Rundschau.

Stuttgart, l 5. Febr. Von zuverlässiger Seile verlautet, daß auf den vakanten Lanb- genLIspiäsi-enten-Poste» in Stuttgart dies­mal entgegen der bisherigen Reget nicht ein Criminalist, laneern ein ZivUjurist ernannl werden soll. Man nennt als den AnSer- sehenen den LandtagSpräsidenten v. Hohl, der seil vielen Jahre» hier Landgerichlsdireklvr ist und schon längst auf einen höhere» Posten hätte sufrücken können, wenn er nicht immer wieder daraus verzichtet halte, um seinem Wahlbezirk Geislingen eine Nachwahl zu er­sparen. Ein abermaliges Opfer der Vcr- zichtteistung-kann man aber Herrn v. Hohl diesmal billiger Weise nickt mehr zumuten.

Stuttgart, 15. Febr. (Fasching in Stutt­gart.) Gestern Nachmittag 4 Uhc wagten sich zwei hiesige Potytechniker in durchaus anständigem Masken-Koslüm auf die Straße. Masken sind aber für Stuttgarter Kinder eine äußerst seltene Erscheinung und unsere beide»Narren" erfreuten sich dadurch eines großen Kinderzulaufs. Nun ist aber in der gute» Residenzstadt Schwabens jede Veran­lassung eines Menschen-Zusammenlaufs ver­boten. Die Polizei ergriff die beiden schweren Msisethäter und führte sie nach dem Polizei- Amt, wo j der (Dank der neuen Aera?) 3 Strafe vorläufig hinterlegen mußte. (Die Quittung haben mir selbst gesehen, sonst würden wir der Sache keinen Glauben bei- gemessen haben.) Schade, daß nicht auch in anderen Städten des deutschen Reichs, nament­lich in Mainz, Köln u. st w. dieselbe Soli­dität herrscht, wie in Stuttgart. Man hätte in den letzten Tagen, wenn jede Maske hätte 3 bezahlen müssen, einen guten Teil, der Kosten der Militärvorlage aufgebracht.

Nagold. 15. Februar. Die Gemeinden Sulz und Gültlingen hatten in den letzten Tagen zum drittenmal Hochwasser. In Gültlingen mußten die Schulkinder mittels Leiterwägen in die elterlichen Wohnungen ge­bracht werden. Die Straße nach Deken- pfronn ist, weil vollständig unbrauchbar, ge­sperrt. In Gülttinaen berechnet sich ber Schaden an Feldern, Sägw-rken u. s. w nach Tausenden. I» Sittz sieht es ähnlich aus ; in Wildberg wurden zwei Brücken weg- gerissen.

Herrenberg, 16. Febr. Bei der heute stattgehablen Sladlschullheißenwahl wurde Gerichlsschreiber Hauser in Biberach mit 155 Stimmen gewählt. Von den beiden Mitbe­werbern erhielten Stimmen Revistsnssssistent Stotz hier 147, Gerichlsschreiber Fischer in GeiSlingen 32. Es ging bei der Wahl sehr lebhaft zu. Kranke wurden mittels Wagen aufs Rathaus geführt.

Eckartshausen, 16. Febr. Im Güter­schuppen des hiesigen Bahnhofs wurde gestern abend eingebrochen und aus der Dienstkasse des Güterbeförderers D. 15 bis 20 ge­stohlen. Vor mehr als einem Jahrzehnt raubten zwei berüchtigte Einbrecher n. Kirchen­räuber, Peter Eichhammer, Weber u. Maurer Vogtendanz, beide ans Bay rn stammend, aus der Stationskasse gegen 2000 ^

Ravensburg, 16. Febr. Gestern abend wurde aus der Wirtschaft am ober» Thor ein 69 Jahre alter Zimmermann von Böt­tingen bei Spaichingen, der angetrunken war, von einem hiesigen Taglöhner zur Thürc hinausgeworfen und dabei an der Stirne so verletzt, daß er nach kurzer Zeit starb.

