Weihnachten!
i.
Nun wieder stieg mit tausend Kerzen Herauf die hochgeweihte Nacht,
Und wieder kündet allen Herzen Sie ihre heii'ge Zaubermacht —
Von Neuem strahlt durch's Erdendunkcl Von Bethlehem der hehre Stern,
Es grüßt mit seinem Lichtgefunkel Die Christenheit in Nah' und Fern'!
2 .
Jetzt schweigt des TagS verworren Tosen, Ein stiller Friede ist genaht,
Er schüttelt lächelnd seine Rosen Auf unser'» rauhen Pilgerpfad —
Die Liebe webt froh ihre Kreise Nun um den grünen Tannenbaum —
Es klingt in uns die alte Weise,
Wach Wird der Kindheit gold'ner Traum I
3 .
Und das Gedenken sel'ger Zeiten,
Noch einmal kehrt es hold zurück,
Es will die Brust uns sehnend weiten Erinn'rung an entschwund'nes Glück — Noch einmal winkl's wie Märchenflimmer Auf Flügeln der geweihten Nacht,
Des Festes gold'ner Strahlenschimmer Hat uns das Glück zurückgebracht I
4 .
Willkommen denn in deiner Schöne,
O Christi Fest so wunderbar —
Laut grüßen dich der Glocken Töne,
Bewegt grüßt dich der Gläub'gen Schaar - O, breite deinen vollsten Segen Weithin durch alle Lande aus,
Und dein Symbol glänz' allerwegen Sieghaft im Zeitensturmgebraus I
Die Tochter des Meeres.
Roman von A. Nicola.
(Nachdruck verboten.)
89 .
Lord Belfort's erster Gedanke war, den Saum aufzureißen. Da besann er sich ober, daß man vielleicht an der Wahrheit seiner Aussagen zweifeln würde, wenn er ohne Zeugen das Geheimnis entdeckte, und er hielt tnne. Lord Belford faßte einen kühnen Plan. Er beschloß, sich in seiner Sache an den Bruder des verstorbenen Lord Faro, an den in Frankreich lebenden Grafen Treville zu wenden, um diesem Aufklärung zu geben, und mit dessen Hilfe vielleicht Begnadigung in England zu erlangen.
DXII.
„Du willst wirklich unsere Netto zu einer Heirat mit diesem unbekannte» Abenteurer zwingen?" fragte Lady Emily entrüstet. „Bruder, wie kannst Du das vor Deinem Gewissen verantworten?"
„In dieser Beziehung bin ich sehr ruhig. Laß Dir sagen, Emily," erwiederte der Graf ernst, „daß meiner Meinung nach der junge Mann am meisten zu beklagen ist, aber er hat das Schicksal selbst herausgefordert, und muß nun die Folgen tragen."
„Darf ich fragen, für wen Du ihn hältst?" fragte die Lady kalt.
„Wir dürfen in ihm nur den Mann, den Nelta erwählt, sehen, und für den sie ihren guten Ruf auf's Spiel setzt," entgegnen Lord Treville. Und wenn Du klug bist, Emily, wirst Du heute bei der Trauung zugegen sein. Marian wird der Trauer wegen nicht kommen, und Miß Cora wird schwerlich der Aufgabe gewachsen sein, ihre Nebenbuhlerin zum Altar zu geleiten."
„Ich verstehe Dich nicht, Bruder," bemerkte Lady Emily stolz.
„Das ist möglich . . . doch thälest Du gut, mir zu vertrauen und Dich meinen Wünschen zu fügen," antwortete der Graf. „Wirst Du in die Kapelle kommen oder nicht?"
„Um unseres armen Bruders und seiner Tochter willen, die er mir anverlraute, sollte ich wohl kommen," lautete die Antwort, „doch Eins muß sicherlich geschehen, Bruder . . . das Schreiben, das der Vater unserer armen
Nelta hinterließ, und daS bei ihrer Verheiratung oder wenn sie siebzehn Jahre alt ist geöffnet werden soll, muß vorerst gelesen werben. Nur unter dieser Bedingung kann ich mich mit dem Opfer einverstanden er» klären."
„Gut! Das kann nachher geschehen. Das Testament gibt mir unbeschränkte Vollmacht, ihr zum Gemahl zu wählen, wen ich als passend für sie halte," versetzte der Graf.
