Nr. 142

Samstag, ro- Nov. I-I>

England, Deutschland, Marokko.

Im dichtbesetzten englischen Parlament hat am letzten Montag Englands Leiter der aus­wärtigen Politik, Sir Edward Grey, dielängst mit Spannung erwarteten Erklärungen über die englische Marokko-Politik gegeben. Die mit der stoischen Ruhe eines echten Engländers gehaltene Rede kann Deutschland im allgemeinen beruhigen, wenn auch nicht voll befriedigen. Grey hat offenbar das Bestreben gehabt, Deutschland gegenüber einen wärmeren Ton anzuschlagen, als man es noch vor einigen Wochen von englischer Regierungsseite ge­wöhnt war. Grey sagte u. a.:Deutschlands Stärke ist in sich selber eine Garantie, daß kein anderes Land einen Streit mit ihm sucht. Das ist eine Seite des Schildes, auf die Deutschland wohl stolz sein kann. Aber die deutsche öffentliche Meinung sollte daran denken, daß es eine andere Seite des Schildes ist, wenn eine Nation die größte Armee in der Welt besitzt, wenn sie eine sehr große Flotte schon besitzt und im Begriffe steht, eine noch größere zu bauen. Dann muß sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um die sonst natürliche Be­fürchtung einer anderen zu verhindern, die keine aggressive Absicht besitzt, daß diese Alachi mit ihrem Heer und ihrer Flotte aggressive Tendenzen gegen sie verfolgen könne. Das ist die andere Seite. Deutschland ist mit Recht stolz auf seine Stärke. Es steht im Begriff, eine große Flotte zu bauen, und es ist gewiß nur natürlich, daß das Anwachsen dieser Stärke Befürchtungen erwecken oder wenig­stens andere Nationen sehr empfänglich für die Befürchtungen macken muß, daß diese erstarke Macht aggressive Pläne gegen sie hege. Ich glaube nicht an diese aggressiven Pläne, ich möchte nicht so verstanden werden, aber man muß sich vor Augen halten, daß andere Nationen besorgt und empfind­lich werden und nach irgend welchen Absichten von aggressiven Absichten ausspähen. Alles, was wir und die andern Nachbarn Deutschlands wünschen, ist, auf gleichem Fuß mit ihm zu leben.

In der deutschen Presse heißt es, daß es ein Teil unserer Politik sei, in Deutschlands Weg zu stehen und die deutsche Ausdehnung zu hindern. Es ist gewiß ein ungünstiger Umstand, daß die marokkanische Frage so oft aufgetaucht ist, iveil sie speziell ein Fall ist, in dem wir eine Abmachung haben, und speziell Interessen, denen wir Wichtig­keit beimessen und die von dieser Abmachung be­troffen werden, und es ist meine persönliche lieber- zeugung, daß es die richtige Politik für England ist, seine afrikanischen Besitzungen künftig so wenig als möglich auszudehnen. Wenn Deutschland freundschaftliche Vereinbarungen betreffend Afrika mit anderen Ländern treffen will, gehen wir nicht darauf aus, ihm irgendwie in den Weg zu treten, ebensowenig wie Frankreich.

Wenn ich offen über die beiden. Reden des deutschen Reichskanzlers im Reichstag sprechen soll, so möchte ich sagen, daß sie, während sie die deut­sche Ansicht aufrecht erhalten, in Ton und Geist derartig sind, daß sie uns den Glauben einflößen, der Kanzler wünsche dies Land stark, aber nicht aggressiv zu sehen. Wenn das der Geist der deut­schen Politik ist, dann bin ich gewiß, daß in zwei oder drei Jahren das Gerede von einem großen europäischen Krieg aufzuhören haben wird. Es wird ein Anwachsen der guten Stimmung nicht nur zwischen Deutschland nnd England, sondern auch zwischen diesen beiden Ländern und den Freunden von beiden stattgefunden haben."

Ueber die bekannten Reden des Kapitäns Faber und des Lord Beresford über die Kriegsbereitschaft Englands im September ging Grey mit einem ziemlich gezwungenen Scherz weg.

Für die Zukunft weiß Grey auch nicht viel Rat. Sonst würde er uns Deutschen nicht den Bären aufzubinden versuchen, daß die Triple-Entente Deutschland vor seinen Feinden Rußland u. Frank­reich geschützt habe, sofern England die Kriegslust der beiden andern Verbündeten zurückgehalten habe I

Da man in Deutschland und anderwärts über­dies nur zu gut weiß, welche Flotte den euro­päischen Frieden bedroht, so wird man die Worte Greys über das Anwachsen der deutschen Flotte nicht tragisch nehmen.

