Imn Jahreswechsel.
Du gingst zur Ruhe, alles Jahr,
Von Glockentönen hehr umklungen,
Von Engelchören wunderbar In letzten tiefen Schlaf gesungen . . .
Du gingst zur Ruh', und all' Dein Leid, All deiner Freude lichte Funken Sind in das Meer der Ewigkeit Mit dir und deinem Lauf gesunken.
Du, neues Jahr, nun stehst du hier Und schaust uns an mit fremden Blicken Was hegst und trägst Du uns in dir An bunten wechselnden Geschicken?
Du trittst herein in Land und Haus Und kommst daher mit vollen Händen: Wie schauen wohl die Gaben aus,
Die sie den bangen Herzen spenden?
Sei still, mein Herz, sei stark, mein Mut I Soll Furcht dich bannen und bezwingen? Muß Alles, was dir wehe thut,
Dich näher nicht zum Himmel bringen? Wohl, was Du bringst, o neues Jahr — Jst's Glück, wird es mein Herz beschämen, Jst's Schmerz, und Sorge und Gefahr — Will ich's im Glauben auf mich nehmen I
Dcrs rvccHre KMck.
Weihnachtserzählung W- Hogarth.
(Nachdruck verboten.)
3 .
„So geh I* hatte der Kommerzienrat damals im höchsten Zorn gerufen. „Du kannst thun, was Du willst, aber Dein Vermögen bleibt im Bankgeschäft, welches Dein Vater und ich mit vieler Mühe gegründet haben. Du kennst wie ich Deines verstorbenen Vaters letzten Willen und ich werde danach handeln."
„Du lügst," hatte der Neffe ihm beinah fassungslos entgegnet, „denn wenn ich auch in der Vermögensverfügung bis zum vierundzwanzigsten Jahre nach dem Willen meines Vaters beschränkt bin, so konnte er doch nicht so weit gehen, mir meinen Beruf vorschreiben zu wollen. Laß mich das Testament lesen I"
„Du hast setzt kein Recht dazu!" batte ihm aber der Onkel undsVormund entgegengedonnert. „Im Uebrigen kenne ich meine Pflicht. Du wirst bis zu Deinem vierundzwanzigsten Lebensjahre ein Checkbuch von mir erhalten, welches Dir eine monatliche Rente von fünfhundert Mark sickert. Magst Du nun mit dem Gelbe Deinem vorgeblichen Studium obliegen oder Dich als Abenteurer in der Welt herumlreiben, mir ist es gleich."
„Ein Jahr ist immer noch bis der Herr Neffe vterundzwanzig Jahre ist. Ich hoffe dis dahin das Vermögen zu verdoppeln, mir bleibt dann noch genug, sagte Kronberg und ging mit geglättetem Gesicht zur Bescheer- ung.
Seit jenem Abend waren sechs Jahre Verflossen, der junge Mann hatte dem Onkel nie wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben, und er blieb so gut wie verschollen. Verschiedene Male schon bemühte sich der Onkel bei der Behörde, ihn als tot zu er« klären, er erlangte die Erfüllung dieses Wunsches aber nicht, da auf das Checkbuch, welches der Neffe hatte, bei großen Bankhäusern zuweilen noch große Summen erhoben wurden und damit bewiesen schien, daß der Neffe noch irgendwo lebe. Immer stand deshalb vor dem Commerzienrat Kronberg wie ein furchtbares Gespenst, die Drohung deS Neffen: „Ich Halle Abrechnung mit Dir." Er Hörle sie, wenn die Weihnachtsglocken läuteten, mit glühenden Farben schienen sie ihm vom Christbaum zu leuchten. —
Ein Ueberfluß Von den prächtigsten Weih- nachtSgaben bedeckte die langen Tafeln eines großen Saales in KronbergS Hause. Doch der rechte herzliche Weihnachtsjubel und die glücksstrahlenden Kinderaugen fehlten. Die beiden Töchter des Commerzienrats, Lieschen und Marka, zehn und neun Jahre alt, musterten bereits mit sehr kritischen Blicken und mit großer Selbstgefälligkeit und Eitelkeit ihre Geschenke un» lauschten ihre Ansichten aus, ob ihre Korallenketten kostbarer, ihre neuen Wintermäntel moderner, ihre Pup Pen eleganter gekleidet seien, als die ihrer Bekannten.
