WertHers Schatten.
Novelle von Karl Cassan.
Nachdruck verboten.
8 .
Verstimmt hatte Werlher eines Nachmittags sich von den Damen verabschiedet, als sich aber die Thür hinter ihm geschlossen, sprang Sophie unruhig auf und rief:
„Laura, Laura, er ist eifersüchtig auf Paul; die Sache gedeiht bei ihm in Kopf und Herz immer weiter! Mach' ein Ende, fpiele nicht mit seinem Herzen. Er ist ein zu guter Mensch, als daß er an einer unglücklichen Liebe Schisfbruch nehmen sollte I"
Laura erwiederte mit Thränen in den Augen:
„Kann ich denn? Hat Paul sich erklärt? Ich weiß, Weither ist ein sentimentaler Mensch, ich fürchte seine Leidenschaft, aber kann ich sie hindern?"
„Veranlasse Paul zu einer Erklärung, und wäre es nur um diesen Jüngling I Denke Dir diese leidenschaftliche Natur in ihrer Liebe getäuscht I Es giebt wahrhaftig ein Unglück!"
„Ich glaube es selbst I Aber was sollen wir thun? Wir müssen Papa bitten, mehr zu Hause zu bleiben!"
Eines Tages kam Werlher in das Nachbarhaus, um Abschied zu nehmen. Die Anwesenheit des Vaters erleichterte den Mädchen den Abschied von Werther, und in süße Hoffnungen gewiegt, reiste er andern Tages Wieder nach Jena ab.
IV.
Der Briefbote in den Farben des Fürsten von Thurn und Texis, welcher damals ein Monopol auf Einrichtung von Posten in vielen Staaten des Deutschen R-icheS besaß, betrat h-ule das Wolandsche Hans.
„Ein Brief aus Jena! Einen halben Mariengroschen Bestellgeld !" sagte der Bote.
Laura nahm ihm den Brief ab und zahlte.
„Der Dezember läßt sich Heuer sehr hart an," sagte der Briefbvte, „dies Jahr wird uns eine strenge Kälte bringen."
„Meint Er?"
„'s liegt in der Luft, Mamsell I"
Laura lächelte und wandte den Brief hin und her, ehe sie in das Wohnzimmer trat, wo Sophie strickend am Fenster in der Nähe der Hyazinthen saß.
„Ein Brief aus Jena I" Mit diesen Worten trat Laura hastig ei». „Sollte er von — Werther sein?"
Sophie besah die Adresse und sagte:
„Die Hand kenne ich. Er ist von W- Helbig und an Papa adressiert. Wie zart- sinnig I"
Laura wandte sich stolz ab und sagte: „Ich erwarte heute noch Paul I"
Copie trat dicht vor sie hin «.flüsterte:
„Liebe Laura, bedenkst Du auch, was Du thust?" Das treueste Herz stößest Du von Dir! — Ich glaube kaum, daß Paul Dich so wie Werlher liebt I Zudem ist W. geistig viel bedeutender I Er bringt eS noch einmal weit. Bedenke das wohl I"
„Ich lhu's," antwortete Laura gedrückt, „aber kann ich für die Neigung in meinem Herzen? Was kann ick dafür, daß ich nun einmal Paul liebe, Werther aber nicht?
Warum denkst Du nicht au ihn, sondern an einen Anderen?"
„Bitte, Schwester, keine Indiskretion!" bat Sophie.
„Ein Brief von Helbig!" ries Sophie und präsentierte dem Vater dos Schreiben.
„Ei, wie aufmerksam I" meinte der alte Herr. „Werther ist wirklich das Muster eines gut erzogenen Jünglings I"
Das Schreiben lautete:
Jena, den 3. D-zember 1784.
Lieber Herr Woland!
Bei meiner Abreise versprach ich Ihnen, dann und wann ein Lebenszeichen von mir gebe» zu wollen. Ich hätte mit diesem ersten nicht so lange zögern sollen , aber ich wollte nicht eher etwas von mir hören lassen, bis es sich der Mühe lohnt. So erfahren Sie denn, wie ich auch heute meinen lieben Eltern milteilte, daß ich seit dem 1. Dezember lluiis utriusczus Oovtor bin, nachdem ich in aller Form promoviert habe. Ich darf nun mit den frohesten Hoffnungen der Zukunft entgegen sehen, da mir auch bereits eine gute Amtmannsstelle auf den Gütern des Grafen von Falkenburg angeboten ist. Vorläufig habe ich mir Bedenkzeit ausbedungen.
Trotz eifriger Studien habe ich doch so viel Zeit erübrigt, eine Reise nach Weimar unternehmen zu können. Sie halte eigentlich den Zweck, den geheimen Rat von Goethe persönlich kennen zu lernen. Dieses wird besonders Ihre Fräulein Tochter interessieren. In der Thal gelang es mir, den größten Dichter Deutschlands zu sehen und mit ihm einige Worte zu sprechen.
