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Nr. 297.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

94. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6malwöchentl. Anzeigenpreis: Die kleinspaltig« Zeile 20Pfg., Reklamen 60 Pfg. Schlich der Anzeigenannahme S Uhr vormittags. Fernsprecher 9.

Samstag den K. September 1819.

Bezugspreis: In der Stadt mit Lrügcrloh« Mk. 3.30 vierteljährlich, PostbezugSpreiL im vrts- u. NachbarortSverkehr Mk. 3.60, im Fernverkehr Mk. 3.60, Bestellgelo 80 Pfg.

Ein weiterer Beitrag zur Erkenntnis der Kriegsursachen.

Angebliche Stimmung der Wiener Regierung «ach dem Mord von Serajews.

Wien, 5. Sept. (Korr.-Bur.) Um zu beweisen, wie ungerecht­fertigt das deutsch-österreichische Volk im Friedensvertrag für den Kriegsausbruch verantwortlich gemacht wird, veröffentlicht derMor- gcn""Angebiich authentische Mitteilungen über den Verlauf des ge­meinsamen Mlnistcrrates vom 7. Juli 1914, worüber am Tage darauf die Wiener Vlütter eine amtliche Verlautbarung veröffentlichten, nach der der Minisierrat einberufen worden sei, um sich mit der Beratung der Maßnahmen zu beschäftigen, die in der inneren Verwaltung Bos­niens und der Herzegowina zu ergreifen sein würden. Gleichzeitig habe der Minisierrat diese Gelegenheit zu Vorbesprechungen allge­meiner Natur über das nächstjährige Budget benutzt. Demgegenüber stellt der .Morgen" fest, daß zunächst der Außenminister Graf Berchthold erklärt habe, der Ministerrat sei einberufen, um Maß­nahmen zur Sanierung der durch die Katastrophe in Serajewo zu Tage getretenen Uebelstände in Bosnien und der Herzegowina zu beraten. Zu allererst müsse man sich darüber klar werden, ob nicht der Moment gekommen sei, um Serbien durch eine Kraftäußerung für immer unschädlich zu mache!,. Da ein solcher entscheidender Schlag allerdings nicht ohne diplomatische Vorbereitung geführt wer­den könne, habe er bereits mit der deutschen Regierung Fühlung ge­nommen. Es wäre wohl noch notwendig, mit Italien und Rumä­nien zu rechnen; doch sei er in Uebereinstimmung mit dem Berliner Kabinett der Ansicht, daß es bester wäre, zu handeln, ohne etwaige Kompensationsansprüche abzuwarten. Rußland verfolge die Politik des Zusammenschlusses der Balkanstaaten mit Rumänien und würde gewiß im entscheidenden Moment den Balkanbund gegen Oesterreich- Ungarn ausspielen. Deshalb müßte man zur Stärkung der Position der Habsburger Monarchie und weil Abwarten als Schwäche aus­gelegt werden könnte, ein Auvorkonimcn durch die rechtzeitige Ab­rechnung mit Serbien, um den jetzt im Gange befindlichen Entwicke­lungsprozeß auftuhalten, versuchen, was später zu tun nicht mehr möglich wäre. Auf die Vorstellung des Grafen Tisza, der erklärte, sich nicht unbedingt zum Kriege entschließen zu können, da mau auch durch einen entsprechenden diplomatischen Erfolg eins starke Demü­tigung Serbiens erzielen könne, erklärte Berchthold, eine radikale Lösung sei nur durch energisches Einschreiten möglich. Auch Mi- nistervrä^d"'^ Myas Stürkgh sprach, indem er sich auf die Meinung dos Lank---.Hess in Bosnien, General Poliorck, berief, für einen kräftigen Schlag gegen die Serben aus. Der Pole Vilmski erklärte, als oberster Verwalter Bosniens und der Herzegowina könne er sich m.t einem diplomatischen Erfolg allein nicht zufrieden geben. Der­selben Anschauung war der Kriegsminister, der daran erinnerte, daß die letzten Kriege stets ohne Kriegserklärung begonnen wurden. Trotz­dem wies Graf Tisza nochmals auf die Furchtbarkeit eines euro­päischen Krieges unter den derzeitigen Verhältnissen hin und Graf Berchtbold stellte als Ergebnis der Debatte fest: 1. daß alle Bcr- sammelte,, eine «sche Entscheidung mit Serbien im kriegerischen »der friedlichen Sinne wünschten, 2. daß der gemeinsame Ministerrat bereit wäre, sich der Ansicht des Grafen Tisza anzuschließen, wonach erst mobilisiert werden solle, nachdem konkrete Forderungen an Serbien gerichtet i nd diese zurückgcwiesen worden wären, 3. daß alle Anwe­senden nnt Ausnahme Tiszas der Ansicht seien, daß so weitgehende Forderungen an Serbien gestellt werden müßten, die eine Ablehnung vorausschen ließen, damit eine radikale Lösung im Sinne eines mili­tärischen Eingreifens ungebahnt werde. Begreiflich wäre diese Stimmung durchaus, nur ist die hier zum Ausdruck gebrachte Auf­fassung der leitenden Staatsmänner Oesterreich-Ungarns typisch für den geradezu trostlosen, Dilettantismus in der Beurteilung der äuße­ren Lage, wie er sich auch bei den deutschen Staatsmännern in ver­hängnisvoller Weise herauSgestelli hat.

