Nr. I4Z
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Her; und Ehre.
Roman von Arthur Zapp.
(Forts.) (Nachdruck verboten.)
Plötzlich legt« Else Wollmar ihre beiden Hände dem Bruder auf die Schultern. Mit Blicken voll heißer Angst und voll leidenschaftlichen Flehens stieß sie, zugleich vor Scham erglühend, hervor: „Claus, wüßtest Du, wie ich ihn liebe. Du würdest Erbarmen mit mir Huben. Sieh', Claus, Du kannst gewiß auch in einem anderen Beruf glücklich werden, für mich aber gibt es kein Glück mehr ohne Viktor. Zürne mir nicht, verdamme mich nicht, schelte mich nicht lieblos gegen Dich! Ich kann ja nicht dafür, daß ich ihn lieb habe, mehr, als alles Andere in der Welt!"
Sie legte ihre Arme um den Hals des Bruders und weinte von neuem leidenschaftlich.
Claus ließ sie eine ganze Weile gewähren und saß starr, regungslos. Endlich löste er sich sanft aus ihrer Umarmung und erhob sich. Sein Herz krampfte sich unter einer bitteren Enttäuschung zusammen.
„Gut!" sagte er. „Wenn Du mir sagst, daß Dein Leben davon abhängt, dann bleibt mir nichts weiter übrig, dann —" Ein tiefer Atemzug hob seine Brust. „Ich werde mit Papa reden."
Aber als er nun im Nebenzimmer seinem Vater mit der Miene der Resignation mitteilte, baß er bereit sei, den Abschied zu nehmen, weil Else erklärt habe, ohne Viktor nicht leben zu können, erhob dieser heftigsten Einspruch. Den Abschied nehen? Davon könne gar keine Rede sein. Der Regiments-Kommandeur habe ihm erst vor Kurzem erzählt, daß Claus im nächsten Jahre zur Kriegsakademie eiuberufen werden würde. Bei seinem Fleiße und bei seiner Begabung sei kein Zweifel, daß er einstmals in den Generalstab kommen würde und daß ihm eine glänzende Karriere bevorstände. Else habe sich zu fügen. Er werde dem Mädel schon den Kopf zurechtsetzen.
Viklor Lehnhard kam erst spät in der Nacht nach Hause. So brauchte er dem Auge seiner Mutter, die ihm sofort angesehen haben würde, daß ihm etwas Außergewöhnliches widerfahren war, nicht mehr zu begegnen. Freilich, die Mitteilung, daß seine Verlobung mit Else aufgehoben sei, ließ sich nicht umgehen, und so beschloß er, am anderen Morgen zu sprechen. Er hatte inzwischen schon so weit die Herrschaft über sich zurückgewonnen, daß ihm seine Mutter beim Frühstück überhaupt nicht das Geringste anmerkte.
Erst als sie die Frage an ihn richtete: „Du warst wohl gestern sehr lange bei Deiner Braut?" zeigte er eine düstere Miene.
„Ich war überhaupt nicht in Else's Familie", antwortete er.
Frau Lehnhard blickte sehr erstaunt.
„Aber Du gingst doch mit dem Leutnant fort! Und ich dachte doch, Ihr würdet den Abend zusammen bei seinen Eltern verleben."
Er schüttelte mit dem Köpft
„Nein, Mutter, wir gingen nur spazieren, und dann ging ich allein und zuletzt aß ich mein Abendbrot in einem Restaurant."
Die alte Dame schüttelte verwundert den Kopf.
„Aber warum hattest Du denn Deinen Entschluß geändert? Es war doch Deine Absicht, den Abend bei Else 'zu verbringen."
Viktor blickte in seine Tasse. Seine Lippen bewegten sich zögernd.
„Ich hatte mit Claus Wollmar eine Auseinandersetzung", antwortete er dumpf.
Frau Lehnhard rückte, grenzenloses Staunen im Blicke, mit ihrem Stuhl zurück und sah ihrem Sohn forschend ins Gesichr.
„Eine Auseinandersetzung? Ich verstehe Dich nicht, Viktor, was denn für eine Auseinandersetzung?"
Viktor zuckte mit den Achseln und blieb die Antwort schuldig.
„Und diese Auseinandersetzung", fragte die alte Dame weiter, „hinderte Dich, den Leutnant zu seinen Ellern zu begleiten?"
Der Gefragte atmete tief.
„Ja/Mutter", stieß er gepreßten Atems hervor. „Wir hatten einen Streit, und wir konstatierten bei dieser Gelegenheit, daß in manchen Dingen unsere Anschauungen weit auseinandergehen, ja, sich geradezu feindlich gegenüberstehen."
Frau Lehnhard furchte ihre Stirn und schüttelte mit dein Kopf. Doch noch beunruhigte sie nicht die geringste Ahnung von dem wahren Stand der Dinge.
„Das ist recht fatal", sagte sie bedauernd, „bei Deinen intimen Beziehungen zur Familie Wollmar. Na, Ihr seid ja vernünftige Männer, Ihr werdet Euch aussprechen und Euch verständigen."
