Pflaster aufsprang und die im Stocke ver- steckt gewesene Klinge sichtbar wurde. Augenblicks war ein Polizeimann zur Sielle, in kessen Kopf sich schon die düsteren Vorstellungen von einem zugereisten Attentäter gebildet haben mschten. Derselbe hielt den Wagen an, und der Wiener mußte ihm auf die Präfektur folgen, wo man ihn, obgleich er keinesweg das Aussehen eines KönigS- mörderS hatte, zur Ausweisleistung verhielt. Die Eskorticrung des Fremden erregte Aussehen, weil >der Wachmann den Dcgenstock mit der halb sichtbaren Waffe hoch empor hielt. Zum Unglück hatte der Wiener weder einen Paß noch eine sonstige Legitimation mit auf die Reise genommen. Nur ein unscheinbares Kärtchen rettete ihn von der augenblicklichen Inhaftnahme. Es war dies die Jahreskarte des Wiener wissenschaftlichen Klubs, dessen Mitglied der Herr ist. Obgleich das amtirende Organ der Neapeler Polizei durch diesen Anblick etwas milder gestimmtwurde, mußte der Winer doch die Intervention des Polizeipräsidenten anrufen und noch eine Reihe von amtlichen Prozeduren durchmachen- Beim österreichisch-ungarischen Konsulate endlich konnte er sich für seine
loyale Gesinnung Bürgen verschaffen, welche ihm die ersehnte Freiheit Wiedergaben.
— Ein schreckliches Verbrechen ist dieser Tage in der Nähe von Smyrna in einer „Drei Brunnen" benannten Orlscbaft begangen worden. Dort wohnte ein Bauer namens Kiriac» Karaburnili mit seinem Weibe und vier Kindern, von denen das jüngste erst wenige Monate alt war. Am Montag, dem 24. April, wurde die ganze Familie ermorderi vorgefundcn. Es war eine grauenerregende Scene; mit Beilhieben waren den sechs Personen die Glieder vom Rumpfe geirennt und verstümmelt worden, so daß man weiter nicht« sah als eine unförmliche Masse von Fleisch und Blut. Was den Beweggrund zu dem Verbrechen anlangt, so schien ein Raubmord anfangs völlig ausgeschlossen zu sein, da die hingemordete Familie so arm war, daß es in ihrer Wohnung selbst an dem allernotwendtgsten Küchengerät fehlte. Am Morgen des 29. April wurde in Smyrna ein Neger verhaftet, der stark im Verdachte stand, die Unthat begangen zu haben; erlegte bald ein volles Geständnis ab. Er habe, so erklärte er cynisch, nicht so viel Geld besessen, um sich Tabak kaufen zu können, und
als er die „Drei Brunnen" erblickt habe, sei es ihm eingefallen, daß er dort wohl bei irgendjemand Geld finden würde. Die Fenster des Häuschen des Bauern Kiriaco winden halb gi-öffnet; der Neger hob die Fensterflügel auS, drang in das Schlafzimmer ein und schlug zuerst den Familienvater, der bei dem Geräusch erwacht war, mit einem Axthieb zu Boden; dann folgten die übrigen Familien- glicder. In dem grausigen Verbrechen findet der Neger nach seiner eigenen Aussage nichts Außergewöhnliches und Verabscheuungswürdiger.
— Die Ausstellung in Chicago wurde an den ersten 5 Tagen von 50 000, 19 524, 46,837, 23 000, 35 000 Personen besucht. Die Preise in den AusstellungSrestsurantS sind enorm. Die National-Kommissisn beschloß, den Preis der Listen nach unten zu revidieren. Die Ausstellung bleibt bis auf Welteree Sonntags geschlossen. Die Stadl- hotelS, die schon jetzt enorme Preise nehmen, beabsichtigen ci»e weitere Erhöhung derselben im Juni, was allgemeine Mißbilligung hervorruft. Die deutsche Abteilung, obwohl noch nicht ganz fertig, findet schon j'tzt Anerkennung.
Im Banne des Blutes.
Roman von H. von Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
11 .
„Sie sind beide tot," erwiderte die Vorsteherin des Pensionats ganz unbefangen, „und Ruth Bergers Großvater, ein alter, reicher Fabrikant und Gutsbesitzer, hat sie mir anv rtrsut."
„Wie heiß! der Großvater des Mädchen« ?* frng die Gräfin weiter.
„Herr Berger, ganz so wie da« kleine Mädchen, welche« jedenfalls da« Kind seines Sohne« ist; er schrieb mir, sie sei in Amerika geboren."
„Bergerl" murmelte die Gräfin noch mehr erbleichend, dann aber raffte sie sich in die Höhe. „Ich danke Ihnen, mein Fräu- lein, für Ihre Auskunft. Bitte schicken Sie mir nun das Mädchen einmal her!"
Fröhlich und sorglos kam Ruth herbei und machte ein artige« Knixchen vor Bettys Großmama. Ruth war dabei nicht schüchtern, denn da eigentlich alle Menschen ihr freundlich entgegentratcn, so fühlte sie auch gegen Jedermann ein gewisse« Zutrauen, das ihr allerliebst stand.
