Rußland und Japan.

Berlin, 12. Juli. Aus St. Petersburg wird der Times gemeldet: In hiesigen maß­gebenden militärischen Kreisen wird erklärt, daß General Kuropatkin noch immer nicht über die nötige Truppenmacht verfüge, um die ihm zu­geschriebene Absicht der Offensive zu verwirklicht n Es sei daher bestimmt worden, daß die russischen Truppen sich solange zurückziehen würden, wie die Uebermacht des Feindes dies notwendig erscheinen läßt. Die russische Heeresleitung müsse daher immer noch darauf bedacht sein, große Kämpfe möglichst zu vermeiden, um einer entscheidenden Schlacht aus dem Wege zu gehen.

St. Petersburg, 12. Juli. In einer Drahtmeldung des Regierungsboten aus Taschit- schiao werden folgende Mitteilungen über den Gesundheitszustand der russischen Armee gemacht: Bis zum 26. Juni betrug die Zahl der Kranken in den Hospitälern an Offizieren 7,136 Proz., an Soldaten 3,943 Proz. des Effektivbestandes, einschließlich der effakuirten und verwundeten Offiziere und Soldaten 10,24 Proz. bezw. 6,51 Proz. Nach Beginn der Regenzeit (9. Juli) stieg die Zahl der in die Hospitäler aufge- nomwenen Offiziere und Soldaten auf 8,384 bezw. 6,646 Proz., die Zahl der Jnsekflons- kranken von 2,19 Proz. auf 8,15 Proz., da­runter an Disenterie erkrankte 1,99 Proz.

Berlin, 11. Juli. Kaiser Wilhelm hat an den Kommandeur seines Wyborgischen Regi­ments ein Telegramm gesandt, worin er das­selbe beglückwünscht, berufen zu sein, dem Feind entgegenzugehen. Es heißt darin unter anderm: Ich bin stolz, daß das Regiment die Ehre hat, für seinen Kaiser, das Vaterland und den Ruhm der russischen Armee zu kämpfen." Das Telegramm schließt mit den Worten:Mein aufrichtiger Glückwunsch, begleitet das Regiment. Gott möge seine Fahne segnen."

Petersburg, 11. Juli. Das Telegramm Kaiser Wilhelms an sein Regiment, macht hier in Petersburg in den Gesellschaftskreisen tiefen Eindruck. Das Telegramm wird verschieden ausgelegt. Einerseits wird demselben ein politisch­militärischer Charakter beigelegt, der eine gewisse politische Tragweite haben könnte: andere er­

sehen darin den Ausdruck der Freundschaft, welche Deutschland für Rußland hegt. Auch wird die Meinung ausgesprochen, es sei nicht unmöglich, daß Deutschland seine neutrale Hal­tung aufgeben werde.

Jnkau, 12. Juli. Die russische Armee hat sich in Gefechtslinie aufgestellt. Ein Eisen­bahnzug steht bereit, um mit Kuropatkin abzu- dampfen. Die Russen haben 16 000 Mann Verstärkungen nach dem Süden geschickt.

Verschiedenes.

Die Zusammensetzung der Luft auf dem Lande und in der Stadt ist in jüng­ster Zeit von G. H. Bailey umfassenden Unter­suchungen unterworfen worden. Es ergab sich unter anderm, daß Landlust, aber auch solche in gering bevölkerten Stadtteilen, in 10 Mil­lionen Volumeinheiten Luft ein Volumteil Schwefel enthält. In dicht bevölkerten Stadt­teilen steigt dagegen dieser Schwefelgehalt im Winter auf das Zehnfache, im Sommer auf das Fünffache. Nebelige Luft enthält unter ungünstigen Verhältnissen bisweilen sogar den dreißig- bis fünfzigfachen Gehalt an Schwefel wie die Landluft. Die chemische Untersuchung der aus neblicher Luft stammenden festen Nieder- schlüge zeigte, daß diese zu 39 Prozent aus Kohlenstoff, 12^/s Prozent ,aus Kohlenhydraten aus 4 Prozent Schwefelsäure, 1,4 Prozent Salzsäure, 2,6 Prozent metallischem Eisen, 2 Prozent organischer Materie und 31 Prozent mineralischer Stoffe, wie Kieselsäure, Kochsalz usw., bestanden. Am bedeutendsten ist der Ge­halt der Lust au organischen Substanzen und phatogenen Bakterien in dicht bevölkerten Vier­teln der Städte. Die schwarzen Nebel der (industriereichen) Großstädte haben sich während des vergangenen Jahrhunderts ununterbrochen vermehrt. Sie sind nicht nur direkt schädlich wegen der gesundheitfeindlichen Substanzen, die sie enthalten, sondern auch deshalb, weil sie die direkte Sonneneinstrahlung behindert, deren bakterientötende Wirkung auf die untersten Luftschichten, den Erdboden und die Wasser der Oberfläche, von größter Wichtigkeit ist.