Viktor machte eine entschieden verneinende Geberde.
„Nein, Mutter! Eine Verständigung zwischen uns ist ausgeschlossen. Die Kluft zwischen uns ist unüberbrückbar."
Seine düsteren Mienen, der harte, swarfe Klang seiner Simme erschreckten sie. Sie beugte sich weit vornüber und ihre Blicke hingen in ängstlicher Spannung an dem Gesicht ihres Sohnes.
„Euer Streit drehte sich doch um Gotteswillen nicht um die Beziehungen zu Else?"
Er nickte und stützte seine Stirn in die Hand.
„Viktor!" Die alte Dame sprang entsetzt auf, eilte zu ihrem Sohne hin und umschlang seine Schulter. „Viktor, um Gotteswillen — es ist doch nichts Ernstes?"
„Doch, Mutter — sehr ernst! Ich sagte Dir schon, der Bruch ist unheilbar. Und meine Verlobung mit Else —"
„Viktor!" unterbrach die alte Dame aufschreiend ihren Sohn.
„Ist aufgehoben, Mutter!" vollendete dieser mit dumpfer Stimme. fFortsetzung folgt.s
In letzter stunde.
Weihnachtsnovelle, dem Leben nacherzählt von C. Flum.
Es gibt Leute, die sich niemals im Leben die Mühe nehmen, sich in die Sorgen und Leidendes sogenannten vierten Standes hineinzudenken. Gedankenlos, mit einer gelinden Gänsehaut gehen sie über die tragischen Vorkommnisse des menschenzermürbenden Alltagslebens hinweg, von welchen die Zeitungen großer und kleinerer Städte tagtäglich berichten, froh, daß es sie nicht selbst berührt. „Wird eben ein Lump gewesen sein!" oder: „Ach Gott, wie kann man nur so was tun! — Die armen Kinder!" Mit derartigen Redensarten ist die Sache für die meisten erledigt, auch für die, welche da helfend eingreifen sollten und könnten. Und doch existiert für alle, auch für die Höchsten dieser Welt, das nicht mißzuverstehende Gebot des Welterlösers: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" — Mit einem kleinen Beitrag für Weihnachtssammlungen und vielleicht einigen Mark alle Quartale für einen Wohltätigkeitsverein glauben die meisten Reichen und Wohlhabenden fick) über dies unbequeme Gebot des Nazareners hinwegsetzen zu können. Die ganz Reichen aber kennen die Gebote des „Zimmermannssohnes" großenteils überhaupt nicht, sonst wäre manches anders bestellt. Man braucht noch lange kein Umstürzler zu sein, wenn man solchen Gedanken Raum gibt; sie liegen jedem Denkenden nahe. Solange das werktägige Christentum bei den Begüterten dieser Welt keine tieferen Wurzeln schlägt, wird die „rote Gefahr" nicht mit Erfolg zu bekämpfen sein. Die soziale Gesetzgebung heilt nur die offenen Wunden; die tiefer sitzenden eitern weiter am Leibe der menschlichen Gesellschaft, zerstörend, vernichtend!
Wer einigermaßen Umschau hält und gewöhnt ist, die Augen offen zu halten für die mancherlei Ungerechtigkeiten, die im Menschengetriebe sich jeden Tag äußern, dein bietet sich ein ungeheures Feld zur Beobachtung. Da ist ein ganz fleißiger und tüchtiger Kaufmann. Voll Hoffnungen hat er vor einigen Jahren sein Geschäft begonnen; es ist auch gut vorwärts gegangen. Da kauft ein Großkapitalist in seiner Nachbarschaft Grundstücke zusammen, bald darauf erscheint ein kleines Heer von Handwerksleuten, brechen noch schöne Häuser ab und führen dafür ein mächtiges Gebäude auf: ein Kaufhaus! Bald ist es fertig und floriert, der brave Nachbar Kaufmann ist aber auch „fertig"; da er sich in letzter Zeit in einer seelischen Verbitterung befunden und leider auch den religiösen Halt verloren hat, stehen seine Angehörigen eines Morgens vor einer Leiche! — Ein anderes Bild: Ein strebsamer Buchdrucker hat einen „Anzeiger" gegründet. Es geht, sein Fleiß wird belohnt. Da tut sich eines Tages ein Konsortium mit großem Kapital zusammen und gründet einen „Generalanzeiger" mit niedrigem Jnsertionspreis. Der kleinere Anzeiger muß die Flagge streichen; sein Gründer hat ihn noch einige Zeit zu halten versucht; das, was er sich erworben hatte, ist jedoch dobei langsam, aber sicher fast verloren gegangen. Mit dem Rest probiert er's anderwärts nochmals. Es ginge mit der Zeit, aber zu langsam für das kleine Kapital des von dem Großkapital an die Wand Gedrückten;
er muß wieder Arbeiter werden und muß sich den offenen oder versteckten Hohn der Kollegen gefallen lassen. Anfangs tut's weh, allmählich aber geht's, weil er zäher ist als jener Kaufmaw' und sich an der Arbeit nicht schämt und weil e. sich mit sehr Vielen im gleichen und in anderen Berufen trösten kann: zahlreichen Schremermeistern, die der Möbelfabrikant erdrosselt, Schuhmachermeister, die den Großbetrieben weichen mußten usw. Der Zug der Zeit, aber ungerecht! Die Gesetzgebung weist da noch viele Lücken auf.
