Rundschau.

In einem Erlaß des Ministeriums des Innern an die Oderämtcr wird darauf aufmerksam gemacht, daß in diesem Jahr der 31. Dez. auf einen Sonntag fällt, und daß eS geboten erscheint, für diejenigen Orte, in welchem am Tage vor Neujahr ein erweiter­ter Geschäftsverkehr stattfindcn pflegt, auf Grund des § 105 d Absatz 2 der Gewerbe­ordnung die den Verhältnissen entsprechende Erweiterung der Geschäflsstunden eintreten zu lassen. Dabei ist insbesondere auf den Handel mit Neujahrskarten Rücksicht zu nehmen. Nach einem weiteren Erlaß des Ministerium deS Innern haben sich Gemeinde­behörden im Verkehr mit den k. Kameral- ämteru der Schlußformel ,Hochachtungsvoll" zu bedienen.

Eßlingen, 29. Nov. Die feierliche Er­öffnung der neuen eisernen Brücke über den Ncckarkanal am Schelzthor fand in Gegen­wart der bürgerlichen Kollegien, der Bau­leitung, der Bauarbeiter und einer zahllosen Menschenmenge statt. Der Stadlvorstand, Oberbürgermeister Dr. Mülberger, hielt hie­bei eine passende Ansprache, der sich dann die Einmaucrung einer Urkunde in den Schlußstein der Brücke anschloß. Diese Ur­kunde enihält die Geschichte der Brücke, die wichtigsten Ereignisse deS Jahres 1893 für die Stadt Eßlingen (Besuch Ihrer Maje­stäten u. s. w>), den Vermögensstand der Stadt und der Stiftung, die Preise der Le­bensmittel u. a. Die Urkunde liegt in einer kupfernen Kapsel. Die Brücke hat eine Breite von 15 m, von denen 9 m auf die Fahr­bahn und je 3 m auf die beiden Seitenwege kommen; sie hat als elastischer Bozenträger 25,5 m Spannweite und 1,86 m Pfeilhöhe. Als Konstruktionsmaterial wurde weicher Martinstahl verwendet. Das Gewicht der Stahlkonstruktion samt Geländer beläuft sich aus rund 100,000 KZ. Die Widerlags­pfeiler und die anschließenden Ufermauern sind größtenteils auf Pfähle gegründet. Die Unterlage der Fahrbahn ist aus Tonnen­blechen hergcstellt, auf welche eine Bctonlage und dann die Beschotterung aufgetragen wurde. Für die nächtliche Beleuchtung der Brücke ist durch elektrische Glühlampen in hübsch ge­formten Kandelabern gesorgt. Die hiesige Maschinenfabrik lieferte die Stahlkonstruktivn der Brücke, Mechaniker F. Müller erstellte das Geländer und Werkmeister Metzger jun. führte die Maurer- und Steinhauerarbeiten aus. Nach Beschluß der bürgert. Kollegien erhält die neue Brücke den Namen ihrer schmalen Nachbarin, die seither den Personen­verkehr der den Neckarkanal vermittelte und die nun zum Abbruch kommen wird.St. AgneSbrücke.

Wie aus Neckarslllm verlautet, will Herr Hegelmaier sich um da» Lanbtagsman- dat dalelbst bewerben; sein Programm sei ein radikales, es lasse sich in die wenigen Worte fassen:Kampf gegen das Ministerium Schmid bis aufs M.sser." Wir glauben kaum, daß die N>ckars»lmcr ihrem ehemaligen Amtsrichter Gelegenheit biete» werden, seine Sache im Landtag zu verfechten.

Bäckermeister Berlsch in Reutlingen wurde behufs Entfernung von in d>e Gehirn- masse eingedrungenen Teilen der Hirnschale einer Operation unterzogen, die einen günstigen Verlauf nahm. DasB>finden des Mannes ist aber fortgesetzt der Art, daß nur eine äußerst günstige Wendung im Heilungspro­

zeß eine Wiederherstellung desselben herbei- führen könnte.

Nagold, 30. Novbr. In der nächsten Woche werden an der Osiseit des Brand­platzes vom 18. September 4 Gebäude, welche die Stadt angekanft hat, abgebrochen, um dieHintere Gosse" zu einer ordentlichen Straße zu erweitern.

Simmozheim, 30. Nov. Ein Sobn un­seres OrvS, der Ausläufer Gustav Kühnle in Frankfurt, ist dort vom jähen Tod ereilt worden. Er wollte gestern früh 5'/- Uhr unt-r einem am Zollhof bei Station Fahr- Ihsr haltenden Güterzng durchkriechen. In diesem Augenblick fuhr der Zug weiter und Kühnle wurde überfahren und etwa 30 Schritte mitgeschleift. Dem Unglücklichen wurden beide Füße abgefahren und der linke Arm zermalmt, was den sofortigen Tod zur Folge halte. Kühnle ist 1857 geboren und war verheiratet.

Vom Bodensee, 29. Novbr. Samstag abend während der Absndkirche geriet in Bregenz der Vorhang eines Beichtstuhles, welchen gerade der geistliche innehalte in Flam­men. Auch die Kleider des Geistlichen fingen Feuer, und es wäre wohl ein Unglück ge­schehen, wenn nicht eine Frau die Geistes­gegenwart gehabt hätte, mit ihrem Mantel die Flammen zu ersticken. Unter den zahl­reichen Andächtigen war schon eine Panik eingetreten, die schwere Folgen hätte nach sich ziehen können, wenn es nicht rechtzeitig ge­lungen wäre, die Menge zu beschwichtigen.

