IlrrlerHattenöes.
Das Testament.
Erzählung von Georg Hartwig. sForts.) Machdruck verboten.)
„Nein, nein!'' rief sie hastig. „Das ist sehr voreilig gedacht und vermehrt meinen inneren Vorwurf."
„Vorwurf?" wiederholte Balder den Blick ihrer halbgeschlosfeueu Augen suchend, denen dieses Versteckspiel wunderbar geläufig war. „Was könnte das für ein Vorwurf sein, der in dieser Brust Raum beanspruchte?"
„Und doch ist er darin," erwiderte sie lächelnd und nie hatte ihr Mund eine größere Ähnlichkeit mit frisch gepflückten Purpurnelken als in diesem Moment. „Und er gipfelt darin, daß Sie nicht sein sollten, wo Sie augenblicklich sind."
„Nicht bei Ihnen?" flüsterte er, um ein gutes Teil kühner gemacht durch diele verführerische Koketterie. „Wo kann ich denn anders sein mit den Wünschen, die mich beseelen, die mir keine Ruhe mehr außerhalb Ihrer Nähe gestatten? Die mir das Leben noch in einer Voraussicht als einen Genuß, nicht als eine Entbehrung erscheinen lassen?"
„Ich weiß es nicht!" sagte die schöne Frau, ihre kleinen Füße gegen den Kaminrost stemmend. „Wenn Sie nicht wissen!" fügte sie scherzend hinzu.
„Ob ichs weiß!" Er umfaßte schnell die Lehne des Schaukelstuhles und bog sich über ihr Antlitz, das sie gar nicht die Absicht hatte, ihm zu entziehen. „Der gestrige Abend hat mir verraten, wo ich jene Selbständigkeit finden kann, ohne welche mein Reichtum ein lebloser Besitz bleibt."
„Und wenn Ihr Gefühl Sie irreführte?" fragte sie, die Katastrophe weislich hinzögernd. „Oder wenn das meine in Ihnen abermals irrte? Die erste herbe Lehre empfing ich bereits. Wer steht mir dafür gut, daß keine zweite mir vollends den Glauben an Ihr Geschlecht zerstöre?"
„Ihr eigenes Herz. Ich weiß es ja, Sie lieben mich," rief er mit etwas größerer Siegesfreude, als für diese zaghafte Schlußfrage ««gemessen war.
„Um so viel eher Besonnenheit von beiden Seiten," flüsterte die junge Frau mit erwachender Nervosität. Sie überdachte ihre Pekuniären Verlegenheiten. Es fiel ihr durchaus nicht ein, ihm ein Geständnis zu machen, wie Wil- fred Jordan.
»Meine traurige Vorgeschichte kennen Sie," fuhr Elsriede von Karstenbrock mit melancholischer Stimme fort, die in Balder den unbesiegbaren Wunsch aussteigen ließ, sie an sich zu pressen und allen weiteren Eröterungen ein Ende zu machen. „Von Ihnen weiß ich nur das eine —"
„Daß ich ein reicher Mann bin," flüsterte er, ihren Arm küssend.
„Nein, das weiß ich nicht," sagte sie lebhaft, sich ausrichtend, „das heißt, ich weiß es jetzt. Ich meinte das schöne Eine: Ihre Liebe, Heinrich !"
„Diese Liebe ist reich, reich in doppeltem Sinne, flüsterte er, seine Wangen gegen ihre Schulter drückend. „Sie kann ihre Worte und Werke vergolden, sie kann das Glück gestalten nach deinen Wünschen. Was du befiehlst, verschafft sie Dir, legt Dir ihre goldenen Hände unter diese reizenden Füße."
Die schöne Frau lächelte, indem sie gewährend in sein Auge sah, dem die Flamme der Leidenschaft entsprühte. Sie erwog, daß ihres Bleibens hier nicht viel länger sein konnte, da Jordans romantische Empfindlichkeit ihr sonst unangenehme Steine auf den goldenen Weg werfen konnte.
„Und wenn ich einwillige, die Ihre zu werden?" fragte sie, die roten Lippen ihm zuwendend, „wenn ich voller Vertrauen noch einmal das Joch, welches Ihre Liebe über meine Freiheit werfen will, annehmes wollen Sie mir die Zeit der Verstandeserwägungen, die sich so leicht nicht beeinflussen lassen, wie die des Herzens, verkürzen? Wollen Sie mir — oh nur keinen
langen Brautstand, Heinrich," flüsterte sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit.
