Dünkte Wächle.
Novelle von H. von Limpurg.
Nachdruck verboten.
15 .
Der Frühling war nach schwerem, harten Winter gekommen mit Under Luft, grünum- schleierlen Bäumen und Sträuchern und den ersten Gänseblümchen, Anemonen und Primeln. Auch in der Residenz atmeten die Bewohner, wie erlöst nach langem Winter auf und zogen an sonnigen Tagen hinaus aus den dunkeln Häusern, um in Wald und Flur Licht, Luft und Frühlingsweben zu genießen.
Auch in der fürstlich Serecv'jchen Villa standen die hohen Spiegelscheiben der Fenster weit offen und im Garten vor dem Tceib- Haus saß die junge Fürstin mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, um den herilichen ersten Maitag z» genießen. Sie war sehr schön und dennoch lag in dem schwermütigen blauen Auge, um den feingeschnittenen roten Mund ein Zug tiefen Leides, müder, stiller Ergebung, der dem Beschauer weh that. Die junge Fürstin hatte eine bewegte Winter- saison durchgemacbl. Gefeiert und ausgezeichnet von der Gesellschaft, dabei stets mit der unsinnigsten, völlig unmotivierten Eifersucht ihres Gemahls kämpfend, der grollend über jedes Wort, jeden Blick Theresens wachte und ihr dann beim H imkehren die entsetzlichsten Scenen bereitete. Mchr und mehr lernte sie die leidenschaftliche, sinnlich veranlagte herrische Natur ihres Gatten kennen — und beinah fürchten. Wenn sie seine scheltende Stimme von weitem vernahm, überrieselte sie schon ei» leiser Schauder, und sie mußte stets alle Selbstbeherrschung aufbieten, um ihm ruhig, freundlich gegenüber zu treten. Sinnend saß sie auch heute da, die Arbeit sank in den Schooß und Bild an Bild zog an ihre» Augen vorüber, bis sie feucht wurde».
„WeShatb, o weshalb mußte ich ausersehen sein unglücklich zu werden?" murmelte sie vor sich hin; dann aber erschrack sie vorder sündigen Frage und seufzte nur tief auf.
Non der Villa her ließen sich soeben schlürfende Fußtritte vernehmen und die junge Fürstin erbleichte, faßie nach dem klopfenden Herzen und murmelte: „Serge! kommt!"
Als ihr Gemahl dann vor ihr stand, arbeiteten ihre weißen Hände emsig weiter.
„Oh, hier bist Du, Kind,- begann er, etwas unmutig, „ich suchte Dich überall, um wegen der WohlthätigkeitSvorstellung Rücksprache zu nehmen. Man will, daß Du die Dornröschensrolle übernimmst."
„O nein, die gebührt einem ganz jungen Mädchen, etwa Baroneß Neuhoff, aber nicht einer verheirateter Frau," erwiderte die Fürstin.
„Aber die Neuhoff hat ein Gesicht, rot wie eine Mohrblume und ist klein und dick. Wenn man Dich auswählt, wirst Du nicht Nein sagen, hörst Du."
Es grollte bedenklich in des Fürsten Stimme und Therese kannte ihn zu genau, um einen Sturm herauf zu beschwören. Ruhig legte sie die Arbeit zusammen und stand auf: „Nun wohl, Sergei, wen» Du es wünschest, will ich mich als Dornröschen unter die Rosen zum Schlummer legen. Wer ist dann mein Retter aus dem Zauberbanne?"
„Ach darüber ist man sich wohl noch
nicht einig, jedenfalls ist es mir lieb, daß Tu Dich zierst, die Rolle zu übernehmen. In acht Tagen ist die Aufführung, besorge Dir ein weiches, weißes Seidengewand mit Schleppe und Goldgürtel, und im Haar eine gleiche Spange."
„Gewiß, das will ich thun," erwiderte die junge Fürstin. „Der Zwischenraum bis zur Vorstellung ist aber wirklich etwas kurz."
„O, in acht Tagen kann man diese Vorbereitung schon treffen. Uebrigens, Therese, ich muß Dick noch auf etwas aufmerksam machen," fuhr Fürst Sereco leidenschaftlich fort. „Der Marchese Fuentos von der spanischen Gesandtschaft hat ein Auge auf Dich geworfen. Hüte Dich ihm gegenüber, denn meine Pistolen sind bald geladen, und wen ich treffen will — der hat am längsten gelebt."
Hoch und stolz richtete sich die junge Fürstin in die Höhe, ein zürnender Blick traf den Gemahl und sie sagte unwillig, obwohl völlig beherrscht: „Sergei, diese Warnung ist ganz unnötig, ich weiß den Namen und Rang, den Du mir gegeben, mir Ehren zu tragen und jede unschickliche Annäherung von mir fern zu halten. Auch kann ich Dir nur versichern, daß noch Niemand je gewagt hat, mich zu beleidigen. Der Marchese Fuentos spricht oft mit mir, aber stets mit Achtung und Zurückhaltung. Dies ist m'ine Antwort auf Deine Worte."
Und mit vollendeter Ruhe schritt sie an dem eifersüchtigen Gatten vorüber, der hinter ihr drein die Faust ballte und murmelte: „Immer dies Uebergewicht, dieser unsinnige Stolz; wenn ich sie doch einmal demütigen
und über sie triumphieren könntet"
» *
*
Der Festtag war gekommen. Die weiten Räume der Kunstakademie schwammen in einem Meer von Glanz und Licht, und eine zahlreiche, glänzende Gesellschaft wogte plaudernd und lächelnd umher. Ein ernster stattlicher Mann befand sich inmitten derselben, der von vielen Herren und Damen zuvorkommend und herzlich begrüßt wurde, sich aber auffallend zurückzog.
