Wochen-Rrmdschau.
vr. ?. Die Reichstagsersatzwahl in Düsseldorf, die eine Stichwahl zwischen den Kandidaten des Zentrums und der Sozialdemokratie erforderlich macht, hat keine sonderliche Ueberraschung gebracht. Das Zentrum hat trotz der Zunahme der Bevölkerung seine Stimmenzahl nur behaupten können, während die Sozialdemokratie wie bei allen Nachwahlen sich eines starken Zuwachses rühmen konnte. Ter Ausgang der Stichwahl ist einigermaßen ungewiß, da die National- liberalen keine sonderliche Lust haben werden, dem Zenrum die Kastanien aus dem Feuer zu holen, während die Demokraten für den sozialdemokratischen Kandidaten ein- treten. Tie Schlappe der zum Zwecke der Veruneinigung begründeten Demokratischen Vereinigung ist übrigens das hervorstechendste Ergebnis der Düsseldorfer Ersatzwahl; fast scheint es als ob diese erste Wahlarbeit für sie schon die letzte bedeutet.
Bedeutet der Rücktritt des Herrn v. Waldow vom Posener Oberpräsidium und seine Ersetzung durch den Unterstaatssekretär Schwartzkopffdas Ende des bisherigen Kurses der Polenpolitik? Die Einen glauben es, die Andern fürchten es, die Dritten hoffen es, aber niemand weiß es genau. Tatsache ist jedenfalls, daß man Herrn v. Waldow als den Vertreter jener Polenpolitik angesehen hat, welche von dem Sandpunkt ausgeht, daß der Mantel nichts nützt, wenn er nicht gerollt ist, und das Enteignungsgesetz nichts, wenn es nicht angewelndet wird. Herr v. Schwarzkopff ist, eine so ausgeprägte und nicht immer erfreuliche Politik er im Kultusministerium betrieben hat, in Bezug auf die Polenfrage ein unbeschriebenes Blatt, aber es liegt eben nahe, daß man seine Berufung nur im Zusammenhang mit der Abberufung seines Vorgängers betrachtet und daraus die naheliegenden Rückschlüsse zieht. Indessen „nichts .Gewisses weiß man nicht", da die Offiziösen, die es wissen könnten, sich über diesen Fall ausschweigen.
Desto gesprächiger sind sie in den letzten Tagen in Bezug auf die Marokkofrage geworden. Allein die öffentliche Meinung wird aus diesen Verlautbarungen, Erklärungen, Berichtigungen und Dementis nicht viel klüger als vorher aus dem beharrlichen Schweigen der Offiziösen. Das eine Mal wird die „prinzipielle Einigung" als erreicht verkündet, dann wieder heißt es, es befinden sich noch „prinzipielle Fragen in der Schwebe", dann kommt eine dritte Stimme und erläutert, daß die schwebenden Fragen nicht prinzipielle, sondern nur grundsätz-- liche seien, ohne daß selbst die Sprachforscher diesen Unterschied zu begreifen vermögen. Tann soll wieder ein Unterstaatssekretär versichert haben, daß die Einigung in zwei bis drei Tagen erfolgen werde, was natürlich alsbald prompt dementiert und durch eine etwas gedämpftere Terminspekulativn ersetzt wurde. Nach der neuesten Version harren nur noch zwei Punkte der Regelung, die sich hoffentlich «icht als dunkle Punkte erweisen und es nicht hindern werden, daß hinter dem ganz von vornherein verfahrenen Marokkohandel in naher Zeit ein Punkt gemacht wird.
Daß ein solcher Wunsch auch in Frankreich gehegt wird, geht trotz aller Radomantaden der Minister und sonstigen Politiker sowohl aus den Aeußerrung.n der Presse wie aus der gedrückten Stimmung der Pariser Börse hervor, die nicht minder von finanziellen Sorgen geplagt ist wie die deutschen Börsen, wenn die französischen Offiziösen das auch abznleugnen versuchen. Aber auch in England scheint man allgemach die Freude an dem Marokkohandel verloren zu haben, nachdem man eingesehen hat, daß die verantwortlichen Leiter der französischen Politik an der Rolle des SturmboM im Dienste des Jnselreiches keine Freude empfinden, und nachdem man sich im Falle Cartwright sogar zu einer feierlichen Ablengnung gezwungen sah.