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^Englische Willkür im bssstzten Gebiet.

. Berlin. 6. Sept. Aus Düren berichtet dieRassische Zeitung", daß das englisch» Militärgericht a» einem Tage führende Bürger »u 35 Monaterr Gefängnis verurteilt hat, weil sie eiu« englische Reglmentsfahne nicht gegrüßt habe«.

Die Pfälzer mehre« sich

Legen die französischen Lostrenrm«gsbestrebrmgen.

. Mannheim, 5. Sept. Die »Pfalzzeutralc" meldet: Gestern fand T,^Enkeuthnl die erste öffcaliche'Versammlung statt, zu der sämt- rche Parteien eingeladen hatten und die einen gewaltigen Besuch zu erzcichnen hatte. Der lyrhrheitssozialistische Abgeordnete Profit

, as große politische Referat über die pfälzische Frage und sprach «t das Todesurteil über die Loslösungsbestrebungen aus. Die Haas und Genossen bezeichnet- er zum ersten Male öffentlich als poch- und Landesverräter. Die Vertreter der übrigen politischen Parteien sprachen sich in gleichem Sinne aus. Die Reden endeten Gebt den Pfälzer« Rede- und Versammlungs­freiheit, dmnit sie ihre politischen Angelegenheiten selbst erledigen onnen; dann wird auch Ruhe im Lande eintrcten. Eine Reso- unon rn diesem Sinne wurde von den Tausenden Versammlungs­

teilnehmern angenommen. Am nächsten Sonntag finden gleiche Ver­sammlungen in Speyer, Neustadt a. H., Zweibrücken, Kaiserslautern, Pirmasens, Landau usw. statt.

Mannheim, 5. Sept Die letzte der im Zusammenhang mit den Vorgängen in Ludwigshasen verhafteten Personen, der Postbote Fuhrmann, ist nunmehr auch aus der Hast entlasten worden. Da­mit ist die Gefahr des drohenden- Generalstreiks beseitigt. Die Vor­gänge auf dem Hauptpostamt Ludwigshafen haben noch ein zweites Opfer gefordert. In der letzten Nacht ist im Krankenhaus Ludwigs- Hafen der Postschaffner Funk seinen Verletzungen erlegen.

Selbständigksilsbervegrmgen km Elsaß.

DieVoss. Ztg." meldet aus .1 orlsruhe: Infolge des Umsichgreifens der nationalistischen Bewegung im Elsaß verlangt die offiziöse elsässische Presse in Leitartikeln Hoch- oerraisprozesse gegen die Autonomisienführor Napv, Ley und Muth wegen Aufforderung des elsässischen Belkes zur Er­hebung und Gefährdung der Sicherheit des Staates. In einem Artikel desLe Rhin" fordert Wetterle die fran­zösische Regierung zu energischem Einschreiten auf. Es steht fest, daß die Eisenbahn-, Post- und Volr»eibeam<en gemein­same Sachs mit de» Antonomisten im Elsaß nahen. Das Land ist von ihren Flugschriften überschwemmt. (Jetzt scheint es dein Erzhalunken, Peter Wetterle, unheimlich zu werden.)

