München, 10. Januar. Mitte Dezember verschwand hier ein 16jähriger Bäckerlehrling und alsbald verbreitete sich das Gerücht, daß ihn sein Lehrmeister bei einer Züchtigung durch Unvorsichtigkeit erschlagen und um die Leiche zu beseitigen und die Tat zu verdecken, den Jungen im Backofen verbrannt habe. Dieses Gerücht verbreitete sich immer mehr. Das Haus des Bäckers wurde wiederholt von einer aus­gebrachten Menge belagert, der Bäcker bedroht; er fand keine Abnehmer seiner Ware mehr. Nun hat sich, wie dieFrkf. Ztg." schreibt, herausge­stellt, daß der Vermißte in Haft in Erding sich befindet, nachdem er sich die Zeit über als Landstreicher Herumgetrieben hatte. Er hatte wegen zu späten Heimkommens ins Geschäft eine Rüge erhalten und war deshalb durchge gangen. Das falsche Gerücht von der Ermor­dung hatte ein Konkurrent des Lehrmeisters des Jungen erfunden und verbreitet.

Welch mächtige Bäume der Spree­wald hier und da noch anfzuweisen hat, zeigt ein Eichenstamm, den ein Lübbener Fabrikbe­sitzer in Rylegure gekauft hat. Der durchweg gesunde Baumstamm hat einen Durchmesser von 2^/e Meter, wiegt über 310 Zentner und kostet mehr als 1000 Mark. Im Straupitzer Revier sind noch stärkere Eichen anzutreffen, die über 3 Meter im Durchmesser haben.

Zürich, 15. Jan. Leopold Wölfling beauf­tragte einen der ersten Anwälte Zürichs mit dem Studium der Rechtsfrage, ob eine Mög­lichkeit vorhanden sei, daß er nach Scheidung von seiner Frau wieder Erzherzog werden könne. Die Scheidungsklage ist jetzt von beiden Seiten definitiv eingereicht. Der Prozeß wird in nächster Zeit in Gens verhandelt werdin, der Anwalt Wölflings ist Lachenal.

Ueber den Bau einer Bergbahn auf den Matterhorngipfel wird aus Zürich gemeldet: Beim Bundesrat ist ein Konzessionsgesuch der Ingenieure Golliez und Jmfeld eingegangen, betreffend den Bau einer elektrischen Zahnrad­bahn Zermatt-Matterhornspitze. Das Projekt sieht zwei Sektionen vor. Die erste soll eine Zahnradbahn mit elektrischem Betrieb, einem Bahnhof, BiegeZermattbahn ausgehend, über Zmuttbach durch das Hörnli nach Matterhorn- hütre (3052 Meter) führen; von dort soll das etwa 20 Meter unterhalb vom Gipfel gelegene Plateau vermittels zweier Drahtseilbahnen er­reicht werden. Das Endstück geht durch einen 2230 Meter langen, fast senkrechten Tunnel mit einer Maximalsteigung von 95 v. H. Die Endstation soll auf 4475 Meter stehen. Die Dauer der Bauzeit wird auf vier Jahre ge­schätzt. Die Herstellungskosten sind 10 Mil- lionen. Die Dauer der Fahrzeit währt eine Stunde und 50 Minuten, gegenwärtig braucht man für einen Aufstieg von Zermatt aus mit Abstieg 24 Stunden.

London, 10. Januar. DieDaily Mail" werft in einem Artikel über die deutschen Wähler nach, daß der Gang der Ereignisse in Deutsch­land die Theorie der Sozialdemokratie hoff­nungslos Lügen gestraft habe und daß von ihrer Voraussetzung, daß die Armen immer ärmer werden müssen, gerade das Gegenteil eingetroffen sei. Das bitter deutschfeindliche Blatt stellt dann dem modernen Deutschland folgendes Zeugnis aus:Nie lebten die Deut­schen unter so günstigen Umständen wie heute; nie hat es weniger Arbeitslose gegeben, nie waren die Löhne so hoch; nie hat man einen so überzeugenden Beweis eines zunehmenden Wohlstandes aller Klassen gehabt. Deputatio­nen britischer Arbeiter haben ihr Erstaunen über die deutsche Prosperität ausgedrückt. Die Birminghamer Mesfingarbeiter erklärten, die deutschen Arbeiter scheinen schon alles zu haben, und wir können nicht begreifen, warum sie agitieren, und die GainSborougher Deputation stellte fest, die englischen Arbeiter hätten keine Vorstellung von dein Komfort, dessen sich ihre deutschen Kameraden erfreuten."

