zu dem Schäfer, um dort Heilung zu suchen. Wer es nicht mil angesehen hat, kann sich kein Bild vs» dem Treiben dort machen. Ast sitzt inmitten einer verhältnismäßig kleinen Stube, ausgerüstet mit Schere und Lupe, neben sich ein,» mit zahlreichen Flaschen besetzten Tisch. Er schneidet den „Patienten" einige Nackeuha ne ab, betrachtet sie mit wichtiger Miene und gibt danach seine Medizin; mit Hinterlassung eines Honorars (oft 10 für einen Fall) ziehen die Mensche» hoffnungsfreudig ab. Sämtliche aus der Linie Hannover-Hamburg verkehrenden Eisenbahn- züge sind verstärkt worden, um den großartigen Verkehr nach R. zu bewältigen. Mit größter Ausdauer stehen die Leute trotz Wind und Wetter stundenlang wartend vor AstS Häuschen. Zur Ausrechterhaltung der Ordnung ist jetzt nach Radbruch ein Gendarm geschickt worden. Aus allen Teilen Deutschlands kommen mit jeder Post eine Menge Briefe an den „Doktor"; an eine Beantwortung kann der Manu natürlich nicht denken- Er hat i» den letzten Nächten oft bis 3 Uhr morgens „praktiziert", und zwischen 5 und 6 Uhr früh versammeln sich die Menschen schon wieder vor seinem Hause.
Die meisten kommen aus Hamburg, Lüneburg, Harburg und Wilhelmsburg. Sonntags lehnt Ast jetzt jeden Besuch ab. Säurt- liche Medikamente bezieht er f-rlig aus der Apotheke. ES sind alles unschuldige Mittel. Zwei jungen Mädchen auS Harburg hat er gegen „Körperschwäche" drei Heilmittel verabreicht, deren Untersuchung ergab, daß das eine anisölhaltige Ammoniakflüssigkeit, das andere Aloctintinktur und das dritte wässerige Rhabarbcrtinktur ist. Und damit soll die Körperschwäche beseitigt werden! Je mehr gegen den Schwindel geeifert wird (behördlicherseits ist noch nichts geschehen I), desto größer wird der Zuzug.
— Das Hochzeitsgeschenk des Kaisers Nikolaus an seine junge Gemahlin bestand in einem wunderschönen Sapirschmuck, zu welchem die Steine bereits seit einiger Zeit gesammelt worden waren. Bisher war es streng verboten, irgend etwas über die kaiserliche Familie zu telegraphieren. Die Zensur strich jede derartige Depesche. Seit einigen Tagen ist dies durch den Hosminister Grafen Woronzow, jedenfalls auf kaiserlichen Befehl, dahin abgeändert worden, daß für die Zensur von Zeilungsdepescheu über das Kaiser
haus ein besonderer Beamter des Hofwini- steriums bestimmt wurde, welcher das ihm obliegende Amt durchaus milde und sachgemäß auöübt.
— Aus Petersburg wird gemeldet' Unweit des Dorfes Besdvnnaja im Gouvernement Tula wurden neu» Bäuerinnen im Alter von 14 bi« 26 Jahren, sowie zwei Baucrnknaben auf dem Heimwege vom Felde von einem furchtbaren Schneesall überrascht. Die elf Personen sanken bald erschöpft am Wege nieder und erfroren sämtlich.
*
— Nichts ist besser als Linderungsmittel für Brand- oder Verbrühungswunden als das Weiße des Eies, das man über die Wunde ausgießt. Als Ueberzug der Wunde ist es weicher als Kollodium und stets zur Hand oder leichter herbcizuschaffen, auch kühlt eS noch mehr als Baumöl und Baumwolle. Namentlich die Berührung mit der Luft ist eS, was dem Patienten den Schmerz verursacht, und irgend etwas, womit man diese adschließen kann und das die Entzündung verhütet, sollte in vorkommenden Fällen sofort angewcndet werden, dazu gehört eben das We:ße des Eies.
DunM'e Mächte.
Novelle von H. von Limpnrg.
(Nachdruck verboten.)
22 .
Am offenen Giebelfenster seines Zimmers stand indessen der arme Doctor Fels und tauschte mit seltsam flimmernden Blicken den feierlichen Glvckentönen, welche durch die Luft hin zu ihm schallten; in seinem umdüsterten Geiste regten sich seltsame Empfindungen und Erinnerungen. Er atmete tiefer auf, legte die Hand an die Stirn und sagte:
„Was ist das? Sinds nicht Toden- glocken? Und von dem gräflichen Erbbegräbnis herüber klingt dumpfe Musik. Wer wird zur Ruhe gebracht? Wahrscheinlich Therese, ja, die arme Therese?"
Noch eine Sekunde lauschte er, dann schlich er die Treppe hinab ins Schlafge. mach des Vaters; hier hing über dem Bette ein geladener Revolver und Arthur nickte unheimlich: „Ah, da ist der Freund, den ich suchte! Vielleicht bedarf ich seiner Hülfe; komm mit."
Und weiter schritt er leise aus dem Hause in den Wald. Der Wahnsinn halte den unglücklichen jungen Mann wieder ergriffen.