Ein Aufruhr in einer Menagerie auf hoher See. Eine aufregende Reise hatten die

Passagiere des Dampfers Minnetoka auf ihrer Fahrt nach Newyork. An Bord befanden sich 26 Käfige mit wilden Tieren, die für eine amerikanische Menagerie bestimmt waren. Einem Eisbären gelang es, aus seinen: Käfig zu ent­kommen. Dadurch wurden die anderen Tiere furchtbar erregt; es entspann sich ein Kamps zwischen einer Hyäne und zwei Bären. Zwei Affen starben vor Furcht, und der Kapitän drohte schon die Bestien zu erschießen, als es endlich gelang, den Eisbären wieder einzufangen und die Hyäne und die beiden Bären durch glühende Eisenstangen auseinander zu bringen. Immerhin dauerte es aber noch einige Stunden, bis sich die Aufregung der zitternden Passagiere und der unruhigen Tiere gelegt hatte.

Ein alter Sensationsroman, der schon oft von fragwürdigen Individuen ausgebeutet wurde, ist dieser Tage wiederum aufs Tapet gebracht worden, und zwar in der Form einer Erpressung, mit der sich die französischen Straf­gerichte bereits befassen. Es handelt sich um den spanischen Millionär Marquis de Casa- Riera, der seit Jahren in Paris wohnt und dem nachgesagt wird, er habe sich dem Erblasser des Vermögens, in dessen Besitz er sich befindet, von einem Intendanten dieses als Neffen auf- drängen lassen. Nach anderen Versionen wäre er erst nach dessen Tode hervorgetreten und hätte sich mit falschen Papieren als Erbe legi­timiert. Die Sache wird von Leuten, die die Familie Casa-Riera kennen, als absoluter Schwindel bezeichnet. Es lasse sich vielleicht daraus erklären, daß sich der jetzige Millionär vor dem Tode seines Onkels in sehr bedrängten Verhältnissen befunden hatte. Der Marquis, der auch von einigen Blättern angegriffen wird, hat zahlreiche Verleumdungsklagen angestrengt.

Briefkasten.

B. N. in W. Allerdings hat sich in letzter Zeit wieder die Lysolvergiftungen gehäuft; wenn Sie deshalb Lysol aus Ihrer Hausapotheke entfernen wollen, so empfehlen wir Ihnen dafür das Lysoform, welches von der Mehrzahl der Aerzte den Karbolpräparaten vorgezogen wird; Lysoform ist ohne üblen Geruch und erscheint bei seiner Verwendung eine Vergiftungsgefahr ausgeschlossen.

Rnstere Mächte.

Novelle von Conrad vom Walde.

4) Nachdruck verboten.

Hastig sprang Wladimir auf und durchmaß die Zimmer, bis in der Dämmerung Suschu eintrat und ihn bat, zu den Herren zu kommen. Er mußte wieder mit den beiden Unermüdlichen spielen, bis es Zeit war, den Tee einzunehmen. Nach demselben ritt Borikow wieder ab, der General zog sich auf sein Zimmer zurück, Nadine suchte ihr Boudoir auf und Wladimir blieb nichts übrig, als in seinen Gemächern eine Zigarre zu rauchen und den ereignisvollen Tag zu bedenken.

Wo war sein Haß gegen Sulkowsky ge­blieben ?

qe *

*

Am anderen Morgen saß er bei seinem Aquarell an der Staffelei, als Suschu eintrat und grinsend sagte:Das ist ja das gnädige Fräulein!"

Wladimir errötete und versetzte:Sie werden doch schweigen?"

fNatürlich! Aber Sie möchten zur Exzellenz kommen."

Ist etwas vorgefallen?"

Die Post ist da; Exzellenz sind wütend."

Schöne Aussichten."

Ah, es wird Rücksicht gegen Sie genommen werden."

Hm, und Sie?"

Ich bin der Diener des Hauses, ich habe alle Launen der Herrschaft zu ertragen."