Ich habe seither einige Poeme verfaßi und mir den poetischen Amtmann von Altengleichen zum Vorbild genommen. — Mil Herrn von Goethe sprach ich von seinem „Werlher." Ich bemerkte, daß ich eine Lücke darin vermißte, nämlich eine Verteidigung der Todesursache deS jungen Helden. Aber Goethe lachte und sagte: „Lieber oollsAg. iu fuotitik, der Werther wird uns alle Beide überbauen I Weshalb ich aber die Verteidigung deö Selbstmords nicht übernommen? Das ist sehr einfach: Es giebt keine! Sagte ich cs offen heraus, so schlüge ich unsrer noch hochromanlisch gefärbten Znt in das Gesicht. Sehen Sie, wir Dichter gebe» zu all-m, wrs wir schreiben, ein paar Tropfen Herzblut als Gewürz ezuasi. So ist auch der Werther etwas von dem, was ich selbst erlebt habe. Aber das ist nun vorüber I Das ich der Idee eines Selbstmordes nicht huldige, sehen Sie an meinem Lebe». Leben Sie wohl !" — Ich war entlassen und konnte gehen. Im Gasthause erfuhr ich, daß Goethe der beste Freund des jungen Fürsten ist und daß das Leben bei Hof manchem Bürger ein Kopfschüttetn abnötigl. Offenbar will der Lichter vergessen, was er erlebt; ich könnte das nicht! —
Mein Fr.und Neißner hat Jena verlasse und ist nach Leipzig übersiedelt; er wollte hier an Ort und Stelle nicht mit allem studentischen Plunder brechen; übriges ist er stößig gewesen nnd wird zu Ostern ebensalls promovieren I — Ich hoffe, daß eS Ihnen und Ihren Fräulein Töchter wohl gehe und hoffe Sie alle in den WeihnachtStagen herzlich begrüßen zu
dürken, womit inrespectvoller Vermeidung meiner Ergebenheit verbleibe Ihr
Werther Helbig, llurius utriusczuö Oootor.
Herr Wolond nickte wohlgefällig mit dem Kopfe und sagte:
„Ein geistreicher Mensch, der besten Stelle würdig! Hier Mädchen, ist der Brief! Lest! Ihr schwört ja auch zu Goethe I" lFortsetzung folgt)
Vermischtes.
.'. (Der Rock des Herrn M yer.) Ein komisches Reiseabenteuer erzählen die „Berl. N- N." unter der vielversprechenden Ueber- schrist: „Der Rock des Herrn Mey r". Hr. Meyer, ein geborener Berliner und in Geldsachen sehr vorsichtig, hatte vor seiner Abreise nach Paris, die er kürzlich antrat, für den Fall, daß er seines Portefeuilles verlustig gehen sollte, 2000 ^ das Futter eines seiner Röcke einnähen lassen. Nun geschah es, daß in dem von ihm bewohnten Hotel ein Bediensteter mit einer Anzahl der zur Reinigung herausgegcdenen Kleidnngsstücke der Hotelgäste verduftete. Darunter befand sich auch der mit so kostbarem Futter aus- gestattcte Rock unseres Landsmannes. Schon Halle der Bestohlene mit der ganzen Würbe die seine hohe Steuerstufe ihm gestattete, das Unvermeidliche getragen, ale auf einem Spaziergänge die eigentümliche Farbe und der Schnitt eines Rockes seine Aufmerksamkeit erregt. Eine nähere Betrachtung des Kleidungsstückes läßt Herrn M. an einen Polizisten mit dem Begehren herantreten, den Träger des Rockes zu verhaften. „Das geht nicht," erwidert der Beamte; „denn womit werden Sie beweisen, daß der Rock Ihnen gehört?" „Dadurch, daß sie in seinem Futter 2000 werden eingenäht finden." Nunmehr ersuchte der Polizist den Monsieuer, ihm zur Wache zu folgen. Hier that der sehr entrüstet, bis die Trennschecre ihn ganz kleinlaut machte; denn dafür, daß er des Kleidungsstückes unrechtmäßiger Besitzer war, kam als ein „unbezahlbarer" Beweis das Geld zum Vorschein. Während unser Landsmann mit seinem Eigenlhum vergnügt von dannen zog, wurde der D>eb in Haft behalten, der viel weniger betrübt als ärgerlich war, daß er nicht nach seinem vollen Werte zu würdigen gewußt hatte — den Rock des Herrn Meyer.
(Einen Kuß in Ehren.) Aus dem hessischen Ovcnwald schreibt man dem „B. T.": „In sehr heiterer Stimmung saßen kürzlich in dem bekannten Luftkurort Lindenfels mehrere Herren beisammen. Darunter befand sich auch ein RechkSgelehner aus einer Stadt am Main, der besonderes Wohlgefallen an der schmucken Kellnerin fand und schließlich den Wunsch äußerte, von ihren Lippen einen Kuß zu erhalten. Dafür sollte sie 500 Mark erhalten, sobald sie sich verheiraten würde; das Geld wollte er hinterlegen. Das Mädchen, eingedenk des Sprichworts „Einen Kuß in Ehren kann Niemand wehren", verabreichte ohne langes Besinnen das Gewollt-, worauf der glückliche Besitzer des Kusses alsbald seiner Verpflichtung nachkam und den Betrag hinterlegte. Man ist nun in Lindenfells allgemein gespannt darauf, wem es vergönnnt sein wird, diesen Schatz zu heben."
Berantworllicher Redakteur: Bernhari> Hof « ann.) Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildh^tz,