Drohende Zwangsmaßnahmen d. Entente im Falle der Nichterfüllung der Kohlenlieserrmgspslicht.

Berlin, 4. Sept. Folgende Nachricht geht, nach dem Stutt­garterNeuen Tagblatt" dem Berner Berichterstatter der Bad. Volksztg." indirekt aus Paris zu: Der Oberste Rat der Alliierten hat am letzten Samstag in einer geheimen Sitzung beschlossen, falls Deutschland die vorgeschriebene Menge Kohlen (26 Millionen Tonne» jährlich) bis zum 31. Dezem­ber 1919 nicht vertragsmäßig abliefert, ihm am 1 . Januar 1986 eine Rote zu überreichen, in welcher mitgeteilt wird, daß die Lebensmittelzufuhr für Deutschland aufs neue ge­sperrt wird, und zwar soll die Verfügung am Tage der Zustellung ln Kraft treten. Ferner wird in der Note ver­langt werden, daß die gstüudige Arbeitszeit für die Berg­arbeiter in Deutschland sofort einzuführen ist. Endlich be­bakten sich die Alliierten vor, die deutschen Kohlengebicte zu besetzen.

Oesterreichische Hoffnungen.

* Wie«, 5. Sept. DeN Blättern zufolge erklärte Staats­kanzler Renner bei seiner Ankunft Pressevertretern u. a.: Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags ist unsere Arbeit nicht beendet. Wir betrachten den Abschluß der Friedens- Verhandlungen nur als eine Etappe in dem Jnstanzcnzng und wir werden von der Reparationskommission und dem Völker­bund weiterkämpfen. Sonntag fahre ich wieder nach St. Der­mal», um dort nach den in Wien eingeholten Beschlüssen zu handeln.

Die Aussaugungskommisston in Oesterreich.

' Berlin, 6. Sept. LautV. Tgbl." wird der Unteraus­schuß der Wiedergutmachungskommission, der seinen Sitz in Wien hat, die Vertreter folgender Staaten umfassen: Ame­rika, England, Frankreich, Italien, Griechenland, Polen, Ru­mänien, Südslavien, Tschecho-Slowaket. Bet Abstimmungen werden Amerika, England, Frankreich und Italien je zwei Stimmen haben. Deutsch-Oesterreich wird durch einen Kom­missar ohne Stimmrecht vertreten sein.

Vorarlberg bleibt bei Oesterreich.

* Berlin, 6. Sept. DieD. Tagesztg." gibt eine Mutung desJournal d« Eeneve" wieder, wonach der Fünferrat den Vorschlag fallen gelassen hat, Vorarlberg unter Vor­behalt einer Verständigung zwischen der Schweiz und Oester­reich der Schweiz zuzuteilen. Frankreich wollte dem Wunsch der Vorarlberger Bevölkerung entgegenkommen, während Italien, das schließlich die angelsächsischen Staaten auf seine Seite zog, dagegen war.

Ungarn will die deutschen Gebiete nicht abtreten.

* Wien, 5. Sept. DasN. W. Tgbl." meldet aus Wiener- Neustadt: Der Negierungskommissar der Budapester Regie­rung für Westungarn, Eraf Sigray, teilte dem Negie­rungskommissar für Oldenburg, Fertrag, in einem Telegramm mit. daß der zwischen der Entente und Deutsch-Oesterreich ab- zuschlicßende Vertrag für die ungarische Regierung nicht als bindend erachtet werde, da die ungarische Regierung mit der Entente noch keine entsprechenden Friedensvereinbarungen ge­troffen habe. Die ungarische Regierung erkenne daher die Gültigkeit dieses Vertrags noch nicht an und werde einer eventuellen Besetzung Deutsch-Westungarns mit Waffengewalt

entgegentretr» und sie verhindern. Gleichzeitig wurden dis magyarischen Truppen angewiesen, den Erenzverkehr zwischen Deutsch-Oesterreich und Ungarn streng zu überwachen und das eventuelle Ueberschreiten der Grenze durch Deutsch-Oesterreicher zu verhindern. Auch andere Blätter bestätigen die Meldung von der Grenzsperre.

i Zur Frage der Verteilung

des östlichen RdriausergebiLls.

