte sich zu ihr herabgebeugt, fast angstvoll schaute er auf ihr blasses Gesicht mit den herben geschloffenen Lippen.

Ist eS denn möglich, Du bleibst uner­bittlich, und läßt die Liebe, die so groß und schön aus all der Alltäglichkeit des Daseins emporgeblüht, zu Grunde gehen? Sagt Dir denn nicht Dein Herz, welches bitteres Un­recht Du damit begehst?'

Ein leises Beben ging durch ihre Ge­stalt. O warum ging er nur nicht. Dem Wohllaut dieser bestrickenden Stimme, durch welche der volle Herzenston der Leidenschaft klang, war so schwer zu wiederstehen, doch sie mußte stark bleiben und unerbittlich, halte sie doch der sterbenskranken Freundin ver­sprochen , eS nie zu vergessen, daß dieser Mann, der da jetzt halb sinnlos vor Erreg­ung, Schmerz und Trauer vor ihr stand, der Armen das Herz gebrochen. (Forts, fl )

Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hofmaun in Wilddad.