Das Ende der evangelischen Freiheit.

Das Jrrlehrengefetz mit dem S p ru chkolle - gium als richterliche Instanz ist nun gegenüber dem Kölner Pfarrer Jatho in Wirksamkeit getreten. Me neue Einrichtung hat sich als ein vollwertiges Ge­genstück zu dem heiligen Synod der russisch-ka­tholischen Kirche aber auch zu dem unf ehlb a r en p ä p st- liche n Stuhl der römisch-katholischen Kirche erwiesen. !Tas Spruchkollegium wird die freie Forschung in der evangelischen Kirche ebenso unterdrücken, wie das in der russischen und in der römischen Kirche der Fall ist; denn wenn erst einmal der Anfang mit der rechtskräftigen Ver- urtettung von Irrlehren und ihren Vertretern gemacht äst, dann wird der dogmatische Ausbau der evangelischen Kirche Preußens auch seinen weiteren Fortgang nehmen. Tas Gebäude der preußischen Landeskirche wird ein starres Gerippe werden, innerhalb dessen jede religiöse Bewegungs­freiheit unterbunden wird und wir befürchten sehr, wenn Luthers Geist heute auf dem Wege der Seelenwanderung wiederum in der evangelischen Landeskirche Preußens auf­tauchen könnte, so würde er sehr bald mit dem Spruch­kollegium seiner eigenen Gründung in Konflikt kommen und seinen Talar als evangelischer Geistlicher ebenso aus- ziehen müssen, wie er seiner Zeit nach dem Wormser Reichs­tag seine Mönchskutte ablegen mußte. Das Jrrlehrenge- setz mit seinem Spruchkollegium entspringt demselben Geist wie der Widerstand gegen die Zülassung der Feuerbestatt­ung in Preußen, jenem Geist der Intoleranz, der sich 'mit der evangelischen Freiheit nie und nimmer ver­trägt und seine Verfechter in der evangelischenLan- deskirche der römischen Kirche ebenso nahe bringt wie die Konservativen im politischen Leben dem Zentrum.

Auch noch in einer anderen Hinsicht bringt diese neue Entwicklung eine AnnäherungandenKathoiizis- mus. Als die Reformation die evangelische Kirche von der römisch-katholischen schied, da wurde als eine der her­vorragendsten Errungenschaften die W ahl d er Geist­lichen durch die Gemeinden angesehen. Tiefe evangelische Errungenschaft wird durch die Anwendung des Jrrlehrengesetzes beseitigt. Tie weitaus überwiegende Mehrheit der Kölner Gemeinde Jathos steht auf feiner Seite, aber trotzdem wird dieser Mehrheit der erwählte Pfarrer durch das Eingreifen der staatlichen Gewalt in ihr religiöses Empfinden entzogen, weil eine Minderheit der Gemeinde es verlangt. Und wenn die Mehrheit aber­mals einen Geistlichen von der gleichen religiösen Anschau­ung wie Pfarrer Jatho wählt, so kann sich dasselbe Schau­spiel, das sich jetzt abgespielt hat, wiederholen. Was hat aber dann das Wahlrecht der Gemeinde noch für einen Wert, wenn die Minderheit die Mehrheit einfach vergewaltigen kann? Tas ist dieselbe Obstruk­tion in der Kirchengemeinde, die von Gegnern Jathos doch immer als äußerst verwerflich bekämpft wurde, wenn ihre Anwendung gegen die Tnrchdrückung reaktionärer Gesetze im Parlament versucht wurde. Es ist eben, wie schon oben gesagt, derselbe Geist, der im preußischen Staat und in der preußischen evangelischen Landeskirche um die Herrschaft kämpft: es gilt die Unterdrückung jeder fr ei heitlichen Entwicklung im staatlichen und im religiösen Leben. In der evangelischen Landeskirche be­deutet das zunächst das Ende der evangelischen Freiheit; aber es wird auch für diese einst der Tag kommen, wo sie sich, frei von den Fesseln staatlichen Zwangs, zu einer besseren Blüte als jetzt wird entwickeln können. Tazu wird aber die Erfüllung der alten demo­kratischen Forderung der Trennung von Staat und Kirche nötig fein, wofür fetzt bezeichnenderweise aus An­laß der Maßregelung Jathos auch bereits die national- liberale ,,Kölnische Zeitung" eintritt.

*

Der tveg i>> die Welt des Sittlichen führt durch die Welt des Schönen.

Larneri.

Die Häuser am Berge.

Roman von Peter Halm.

11 > (Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Freitag trat ungeduldig von einem Fuß auf den an­dern und zwang sich zur Ruhe; denn er fürchtete eine Szene, die leicht auch das- freundnachbarliche Verhältnis zur Perwuchin trüben konnte^ wenn man über die Mauer hin Olgas harte Worte vernahm.