* Berlin, 6. Sept. Nach einer von derD. Allg. Ztg." wiedergegebenen Meldung desPopolo d'Jtalia" beruht der zwischen England, Frankreich und Italien vereinbarte Ver­mittlungsvorschlag zur Lösung der italienischen Eebietsfragcn auf folgender Grundlage: Za.ra wird Freistadt unter dau­ernder Verwaltung durch Italien. Fiume wird gleichfalls Freistadt und soll durch je zwei italienische Und südslavische Kommissare, sowie einen Vertreter der Stadt selbst kontrolliert werden. Von den südslaoischen Kommissaren wird der eine durch die Belgrader Regierung, der andere durch den Rat des Völkerbunds bestimmt.

Das englisch-französische Bündnis.

(WTB.) Versailles, 5. Sept. In der nächsten Woche wird, demTemps" zufolge, Lloyd George nach Paris kommen, um mit Clemenceau eine Reihe England und Frank­reich betreffenden Fragen zu besprechen.

Wiederaufnahme des telegraphischen

Verkehrs mit 3t, lien.

Bern, S, Sept. Nach Mailänder Blättern hat sich die Militär­behörde mit der Wiederaufnahme des telegraphischen Verkehrs zwi­schen Italien und den Mittelmächten einverstanden erklärt.

Gins neue Nnabhängigkettsbervsgung

in AegypLä j.

Bern, 5. Sept. LautSecolo" sind in Rom Nachrichten einge- gaugen, nach denen in Aegypten eine neue nationalistische Bewegung im Gange ist. Die Unobhängigkcitsbcwegung habe auch auf Kreise übergegriffcn, die bisher indifferent geblieben waren.

Der amerikanische Senat und der Friedensvertrag

(WTB.) Washington, 6. Sept. (Reuter.) Der Senats­ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat ungeordnet, daß "der Fricdenevertrag dem Senat mit 24 Vorbehalten über­mittelt wird, in denen eine Bürgschaft bezüglich der Mouror- lehre und bezüglich innere» Fragen verlangt wird. (Die Amerikaner wollen sich also in alle Dinge auf der ganzen Welt cinmischen, aber in die Angelegenheiten Amerikas soll niemand etwas drcinzureden haben.)

MnwsWSrmuWndAHsuchlerWIlsoii

Washington, 5. Sept. Nachdem nun das amerikanische Volk ^allmählich aus dem Kriegs- und Siegestaumel erwacht und bereits die republikanischen Senatoren scharfe Stellung gegen Wilson und den Friedensvertrag genommen haben, zieht 4ie Bewegung immer weitere Kreise. Nunmehr greifen auch die Frauen in den Kampf gegen Wilson ein. Unter ihren vielen öffentlichen Kundgebungen ist wohl am besten zur Be­leuchtung der Situation ein offener Brief an Wilson geeignet, der inWomens International Bulletin" veröffent­licht wurde, und lautet:

An Sie, Woodrow Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten, richten wir eine Botschaft jener amerikanischer Frauen, deren Hoffnungen auf eine bessere Weltord- nuirg nach dem Kriege durch Ihre und Ihrer Kollegen Handlungen im Friedensrat zertrümmert wurden. Voller Staunen und Entsetzen waren wir Zeugen, wie Sie ein Prin­zip der Demokratie und der internationalen Gerechtigkeit nach dem anderen aufgegeben haben; trotzdem Sie selbst diese Prinzipien verkündet hatten; trotzdem Sie selbst das amerikanische Volk veranlaßt hatten, für diese Prinzipien seine Kraft einzusetzen und sein Blut zu vergießen.

Obschon die Völker der Welt allgemein anerkannt, ob­schon Sie selbst verkündet hatten, daß ein gerechter Friede nur bei offenen Türen möglich war, schlossen Sie sich hinter verschlossenen Türen in Paris ein und unter­nahmen «s, mit zwei oder drei anderen Männern die Pro­bleme der Welt zu losen, ohne den Völkern eine Gelegenheit zu geben, zu hören oder gehört zu werden. Sie, der Sie für die Demokratie als der Welt Hoffnung und des Krieges inner­sten Punkt eingetreten waren, verschlossen Ihr Ohr den Völ­kern von Irland, Indien, Aegypten, China und Korea, die Selbstregierung und Selbstbestimmung erbaten. Eie find auch nicht davor zurückgeschreckt, die Waffe des Hungers und der militärifchen Gewalt zu führen, um die Arbeiter«