Was in der alten, stolzen Dame vorging, alt sie daS liebliche Gestchlchen Ruths unter den tunkten Locken zu sich aufgewendet sah, fremd und doch lächelnd, wer möchte cS beschreibt». Die Gräfin meinte, die Augen deS tiesbeweinten toten Sohnes grüßten zu ihr herüber au« ferner Ewigkeit — und plötzlich schlang sie, alle Rücksichten vergessend, die Arme um Ruch und flüsterte unter zärtlichen Küssin: „Mein Liebling, mein Kind! Gott segne Dich. „O, wie ich mich freue, Dich bei mir zu sehen I"
Ruth war auf's Höchste überrascht durch diesen seltsamen herzlichen Empfang seiten« der alten Dame, verwundert blickte sie die Gräfin an und wagte endlich zu sagen: „Sie sind Beliy und Olga von Hohensteins Tante, nicht wahr 2 Betty ist auch sehr gut zu mir und — vielleicht wird auch Olga noch einmal srcundiicher."
„Hat Olga Dir wehe gelhan, mein Kind?" frug Gräfin Meltsch sich wie aus einem Traume erwacht aufrichtend, „sage mir alle«, Olga muß Dich auch lieb haben. Wie heißt Du?"
„O, hier nennen mich Fräulein Lindow und die Lehrerinnen alle Ruth, aber wenn wir spielen sagen die andern Mädchen zu mir Schneewittchen; daS höre ich lieber, denn Großpapa und mein lieber toter Papa pflegten mich stet« Schneewittchen zu nennen."
„Dein toter Papa," murmelte die Gräfin schmerzlich, „was w>ißt Du von ihm?"
„Nicht sehr viel," sagte Ruth nachdenklich; „er starb vor fünf Jahren, ehe ich zu Großpapa auf den Norderhof kam; ich erinnere mich nur, daß er sehr gut gegen mich war, und daß ick sehr still sein mußte, weil er schwer krank lag."
„Lebst Du allein bei dem — Großvater?" forschte die Gräfin weiter.
„Bis jetzt war Arnold auch da, des Großpapas andrer Enkel, mein Vetter; aber der ist nun in England und kommt erst nach Jahren wieder."
Gräfin Mellich konnte sich noch ganz genau den blaffen jungen Menschen vergegenwärtigen, der mit sprühenden Augen ihr ent- gegengelrelen war und gesagt halte: „Ruth besitzt keine Grvßmutlerl" O, wie gerne, wie gerne hätte sie gleich jetzt dies allerliebste Mädchen an sich genommen und vor aller Welt erklärt: „Sie ist meine Enkelin!" Aber eS ging nicht sogleich; eist später mußte alles geordnet werde»; wieder kam die alte, Verwerfliche Schwäche über die Gräfin, daewige Fragen: „Was wird die Welt sagen?"
„Ruth," begann die Gräfin nach einer Weite und strich beinah scheu über den lockigen Schute! des Mädchen«, „willst Du mich am Sonntag besuchen und mit Betiy und Olga spielen?"
„Ja, wenn Olga nicht mehr so unfreundlich gegen mich ist," ertgegnetc Ruth.
„DaS wird sic nickt, dafür werde ich ssrgen; wenn daS Weiter schön ist fahren wir spazieren oder wir gehen in den Circus."
»Ja, ach ja, da freue ich mich darauf und ich danke auch, Frau Gräfin."
Sie wollte, wie man ihr gelehrt, mit einem tiefen Knix die Hand der alten Dame küssen, doch diese litt cS nickt, sondern, umarmte Ruth nochmals zu deren größtem Erstaunen.
Dann rollte der Wagen der Gräfin davon und diese saß hochatmcnd in demselben. Plötzlich schnellte die Dame empor und befahl dem Kutscher, zum Rechtsanwalt Doktor Buchmann zu fahren.
„Albrecht," murmelte die Gräfin dann leise, „Dein Kind soll dock auch eine Großmutter haben und ich will an ihr gut machen, w»S ich an Dir gesündigt I"
Al« die Gräfin einige Stunden später in die Hohenstein'jche Villa zurückkehrle, fand sie Besuch vor, den Neffen ihres Bruder«, Egon von Hohenstein, welcher auf einer Militairschulc Studien machte. Egon war ein recht hübscher neunzehnjähriger Jüngling geworden, der der Gräfin mit einer tiefen Verbeugung die Hand küßte und sich nach dem Befinden der „gnädigen Tante" erkundigte.
Gräfin Melsch war sehr erregt, mit kurzen Worten begrüßte sie Egon und rief so- oann ihre Nichte Olga zu sich in das nebenan liegende Boudoir.
„Ich war soeben bei Fräulein Lindow," begann sie kurz und scharf, „und erfahre von ihr, daß Dein Benehmen in dem Pen- sionale viel zu wünschen übrig läßt."
„Aber, Tanie," stotterte das stolze Mädchen verletzt, „ich weiß nicht, was Du meinst."
„Man hat mir gesagt, daß Du gegen Deine Mitschülerinnen einen starken H«ch- mut zur Schau trügst und das wünsche ich in Zukunft nicht mehr zu hören. Verstehst Du?" erwiderte in befehlendem Tone die Gräfin.
„Ich verkehre mit meinen StandeSgenss- sen ganz freundlich," versetzte die kleine Ba- roneß, selbstbewußt den Kops emporwerfend, „mit den — anderen Schülerinnen komme ich wenig in Berührung."
< Fortsetzung folgt.)
Verantwortlicher Redakteur Bernhard Hofmann. Druck und Verlag von Bernhard Hotm » nn.