Alles in allem hat man nach der Rede Greys den Eindruck: Unser Verhältnis zu England wird um eine Nuance besser werden, aber auch nur um eine Nuance!

Die Berliner Blätter mit Ausnahme desVor­wärts" besprechen die Rede Greys sehr skeptisch; die französische und russische Presse loben sie natür­lich über den Schellenkönig alstaktvoll"!

Ms Staat uns Umgebung.

Wildbad, 29. Novbr. Die Investitur des neuernannten Herrn Stadtpfarrers Fischer findet erst nächsten Sonntag in der kath. Kirche statt. sVgl. das Inserat in heutiger Nummer.j >

Dem Jahresbericht der A. H. Wern er schen Kinderheilanstalt, die unter der be­sonderen Fürsorge der Kgl. Majestäten und des ganzen Königshauses steht, ist zu entnehmen, daß die Anstalt in diesem Jahr zwei große Bauarbeiten unternommen hat, in Wildbad die Modernisierung der dortigen Anstalt Herrnhilfe, und in Jagstfeld die Erweiterung der Anstalt Bethesda durch Ankauf und Ausbau einer bis dahin schon bestehenden privaten Badeanstalt. Beide Unternehmungen waren schon seit langer Zeit als dringend notwendig erkannt, aber immer wieder wegen fehlender Mittel hinausgeschoben worden, nun ließ sich die Arbeit nicht mehr länger verzögern und die Anstalt richtet daher in diesem Jahr besonders an alle ihre Freunde und Gönner die Bitte um fernere treue Mitarbeit. Neben der Fürsorge für kranke Kinder ist es auch immer mehr die Fürsorge für Krüppel, der in den letzten Jahren besondere Sorgfalt erwiesen wurde.

Blumen im Winter sollten der Stolz jeder Familie sein und wirkliche Blumenfreunde möchten sie auch zu dieser Zeit nicht gerne ver-

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missen, zumal draußen in der Natur jetzt die Vegetation ruht. Einige Vorschläge dürfen daher! erwünscht sein. Wie nett nehmen sich jetzt in den Vorsenstern bewohnter Räume die Alpenveilchen^ (Cyclamen persicum), Primeln (Primula stinensis u. obsconica), Erica neben hartem immergrünen Farn ^ (Asparagus, Pteris, Nephrolepis rc.) aus, die sich! alle in einer kühleren Temperatur ganz wohl füh-' len. Der Kostenpunkt steht in keinem Verhält­nis zu dem Genuß, der dem Auge während der langen Wintertage geboten ist, außerdem wird auch die ideale Freude an der Natur- und Pflanzen­kunde bei Jung und Alt wesentlich gefördert.

Herz und Ehre.

Roman von Arthur Zapp.

(Forts.) (Nachdruck verboten.)

Ja Claus", rief Else Wollmar zu ihrem Bruder,hilf mir! Lieber, guter Claus, Du wirst nicht dulden, daß sie mich von ihm losreißeu, daß sie uns trennen. Ich liebe ihn ja so sehr ich liebe ihn über alle Maßen."

Der Offizier fühlte, wie weh ihm wurde.

Laß uns einmal vernünftig sprechen, Schwester­chen!" sagte er.Du weißt doch, was er getan hat?"

Ja, Mama hat es mir erzählt. O, wie sehr muß er gelitten haben! Nun muß ich ihn noch viel mehr lieben, Claus!"

Der Leutnant konnte eine Bewegung des Er­staunens nicht unterdrücken. Eine Nuance von Miß­stimmung und Unwillen lag in dem Ton seiner Stimme, als er erwlderte:

Noch viel mehr ? Ja, macht es denn gar keinen Eindruck auf Dich, wenn Du Dir sagen mußt: er ist ein Unwürdiger, er hat eine Hand­lung begangen, aus der eine ehrlose, niedrige und schlechte Gesinnung spricht?"

Schlecht? Nein, Claus, schlecht ist er nicht. Ich weiß nicht, warum er das getan hat, aber das weiß ich, daß er es aus ehrloser, niedriger Ge­

sinnung nicht getan haben kann. Du kennst ihn nicht, Claus, wenn Du behauptest, er sei schlecht."

Sie ergriff seine beiden Hände und beugte sich zu ihm hinüber und sie sah ihm voll aufleuchten­der Hoffnung ins Gesicht.

Nicht wahr, Claus", sagte sie mit leidenschaft­licher Dringlichkeit,Du stehst mir bei. Du sprichst mit Papa? Ich könnte es nicht ertragen, wenn nun unsere Verlobung zurückginge, wenn ich Viktor nie mehr sehen sollte. Ich würde daran sterben, Claus, ich könnte ja nie mehr froh und glücklich sein."