London, 16. Jan. Das Kolonialamt hat vom Gouverneueur von Jamaika nachstehendes Telegramm erhalten: Ein heftiges Erdbeben hat unter den Gebäuden der Stadt Kingston großen Schaden angerichtet. Eine dadurch ver­ursachte Feuersbrunst ist noch nicht bezwungen,

beschränkt sich aber auf ein Sechzehntel der Stadt, darunter die Hafcnanlagen und Spei­cher. Das Feldlazarett ist zerstört. Unter den 30 Toten befindet sich kein Offizier, dagegen ist Major Haldyman schwer verletzt. Im allge­meinen Krankenhouse, das stark überfüllt ist. haben gegen 300 Verletzte Aufnahme gefunden. Die Gewalt des Brandes ist jetzt im Abnehmen. Das Myrtlebankhotel ist zerstört, ebenso die Telegraphenleitung der Stadt. Es treten noch leichte Erdstöße aus.

New-Aork, 16. Jan. Ueber das Erd­beben in Kingston werden noch folgende Ein- zelheiten gemeldet: Die Feuersbrunst vollen­dete das Zerstörungswerk des Erdbebens. Das Geschästsviertel gleicht einem Haufen glimmen­der Asche. Die Kirche», öffentlichen Gebäude und Hotels sind zerstört. Unter den Getöteten befinden sich bekannte Geschäftsleute.

A« AM und Ilmgedmig.

Wildbad, 16. Jan. Wie uns mitgeteilt wird, sind die Zeichnungen für das Aktienkapi­tal der Bergbahn nunmehr auf 153000 Mk. gestiegen, ohne die Beteiligung der Eßlinger Gesellschaft. Die hiesigen Zeichnungen sollen nunmehr in den nächsten Tagen zum Abschluß gebracht werden und wollen hiesige Interessen­ten, die noch nicht gezeichnet haben, dies mög­lichst beschleunigen. Bei der Höhe der bishe­rigen Zeichnungen ist am Zustandekommen des Unternehmens nicht mehr zu zweifeln.

In der letzten Sitzung der bürgerlichen Kollegien fand die feierliche Beeidigung der neu gewählten Bürgerausschußmitglieder statt. Stadt­schultheiß Baetzner erwähnte hiebei die im verflossenen Jahr durch die Stadtverwaltung erledigten, teilweise recht bedeutenden Arbeiten, so die Erbauung eines städtischen Elektricitäts- werks und einer weiteren Wasserleitung, Aus­dehnung der Straßenbeleuchtung bis zum Windhof, Schaffung einer wirksameren Reklame für den Kurort unter Mitwirkung des neu ge­gründeten Kurvereins, Herausgabe eines illu­strierten unentgeltlichen Führers von Wildbad. Als Arbeiten des neuen Jahres bezeichnete der Stadtvorstand die Erbauung der beiden VillenstraßenPark- und Bätznerstraße", die Ausführung der Bergbahn, die Fürsorge für Arbeiterwohnungen, Vorarbeiten für den Neubau eines Realschulgebäudes und eines neuen städtischen Krankenhauses.

Neuenbürg, 11. Januar. Den Eltern des schon seit 2flo Jahren in Südwestafrika im Felde stehenden Gefreiten Wilh. Blaich, Kamm­machers Sohn, wurde, nachdem sie schon längere Zeit ohne Nachricht geblieben, nachträglich noch eine schöne Weihnachtsfreude zu teil, denn dieser Tage kam eine Kiste mit Waffen und Jagd­trophäen aus dem fernen Afrika an, welch letz­tere der Feldsoldat selbst, solange er auf Stations- und Farmerwachen kommandiert war, erlegt hat und zwar eine große Anzahl Gams­bock-, Sprungbock- und Steinbock-Hörner, Ge­hörne von Spießbock- und Hartbeest-Antilopen; letztere bis zu einem Meter Länge, prächtige Dackelfelle, wirklich schöne Straußenfedern und sogar ein Straußenei von mächtigem Umfange, ferner Ovambopfeile, Kirrin (Knüppel) und einen Dolch von unseren schwarzen Landsleuten, auch ein Album mit 100 der schönsten Ansichten aus der Kolonie mit nachstehender Widmung sandte er mit:Wo ein deutscher Mann, in treuer Pflichterfüllung für sein Vaterland fal­lend, begraben liegt und wo der deutsche Aar seine Fänge in ein Land geschlagen hat, das Land ist deutsch und soll deutsch bleiben."