Er nahm neben ihr Platz:Möchten wir nicht lieber ans Haus gehen, Olga?"

Nein, nein, ich müßte ersticken!" Sie rang nach Luft. Tie Ungeduld, mit der sie Nardas Rückkehr erwartet hatte, die doch gar nichts für sie brachte, sondern erst ihre Auf­träge erhalten sollte, die überlegene Sicherheit, mit der Elena Trama um Filomela sich betätigte, obgleich sie doch ebensowenig Erfahrung hatte wie Frau Olga, die Um­ständlichkeit, mit der dasNötigste" aus Neapel beschafft werden mußte das alles hatte ihre Reizbarkeit aufs höchste gesteigert. Tazu kam der Rückschlag ihrer aufge­regter Freude, der immer als tiefe Ermattung eintrat; an diesem Tag aber rang sie mit ihrer Schwäche, weil sie in ihrer Sorge um das Kind hinter Elena Trama nicht rurückstehen wollte. Natürlich waren auch allerhand Be­denken in ihr erwacht, weil das kleine hilflose Wesen so blöde und schiassinnig in seinem Korbe lag, wie An­tonio und Carmela Soro nur je dagelegen haben konnten. Nein, nein, die Annahme Perwuchins konnte unmöglich richtig sein!

So hatte sich Olga Freitag seit einer Stunde die Seele zcrquält, und nur die Furcht, vor Elena Trama und damit vor ganz Tranagra sich lächerlich zu machen, hatte sie zur Selbstbeherrschung gezwungen. Nun ließ sie der Gedanke, der beim Anblicke der mißhandelten Nardä unerwartet neue Nahrung gewann, ihre Furcht vergessen.

Lieber einmal lächerlich geworden sein, als sein Leb-

Einen Aufruf zu einer Jathö-Spende

erläßt der Kirchengemeinde-Ausschuß des Vereins für evan­gelische Freiheit zu Köln. Ter Fall Jatho habe Fra­gen zur Beantwortung gestellt, die Angelegenheit des deut­schen Gesamtprotestantismus geworden.seien:Wer nicht will, daß unsere evangelische Landeskirche, die hoffnungs- >lose Beute engherzigen Glaubenszwanges werde, wer das evangelische Gewissen allein als Hüter evangelischer Fröm­migkeit anerkannt sehen möchte, wer evangelische Geist­liche, die um ihres Glaubens willen, verfolgt werden, unter­stützen, wer Pfarrer Jatho im Augenblick seiner Absetzung Tank und Ehre erweisen möchte, der trete uns hilfreich zur Seite und steuere nack sei">nn Vermöge« zur Jatho- SPen de bei. Zeichnungen werden bei unserer Ge-

ISI»»

Pfarrer Jatho.

schäftssteille, Neubnersche Buchhandlung, Höhe­straße 137, Köln, entgegengenommen; Geldsendungen wer-, den an das Bankhaus Teichmann u. Co., Trankgasse 9, Köln, unter dem KennzeichenJatho-Spende" erbeten."

Deutsches Reich.

Pforzheim, 27. Juni. Tie gestrige Stadtver- o.rdnetenwahl der 1. Klasse.(HöchstL'esteuerte) verlief recht lächast, bei 86 PrüH. Mrhlbeteisigung. Ergebnis': 30 Liberale, 2 Zentrum und kein Sozialdemokrat. Zu­sammen sind nun in allen 3 Klassen gewählt: 63 Liberale, 6 Zentrum und 27 Sozialdemokraten, zusammen 96. Das Gesamtergebnis ist, daß die Sozialdemokraten infolge, des neuen Wahlverfahrens (Proporz) nur noch 27 Sitze gegen seither 35 haben werden. Im übrigen erhebt sich die Frage, Wozu eine Stadt wie Pforzheim 96 Stadtver­ordnete braucht. Weniger wäre mehr.

Pforzheim, 26. Juni. Hier kann nichtgezogen" werden, denn die Möbelpacker streiken noch unh die Hilfs­arbeiter machen es ihnen nach. Zwei Möbelpacker-Streik­posten sind wegen Ausschreitungen verhaftet worden.

Kiel, 27. Juni. Aus Anlaß des Besuchs eines ame­rikanischen Geschwaders haben der deutsche Kaiser und Präsident Taft Telegramme ausgetauscht.