Au« Mannheim, 16". Fehr. schreibt

man un«: Unter ungeheurem Andrang hielt heute abend Pfarrer Kneipp von Wörishofen einen Vortrag über sein Wasserheilversahren. Der große Saal des Saalbaues war voll­ständig auSverkausi; es mögen über 2000 Personen anwesend gewesen sein. Schon nachmittags von 4 Uhr ab drängte sich eine große Menge Hilfesuchender aus Stadt und Land vor den Tdüre» des Saalbaues, um zur Konsultation vorgelassen zu werden. Der Vocsaal glich einem Lazarett Der Ertolg des Vortrags war unbeschreiblich, und die Schar der zur Fahne Kneipps Schwörenden dürfte sich bedeutend vermehrt haben.

Am Sonntag vormittag während des Gottesdienstes drangen zwei unbekannte Bur­schen in das Haus deS Bauern Georg Mang- stedt in der Einöde Kreuth bei Erding (Bayern) durch den Stall ein, schlugen den in der Wohnstube allein anwesenden, eben mit Rassteren beschäftigte» Bauern mit Prü­geln zu Boden, verstopften ihm den Mund, banden ihm die Füße, würgten ihn, deckten ihn mit einer Tischdecke zu und ließen ihn so liegen. Die Räuber erbrachen alle Kästen und durchsuchten dieselben nach Geld, fanden aber nur 44 ^ und verschiedene alte Mün­zen. Die Thal wurde vermutlich von hau­sierenden Korbflechtern aus dem Donaumoos begangen, die auch eine Weibsperson bei sich hatten und gegen Wartenbnrg und Mvvs- burg flüchteten. Der Bauer kam später wie­der zu sich und konnte sich von Fesseln de» freien; seine Verletzungen sind derart, daß man anfangs für sein Leben fürchtete; doch ist Hoffnung, ihn am Leben zu erhalten.

Berlin. Mehrere Offiziere sind für sechs Monate nach Petersburg zum Studium der russischen Sprache kommandiert.

Wilhelmshaven, 16. Febr. Der Kaiser und Prinz Heinrich sind heute vormittag 10 Uhr hier cingetroffen und begaben sich alsbald durch die festlich geschmückten Straßen, sowie unter enthusiastischen Zurufen der Be­völkerung nach d-im Exerzierhause der 2. Ma- tiosendivision zur Rckrutenvereidigung; die Truppen bildeten Spalter.

Es wurde ein Vertrag zwischen der österreichischen Wsfsinfabrik und Bulgarien auf Lieferung von 100,000 Magazingeweh­ren binnen Jahresfrist abgeschlossen.

Bei Tennessee entgleiste ein Güter- .zng und stürzte lOO Fuß hoch herab. Der Lokomotivführer ist tot, der Heizer schwer Verwundet.

Während eines Taufgelage« in St Louis entstand ein Streit unter den berausch­ten Gästen, der zu einem mörderische» Kampfe mit Revolvern und Messern ausartete. Sechs Personen wurden geiöiet, dariliittr der Vater de« Täuflings, sechzehn schwer verletzt.

Ein schwerer Sturm vernichtete im ganzen südlichen Madagaskar die Ernte und zerstörte zahlreiche Dörfer. Drei große Schiffe und zahlreiche Barken sind in dem schweren Sturm untcrgegangen.

Ein Wirbelsturm vernichtete einen großen Teil der japanischen Schisferflvtte Im chinesischen Meere sind über 100 Fahr» zeuge untergegangen. Ungefähr 500 Schiffer sind umgeksmmen.

