Rundschau.
— DaS Los der Ulmer Münsterbaulotterie, auf welches der erste Preis mit 75 000 ^ fiel, soll von der Hauptagentur Karl Heintze in Berlin nach Amerika verkauft worden sein.
— Znm Mord der Frl Reuß in Ulm.
Unvergessen ist noch der grauenvolle Mord, dem am Sonntag den 26. Februar v. I. die 41 Jahre alte Professorsiochtcr Fräulein Selma Reuß in Ulm zum Opfer fiel. Alle Bemühungen, den Mörder zu entdecken, erwiesen sich als vergeblich. Vor kurzem gestand aber der im Zuchthaus in Stuttgart befindliche 19 Jahre alte Schuhmacher Johannes Keßler von Köngen, der am 20. Juni v. I. vom Schwurgericht in Stuttgart räuberischer Erpressung und Diebstahls zu 8jäh- riger Zuchthausstrafe verurteilt worden ist, ein, er habe auch den Mord an Frl. Reuß verübt, indem er alle Einzelheiten beschrieb. Keßler wurde infolgedessen in Untersuchungshaft nach Ulm überführt, widerrief aber dort sein Geständnis und behauptete, er habe eS nur abgelegt, um in Freiheit zu kommen. Unterwegs wurde ihm ein verborgen gehaltenes Messer abgenommen, mit dem er seine Handfesseln zu öffnen versucht hatte. Keßler befand sich bisher in der Untersuchungshaft zu Ulm, wurde aber dem Vernehmen nach letzter Tage zu Untersuchungszwecken nach Stuttgart überführt.
Berlin , 26. Januar. Die Begrüßung Bismarck- durch den Kaiser war eine äußerst herzliche. Der Fürst war sichtlich gerührt.
— Fürst BiSmarck wurde zum Chef deS Halerstädtcr Kürassterrcgiment« ernannt. Der Fürst blieb »ach dem Empfang längere Zeit mit dem Kaiser allein. Unter den zum Diner geladenen etwa 10 Personen befand sich auch Herbert Bismarck — Der Kaiser machte heute nachmittag einen Spazierritt. BiSmarck verblieb in den Gemächern. Die Abreise erfolgt bestimmt abends 7 Uhr 19 Min.
Berlin, 26. Jan. Al- der Kaiser heute nachmittag auf einem Spazierritt die Straße „Unter den Linden" passierte, wurde er von der Menge mit brausenden Hurrahrufen empfangen und so umdrängt, daß er kaum den Ritt fortsetzen konnte.
Berlin, 26. Jan. Bei so ben erfolgter Abreise geleitete der Kaiser den Fürsten Bismarck in zweispännigem Galawage» zum Bahnhöfe und verabschiedete sich herzltchst. Der Kaiser verblieb so lange auf dem Perron des Bahnhofs bis der Zug aus der Halle hinausgesahren war. Die Menschenmenge sang - „Deutschland, Deutschland über alles".
— Bismarck besuchte nachmittags die Kaiserin Friedrich. — Unter den Linden hatten mehrere Gebäude illuminiert.
Friedrichsruhe, 27. Jan. Fürst Bismarck ist gestern abend 11 Uhr in bestem Wohlsein hier eingetroff-n. Der Weg vom Bahnhof bis zu seinem Schlosse war mit Magnefiumlicht beleuchtet. Die versammelte Menge brach in stürmische Hurrahrufe aus.
Berlin, 27. Jan. Der König von Württemberg ist gestern abend 10'/« Uhr hier eingetroffen. Er wurde am Anhalter Bahnhof vom Kaiser empfangen und nach dem Schlosse geleitet. H">1e mittag findet im Zeughaus Paroleausgabe in Gegenwart des Kaisers statt.
Berlin, 27. Jan. Fürst BiSmarck ist hier gewesen. Er ist empfangen und be
handelt worden, wie kaum je ein regierender Fürst. So weit man von äußeren Eindrücken schließen kann, war er auch sehr gerührt. Augenzeugen versichern, die Augen hätten ihm voll Thränen gestanden. Was er mit dem Kaiser gesprochen, ist noch nicht bekannt; ebensowenig was er mit seinem Nachfolger verhandelt. Daß er aber mit Caprivi selbst gesprochen, wird von Leuten, die es wisse» können, fest versichert; die Übrigen hohen Beamten hat er nicht gesprochen, sie habe» aber alle ihre Karten abgegeben. — Die Anordnungen zum Empfang Bismarcks sind mit Umgebung des Hofmarschall- amteS bis in die kleinsten Einzelheiten vom Kaiser selbst ausgearbeitet und angeordnct worden. Die beiden ältesten Prinzen hatten Befehl, sich als jüngste Offiziere der Armee beim Fürsten Bismarck als einem Generaloberst der Armee in Uniform zu melden. Als Gastgeschenk verehrte der Kaiser dem Fürsten den Stoff zu einem grauen Militärmantel.
Berlin, 27. Jan. Die Gratulatisnsknr fand heute im Weißen Saale in genau derselben Weise statt, wie am Neujahrslagk. Als erster der Defilierenden trat vor ben Thron der Reichskanzler Graf v. Caprivi, vom Kaiser mit Händedruck begrüßt. Der Kaiser sprach aldann mit dem Reichskanzler in sehr huldvoller Weise. Den Kaiser umstanden die Könige von Sachsen und Württemberg, der Großherzog von ToScana, Prinzessin Hermann von Sachsen-Weimar, der Großherzog von Hessen, u. s. w. In der Reihe der inactiven Staatsminister war auch Graf Herbert Bismarck bei der Gratulations- kur anwesend.
