(Eingesandt.)
Ein Mahnwort zum Jahreswechsel. Bei dem Herannahen des Neujahrs dürfte es angezeigt sein, die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu lenken, der schon seit Jahren Anlaß zu berechtigten Klagen giebt, auf die Verbreitung sittlich anstößiger Neujahrskarten. An die schöne Sitte, Bekannten und Freunden zur Jahreswende durch Zusendung von Wünschen und Karten ein Zeichen der Liebe zu geben, haben sich allmählich häßliche Auswüchse angehängt, welche zu entfernen die Pflicht jedes anständigen Menlchen und vor allem auch derjenigen Presse ist, die es mit ihrem Beruf ernst nimmt. Kaum ist der Glanz der Weihnachls- ausstellungen in den Schaufenstern erblichen, so pflegen sich die Auslagen der Läden mit einer Fülle von Neujahrskarten und Bildern zu bedecken, mit feinen und ordinären, mit kostbaren und billigen, hier mit Kunster- zeugnisser. von gediegenem Geschmack, dort mit Ausgeburten des Blödsinns und der Gemeinheit. Wir wollen die Faden und läppischen Witze, womit ein Teil dieser letztgenannten Produkte anzulocken sucht, nicht Weiter befehden ; Takt und Geschmack ist eben nicht jedermanns Sache; aber mit schmerzlicher Entrüstung erfüllen den Volksfreund die gemeinen und lüsternen Darstellungen und Verse, welche eine Anzahl dieser Blätter als heimtückisches Gift erscheinen lassen. Da stehen die Kinder an den Schaufenstern, beschauen die nur allzu deutlichen Zeichnungen, lesen die zotigen Reime — und in ihrer empfänglichen Seele haftet der wüste Eindruck. Da treibt einen schamlosen Burschen, dessen Geschmack die Bilder getroffen haben, der Kitzel, einem Mädchen in schlechtgewählten Scherz oder in böswilliger Absicht solch einen Ncujahrswunsch, natürlich ohne Namensnennung und als offene Postkarte, zuzuschicken. Ist es zu viel verlangt, wenn w>r wünschen, d»ß jeder Verkäufer von Neujahrskarten, der — wir wollen nicht einmal sagen — ernster gerichtet tst, sondern der auf den Ruf seines Geschäftes etwas hält, sich entschließen sollte, seine» Laden dem gemeinen Machwerk darunter zu verschließen. Dem jungen Mann aber, der in der Bter- laune vermeint, mit der Versendung solcher Karten einen Jux sich zu machen, möchten wir zu bedenken geben, daß die eigene Ehre und die Ehre des Nebenmenschen ein Gut ist, welches nicht um den Genuß eines billigen Scherzes geschädigt werden sollte. Und unsere Presse, welche heutzutage in immer höherem Grade als Pflegerin und Hüterin der Volksseele erscheint, möge auch hier aus der Warte stehen und sich durch Weckung des öffentlichen Gewissens und deSAnstandS- gefühls ein Verdienst um das Vaterland erwerben.
Rundschau.
Stuttgart, 16. Dez. Der neuernannle StaatSminister des Innern v. Pischek hat heute in Gegenwart der hier anwesenden Staatsminister den Eid in die Hände Sr. Maj. des Königs abgelegt.
— Von den 17 württ. RnchStsgsahge- ordneten haben am 13, Dezember für den rumänischen Handelsvertrag gestimmt 12, nämlich Bantleon, Braun, Ehni, Galler, Gröber, Haag, Hartmann, Haußmann, Payer, Schnaidt, Siegle, Speiser; 3 dagegen, näm
lich von Gültlingen, Remkolb, Wengert. Es fehlten 2: Kercher (krank), Pflüger (ohne Entschuldigung).
Vom Bodcnsee, 15. Dezbr. Auf der Fahrt von Konstanz nach Bregenz wurde ein Kapitän V, einer Frau u. 6^ geprellt. Letztere klagte dem Kapitän, sie habe das Geldtäschchen in Konstanz liegen lassen, er möchte ihr doch aus der Verlegenheit helfen. Er streckte der Frau 6 ^ vor und empfing dafür eine Karte, welche eine ihm bekannte Kaufmanns- familic in Konstanz aufforderte, das Guthaben dem Kapitän auSzubczahlen. Als der Kapitän seine 6 in Empfang nehmen wollte, entpuppte sich die ganze Geschichte als ein dreister Schwindel.
Pforzheims, 15. Dez. Bei der heute früh 10 Uhr stattgehablen Ergänzungswahl eines Abgeordneten zur zweiten Kammer des Badischen Landtags für die Stadt Pforzheim wurde folgendes Ergebnis festgestellt. Es erhielten Stimmen: Gesell, H., (nat.-ltb.) 75, Maischhoser, A., (deutsch-frets.) 8, Noller, G- A., (soz.) 14, leere Zettel 9. Der frühere Abgeordnete Gesell ist somit wiedergewählt. Von 136 Wahlberechtigten sind 106 erschienen.
— Die Einnahmen ans der Bierbesteuerung im Reiche stellten sich 1892/93 auf 80 833 000 1891/92 auf 77 562 000
Mark, auf den Kopf der Bevölkerung entfallen im Jahre 1892/93 im DeutschenReich 1,60 ^ Der Bierverbrauch hat in Deutschland wieder etwas zugenommen ; es kommen auf den Kopf der Bevölkerung im Jahre 1892,93 107,8 Liter, im Vorjahr 105,5 Liter. Die Einfuhr von Bier hat sich nicht unerheblich gesteigert; namentlich ist mehr Bier aus Böhmen bezogen worden.