Wieder überströmten ihre Augen.

Der Offizier drückte bewegt die Hände der Schluchzenden. Sie hatten immer so innige Ge­meinschaft gehalten von Kind auf und ihre kleinen Leiden und Freuden getreu mit einander getragen und geteilt. Und nun mußte er helfen, ihr den ersten Schmerz ihres Lebens zuzufügen. Er zog sie an sich heran, bettete ihren Kopf an seine Schulter und strich ihr liebevoll über Stirn und Scheitel.

Fasse Dich, armes Kind", tröstete er.Du wirst es überwinden. Sieh', Du kannst ja doch unmöglich glücklich werden mit einem Menschen, den Du ja doch nicht mehr achten kannst."

Ihr Kopf schnellte mit jähem Ruck in die Höhe.

Nicht mehr achten? Warum denn nicht? Ich sollte ihm das, was er vor langen Jahren ver­schuldet, nicht verzeihen? Ich, die ick ihn liebe? Dann wäre ich ja herzlos, dann müßte ich mich selbst verachten und hassen. Wenn ich nun seine Frau wäre, müßte ich dann nicht nach «m gött­lichen Gebot alles mit ihm tragen? Nem, Claus, das könnt Ihr im Ernst nicht verlangen, daß ich ihn treulos im Stich ließe. Mich geht es ja nichts an, wie er früher war. Ich liebe ihn ja doch, wie er jetzt ist. O Claus, mein lieber, guter Bruder, Du wirst mich nicht verlassen. Du wirst nicht wollen, daß ich unglücklich werde. Du wirst mir helfen, Papa zu erweichen."

. Claus wandte sein Gesicht ab. Es war ihm unmöglich, den Blicken, die sich in innigem Flehen mit so gläubigem Vertrauen auf ihn richteten, zu begegnen. Sein Atem ging schwer und mühsam.

Du verlangst Unmögliches von mir, liebe Else", entgegnete er gepreßten Tones.Weißt Du denn nicht, welches Opfer es mich kosten würde, würdest Du Viktor Lehnhards Frau?"

Sie sah ihn mit wirren, fragenden Augen an.

Ich würde", erklärte er,meinen Abschied nehmen müssen."

Deinen Abschied? Ist das auch wahr, Claus?"

Er nickte und sagte mit feierlichem Ernst und Nachdruck:Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich nicht länger Offizier bleiben könnte, wenn meine Schwester einem Manne die Hand reichte, der der eine solche Vergangenheit hat. Und das füge ich noch hinzu: niemals würde ich ihn als meinen Schwager betrachten. Deine Verheiratung mit ihm würde mich nicht nur meinen Beruf, sie würde mich auch meine Schwester kosten."

Claus!" schrie die Unglückliche verzweifelt auf und schlug die Hände vor ihr tränenüberströmteS Gesicht. Sich mit dem Oberkörper auf die Sopha- lehne werfend, brach sie in ein erschütterndes Schluch­zen aus ... .

Der Offizier saß schweigend daneben. Sein Gefühl als Bruder kämpfte einen harten Kampf mit der Liebe zu seinem Beruf, mit seinem Ehr­geiz, mit seinen Idealen. (Fortsetzung folgt.j

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Neue Karte des Württ. Schwarzwaldvereins, Blatt 7: Sulz-Oberndorf. In Kommission bei A. Bonz' Erben in Stuttgart. Preis aufgezogen in Taschenformat 2 Mk. Das 7. Blatt des neuen Vereinskartenwerks umfaßt das Gebiet zwischen der Glatt und dem Pletten­berg, der mittleren Eyach und Dunningen und ist mit Ge­nehmigung des Kgl. Württ. Statistischen Landesamts nach den amtlichen Höhenschichtenkarten hergestellt. Es ist eine wirklich schöne Leistung, die mit diesem Blatt wiederum aus dem kartographischen Institut H. Petters (Inhaber G. Metzeroth) in Stuttgart hervorgegangen ist; die kunst­voll durchgesührte Schummerung in Verbindung mit den Höhenkurven macht das Kartenbild klar und anschaulich und auch dem weniger kartenkundigen Wanderer ohne weiteres verständlich. Die umfassende Wegbezetchnung desSchwäbischen Albvereins" ist ebenfalls auf diesem Blatt in roten Linien eingetragen. Das Blatt entspricht allen billigen Anforderungen, die man an eine gute Wander­karte stellt.

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