Die Tochter -es Meeres.
Roman von A. Nicola.
(Nachdruck verboten.)
75 .
Frau Digby war etwas betroffen. Sic hatte ihr Wort gegeben, die elternlose Waise über ihr vergangenes Leben nicht mit Kreuz- und Querfragen belästigen zu wollen, und sie wagte nun kaum nach der Bedeutung dieser Anspielung zu fragen, obgleich sie viel darum gegeben hätte, alle Einzelheiten dieser geheimnisvollen Zusammenkunft zu erfahren.
„Miß Cora," fuhr sie deshalb mit sanfterer Stimme fort, „warum wollen Sie mir nicht die Wahrheit über ihre Vergangenheit Mitteilen? Halten Sie es nicht für besser, eine ältere Dame, die Ihnen raten kann, zu Ihrer Vertrauten zu machen?"
Frau Digby hätte vielleicht das Gewünschte erreicht, wenn ihr Ton ein aufrichtiger gewesen wäre. So aber wich Cora instinct- mäßig vor der Falle, die ihr gestellt war, zurück.
„Ich bin Ihnen sehr dankbar für das Interesse, das Sie an mir nehmen," erwiderte sie ruhig, „aber ich möchte lieber über die Vergangenheit schweigen. Die Erinnerung daran ist zu schmerzlich, und eS sind so viel Andere darein verwickelt, daß eS gewissermaßen Verrat wäre, ihre Namen zu nennen."
„Wenn Sie sich über die Vergangenheit nicht avssprechen wollen, so können Sie sich doch wenigstens meinen Wünschen fügen. Bedenken Sie wohl, daß ich Sie bereitwillig und ohne weitere Fragen mit meiner Tochter in nähere Berührung gebracht habe, und es ist daher sehr notwendig, daß Ihr ganzes Betragen ein tadelloses sei."
„Sie brauchen keine Furcht zu hegen, Frau Digdy I Ihre Tochter wird keinen Schaden von meinem Umgang haben," erwiderte Cora stolz, „und so lange ich in Ihrem Hause di», werde ich mich stets der Hausordnung fügen, wenn nichts Unbilliges von mir verlangt wird."
„Worüber Sie sich selbst zum Richter machen wollen, wie mir scheint?" entgegnete Frau Digdy erregt.
„Nein, ich würde Sie selbst darüber entscheiden lassen," sagte das unerschrockene Mädchen. „Wenn ich ein freies Mitglied Ihrer Familie sein soll, so muß ich. natürlich meinen eigenen Gefühlen folgen, eS sei denn, daß Sie directen Befehl zum Gegen« teil geben. Wenn Sie nicht wünschen, daß ich einen Ihrer Gäste empfange, warum sagen Sie es mir alsdann nicht? Ich unterwerfe mich gern, besonders unter der Bedingung, daß Sie mir erlauben, es Sir Fnlke zu sagen, damit er mich nicht für albern und eigensinnig halte."
Frau Digby wurde rot vor Aerger.
„Ich verstehe," sagte sie, „Sie haben, wie Sie sehr gut wissen, einen Rückhalt an Sir Fülle."
„Und doch haben Sie selbst mich versichert, daß Sie mich gern und aus freien Stücken in Ihr Haus aufnehmen . . . sonst würde ich nie darauf eingegangen sein," verteidigte sich das Mädchen.
„Allerdings war ich Ihnen zu großem Danke verpflichtet," versetzte Frau Digdy verlegen, „aber ich kann Ihnen meine aufrichtige Güte nicht besser beweisen als da
durch, daß ich Sie von dem zurückhalte, was Ihr Glück und Ihren guten Namen untergraben würde. Sie müssen wissen, daß es geradezu Wahnsinn wäre, an ehrenwerte Absichten Seitens des Herzogs von Dnnbar zu denken. Darum sollten Sie es mir Dank wissen, wenn ich Ihnen einen so unschicklichen und gefährlichen Verkehr untersage?" schloß sie ziemlich stolz.
„Der aus einer einzigen kurzen Unterredung bestand," fügte Cora kalt hinzu.
„Warum schracken Sie dann davor zurück, daß ich Sie mir dem Herzog fände?" sagte Frau Digby triumphierend.
„Sie dürfen mir nicht zürnen, Frau Digby, wenn ich Ihnen die Wahrheit sage," erwiderte Cora ruhig. „Ich floh aus dem Zimmer, weil ich glaubte, Sie würden den einfachen Zufall mißverstehen, wie das auch jetzt der Fall ist. Und," fügte sie hinzu, „während sie ihre großen Augen mit unwiderstehlichem Ausdruck zu der Lady aufhob, ich will es nur gestehen: ich habe auch schon zu viel von Mißverständnissen gelitten, um vor weiteren solchen Prüfungen nicht zurückweichen. Frau Digby, sie sprachen von Ihrer Trissa ... das Herz würde Ihnen brechen, wenn von ihr etwas so Unfreundliches gesagt oder gedacht würde. Können Sie nicht mit mir fühlen, wenn ich Ihnen mein heiliges Wort verpfände, daß ich nie etwas gethan habe, noch thun werde, was eines Mädchens
— einer jungen Dame, wenn Sie wollen
— unwürdig wäre? Ist Ihnen das nicht genug?"
„Dann können Sie sagen, daß Sie keinen Gedanken, keine Gelüste haben, um — wenn eine so wahnsinnige Idee möglich wäre — zu des Herzogs Höhe emporgezogen zu werden?" fragte Frau Digby zaghaft.