Dessau, 26. Juni. Ter Landtagsabgeordnete Kom­merzienrat Hallstroem in Nienburg a. d. Saale hat den Vorsitz der Ortsgruppe Nienburg des Hansabundes nieder gelegt. Er begründet seinen Rücktritt damit, daß er sich mit den Aeußerungen Rießers vom 12. Juni in Perlin nicht einverstanden erklären könne, weil er Mit­glied des Reichsverbaydes gegen die Sozialdemokratie und des reichstreuen Wahlvereins Bernburg sei.

tag unglücklich!" jammerte sie und begriff nicht, daß Walter 'ihre Sorge nicht im geringsten zu teilen vermochte. Schließlich sprach er von Elena Trama; er sprach! mit Achtung und Bewunderung von ihr. Auch sie war aus der Hefe jenes Berg- und Fischervolkes herausgewachsen, und es war doch nichts an ihr, daß sie nicht jeder vortrefflichen deutschen Frau an hie Seite hätte gestellt werden können.

Tie Wärme, mit her er von Elena redete, brannte die Zitternden Nerven HO-gas wie lebendiges Feuer. Nur eine flüchtige Viertelstunde hatte ihr Herz an diesem Mor­gen den Haß gegen Elena Trama vergessen: das' war,. Wie sie den Zettel mit Aufträgen für den Kommissionario versah. Das Gefühl, daß auf ihren Wünsch und nach ihrem Ermessen eine Menge Tinge beschafft wurden, die Elena nicht einmal dem Namen nach kannte, erfüllte sie Mit einem kindischen Stolze. Sie versuchte, sich an den Worten ihres Mannes .zu trösten; aber sie ward hoch nur still in hem Bewußtsein, Elena Trama von dieser Stunde an die Herrin zu zeigen.

V.

Freitag wußte: bei Olga war alles Laune, Eingebung des Augenblickes, der sie mit strahlendem Auge wie einem unermeßlichen Glücke gegennberstand, am ebenso rasch einer tränenvollen Reue Raum zu geben. Aber diese Bedenken mußten fallen, wenn er daran dachte, daß er in hem Kinde dem Herzen seines Weibes vielleicht die Sonne schenke, die sein ganzes Haus mit ihrem goldenen jLichte hell mache. Es war kalt in diesem Hans, und alles war ohne Freude.

Für ihn selbst handelte es sich zunächst höchstens um eineninteressanten Fall", der ihrn schlimmstens das heißt, wenn Perwuchins Ansicht falsch war einige unbe­queme Tage bereitete, bis das Kind' anderswo unterge­bracht war, wenn Antonio Soro nicht für GeV sich ent­schloß, die Sache ungeschehen M machen und die kleine Filomela des guten Geschäftes wegen wieder aufznnehmen.

Ter Möglichkeit, daß Frau Olga schon in kurzer Zeit des Kindes sich 'wieder zu entledigen versuchen werdet stand jedoch die Erwägung gegenüber, daß Walter Freitag dem Leben seines Weibes plötzlich einen Inhalt zu geben vermochte; denn sich selber waren beide eine Entläusch-

Württemberg.

Württerrrbergifcher Landtag.

-s. Stuttgart, 26. Juni.

Präsident Payer eröffnet 3.15 Uhr die Sitzung. Am Regierungstisch: Kultminister v. Fleischhauer.

Mit der Beratung des

Kultetats

wird bei Kap. 45, Tit. 2 fortgesetzt. Bei Tit. 12 klagt

Abg. Sommer (Ztr.) über zu harte Bestimmungen beim Umbau älterer Schulgebäude.

Kultminister v. Fleischhauer: Es gelte hier eine mittlere Linie einzuhalten. Nach dieser Richtung sei er auch bemüht. Vielfach seien es die Gemeinden, die ent­gegen den Ratschlägen der Regierung Bauten mit zu gro­ßen Kosten errichten.

Abg. Löchner (Vp.) führt bei Kap. 47 Tit. 1 ans: Tie neuen Pfarrhausbauten hätten einen zu großen Um­fang. (Betz: Sehr richtig!) Es komme vor, daß das Pfarrhaus größer wie die Kirche sei! (Heiterkeit.) Ost seien mehr als 10 Zimmer für den Pfarrer vorhanden.

Kultminister v. Fleischhauer: Ueberflüssige Bau­ten wolle er nicht' bestreiten. Wo über die Notwendigkeit hinausgegangen wurde, habe er dies ausgesprochen.

Abg. Heymann (Soz.):.Tiefe Titel, die die Ge­halte der Geistlichen enthalten, lehne seine Partei ab.

Tie Sozialdemokratie stimmt darauf in der Ab­stimmung gegen die Titel.

Abg. Haußmann (Vp.) erkundigt sich darnach, wie sich die Abschaffung der geistlichen Schulauf­sicht habe durchführen lassen. Zugleich möchte ich Ge­nugtuung darüber aussprechen, daß unser Land kein Jrrlehrengesetz hat. Ter

Kall Jatho

würde, wenn er in Württemberg vorgekommen wäre, von empfindlicher Wirkung sein. Eine evangelische Weither­zigkeit sei in Württemberg doppelt notwendig bei der Neigung zur Bildung von Sekten. Es würden die ernstesten Schwierigkeiten entstehen, wenn man so wenig weitherzig wie anderwärts sein würde.