Bei den letzten Worten verließ ihn seine eigene Verstandeserwägung so völlig, daß er den überraschenden Wunsch der jungen Frau nur im Lichte seiner eigenen Wünsche erblickte Er umschlang sie, und indem er dies tat, wiegte er sie in seinen Armen und im Schaukelstuhl zugleich. Seine geschmeidige Gestalt glitt dabei von dem Tabourett herunter und an ihre Seite so daß sie das Haupt, welches er gegen ihr unruhig pochendes Herz drückte, mit ihren Armen umspannen mußte.
„Da will ich liegen und nichts denken," stieß er wie mit Anstrengung hervor, als habe der ausbrechende Strom seiner Gefühle ihm die Zunge gelähmt. Nichts fühlen und nichts denken als an Dich, an die Wonne Deiner Liebe."
Sie fuhr leicht zusammen.
„Steh auf!"
„Nie mehr!" flüsterte er, sich nur fester an sie schmiegend.
Er fühlte, daß ihr Herz sehr heftig und unregelmäßig schlug.
„Wenn man uns überrascht, mich in dieser Morgentoilette — unmöglich! Steh auf, man kommt! Der Diener — ich weiß nicht —"
Sie hatte ihn von sich gedrängt und war aufgesprungen. Balder mutzte ihrem Beispiel folgen. So stand sie, als der roie Vorhang zurückschlug und Wilfreö Jordan in seinem Rahmen erschien.
Er hatte diese Stunde mit ungestümer Sehnsucht erwartend, den Weg zur Villa Karstenbrock mit beflügelter Eile zurückgelegt und im Vollbesitz dessen, was er der jungen Frau zu sagen und zu werden kam, den Diener beiseite geschoben um unangemeldet vor der Geliebten niederzusinken.
Sein Blick erstarrte, als er die Gruppe überflog, deren Lebendigkeit in Haltung und Ansdruck keiner Erläuterung bedurfte.
„Adieu denn für jetzt," unterbrach Elfriedens Stimme das lastende Schweigen, „und auf Wiedersehen morgen!"
Heinrich Balder, dem der Urheber dieser Störung noch unangenehmer erschien, als die Störung selbst, wandte sich von Jordan mit mißächtlicher Geberde ab, küßte die ihm entgegengestreckte Hand der jungen Frau und eilte, als könne er die Luft mit jenem nicht gemeinsam atmen, rasch aus dem Gemach.
Elfriede, die Unordnung ihres weiß n Gewandes bemerkend, zog sich nach dem Spiegel zurück, ohne die geringste Gemütsbewegung zu verraten.
„Was fällt Ihnen denn ein, hier ohne weiteres einzudringen?" fragte sie scharf. „Mit welchem Rechte? Wahrscheinlich mit demselben Recht mit welchem Sie gestern abend mich und meine Gäste verließen."
„Ich war elend," murmelte er, ohne ihre schlanke Gestalt aus den Augen zu lassen, „es gab keinen elenderen Menschen als mich - doch," unterbrach er sie aufklärend, „jetzt bin ich es noch mehr!"
Sie hatte die Achsel gezuckt.
„Elfriede," rief er, die Herrschaft über seine Entrüstnng gewinnend und zu ihr stürzend, die an ihrer Gürtelschleife zupfte und drehte, „diesen Menschen finde ich bei Dir? Ihn! Und so, wie ich ihn fand!"
„Was wollen Sie damit andeuten?" fragte sie schroff, ihn im Spiegelglas ansehend. „Es wird mir in meinem Hause und in meiner un- abhänigen Stellung wohl erlaubt sein, zu tun und zu lassen, was ich will."
„Glaubtest Du nicht, daß ich kommen würde? Hofftest Du es nicht,," rief er ungläubig, das nervöse Zucken ihrer Nasenflügel anstarrend, welches ihm heute so ganz andere Empfindungen als zuvor erweckte.
„Nein," sagte sie ruhig. „Nachdem, was ich Ihnen gestern berichtete, wahrlich nicht."
„Um dieses Verlustes willen wurde ich zum glücklichen Mann," sagte er rauh. »Unsere beiderseitige Armut —"
„Tollheit! Tollheit ohne Ende!" Sie nahm aus einem Kasten eine Hand voll Papiere und hielt sie ihm entgegen. „Hier lesen Sie! Und das ist nur ein Bruchteil meiner Schulden. Wir wollen ja doch unsere Armut zusammen
legen, um diese Rechnungen zu bezahlen. Nein, da weiß ich besseren Rat, um dem Zusammenbruch meiner Herrlichkeit zuvorzukommen."