— Bismarck und die Journalisten. In dem Bucke „Fürst Bismarck und die „Hamburger Nachrichten" sinder sich folgende Aeußer- ung des Fürsten über die Journalisten : „Ich habe sie leider erst nach meinem Rücktritt genau kennen gelernt. Eines von den Wenigen, was ich bedaure, ist meine Bemerkung über die Journalisten, die ihren Beruf verfehlt hätten. Sie ist außerdem falsch verstanden und ihr ein Sinn ausoktroyiert worden, den ich nicht beabsichtigt habe. Ich sehe es ein, daß die Journalisten einer Maschinenarbeit, in der sie keine Befriedigung finden, eine freie geistige Thätigkcit vorziehen. Man sollte sie mehr im Staatsdienste verwenden, namentlich i» der Diplomatie, wie dies bereits mit bestem Erfolg in England, Frankreich, Italien und Nordamerika geschehen ist. Die Bureaukratie ist ihnen verhaßt; man bedient sich ihrer nur, wenn notwendig. Zeitungen und Journalisten sind oft dankbar, was man von ben Gehtimrälen und hohen Beamten nie sage» kann — Leuten, die ich erst aus ihrer Unbedeutendheit hervorgehoben habe."
— Der vor einigen Wochen aus dem Leben geschiebene Vorsteher der Taubstummenanstalt ln Friedberg in Hessen hat sich nach der P. B. Lds.-Ztg. Veruntreuungen in der Höhe v»n 60 000 zu schulden kommen lassen.
— Der Rendant des Neu-Kölnischen Kredilvereins in Berlin, Georg Ney, ist nach Verübung größerer Unterschlagungen und mit Hinterlassung beträchtlicher Schulden flüchtig geworden. Die Unterschlagungen werden ans mindestens 100,000 ^ angegeben.
— Mit 45,000 «/A in Staatspapieren ist die 23 Jahre alte Tochter eines Restaurateurs im Norden von Berlin ihrem Vater
durchgegangen. 400 Mark in barem Gelbe hatte die durchgängerin zurückgelassen. Der sofor! ins Werk gesetzte Versuch, den Verkauf der Papiere zu sperren, blieb leider erfolglos, denn die ungetreue Tochter hatte die Wertpapiere in der Zwischenzeit bei dem Bauquier ihres Vaters in dessen angeblichem Austrage bereits umgefltzt. Von dem Mädchen fehlt jede Spur.
Essen, 27. Januar. Laut der „Essener Zeitung" schenkte der Geheimrat Krupp zum Andenken an den heutigen KaiscrgeburtSlag, der durch die in ganz Deutschland mit Begeisterung ausgenvmmene Friedensbotschaft der letzten Tage eine besondere Weihe erhalten habe, der Stadt Essen 100 000 als Grundkapital für eine milde Stiftung, welche Se. Majestät gestaltet habe zu nenne» : Kaiser Wilhelm II. ».Fürst Bismarckstiftung.
Hannover, 27. Jan. I» einer Wohnung de« Hauses Friesenstraße 9 warfen Kinder die eingeschlosse» waren, eine brennende Petroleumlampe um. Es entstand dadurch ein Brand und dichter Qualm ; drei Kinder fanden hiebei den Tod durch Ersticken, während das vierte (4 Jahre alte) Kind vielleicht noch dem Leben erhalten werden kann.
— lEine halbe Million Belohnung,) Aus PariS wird gemeldet: Am NeujahrS- tage verschwand gelegentlich eines Spazierganges mit seinem Hofmeister der fünfzehnjährige Amerikaner Webster, der Sohn sehr reicher Eltern, der in einer hiesigen Pension erzogen wurde, auf rätselhafte Weise. Die Mutter des Verschwundenen, die in der Vorwoche in Paris eintraf, setzt eine Belohnung von einer halben Million für die Ermittelung des Knaben oder für jede Mitteilung über sein Schicksal aus. Eine Anzahl Privatdetektivs begeben sich auf Reisen, um den Preis zu verdienen.
— Ein freiwillig geschundener Ehemann- Die Haut zum Besten seiner Gattin opferte unlängst der Rechtsanwalt W- Blake au« Ottawa im nordamerikanischen Unionsstaate Illinois. Amerikanische Blätter berichten hierüber: Prof. C. W. Andrews in Chicago hat jüngst eine iittcrcssante Operation vollzogen, indem er eine Umpflanzung von Menschenhaut in so großem Umfange vornahm, daß jedes der bekannten Beispiele gleichartiger Operationen durch die Transplantation in den Schatten gestellt wird. Der Rechtsanwalt W. Blake aus Ottawa ließ sich nämlich 72 QnadratzollHaut aus seinen Beinen ausschneiden, um sic in die Arme und in die Schulter seinerFrau einpfropfen zu lassen, die bei ciner Feucrsbrunst zahlreiche Brandwunden davongetragen hatte. Die Umpflanzung gelang vollständig.
Vermischtes.
Untertürkheim, 25. Januar. Einen sonderbaren AuSgang, oder vielmehr gar keinen Anfang, nahm letzter Tage eine Hochzeit hier. Während das Brauipaar sich schon zum Ausgang auf das Standesamt rüstete, bestand die Braut mit großem Eigensinn darauf, sie müsse noch einen Brautschleier baden; der Bräutigam wollte aber von einem solchen überflüssigen „Möbel" nichts wissen. Es entstand ein heftiger Zank zwischen dem Brauipaar, der damit endete, daß der Bräutigam sich auf und davon machte, um wieder in die Fr-mde zu gehen. Die znrückgelassene Braut soll aber erklärt haben : „Lieber keinen Mann gl« keinen Brautschleier."