Weit glücklicher nahm die siebenjährige Tochter des Hausmeisters unten in der kleinen Stuve die Puppe an ihr Herz, welche von den vornehmen Kindern längst verächtlich in den Winkel geworfen ward, sie sah in ihr eine glänzende Gabe des Christkindes, und gelobte ganz besonders artig zu sein, um solche Liebe zu verdienen. Unter allen Beschenkten im Hause des Commerzienrats war jedenfalls Fräulein Werner, die Gouvernante, am meisten befriedigt. Die funkelnden Goldstücke sollten der guten Mutter die Wirtschaftssorgen erleichtern helfen, und die Cho- kolade und das feine Weihnachtsgebäck morgen Abend im Familienkreis verzehrt werden. Die arme Gouvernante fühlte sich heute so beglückt in dem Gedanken an die Freude der Ihrigen, für sich selbst nur den kleineren Teil beanspruchend.
Zum Abendessen stellten sich noch mehrere Gäste ein, denn die Frau Commerzienrat liebte es nicht, den Abend nur in der Familie zu verleben.
Das festliche Mahl nahte bereits seinem Ende, als im Vorzimmer sich Stimmen vernehmen ließen. Der Diener erschien im Rahmen der Thür, ward aber von einem jungen Manne bei Seite geschoben, welcher mit großer Sicherheit eintrat.
Seint Gestalt war schlank, das etwas gebräunte Gesicht von gesunder Frische umgab ein voller Bart, das volle braune Haar trug er von der Stirn zurückgestrich^n. Ein Glück, daß die Aufmerksamkeit sich auf den Fremden richtete, es blieb so dem Hausherrn Zeit, seinen Schreck zu bemeistern. Der Commerzienrat Kronberg bot in der That ein Bild vollständiger Fassungslosigkeit. Sein G licht war bleich, seine zitternden Händen
umklammerten krampfhaft den Tisch. Aber nach wenigen Augenblicken war er wieder Herr seiner selbst ; er trat dem Fremden mit ziemlicher Unbefangenheit entgegen, als dieser mit klangvoller Stimme sagte: „Ich denke doch, es bedarf keiner Anmeldung, wenn ich nach langer Abwesenheit Sehnsucht trage, das Weihnachtsfest in der Heimat im Kreise meiner Verwandten zu feiern."
„Nein, nein l Du bist uns natürlich von Herzen willkommen," beeilte sich Kronberg zu versichern. „Mein jNcffe, Herr Alfred Kronberg," wendete er sich, den jungen Herrn vorstellend, zu den Anwesenden.
„Gestatte» Sie, meine Herrschaften," ent- gegnete, sich verbeugend, der junge Mann, „daß ich, weil ich in Folge meiner langen Abwesenheit hier fremd geworden bin, selbst etwas zu meiner Personalbeschreibung hin» zusüge. Ich studierte in Wien und Zürich Medizin u. habe nach wohlbestandenem Ex» amen mich als Doktor der Heilwissenschaftcn vor ungefähr einem halben Jahre in Budapest niedergelassen."
„Ah, ich gratuliere Dir von Herzen zu diesem schönen Erfolg," rief da erregt der Commerzienrat und schüttelte dem Neffen die Hand. Auch empfing der junge Arzt alsbald von der Dame des Hauses, sowie von den anwesenden Gästen die besten Glückwünsche.
Bald saß der Neffe neben dem Onkel an der festlichen Tafel, aber es war seltsam, das Erscheinen des für verschölle» gehaltenen Neffen legte sich wie ein Alp auf die Fest» stimmung und der Hausherr hob viel früher als sonst die Tafel auf.
In leiserem Tone wendete er sich an den Neffen:
„Da ich annehme, daß Dich nicht allein das Fest zu mir führt, bitte ich Dich, mir zu sagen, wenn Du die Geschäfte erledigen möchtest!"
„Bite, Onkel, taffen wir das heute, ich bin überzeugt, daß Du meine Interessen auf das beste gewahrt hast," entgegnete der Gefragte mit etwas spöttischem Lächeln.
(Fortsetzung folgt^)
Merk^.
Still streut der Sämann seine Saaten, Ob sie gedeihen oder nicht.
O lasse dich von ihm beraten Und ihuc schweigend deine Pflicht.
Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hosma « n in Wildbad.