Er hatte im Fluge die Summen znsammen- addiert und schleuderte das Papier auf den Tisch.
„Konntest Du Dich nicht einschränken, Elfriede?"
„Auf was hin„" fragte sie spöttisch. „Auf deine Zukunft? Sei verständig, wie ich es bin und immer war. Dieser Balder —"
„Was wollte er vou Dir?" Plötzlich drückte er die Hand vor seine Stirn. „Ich hörte es ja, Du beabsichtigst. Dich zu verloben."
»Ich bin es bereits," fiel sie nicht ganz sicher ein. „Es ging nicht anders, geht wirklich nicht anders."
„Und mir sprachst Du von Deiner Liebe?" rief er zornglühend. „In einem Atemzuge fast sprichst Du von mir und — jenem?" Er brach ab, als ginge ihm die Sprache vor Schmerz und Entrüstung aus. „Das hätte noch gefehlt."
„Von Liebe sprach ich Dir," sagte sie mit verführerischer Stimme, die ihn in diesem Augenblick so heftig anwiderte. daß er einen Schritt vou der reizenden Gestalt der jungen Frau zurücktrat. „Es war eine Torheit von mir, es zu tun. Aber in Wahrheit, ich bitte Dich," rief sie herrisch, „sieh meine Lage an! Was liegt denn daran, ob ich dem, der soeben fortging, versprach, sein Weib zu werden? Es ist gerade so, nicht besser und nicht schlimmer, als wenn ein Ertrinkender den stärksten Arm ergreift, sich zu retten. Damit ist doch nicht gesagt, daß ich nicht lieber die Deine würde."
Er biß sich vor Scham und Selbstanklage auf die Lippen, daß sie schmerzten. An wen hatte er sein Herz verschleudern wollen. Und wohin glaubte diese sittenlose Verführerin ihn noch locken zu dürfen? Was mutete sie ihm noch zu nach oem tiefen Fall, den sein besseres Selbst'bereits durch sie getan.
„Warum bist Du nicht das Erbe Deines Oheims geworden?" fragte die junge Frau, ihren Arm nach ihm ausstreckend, vor dem er mit Entsetzen zurücktrat.
„Schwächling! E-impel! Romanheld!" rief sie zornig auflachend. „Was ließest Du Dir die halbe Million von einem Glücksritter aus der Hand winden? Bon einem schlauen Fuchs, der die süßen Trauben besser zu wittern verstand als Du? Und der ein volles Recht hat, Dich insgesamt Deiner stolzen Resignation, und wie das alberne Zeug sonst noch heißt, mit dem Du Dich brüstest, wenn Du darbst, auszulachen, wie ich Dich auslache in Deinem Groll. Solch ein fadenscheiniger Buchhalter, der die reiche Erbschaft einsteckt und jetzt umherstolzicrt unv ein Rad schlägt, wo Du mit Deiner Armut vorüberschleichst."
Er war totenbleich geworden unter diesem grausamen Hohn, daß die Adern auf Stirn und Schläfen blau hervorschimmerten. Ein Zug allerbitterster Ironie überflog seine Lippen.
„Und dieser Fuchs, dieser fadenscheinige Buchhalter," brachte er langsam und mit schneidender Kälte hervor, so daß die junge Frau ihr Lachen unterbrach und ihn anstarrte, „der die ergaunerte Erbschaft in die Tasche steckte, wird Dein Ehegemahl."
Einen Augenblick stand sie mit halbgeöffneten Lippen sprachlos da, dann gab sie sich einem erneuten Heiterkeitsausbruch hin.
„Kostbar in der Tat! Sie verstehen es, eine Scene pikant auszuspinnen. Wenn Sie mir nun noch gedroht haben werden, diesen Mann vermittelst eines Pistolenschusses aus der Welt zu befördern, so haben Sie alles getan, was der beste Romanschreiber mit dem gegebenen Lesestoff nur machen konnte."
Er betrachtete ihr erhitztes Antlitz mit bitterem Ernst.
„Das allerdings ist meine Absicht, damit ich einen Gewissenlosen aus der Welt schaffe oder selbst aus dieser Welt gehe, die mir nur Täuschungen bereitet hat."
Seine finstere Entschlossenheit erschütterte jäh ihren Unglauben. Sie eilte von neuem auf ihn zu, zornig, angstvoll, unsicher.
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