Recht übel scheint sich die Marokkofrage für Spa
nien zu gestalten, das angesichts der allgemeinen revolutionären Gärung im Lande in seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber Frankreich ganz erheblich herabgesetzt wird. Hat doch der Ministerpräsident Canalejas sogar durchblicken lassen, daß er die Franzosen als die Anstifter der Ausstands- und Aufstandsbewegung ansehe, mit dem Endziel, die spanische Marokkopolitik lahm zu legen. Sich gegen diesen Vorwurf zu wehren wird Sache der Franzosen sein, aber immerhin zeigen die jüngsten Krawalle in Wien, daß man bei der Suche nach Gründen
Bewegte Zeiten
stehen uns bevor. Nicht nur in politischer Beziehung bei den Kämpfen um die Reichstagsmandate. Usberall gährts und flammts und man weiß nicht, was aus alledem Noch werden mag. In solchen Zeiten ist eine gut geleitete Zeitung der beste Führer durch , den Durcheinander 'der Ereignisse. Ein solcher Führer will unser Blatt für jeden seiner Leser sein.
Es soll ihn in objektiver rascher Weise unterrichten über die Geschehnisse allüberall und über dem, was auf fremdem Boden geschieht, soll nicht vergessen werden, was uns näher litgt: das weitere und engere Vaterland. Und noch weniger dürfen die Dinge außer Acht bleiben, die sich i n unserem Bezirk ereignen jund so ein besonderes Interesse unserer Leser mit Recht beanspruchen. Daneben her geht zur Unterhaltung ein sorgfältig, ausgewähltes Feuilleton, das sicher den Beifall, auch der Frauen und Töchter unserer Monnenten finden wird.
Der Wechsel zum letzten Vierteljahr steht bevor und wir gestatten uns, zum ^Abonnement auf unsere Zeitung einzuladen, indem ivir auf den im Titel des Blattes eingedruckten billigen Bezugspreis Hinweisen. Kein denkender Mensch wird in solchen Zeiten, wie den unfrigen, ein gutes Blatt entbehren wollen. Deshalb tzvsfen wir, daß wir mit dem 1. Oktober unserer Zeitung viele neue Freunde gewinnen dürfen.
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für eine solche Gärung nicht in die Ferne zu schweifen braucht.
Im Zarenreiche hat die eine Zeitlang anscheinend schlummernde revolutionäre Bewegung abermals ein blutiges Opfer gefordert, aber die Ermordung des Ministerpräsidenten Stolypin, diese greuliche Propaganda der Tat, muß also umso wahnwitziger erscheinen, als die Verschwörer, und wenn noch so viel Opfer fallen damit immer nur einen Personenwechsel, nicht aber seinen Systemwechset herbeizuführen vermögen. Vielmehr liegt die Besorgnis nahe und droht sich bereits zu verwirklichen, daß die Untat Bagrows, welche sich gegen die Reaktion richten sollte, diese vielmehr stärken und verschärfen wird.
Deutsches Reich.
Marokko.
Der Stand des Geldmarkts.
Die Nordd. Utlgem. Ztg. betont gegenüber den in letzter Zeit im Ausland verbreiteten Nachrichten über die finanziellen .Verhältnisse und der: Stand der Banken in Deutschland, daß diese durchweg der Begründung entbehren und zumeist auf ein direktes Uebetwolleu gegen Deutschland zurückzuführen sind. Sie führt u. a. ans: Die finanzielle .Lage Deutschlands hat ihre Widerstandskraft in letzter Zeit zur Genüge darin erwiesen, daß die hieher gegebenen ausländischen Guthaben, die anfangs dieses Jahres auf fast 800 Millionen geschätzt wurden, bis auf einen geringen Bestand zurückbezahlt worden sind, ohne daß der hiesige Geldmarkt irgend welche Erschütterung erlitten hätte. Im übrigen handelt es sich dabei im Gegensatz zu den hierüber verbreiteten Meldungen keineswegs um Kündigungen des Auslands, sondern lediglich um ohnehin fällige Verbindlichkeiten. Es ist damit zu rechnen, daß der diesmalige Quartalstermin sich für uns vielleicht schwieriger gestaltet als sonst, aber Besorgnisse außergewöhnlicher Art brauchen wir nicht zu hegen. Es muß daher mit aller Entschiedenheit gegen Nachrichten Frönt gemacht werden, die den Stempel der Böswilligkeit an der Stirne tragen und nur dazu bestimmt sind, gegen unsere Finanz- und Wirtschaftslage im Ausland Stimmung zu machen. Pariser Friedensbotschaft.
Tie Pariser Agence Havas meldet: Nachdem die letzte Unterredung zwischen dem Botschafter Cambonund dem Staatssekretär von Kiderlen-Wächter die Neigung Deutschlands bestätigt hat, den Boden einer endgül- tigenVerständigung mit Frankreich zu suchen, kann man der Ansicht sein, daß nach der Prüfung des deutschen Standpunkts, dem sich die französische Regierung in diesen Tagen widmen wird und nach einer endgültigen Ausarbeitung der vorliegenden Formeln ein E in v e r st ä n d nis wird erzielt werden können.