Alten steig, 14. Januar. Ja letzter Woche bereiste der seitherige Reichstagabg. Schweick? Hardt, den die Volkspartei wieder als Kandidat aufgestellt hat, unsere Gegend. Gestern sprach er in den Orte» Fünfbronn, Simmersfeld, Ueber- berg und abends noch hier vor einer zahlreich besuchten Versammlung im Gasthaus z. Sternen. Der von dem Bund der Landwirte und der konservativen Partei aufgestellte Kandidat Oeko- nomierat Adlung vom Sindlinger Hof wird in dieser Woche den Bezirk bereisen. Auch die Sozialdemokratie läßt es an Rührigkeit nicht fehlen.

DemCalw. Wochenbl." wird geschrie­bene In Anbetracht der bevorstehenden Reichs­tagswahl ist es von Interesse, wie sich das Stärkeverhältnis der Parteien im 7. Reichs­tagswahlkreis (Calw, Herrenberg, Nagold, Neuen­bürg) zu einander verhält. Die Deutsche Partei vereinigte bei der Proporzwahl in diesen vier Oberämtern 19991, die Volkspartei 41353, das Zentrum 5468, die Konservativen und der Bauernbund 47 046 und die Sozialdemokratie 23960 Stimmen auf sich; alle Parteien zu­sammen ergeben 137 818 Stimmen; die Hälfte etwa beträgt 68909. Die stärkste Partei des Wahlkreises ist der Bauernbund, am nächsten steht die Volkspartei, hierauf die Sozialdemo­kratie, dann Deutsche Partei und zuletzt das Zentrum. Keine dieser Parteien ist im Stande, die absolute Majorität zu erlangen. Deutsche Partei und Bauernbund verfügen über 67 037, Volkspartei und Sozialdemokratie über 65313 Stimmen; auch die Verbindung von je zwei der genannten Parteien reicht noch nicht zu einer Majorität auS; die Entscheidung würde beim Zentrum ruhen, gibt dieses seine Stim­men nach rechts, so haben die rechtsstehenden Parteien die Oberhand, andernfalls die links­stehenden Parteien. Deutsche Partei und Volks­partei zusammen erreichen 61344 Stimmen, auch sie besitzen nicht die Majorität. Das Mandat hat bis jetzt die Volkspartei inne ge­habt; aus den angeführten Zahlen ergibt sich aber die Tatsache, daß die Volkspartei aus eigener Kraft den Wahlkreis nicht erringen kann, sie ist auf die Wahlhilfe einer anderen Partei angewiesen und auch dann wird ein Sieg nur nach größerer Anstrengung möglich sein. Ob die Reichstagswahl das ähnliche Er­gebnis wie die Landtagswahl haben wird, ist natürlich ungewiß, es können hier noch Um­stände eintreten, die ein anderes Stimmenver­hältnis herbeiführen werden.

HtnterHattenöes.

Das Testament.

Erzählung von Georg Hartwig.

(Forts.) (Nachdruck verboten.)

X

In das Familienleben der verwitweten Stadträtin Schnitzer hatte dieser unerhörte Vorfall reichlich Dornen der Unruhe gesät.

Weder die Schande, welche ihrem Hause widerfahren war. noch die nachträgliche Angst, einen Mörder unter ihrem Dache beherbergt zu haben, konnte die brave Frau überwinden, und fand es ganz natürlich, ihre Tochter, sobald der Name Jordans erwähnt wurde, in Tränen aus­brechen zu sehen.

Selbst Franz Gehricke gegenüber, der seine Besuche mit bescheidener Dringlichkeit häufiger werden ließ in dieser Zeit, hielt sie die ange­griffenen Nerven des jungen Mädchens energisch aufrecht.

Ja, meinen Sie denn, Herr Franz," sagte sie, diesem eine mißbilligende Aeußerung kur­zerhand abschneidend,daß wir von Pappe sind? Martha und ich? Oder daß wir die Gewohnheit haben, Mieter ohne Köpfe uns vorzustellen? Denn wie ich nur gestern im Cafe erfuhr, wird man Wilfred Jordan mit Nächstem um den seine» kürzer gemacht haben."

Mutter!" schrie das junge Mädchen auf und barg ihr Antlitz in beide Hände.Sage das nicht! Es wäre, als ginge mir das Schwert durch meinen eigenen Nacken."

Sieht das aus, wie Pappe?" fragte Frau Schnitzer ihren Besucher eindringlich.

Nein," sagte er, die Hände immer heftiger reibend. Fräulein Martha scheint allerdings dem Angeklagten ein lebhafteres Interesse zu­zuwenden, als seinen Richtern.

Sie sind nicht sein Richter," rief das junge Mädchen.Sie nicht! Ich nicht! Gott allein!"

Und das Schwurgericht!" ergänzte Frau Schnitzer.

Er ist doch nicht schuldig, Mutter!" sagte Martha, sich von ihrem Sitze unter der Epheu- laube erhebend und zu beiden tretend.Glaube