Es ist nicht die Absicht des Erzählers, seine Leser nnt der Schilderung sozialer Mängel zu ermüden; dazu ist hier auch der richtige Platz nicht. Das Vorstehende soll nur den Uebergang bilden zu der Schilderung der Leiden und Anfechtungen, die ein Mensch schuldlos oft durchzumachen hat.
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Durch die tiefverschneiten Straßen einer süddeutschen Bijouteriestadt schreitet langsam, die Hände tief in den Taschen, ein großer, starkknochiger Mann. Er ist noch in den besten Jahren, aber etwas leidende Züge lassen ihn älter erscheinen. Sein blasses, schmales Gesicht mit den starken Backenknochen und der Adlernase läßt auf Energie schließen, und doch macht der Mann, der so hoffnungslos vor sich hinsieht und keinerlei Notiz von dem sich ihm entgegendrängenden Menschenstrom nimmt, heute einen nichts weniger als energischen Eindruck. Weiter, immer weiter lenkt er seine Schritte. Draußen bei der Vorstadt macht er endlich Halt und schaut um sich. Ein tiefer Seufzer entringt sich seiner Brust und, den Schnee von einer etwas abseits von der Landstraße stehenden Bank wischend, setzt er sich nieder und vergräbt das Gesicht in den Händen. Lange sitzt er so. Dann und wann erschüttert ein Schluchzen den starken Körper. —
Karl Braun kann weinen — endlich — endlich! Der quälende Druck in der Kehle und auf der Brust, den er schon lange Zeit halb unbewußt empfindet, weicht nach und nach. O, wie das wohltut l —
Ein vollgerüttelt Maß von seelischen Leiden und körperlichen Entbehrungen liegt auch hinter dem Unglücklichen. Es ist nun fast ein halbes Jahr, seit er seine Brotstätte als geschickter Goldschmied in einer der größten Fabriken verloren hat. Unterschlagungen von Goldabfällen, die schon längere Zeit beobachtet wurden, ohne daß man den oder die Täter entdecken konnte, führten zur Entlassung dreier Goldschmiede, die von dem Kabiuettmeister der betreffenden Fabrik der Prinzipalität als verdächtig bezeichnet worden waren; unter diesen dreien traf gänzlich ungerechtfertigter Weise infolge unglücklicher Verkettung von Umständen auch Karl Braun das traurige Los. Alle Unschuldsbe- teuerungeu blieben fruchtlos, ebenso fruchtlos aber auch alle Bemühungen für Erlangung einer anderen Stellung. Das in den Bijouterie-Fabrikkontoren aufliegende sog. schwarze Register tat seine Schuldigkeit totsicher, und zwar nicht nur am Platze, sondern auch auswärts. Mit Haue und Schaufel zu arbeiten unter italienischen Erdarbeitern, brachte er nicht über sich; es wäre wohl auch nicht lange gegangen. Andere Arbeitsgelegenheit fand sich nicht; ab und zu etwas Hausdienerarbeit auf einige Tage.
Wohl hatte seine fleißige Frau ab und zu etwas verdienen können, aber für die stebenköpsige Familie reichte das nirgends recht hin. So ward denn nach und nach der in guten Tagen zurückgelegte Notpfennig aufgezehrt, dann mußte man sich schweren Herzens dazu entschließen, alles im Haushalt Entbehrliche zu veräußern, um das Leben notdürftig weiter fristen zu können. Und heute mittag hatte Braun mit zitternden Händen seiner Frau, die längst keine Tränen mehr fand, wortlos, Verzweiflung im Herzen, seine letzten Pfennige hingegeben. Dann war er fortgegangen, zuerst, wie gewöhnlich, nach dem Arbeitsamt. Es war ein Goldschmied verlangt, aber als er sich vorstellte, erfolgte eben wiederum das bekannte Achselzucken mit der unwahren Ausrede: „Die Stelle ist besetzt."
Was nun? Heimgehen und mit ansehen, wie am Vorabend des hl. Abends das letzte Krümchen Brot verzehrt wurde, ohne die Aussicht, neues für den morgigen Tag beschaffen zu können? Wär's wirklich Sünde, dies Leben von sich zu werfen? —
Horch, ein Eisenbahnzug! Blitzschnell durchzuckt den Armen ein Gedanke; mit ein paar Sätzen ist er auf dem Bahnkörper und legt sich quer über die Schienen. Donnernd naht sich der Zug der Stelle, da — ein greller Pfiff — ein scharfes Bremsen — noch einige Meter, dann hält er. fForts. folgt.j