Hier half kein Bitten, das mußte Laty Emily. Es blieb ihr nichts Anderes übrig als durch ihre Toilette ihren stolzen Unwillen über eine solche Verbindung zu zeigen. Demgemäß kleidete sie sich in dunkelvioletlen Sammet, dem ein schwarzer Spitzenshawl den gewünschten Ernst verlieh, und gemessenen Schrittes begab sie sich in das Zimmer, das sich neben der kleinen zu dem Hause gehörigen Kapelle befand.
Hier war schon eine kleine Gesellschaft versammelt. Der Graf, Frau Falkner, Adele saßen auf den Bänken der Kapelle, während Rupert in stolzem und düsterem Schweigen nahe am Altäre stand, wo der Priester schon wartete.
Da öffnete sich die Thür und Netta trat ein, gefolgt von Cora.
„Was soll das? Wie können Sie ohne meine Erlaubnis hier erscheinen ?" fragte der Graf in kaltem Ton, obwohl sein bewundernder Blick seine Worte Lügen strafte.
„Ich sehnte mich darnach, zugegen zu fein und dem Brautpaar meine besten Wünsche und meine Verzeihung auszusprcchen," antwortete Cora ruhig. „Ich habe wohl ein gewisses Anrecht darauf, Mylord, bei einer solchen Gelegenheit Lord Faro's hinterlassene Tochter und meinem früheren Beschützer und Freund zum Altäre zu begleiten."
Es war wirklich ein schönes Paar, wie sie da neben einander standen, diese junge Braut in dem einfachen weißen Kleide, das besser für ihre märchenhafte Gestalt paßte als die eleganteste Toilette, und Cora in dem schweren weißen Seidenkleid, das eine weniger vollendet schöne Gestalt eher verunziert haben würde, ihr aber nur noch ein malerischeres Aussehen verlieh. N-tta's anmutige Gestalt war graziös in den weiten Schleier gehüllt, der in ihrem Haar durch den Pfeil befestigt war, welchen Rupert ihr gegeben halte. i
Aber in feiner Aufregung achtete Graf!
Treville nicht auf solche Dinge. Sein Hauptwunsch schien zu sein, die Trauung seiner eigensinnigen Nichte mit dem Mann ihrer Wahl so schnell als möglich vollzogen zu sehen.
Die Ceremonie begann, und mit einer gewissen Bitterkeit lauschte Lord Treville den bindenden Worten und blickte dabei auf Adele's mürrische Züge.
Endlich war es vorbei. Die Gelübde waren gesprochen, und Netta war die Gemahlin des einfachen Bremer Seemanns. Der eigensinnige Wunsch deS wunderlichen Einsiedlers mar erfüllt. Der Nichte war in ihrem launischen Gebühren Einhalt ge- than, und alle Pläne Frau Falkners vernichtet.
„Netta, ich wünsche Dir Glück und Mut und Ausdauer, Dein Gelübde zu erfüllen und dem Gatten Deiner Wahl eine gute brave Frau zu sein, sprach der Graf, indem er den Brautschleier lüftete, um seinem Mündel den Vaterkuß zu geben.
Aber in demselben Augenblicke, wo seine Finger das zarte Gewebe berührten, bemerkte er den eigentümlichen Schmuck, der dasselbe zufammenhielt, und er schrack plötzlich zurück, noch bevor seine Lippen ihre Stirn berührt hatten.
„Was ist das? Woher hast Du das?" stieß er hastig hervor.
„Rupert gab eS mir. E« diente als Zeichen zwischen uns,' entgegnete die Braut, während sie ängstlich zur Seite ihres Bräutigams trat.
„Sie! Und wo fanden Sie den Pfeil? Wie konnten Sie wagen, ihn zu behalten?" wandte er sich erregt an den jungen Mann.
„Ich besitze ihn seit meiner frühesten Kindheit. Meine Mutter gab ihn mir zum Andenken a» meinen Vater," erwiderte Rupert etwas verwundert. „Sie sagte, eS müsse mir ein Andenken sein, von dem ich mich nur trennen dürfte, um es meiner Frau zu geben."
Der Graf wandte sich mit strenger Miene jetzt an die Frau Falkner, die während der ganzen Scene mit spöttischem GestchtSauö- druck dagestanden.
(Fortsetzung folgt.)
Hruck und Verlag von Beruh. Hofmann ln Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur Beruh. Hofmann).