Vor Agadir.
Tie von einem Berliner Mittagsblatt verbreitete Nachricht aus Tanger, nach der der Kreuzer „Berlin" gestern vor Agadir.Landungsmanöver vorgenommen und Truppen gelandet habe, wird uns an unterrichteter Stelle nicht bestätigt. Ter Kreuzer „Berlin" befindet sich seit dem 18. September in Las Palmas, wo er noch einige Tage verbleibt. Das Kanonenboot „Eber" löste den Kreuzer „Berlin" am 17. September in Agadir ab.
Die Arbeite« des Reichstags.
Ter Reichstag ist Ende Mai bis zum 10. Oktober vertagt worden. Damit war nicht gesagt, dM die erste Sitzung nach der Vertagung am 10. Oktober stattfinden müsse. Es darf nur vor dem 10. Oktober keine Sitzung stattfinden. Die Anberaumung der ersten Sitzung bleibt dem Präsidenten überlassen, und dieser ,hat sie für den 17. Oktober in Aussicht genommen. Das ist selbstverständlich geschehen nach Rücksprache mit hem Reichskanzler. ReichstqgspvLsident und Reichskanzler verständigen sich stets im ganzen und großen über die Zeiteinteilung und die Erledigung der gesetzgeberischen Vorlagen. Vermutlich hat der Präsident auch mit Parteiführern Rücksprache genommen. Einzelne Kommissionen des Reichstages werden bereits am 10. Oktober ihre Oktober ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, darunter auch die für das Gesetz betreffend die Erhebung von jSchisf- fahrtsab gaben. Da die Legislaturperiode des Reichstags vor Weihnachten geschlossen wird, stehen hem Reichstag rund zwei Monate sür diesen letzten Sessions- abschnitt zur Verfügung. Bald nach seinem Zusammentritt sind Interpellationen über Pie Teuerung und dementsprechende Debatten zu erwarten, außerdem eine
^ie welken schnell, die Blumen unseres Lebens,
Und wir — wir welken ihnen langsam nach.
Aug. Nahlmann.
DoralLese von Freilingen.
Von Helene von Mühlau.
45 Nachdruck verboten.
(Fortsetzung.)
Müde und zu gleicher Zeit gegen ein Gefühl von aufsteigender Langeweile ankänipsend, schob sie sich einen Sessel zum Fenster hin, stützte Pen Kopf auf die Hand und blickte al s das vor ihr liegende, einsame, vorn Wintersrost erstarrte Land — blickte hinweg über die schmucklose Gärtnerwohnung und die kleinen Häuschen der Angestellten, bis ihr Blick an einem fernliegenden, weißen! Häuschen, an der kleinen, zierlichen Villa haften blieb.
„Ah!" sagte sie leise — und irgend etwas schien ihr plötzlich zum Bewußtsein zu kommen, etwas, was ihre Lippen zu einem spöttischen und doch zugleich <bit- teren Lächeln kräuselte — „Ah — also da wohnt sie — pahin ist sie geflohen!"
Und nun gingen durch Frau Alidas Kopf all die verschiedenen Möglichkeiten, die sich ihr boten, um sich das Leben hier angenehm und erträglich zu gestalten. Eine Ausöhnungs mit Doraliese — der trotzigen, störrischen Person?
Irgend etwas in ihr sträubte sich dagegen.
Wozu? Hatte sie es nötig einem hochfahrenden, starrsinnigen Geschöpf zuerst die Hand zu bieten? War sie als Bettlerin auf Freilingen eingezogen — oder?
Nein — mochte sie einstweilen in ihrem Verwalter- Häuschen bleiben — die stolze Baroneß — sie würde es schon eines Tages leid werden! Und Frau Alida suchte mit Gewalt ihre Gedanken von der Stieftochter loszu- Wsen.
Aber irgend sstwas in ihr ließ sie zu keiner Ruhe kommen; immer wieder sah sie zu dem kleinen, weißen Haus hinüber und immer wieder sah sie das herbe, .stolze, feine Gesicht der Baroneß. das sie nur von Bildern karchtte, vor sich.
Ihre Gutherzigkeit — diese weiche, unbewußte Gut- müllAeit, die in so vielen oberflächlichen Herzen wohnt und mit eigentlicher Güte nichts zu tun hat, üb ermannte sie — „Ich muß zu jhr hingchen!" sagte sie sich: „ich muß ihr zeigen, daß ich , es gut mit jhr meine!" und plötzlich kam ihr ein Einfall, der ihrem Gesicht einen fast überlegenen Aug verlieh.