Es war Doctor Arthur Fels, der junge Arzt, der durch seine Geschicklichkeit und Gewandtheit mehr denn je bei der Aristokratie „in Mode" kam, ohne indeß sonderlich davon berührt zu werden. Er wußte wer heute das Dornröschen gab und, obwohl er bis heute strengstens vermieden hatte, der ehemaligen Geliebten zu begegnen, trieb es ihn diesmal mit rätselhafter Gewalt, die Vorstellung zu sehen. Mehr als einmal hatte ec munkeln und laut reden hören, daß die Fürstin Sereco nicht glücklich sei; ach, das wußte er ja selbst, wie sie wie eine geknickte Rose neben dem Fürsten hinlebte. Weshalb Fels heute hier war, hätte er wohl nie erklären können — vielleicht war es der eine Gedanke, Therese zu sehen und zu sprechen, ihre geliebte Stimme wieder zu hören. Aber wie, brach das nicht von Neuem die unselige liefe Herzrnswunde auf, die er bislang mit eisernem Willen zuqehalten? —
Der Vorhang flog auf und die Vorstellung begann. Bild nm Bild zog unter Musikbegleitung vorbei; Doktor Fels unterschied kaum die einzelnen Figuren, er wußte nur, daß Therese »sch nicht erschienen war. Und endlich sollte das letzte Bild gezeigt werden: Dornröschen I
„Die schöne Fürstin Sereco," ging eS von Mund zu Mund. Weiche, sehnsuchtsvolle Töne erschollen vom Orchester — und dann teilte sich der verhüllende Vorhang. Ein allgemeines „Ah" der Bewunderung wurde laut beim Anblick des süßen Märchenbildes, welches dort unter üppigem Rosengerank auf schneeigem Lager schlummerte. Therese hatte die Augen geschlossen, eine feine Röte lag auf den zarten Wangen, denn sie mochte keine Schminke darauf leiden, und dort rechts oben lauschte der Retter, der Prinz, ganz Versunkeli in den holden An« blick, hernieder.
Mit verschränkten Armen und festgeschlossenen Lippen stand Doktor Fels an einen Pfeiler gelehnt, und starrte Dornröschen an. War's denn wirklich die Geliebte, welche er auf ewig verloren 2 Weshalb durfte nicht er selbst hineilen, um sie zum Leben — zum Glück wach zu küssen? Aber nein, es war ja alles nur ein Traum, ein Wahngebilde, das ihn täuschte, um ihn dann erst recht verzweifelt in die dunkle, öde Gegenwart zurückzuschleudern I
Wieder und noch einmal mußte der Vorhang sich öffnen, um Dornröschen den enthusiastisch Beifall klattschenden Gästen zu zeigen, und als daun die Vorstellung vorbei war, wogten die Damen und Herren aufgeregt plaudernd durcheinander.
Am Arm ihres Gemahls erschien bald darauf die Fürstin Sereco, und nun drängten Alle um sie her, daß für den junge» Arzt keine Möglichkeit war, sich ihrrr zu nähern.
Nach dem Souper wurde getanzt, und die älteren Herren, unter ihnen Fürst Sereco, zogen sich zum Spielen in einen der Nebensäle zurück.
Doctor Fels hatte furchtbar mit sich ge» rungcn und der Entichluß stand fest in seiner Seele: er wollte beichten, die Geliebte sollte sein Verbrechen erfahren — und ihn verdammen oder ihm vergeben I Aber wie zu ihr zu gelangen ? Sie war noch immer umringt von Herren und Damen. Aus der dichtesten Gruppe sah Doctor Fels das blasse, liebliche Antlitz Theresens, mit dem Nosen- zweig im blonden Haar, hervorschaucn; da faßte er einen kühnen Entschluß und — drängte sich durch. Als sie ihn erkannte, zögerte sie sekundenlang, mit ihm zu sprechen, der Atem versagte ihr, die Schläfen hämmerten fieberisch, dann aber reichte sie ihm gütig die Hand, und sagte: »Herr Doctor Fels, ich freue mich, Sie wieder zu sehen. Wie geht es Ihnen und Ihrem Herrn Vater?"
„Ich danke, so leidlich. Aber darf ich so kühn sein, Durchlaucht um einen Tanz zu bitten?" sagte der junge Arzt erregt.
Sie hob das Etfenbeintäselchen auf und sagte dann beistimmend: „Ogern, ich wollte die nächste Walzerlour aussetzen, weil ich müde bin; wenn es Ihnen recht ist, verplaudern wir dieselbe."
Ob es ihm recht war I Als die Paare sich im Tanzsaal ordneten, legte die Fürstin ihre Hand auf seinen Arm und schritt schweigend hinüber nach dem grünen, einsamen Wintergarten, wo nur das Plätschern des Springbrunnens sich vernehmen ließ.
(Fortsetzung folgt.)
M e r k' s.
Lerne, als lebtest du immerfort,
Und lebe, als müßtest du morgen schon fort.
Druck und Verlag von Beruh. Hofjmann in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur Bernh. Hofmann).