„Gewiß nicht!" versetzte Cora bestimmt. „Es wäre Wahnsinn, daran nur zu denken . . . aber ich würde auch die Hand eines Prinzen nie annehmen, wenn ich ihn nicht liebte."
„Das ist eine sehr richtige Ansicht, Cora, und hoffentlich auch Ihre aufrichtige Meinung," erwiderte Frau Digby, „und das Beste in solchen Fällen ist, sich so viel als möglich vor jeder Gefahr zurückzuziehen. Es ist zum Beispiel sehr leichl möglich, daß der Herzog von Dunbar die ganze Saison über hier bleiben wird, da er eine große Zuneigung zu meinem Sohne gefaßt hat und auch Trissa schon großes Interesse zugewendet, und ich hoffe, Sie werden durch ein zurückhaltendes Benehmen gegen ihn beweisen, daß Sie es mit Ihrer Erklärung ernst gemeint haben."
Cora verneigte sich, mehr mit dem Stolz einer Königin als mit der Ergebenheit einer Abhängigen.
„Gut!" schloß Frau Digby aufstehend, „Ich will Sie nun nicht länger von Ihrer Ruhe zurückhalten, Cora. Ich habe nur noch eine Bitte an Sie: daß Sie weder mit dem Herzog, noch mit Trissa über diese Unterredung sprechen. Sie bleibe ganz geheim, und sie wird hoffentlich nur dazu dienen, daß in Zukunft Alles noch besser geht als bisher, und meine Gefühle der Dankbarkeit und Zuneigung gegen Sie sich erhöhen. Gute Nacht, meine Liebe!"
Sie bog sich herab, und drückte ihre Lippen mit etwas heuchlerischer Zärtlichkeit auf des Mädchens Stirn. Doch war es
auch nicht böse von ihr gemeint. Sic erachtete es nur für die Pflicht einer Mutter, zwischen dieses gefährliche Mädchen und die glänzende Partie zu treten, die wie sie hoffte, ihrer Tochter jetzt in Aussicht stand. Und sie begab sich mit dem beruhigenden Gefühl zur Rnhe, daß jetzt Alles in befriedigender Weise seinen Lauf nehmen würde.
Dagegen währte eS so lange, bevor Cora ihr Lager aufsuchte, und als sie ihre brennenden Wangen endlich in die Kissen drückte, da empfand sie ein bitteres Gefühl der Unterdrückung und Ungerechtigkeit in ihrer Brust, daö den Schlaf von ihr bannte. Lieber wäre sie in die öden, einsamen Bergregionen zurückgekehrt, wo sie Nacht für Nacht in Kälte und schwerer Sorge zugebracht hatte, als daß sie auf diesem Lager ruhte, das in ihrer jetzigen Stimmung einem Dornenbett glich.
XDVI.
„Leben Sie wohl, Miß Netta ! Erinnern Sie sich Ihres Versprechens," sagte Rupert, als er dem jungen Mädchen einen letzten langen Blick zuwarf.
Es lag in der That etwas in d-m ganzen Auftreten des jungen Seemannes, das wie ein Zauber auf das junge, unerfahrene Mädchen einwirkte. Er war so hübsch, und sah so vornehm aus.
In dem mutwilligen Lächeln, womit sie zurückschaute, als sie davon sprang, lag ein Triumph der Freude.
„Sie ist ein reizendes Geschöpf!" dachte er bei sich, als er sich von ihrem gewöhnlichen Zusammenkunftsort ertfernte. „Und wenn unsere unschuldige Liebelei auch keinen Zweck hat, so ist sic doch ein Balsam für das Herz eines schwergeprüften Mannes wie ich."
Und ein halb spöttisches Lächeln spielte bei diesem Gedanken um seine Lippen, als er mit einer ungeduldigen Bewegung den Kopf zurückwarf und seinen Schritt plötzlich so beschleunigte, daß er bei einer scharfen Wendung des Weges, wo die Zusammenkunft stattgefunden hatte, fast gegen eine weibliche Gestalt anrannle, die von der entgegengesetzten Richtung kam.
Er trat gerade noch rechtzeitig beiseite, um einen Zusammenstoß zu verhindern, und mit einem um Entschuldigung bittenden Gruß den Hut ziehend, wollte er weilergehen.
Aber ein Ausruf, dessen Worte ihm kaum verständlich waren, hielt seinen Schritt an.
Unwillkürlich schrack er zurück, und sein Blick begegnete den glänzenden Augen Lady Marian Biddulph's.
Es war nicht eingebildet, aber unmöglich konnte ihm entgehen, wie es bei diesem un- erwarteteten Begegnis in des Mädchens Augen freudig anfblitzte.
„Ist es möglich?" sagte sie und reichte ihm ungezwungen die Hand. „Was führt sie hierher? Sicherlich ist sie — Cora, meine ich - nicht so weit gereist, oder ist Lord . . ."
Sie stockte, denn die Sürn dcS jungen Mannes Verfinsterte sich.
„Nein, der Zufall führte mich her," versetzte Rupert. „Darf ich eine Frage an sic richten?" fuhr er fort, als wolle er der Unterhaltung eine andere Wendung geben. „Bei Ihnen ist es jedenfalls etwas Anderes . . . Sie können nach Belieben herumreisen wo Sie wollen." (Forts, flgt.)
Druck und Verlag von Beruh. Hosmann in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur: Bernh. Hosmann.)