Waren sie auf diesem Herrensitz nicht alle für Geld zu gewinnen? Konnte man sich hier nicht mit Geld — nur und nur mit Geld eine Stellung verschaffen?
Sie dachte an den Baron und an seine leichte Art, das .gute Leben, das sie ihm verschaffte, zu genießen. Sie dachte an Alix, die sich während der kurzen Zeit ihrer Ehe wiederholl Mt Bitten an sie gewandt hatte — — und sie dachte an Erzählungen des Barons, jn denen er Doralieses Geschäftssinn erwähnt hatte. —
Ja — so ging es — so müßte es gehen — und plötzlich war sie froh und,ruhig pnd siegessicher geworden.
Natürlich !— Diese Doraliese war verlobt und wollte ihren Pfarrer gern bald heiraten. Das lag auf,der Hand! Und dieser junge Pfarrer, wiewohl er den reichen Piro- nos verwandt war — verfügte über blutwenig Mittel — und — — nun, das weitere konnte man sich ausrechnen. Es fehlte an Geld — an allen Ecken und Enden fehlte es ja auf Freilingen an Geld!
„Ich weide ein Opftr bringen!" sagte sie sich — „ich werde ihr eine Summe bieten, die sie in die.Kage setzt, sich das Nötige zur Anssteuer zu verschaffen!" und Frau Alida war plötzlich sv erfüllt, so glücklich durch diesen Gedanken, daß sie das kleine, seidene Boudoir verließe leise zum Zimmer, in dem der Baron schlummerte, schlich und sich neben ihn auf eine Seitenlehne der Chaiselongue setzte.
Er schlief fest; — der kleine ausdruckslose Kopf war tief in sin weiches Kissen versunken — vom Gesicht sah man nur eine unregelmäßige Prsfillinie — der Mund war geöffnet — um dje Schläfen zogen'sich unzählige Falten und Fältchen und eine gelbe, zur Faust geballte Magere Hand lag auf der Pelzdecke.
Durch der Baronin warmen, jungen Körper lief ein
Zittern — ihr schauderte. Sie mußte die Blicke abwenden. '
Was hatte sie getan? was? Und ihre Gedanken flogen zurück zu den jüngstvergangenen drei McMaten — flogen zurück Kl so 'mancher toten Stunde gähnender Langeweile — zu so 'mancher Stunde nagender Sehnsucht nach?
-nein — sie wußte selbst nicht, nach was — wußte
nur, daß da eine Sehnsucht war, die furchtbar peinigen könnte — wußte, daß manchmal böse, bitteiböse Gedanken in ihr Herz gekommen waren — Vorwürfe, häßliche, nutzlose, Kelhstvoiwürse, weil man trotz aller reiflichen Ueberlegung zu schnell gehandelt — weil man sich doch vielleicht verschenkt, vergeltet hatte — —
Mer pann hatte man schnell das pudere dagegen gehalten — das Gute — den Gewinn, den man erzielt! Man war Baronin — man war die Herrin eines plt- adeligen, herrlichen Besitzes geworden — man — — nein, weiter nichts — das war alles!
Und Schatten und iLicht kämpften einen plnaushör- lichen Kampf miteinander in Frau Alidas Kops — und manchmal siegte der Schatten und manchmal siegte das Licht — aber meistens hatte das Licht gesiegt — penn Frau Allda stellte sich das Leben einer Gutsherrin ga« lustig und unterhaltsam vor. In Büchern hatte sie ps gelesen: da gab es lustigen Verkehr mit den «Gütsnachbarn — Wagen- und, Schlittenfahrten und Reitcja und allen möglichen Sport — und Keine Reisen in Pie Stadt — Theaterbesuche — schöne Toiletten — Keine Plänkeleien mit jungen Offizieren, die doch auf keinem Herrensitz fehlten — — eine ganze Reihe angenehmer, verführerischer Möglichkeiten — und darum hatte sie Befehl gegeben, das Haus gesellschaftsfähig herzurichten — darum brachte sie in Pen vielen Koffern, die noch nicht Mgelangt waren, die kostbaren Kleider Mt sich — und darum — ja — darum auch wünschte, sie, daß kein Mißtvn im Hause war — und ^rrum war sie gewillt, ein weiteres Materielles Opstr zu bringen und. sich damit Doralieses
Freundschaft zu gewinnen.-
(Fortsetzung foltzt.) ^