Im nächsten Jahre werden wir die kürzeste Fastenzeit, die jemals eintreten kann, haben. Fastnacht fällt schon auf den 6. Febr. Der erste Osterfeicrtag fällt schon auf den 25. März. Christi Himmelfahrt fällt auf den 3. und Pfingsten auf den 13. Mai.

Der Schaden, den der Schneesturm in Oberfranken angerichtet hat, ist weit be­deutender, als im ersten Augenblick ange­nommen wurde. Nicht nur in Bayreuth, auch in Bamberg, Kulmbach und Hof sind die Telephvnnetze derart zerstört, daß ein Trupp Telegraphenarbcitcr zur Hilfe geschickt werden mußte. In Bayreuth hat sogar der eiserne Turm auf der neuen Stadtpost, an dem die Telephonleitungen befestigt waren, stark gelitten, Auch die jungen Kulturen in Privae- und Staatsforsten sind schwer geschädigt, auf weiten Strecken werden Nach­forschungen notwendig sein.

In Wiesbaden sind fünftausend Per­sonen an Influenza erkrankt. Fast i» jedem Hause sind Kranke.

In Stimpsach blieb auf der Station ei» Mann beim Aussteigen aus dem Zuge hängen und fiel dadurch mit dem Kopf auf den Bahnsteig. Der Tod trat sofort ein.

Berlin, 29. Nov. Nach dem der Poli­zei eingereichten Gutachten des Hofbüchsen­machers Förster war der Explosivstoff des Zündhütchens bei den an Caprivi und den Kaiser gerichteten Sendungen dem der alten Zündnadelpatrone ähnlich. Der Bolzen hätte zur Entzündung ausgereicht. Das Pulver in dem Kasten war mit Nitroglycerin ge­mischt. Die Gesamtladung hätte genügt, den Oeffnenden zu zerreißen und weiteren Schaden anzurichten.

Berlin, 29. Nov. Der Handelsredakteur Carl Muskat hat an Miguel und Posa- dowsky eine Eingabe gesandt, worin die Ein­führung einer ReichSlotterie-Steuer auf Ge­winne vorgeschlagen wird. Die Steuer soll

drei Prozent der Bargewinne von allen deutschen Lotterien betragen. Der Ertrag ist auf jährlich 4 600 000 Mark veranschlagt. Die Steuer soll bizweckcn, die Mittel zum Ersatz oder zur Ermäßigung anderer von der Regierung vorgeschlagenen Steuern zu beschaffen. Muskat erhielt heute Audienz bei Posadowsky.

Mord und Selbstmord in einer Kirche. Man berichtet aus Budapest, 28. November: In der Kirche zu Schmöllnitz ist am Samstag ein Mord und Selbstmord verübt worden. Der zweiundzwanzigjährige Jurist Stefan Ortray, Sohn des Präsiden­ten deS Miskvlczer Gerichtshofes, verfolgte schon längere Zeit eine Frau, die von ihrem Manne getrennt lebt und einen Scheidungs­prozeß gegen ihn angestrebt hat, mit seinen Anträgen- Die Frau wies ihn stets ab; am Samstag erneuerte Ortray nun in der Kirche seine Anträge und als die Frau wie­der nicht einwilligen wollte, zog er einen R-volver hervor und schoß die Frau nieder. Während sie mit dem Tode kämpfte, versetzte er ihr mit einem Dolche noch Stiche in Hals und Schulter. Hierauf erschoß er sich sellbst; auch die Frau erlag bald den er­littenen Wunden.

Mailand, 29. Nov. Ich kehre soeben zurück von Limits, der Stätte des heutigen großen Eisenbahnunglücks. Sechs Personen­wagen sowie Lokomotive und Tender des Eil- zugs und ferner die Lokomotive des Güter­zugs liegen durcheinander. Die Trümmer brennen noch. Es ist unmöglich, die Zahl der Opfer genau festzustellen. Dreizehn Tote sind bisher geborgen; zwanzig Ver­wundete wurden nach Mailand geschafft. Ein Wagen enthielt aus Amerika zurückkehrendc Auswanderer; sic sind alle verbrannt, zum Teil lebendig. Die Sängerin Frandin wurde am Kopf verwundet und aus dem brennen­den Schlafwagen nur mit Mühe gerettet. Die Ursache des schrecklichen Unglücks war der Nebel, welcher den Zugführer verhinderte das Signal zu sehen, daß die Linie nicht frei sei; die Ursache des Feuers war die Gasbeleuchtung in den Wagen.

Nizza, 28. Novbr. Wie der Triester Piccolo" meldet, hat sich imHotel Winsor" zu Monte-Carlo ein junges französisches Ehepaar durch Kohlengas getötet, nachdem dasselbe in den Spielsälen 300 000 Franken verloren hatte.

St. Etienne, 30. Nov. Hier wurde eine Tynamitniederlage mit 500 Kilo Dynamit in die Luft gesprengt. Der Wächter wurde getötet.

Vermischtes.

.'. (Eine Entführte.) Der Wiener Poli­zeianzeiger meldet, daß Ende Juli dieses Jahres Frau Amalie G. aus Marieubad von einem unbekannten Mann entführt wurde, und daß ihr Gatte vergebens ihre Rückkehr erwartet. Signalement der Entführten: Haare schwarz: Zähne: falsch: Gesichtsfarbe: gewöhnlich stark geschminkt; Aller 50 Jahre." Donnerwelterl Noch so jung, und schon eine Entführte!

Wie man den M. N. N. aus dem preußischen Oberlande berichtet, antwortete dieser Tage eine Schülerin der Hohenleubener Bürgerschule auf die Frage des Lehrers, was Napolcan I. gewesen seiSchustcrge- selle," Dem Mädchen hatte offenbar das humoristische VolksliedNapoleon, du Schu- stergcselle" vorgeschwebt.