Ich denke, die Leibeigenschaft ist auf­gehoben?"

Auf dem Papier ja sonst nein."

Wladimir schüttelte den Kopf.

Er fand in der Tat den General sehr er­regt und mußte mehrere Schreiben erledigen, darunter eines an den Hofrat Morkowsktz, welches Zeugnis davon ablegte, wie schwer dre

dauernde Ungnade des Hofes auf dem alten

Soldaten lastete; die diktierten Sätze waren zumeist wunderlich und wenig gewählt, doch duldeten die Augen des Generals keinen Wider- spruch.

Eine Bewegung auf dem Hof veranlaßte die Exzellenz aufzusehen, aus dem Fenster zu schauen und Wladimir zu entlassen, indem er murmelte:Scheibest; dem Himmel sei Dank!"

Wladimir hörte auch Nadine aus ihrem Zimmer nach der Treppe eilen. Er trat auf den nächsten Söller und sah einen kleinen, wohl­beleibten Herrn in Husarenuniform von dem edlen Rappen steigen. Das mußte Schelbest sein. Er war keineswegs schön; auf seinem Gesicht prägte sich vielmehr Alltäglichkeit und Leidenschaftlichkeit in hohem Maße aus.

Jetzt sah er diesen Mann Nadine küssen und trat zurück.

Bald nachher kam auch der Wagen des Oberstaatsrats Worontscheff in den Hof ge­rasselt; der alte Herr wurde vom General in den Saal geführt, woselbst sich alsbald ein gar lautes Treiben entspann; in diesen Trubel fiel die Ankunft Borikows. Der gewandte Mensch fand sich schnell in die Lage der Dinge und als Wladimir zum Frühstück eingeladen wurde, hatte die Gesellschaft sich schon in ein­ander eingelebt. Der General stellte den neue» Hausgenossen den Herren als seinen Sekretär vor. Der Oberstaatsrat hatte für ihn verbind­liche Worte, Borikow nickte vornehm, Schelbest aber streifte ihn nur mit einem hochmütigen Blick. Zwischen den beiden Männern war die gegenseitige Abneigung sofort besiegelt.

Sie waren auch in Deutschland?" fragte der Oberstaatsrat beiläufig.

Wladimir neigte zustimmend das Haupt.

Der Graukopf meinte darauf:Dann wird Ihnen im heiligen Rußland manches sonderbar Vorkommen."

Allerdings!"

Wieder streifte etn hochmütiger Blick des

Rittmeisters Wladimir, und schwerfällig fügte er bei:Wird sich ja bald zeigen, ob die deutsche Tapferkeit vor der russischen Kühnheit stand­halten kann."

Borikow lächelte, Wladimir zuckte nur die Achseln.

Als die Herren sich in ihre Sessel zurück­lehnten, rief Schelbest plötzlich:Herr Engel­brecht, die Zigarren! Dort auf dem Tischchen."

Nadine sagte:Nicht doch,Alexei, denn"

Aber Schelbest zog sie auf den Sitz zurück und wiederholte:Die Zigarren, Herr Sekretär."

Wladimir wendete sich um und sah Suschu demütig an der Tür stehen.

Suschu, bitte, die Zigarren!" sagte er ruhig.

Schelbest wurde rot wie ein gesottener Krebs und fragte Nadine:Nun, Herzlieb, machen wir einen kleinen Ausritt?"

Was Du befiehlst."

Es klang hart und teilnamslos.

Suschu, daß der Hengst und des Fräuleins Muratschew gesattelt werden."

Zu Befehl! Wollte nur untertänigst be­merken, daß dem Muratschew heute nicht zu trauen ist, hat zu lange gestanden," entgegnete der Diener.

Ah bah," lachte der Rittmeister,meine Braut ist eine ausgezeichnet Reiterin."

Suschu verneigte sich und ging.

Sie können auch reiten, mein lieber Engel- brecht," warf hier der General ein,ein gutes Pferd steht immer zu Ihrer Verfügung, der Migrol."

Wladimir verbeugte sich stumm und verließ den Salon.

Als er in sein Zimmer trat, fand er das Pianino dort vor.

Ah", rief er erfreut aus,endlich!"

(Fortsetzung folgt.)

Druck »Nb Verlag der Beruh. Hosmann'schen Buchdruckerei in Wildbid Für die Redaktro» verantwortlich: E. Reinhardt daselbst.