Eine Szene aus der Schlacht bei Leipzig. Ein Veteran aus den Befreiungs­kriegen, der 1877verstorbenerussischeHusaren- ofsizier I. Engel, beschreibt in seinen Denk­würdigkeiten als Augenzeuge aus der Schlacht bei Leipzig einen grausigen V»rsall, den wir

ihm hier nacherzählen: In dem Augenblick, als wir uns zum Ueberschreiten der vom Feinde soeben in Brand gesteckten Etsterbrücke bereit macht-n, kam eine schöne junge Dame im Alter von etwa 25 Jahren auf edlem englischem Pferde auf uns zugentten. Sie dürste die Frau eines französischen Stabs- sifttiers gewesen sein, die in dem Wahn, tranzöstsche Cavallerie vor sich zu haben, in unseren Reihen ihren Mann suche» wollte. Sie schien anfänglich von der heiligen Kano­nade wie betäubt. An 50 Schritt vor unserer Front hielt sie ihr Pferd an, schaute gleich­mütig auf das furchtbare Bild in ihrer Um­gebung und wandte dann ihre ganze Auf­merksamkeit ihrem vierjährigen Töchterchen zu, das sie vor sich auf dem Sattel hatte. Wiederholt versuchte die Reiterin unsere Ca- vallerie-Colonne zu durchbrechen; jedesmal aber stießen unsere rohen Soldaten sie zurück. Wohin willst Du? Hier ist kein Platz für Dich!" schrieen sie ihr entgegen. Die Dame sagte zu alledem kein Wort; sie weinte auch nicht. Bald schlug sie die Augen zum Himmel auf, bald sah sie ihr Töchterchen an. Schließlich aber mußte sie doch ihrem gequälten Herzen Luft machen.O mein Gott, ich muß von Sinnen sein; ich kann nicht einmal mehr beten", sprudelte eS iu französischer Sprache über ihre Lippen. Und währenddessen schlugen unausgesetzt franzö­sische Kugeln vom jenseitigen User in unseee Reihen ein. Da plötzlich brach das Pferd der Dame zusammen. Eine Kanonenkugel hatte das Tier getötet, der unglücklichen Rette­rin «ber gleichzeitig da« linke Bein zerschmet­tert. Der Cornet Lowenstern und ich sahen diese schreckliche Scene mit an und sprengten beide vor, um der Unglücklichen zu Helsen. Da «ber vernahmen wir die Stimme unseres Divisions-Kommandeurs, des General« Pah- le».Wohin reiten Sie, meine Herren?* rief er un« zu.Wir wünschen der ver­wundeten Dame Hülfe zu leisten!"Im Dienst existieren keine Wünsche. Reiten Cie sofort wieder auf Ihre Plätze I Thun Sie was Ihnen befohlen wirb", lautete die Ent­gegnung des Generals, und selbstverständlich gehorchten wir. Was dann aber kam. Ach, cs war zu furchtbarI Ohne einen SchmerzenS- laut, aber hellste Verzweiflung im Blick, nahm die am Boden liegende Schwerver- wnudete ihr weinendes Töchterchen in die Arme, küßte e« heiß und innig, löste von dem eigenen zerschmetterten Bein da« blut­getränkte Strumpfband und erwürgte mit diesem ihr Kind. Das Alles hatte sich in wenigen Augenblicken vor unseren Augen ab­gespielt, und nun lehnte sich die arme Mut­ter, die Leiche ihres toten Lieblings fest an die Brust gepreßt, gegen da« tote Pferd. Ohne auch nur einen einzigen Klagelaut aus- zustoßen, ohne überhaupt noch ein Wort zu sprechen, erwartete die Frau, wie ein Held ihr Ende. Das kam schnell genug. Die Kavallerie setzte sich jetzt in Bewegung. Tau­sende von Pferdkhufen gingen über die Un­glückliche hinweg. Den Eindruck der ent­setzlichen Szene habe ich mein ganzes Leben lang nicht ganz überwinden können.

(Merkwürdiges Zusammentreffen )

In Eisenberg versilberte ein Zinngießer einen kupfernen Theekessel, um die goldene Hoch­zeit feiern zu können.

(Mißverständnis ) WohnungSveranetcr: Sagen Sie mir, ist die Gnädige schon ausge- j»zen? Stubenmädchen; Infamer Mensch!