Immer weiter trieb es den Unglücklichen fort und hinein in den Wald, während fort und fort die Glocken klangen; ja, es war sicherlich Therese und sein Opfer, die man drunten in den Reihen ihrer Ahnen zur ewigen Ruhe bettete! Sie war erlöst, schwebte als seliger Engel nun dem ewigen Goltes- thron zu — während er, ausgestoßen in ewige Finsternis, ihr fern bleiben mußte.
„Kein Wiedersehen, keine Hoffnung," schrie er j-tzt gellend, „selbst im Tode nicht. Aber weshalb denn lebe ich noch? Weshalb martern und peinigen mich die Furien, die noch nicht einen Moment von mir wichen. Hah, ich Hab' ja hier ein Mittel dagegen, rasch, unfehlbar, verlockend! Ein einziger Augenblick — und ich werde ruhig daliegen, ohne Schmerz, ohne Gefühl, nur in den Schläfen sieht man ein kleines, rundes Loch l O, Therese, wie verlockend ist cs, wenn ich
selbst im Tode Deinen Spuren folgen dürfte I Tverese, würdest Du mir böse sein, oder würdest Du, noch als Engel aus dem Paradiese zu mir hernieder neigen und flüstern: Ich kann Dir nicht zürnen!"
Die Glocke» verhallten feierlich, ein leiser Windzug trug die ernsten Töne des Schlußchorals vom Erbbegräbnis herüber und der unglückliche junge Arzt hob das schöne totenbleiche Antlitz empor..,
„Ich komme, meine Einziggeliebte! Ich komme!" rief er dann. Durch den Wald tönte der Schuß, die bohe Gestalt lag regungslos am Boden, ein leises Lächeln umspielte die bärtigen Lipp-n. — Arthur Fel« hatte nur zu gut getroffen, sein Tod war sogleich eingeireten.
Bei der Heimkehr des Oberförsters entdeckte man erst das Fehlen des Kranken und — auch die verschwundene Waffe über dem Bett. Doctor Berner wußte genug und bot tieferschüttert dem erregten Vater die Hand.
„ES ist kein Zweifel, mein armer Freund hat selbst den Tod gesucht. Kommen Sie, Herr Oberförster, wir wollen die Leiche suchen >"
Es dauerte auch nicht lange bis man den stillen Schläfer fand, neben ihm die abgeschossene Pistole. Halb bewußtlos vor Herze- leid knieete der Vater neben ihm nieder und sah Doclor Berner wie aus weiter, weiter Ferne an.
„Lassen Sie mich allein. Ich muß Abschied nehmen von meinem armen Sohn — er ging Von mir, hinausgestoßen wie ein Missethäter — und nun ist es zu spät ihm zu verzeihen."
Schweigend zog sich der Dcctör zurück, eine Thräne glänzte in seinem Auge.
Was der strenge, unbeugsame Mann dort draußen empfunden neben der Leiche des unglücklichen Sohnes, wer will es mit Worten zu schildern versuchen I Lange, lange wäbrte es bis er sich müde, völlig gebrochen, erhob und die ineinander verschlungenen Hände emporhob zum blauen Himmelszelt.
„O lieb, so lang' du lieben kannst,
O lieb, so lang' Du lieben magst,
Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Da du an Gräbern stehst und klagst!" sagte er laut und feierlich, während Thräne um Thräne aus seinen Augen rann> es ist zu spät, zu spät!"
*
Der verwittweten Fürstin Sereco wurde der Tod des Doctor Fels lange Jahre hindurch verschwiegen. Ihre zarte Gesundheit war durch die schweren Heimsuchungen überhaupt so angegriffen, daß sie gleich am Tage nach dem Begräbnisse ihres Gemahles in Begleitung der Mutter eine Reise nach Italien zu ihrer Erholung antrat. Erst nach drei Jahren erfuhr die Fürstin den Tod Arthurs. Sie dlieb,Wiitwe bis an ihr sieben Jahre später erfolgtes Lebensende und vermachte den größten Teil ihres Einkommens den Armen.
— Ende. —
Vermischtes-
.-. (Im Theater.) Zuschauer (zum Nachbar) : „Nicht wahr, da lacht einem das Herz im Leibe, wenn man die Leichen so auf der Bühne herumliegen sieht?" — „Na, Sie scheinen ja ein recht gefühlloser Mensch zu sein!" — „O, doch nicht; aber ich bin Sargfabrikanl!"
.'. (Aha.) Herr: „Ich kann Sie versichern, daß Sie gleich im ersten Augenblick einen tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht haben, Fräulein."
Fräulein : Wo haben Sie mich denn zuerst gesehen?"
Herr: „Auf der Reichsbank, w» Sie auf das Konto Ihres Vaters gerade Geld einzahlten."
Wahre Freunde.
Wahre Freunde nennt man solche,
Die vom Bösen fern nns halten,
Aber mit bedächt'gem Sinne
Für des Freundes Vorteil walten;
Das Geheimnis treu verbergen,
Nur das Gute laut verkünden;
Wenn es Zeit ist, gerne helfen,
Und im Unglück nicht verschwinden.
Druck und Verlag von Bernh. Hofmann in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur: Bern h. Hofmann.)