Präsident Payer: Vom Standpunkt der Geschäfts­lage aus erachte ich es für ein Glück, daß der Fall Jatha nicht bei uns sich ereignet hat. (Heiterkeit!)

Kultminister v. Fleischhauer: Tie Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht habe zu keinen Anständen ge­führt. Ueber den Fall Jatho sich auszusprechen, habe er keine Veranlassung. Ter Wunsch nach einem Jrr­lehrengesetz sei jedenfalls von keiner Sette laut gewor­den. (Bravo! links).

Tie nächsten Kapitel werden ohne Debatte erledigt.

Bei Kap. 61,

Universität,

bemerkt der Berichterst. Äbg. Tr. Eifele (Vp.), daß hier Mehrforderungen von 11000 Mark im ersten, von 10000 Mark im zweiten Jahre vorhanden seien.

Abg. v. Kiene (Ztr.): Es sollte die Frage untersucht werden, ob hier nicht eine Ersparnis möglich sei, ohne daß Umfang oder Betrieb der Wissenschaft beeinträchtigt: werden würde. Einzelne Betriebe brauchten nicht dop­pelt zu sein und könnten vereinfacht werden. Tie außer­ordentlichen Professoren sollten in der Fakultät Sitz und Stimme erhalten. Was soll mit dem alten Schloß in Tübingen werden, wenn sich dort die Bibliothek nicht mehr befindet? Tie Verwendung müßte jedoch eine solche sein, daß die Aufführung von klassischen Stücken (wie in den letzten Tagen) nicht beeinträchtigt würde.

Kultminister v. Fleischhauer: Tie Ersparnisse würden erschwert durch die Entfernung Tübingens von Stuttgart. Schon bei dem Neubau der Landes-Hebammen- schule werde es sich darum handeln, ob eine kleine Stadt für ein solches Institut geeignet fei. Stiftungen seien in den letzten Jahren reicher geslössen. Tie Tübinger Professoren würden schon jetzt reichlich zu Vorträgen in

un>g gewesen. .Und wenn Freitag sich tröstlich sägen durfte, daß Olga achch einem andern Manne nichts hätte sein können, die Schuld also außer ihm lag, so verhehlte er sich doch nicht, haß ihre.Launenhaftigkeit und die ganze Art ihres Wesens sein Leben als Künstler endlich vernichten mußten.

Falls dies geschah lag die Schuld an einem solch trostlosen Ausgange nur an seinem Weibe? Wieweit lag sie an ihm?

Wenn er sich selbst über die heute früh geäußerten Worte seines Freundes Perwuchin hinwegmaß, so mußte er sich freilich gestehen, daß von einerGenialität des Willens" bei ihm nicht die Rede sein könne. Ueber eine bescheidene Willensderanlagung hinaus kam er selbst Wohl kaum. Mein: Perwuchins'Worte waren für ihn weder ein Evangelium, poch hatte er den Ehrgeiz, künstlerische Großtaten zu vollbringen, die ihm die Unsterblichkeit ver­bürgten. Er wollte sich 'mit einer gesunden Mittelmäßig­keit begnügen, die er in klüger Selbsteinschätzung zu errei- ,chen hoffte.

Daß ihm das bisher nicht gelungen war, ja daß er für seinen .Vater und seine Freunde geradezu eine Ent-' täuschung geworden war, daran gab' er seinem Weibe die Schuld. Olga wußte seine künstlerischen Interessen nicht zu teilen, entfremdete sich ihm mehr und mehr und ver- längweilte ihve Tage, sie langweilte sich aus hem! seelischen in ein körperliches Mißbehagen und eine Ner­vosität hinein, die Freitag die Notwendigkeit einer Trenn­ung schon mehr als einmal hätte erkennen lassen, wenn er sein Streben nicht den Launen seiner Frau vpsirn wollte.

Wohl hatte er seinen: Väter bereits vor wenigen Mo­naten sin Geständnis dieser Art gemacht, war aber von die- dem damit nicht ernst 'genommen worden. Deshalb ver­suchte er, selber mit seinen: Schicksale sich auseinanderzu- setzen. In Rücksicht aus feine Frau hatte er Perwuchins gegenüber bisher von M diesen Dingen geschwiegen; aber auf die Däner ließ sich ein Künstler wie Perwuchin, ließ sich eine aufopserungsfähige, in härter Lebensschule' geläuterte Künstlerfrau wie Esther Perwuchin, nicht tauschen.

, Fortsetzung folgt. . ... - --