— Arbeiter-Elend. Wik groß das Elend in den Arbeiterfamilien ist, möge folgender Brief, welcher dem „Sächf. VolkSbl." zur Veiöffentlichung übergeben wird, von Neuem beweisen; er lautet: „Crefeld, d. 28. 11.93. Lieber Schwager! D» best doch nickt eiwa döse auf mich, weil ich Dir schon so lange nicht geschrieben habe; dafür schreibe ich Dir heute etwas mehr. Hier in Erefeld ist eine traurige Zeit. Es ist kaum zu glauben. Vorige Woche tagte eine Versammlung der AlbeitSlosen im großen Rebrck'fchen Saale. Es halten sich ungefähr 5000 Personen eingefunden. Der Oberbürgermeister, sowie der ganze Stadtrat waren eingelade», es tst aber keiner von den Herrn erschienen. Da kannst Du wohl leicht denken, welche Reden da gehalten werden. Vorige Woche stahl ein zwölfjähriger Junge einen Laib Brod, er wurde aber ertappt und zur Polizei gebracht. Er gab an, sein Vater hätte schon 8 Wochen keine Arbeit, er hätte noch fünf jüngere Geschwister. Sein Vater hätte schon Alles zum Pfandhaus gebracht, sie hätten schon zwei Tage kein Schnittchen Brod im Hause, er konnte nicht mehr anhören, wie seine kleinen Geschwister um ein Stückchen Brod schreien. Es wurde ein Polizeikom- miffar beauftragt, sich bei den Eltern zu erkundigen. Als er bei den Leuten ankam, war die Frau am Ofen mit einem Topf beschäftigt. Die Frau wurde erschreckt, sie hielt ihre Schürze über den Topf. Dem B-amten kam dieses verdächtig vor. Weil in letzter Zeit s.hr viele Hunde abhanden gekommen sind, glaubte der Beamte, vielleicht hier im Topfe könnte ein Stück Hund sein.
Er befahl der Frau, die Schürze vom Topfe zu thun — aber, wie groß war sein Erstaunen, als er gestampfte Kartvffelschalen erblickte, welche die Mutter für ihre sechs Kindicin gekocht hatte! Noch zu bemerken ist, daß es sehr brave Hute sind. Solche Famiiienverhältnisse kann man hier tausende finden. Ich bin nun schon 18 Jahre in Creftld, aber so schlecht habe ich es hier noch nicht gekannt, ich habe auch schon viel Arbeitsmangel gehabt, ich will aber noch immer zufrieden sein gegen andere Familien. Es ist ein traurig Treiben hier, die Leute können keinen Hauszins zahlen und die Hauseigentümer können ihren Kapitalisten die Zinsen nicht geben. Die Folgen find: die Häuser kommen untern Hammer und gehen zum Spottpreis zum Kapitalisten über. So geht es Tag für Tag, so verschwindet hier der Mittelstand, noch ein paar Jahre, dann ist hier blos noch Edelmann und Bettelmann. (Hier folgen familiäre Mitteilungen.) Grüße alle herzlich! Dein Schwager (Name) nebst Frau und Kindern." Dieser Brief in seiner schlichten Sprache spricht ganze Bände. „Gestampfte Kartvffelschalen" als Nahrungsmittel für die Mutter und ihre sechs Kinder und das am Ende des 19. Jahrhunderts. Und das zu einer Zeit, wo von allen Seiten die Nachrichten einlaufen, daß dieses letzrvergangene Jahr an Fruchtbarkeit nichts zu wünschen übrig ließ, wo die statistischen Erhebungen über die letzte Ernte darthu», daß diese an Ergibigkeil die der letzten Jahre weit überschritten.
— Aus Petersburg wird gemeldet: Unweit der Station Somowka ist ein Güterzug mit einem Personenzug zusammenge- stoßen. Lokomotive und 24 Wagen sind total zertrümmert. 4 Bahnbeamte, 7 Passagiere sind tot, mehrere schwer verletzt.
Petersburg, 15 Dez. Seit dem 10. Dezember herrscht hierselbst die Cholera i» beängstigender Heftigkeit. Heber 100 Erkrankungen werden gemeldet und zwar meist aus den vornehmen Stadtteilen. Unter den Erkrankten befinden sich auch der Mundkoch des Zaren sowie mehrere Richter des Winter- palasteS.
— Der größte Hund der Erde. „Lord Bute", dies der Name des interessante» Vier- füßlers, macht Anspruch darauf, der größte Hund der Welt zu sein und ist auch auf der letzen Londoner Hundeausstellung als solcher anerkannt worden. Bernhardiner von Rasse, hat Lord Bute eine Höhe von 1,10 Meter und wiegt 257 Pfund; auf 26 Ausstellungen hat dieser „Elephant unter den Hunden" erste Preise und zalreiche Medaillen davongetragen. V?r Kurzem ging das prächtige Tier um den Preis von etwa 80,000 Ma-k in den Besitz eines reichen Amerikaners über. ^
Chicago, 13. Dez. Ein bisher unbekannt gebliebener Verbrecher drang gestern im Zentralpostamt in das Bureau des Kassiers, schlug den Kassierer nieder und entfloh mit einer Summe von 7000 Dollars.
(In der Pferdebahn.) „Sie, Kondukteur, läuft denn das Wasser immer durchs Dach?" — „Nein, Herr, nur wenns regnet?"
Hiezu eine Beilage.
Druck und Verlag von Beruh. Hofmaun in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur: Bernh. Hosmann.)