den Unterricht schwänzen. Um diesem Unfug zu steuern, hat man jetzt Kontrollbücher einge­führt, in denen die Anwesenheit des Schülers jedesmal bestätigt wird. Ein Bäckerlehrling, der wiederholt den Unterricht versäumt hat, ist jetzt von der Schulkomniission dadurch bestraft worden daß man ihm seine Lehrzeit um drei Monate verlängerte.

Kronstadt, 30. September. Das Kriegs­gericht fällte heute über die wegen Matrosen- Meuterei Angeklagten das Urteil. Das ehe­malige Reichsdumamitglied Ouipk wurde zum Verluste aller Rechte und zur Deportation ver­urteilt. Von den Matrosen wurden 19 zum Tode durch Erschießen, 12 zu Zwangsarbeit auf unbestimmte Dauer, 120 zu Zwangsarbeit von 420 Jahren und 429 zur Einreihung in die Arrestantenabteilungen und zu Gefängnis verurteilt. Alle Verurteilten wurden aus dem Militärstande ausgestoßen. 129 Matrosen und 3 Bauern wurden freigesprochen. Das Urteil bedarf noch der Bestätigung durch den Kom­mandanten der Stadt und der Festung Kron­stadt, GeneralAdlerberg^

Aus Ktcröt unö Umgebung

Wildbad, 2. Okt. DemSchwäb. Merk." wird von hier geschrieben: Die Kurzeit 1906 ist zu Ende. Mit der Königsweise wurde sie am 1. Mai eingeleitet, mit ihr geschlossen. Nach der letzten amtlichen Kurliste betrug die Zahl der heurigen Gäste 14861, ein kleines Mehr gegen voriges Jahr mit 14691 Gästen. Die höchste Zahl der an einem Tag abgegebe­nen Bäder betrug 1685, eine bisher noch nie erreichte Zahl. Unter unseren Gästen befanden sich auch nicht wenige, die nur der herrli­chen Luft und der ozonreichen Wälder wegen sich eingefunden hatten, ein Beweis, daß unsere Stadt auch als Luftkurort mehr und mehr ge­schätzt wird. Ungeteilte Anerkennung fanden neben unseren heilkräftigen, vornehm eingerich­teten Bädern die Neuerungen der K. Domänen-^ direktion in den Anlagen und in den Unterhal­tungsräumen der Badgebäude, namentlich des König-Karlsbads, wenn auch letztere vorerst noch nicht so zahlreich besucht wurden, als man glaubte erwarten zu dürfen. Bedauert wurde, daß die Benützung des neuen Schwimmbads an der Olgastraße sich Heuer noch nicht ermög­lichen ließ. Die Schuld liegt nicht an der Bad- verwaltuug, die bestrebt war, den Bau mit allem Nachdruck zu fördern. Um die Unterhal­tungen hat sich »eben dem durch seine guten Leistungen bekannten Theater der neue Bad­kommissär, Frhr. v. Gemmingen, große Ver­dienste erworben. Das Kurorchester hat unter Prems meisterhafter Leitung eine Fülle des Guten und Schönen geboten. Ueber die Berg- bahn wurde unter den Kurgästen viel geredet und ihre Erbauung als wünschenswert u. notwen­dig für die weitere Entwicklung Wildbads bezeich­net. Der neue Kurverein hat eine lebhafte, mannigfach anerkannte Tätigkeit entfaltet. Der von ihm herausgegebene, jedem Kurgast emge- händigle Führer wird vielen eine angenehme Erinnerung an Wildbad sein. Alles in allem dürfen wir auf die heurige Kurzeit mit Befrie­digung zurückblicken.

Beleuchtet die Treppen! Mit Rücksicht auf die merkliche Abnahme der Tageslänge sei an die Verpflichtung erinnert, Treppen und Hausfluren rechtzeitig und ausreichend zu be­leuchten. Für Unfälle, die durch Vernachlä ig- ung dieser Verpflichtung entstehen, ist bekannt- lich der Verpflichtete haftbar.

Unierhattenöes.

Das Auneli.

Erzählung von Else Krafft.

9j fNachdruck verboten.)

(Fortsetzung und Schluß.)

Ich will morgen in der Frühe noch einmal reisen, wieder in den Harz. Meine Brautfuhrt, Gertrud. Wirst auch Du gut sein zu dem ver­waisten Mädchen, das ich liebe, das ich Euch bringen werde, um sie heimzuführen?"

Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Das Spitzentuch in ihrer Hand zerriß die Rosen fielen unter den unruhig hin und

her zerrenden Fingern entblättert zu Boden. Doch zog sie vor, die alte, spöttische Weise her­vorzukehren, die sie stets bereit hatte, um Mer­ger und Erregung zu verbergen.

Wohl gar das Dorfmädel, das Deine Zimmer gekehrt hat?"

Kurt bezwang sich.

»Ja das Anneli," sagte er ruhig.Sie ist die einzige, die erste, die ich liebe, die ich achte, wie der Fromme das Allerhelligste."

Gertrud wandte sich zur Tür. Ein Etwas in des Mannes Stimme ließ sie erschauernd die Schultern zusammenziehen.

Nun denn, glückliche Reise," sagte sie langsam stockend.

*

*

Nur auf den Höhen glänzte es noch weiß. Im Tale war der Schnee geschmolzen, rieselte in lustigen, kleinen Bächlein durch Spalten und Rinnen und machte das Erdreich weich, locker und lenzessrisch.

Auf den Wiesen war das falbe Grün mit lichten Streifen durchzogen, die Buchen-, Eichen- und Birkenreiser hatten dicke, braune Knospen angesetzt und der blaue Himmel sah so freund­lich und sonnig über das Harzer Land, daß Kurt in stummer Sehnsucht weit, weit die Arme gegen die vertrauten Berge ausbreitete.

Mittag war vorüber. Die Sonne wich langsam vom Zenith und ließ ihre zitternden Lichter seitwärts auf den Abhängen am Wege spielen.

Als Kurt das Haus vor sich liegen sah, in dem er am Christabend von einer jungen, weichen Stimme das Weihnachtslied gehört batte, klopfte ihm das Herz bis in den Hals hinauf.

Ein paar Kinder, die grüßend an ihm vor­übergingen, hätte er am liebsten festgehalten und nach dem Anneli befragt.

Und dach, er brachte kein Worr über die Lippen.

Die Tür des kleinen Hauses war geöffnet. Zwei Frauen standen davor.

Vor des Mannes Augen tanzten die Bäume, die Steine, die Fenster, um die das Sonnen­licht blinkte.

Nein, nein das Anneli war es nicht. Eine korpulente plaudernde Nachbarin stand bei der Tante.

Mit unsicheren Schritten kam er näher. Dann grüßte er, behielt den Hut in der Hand und fühlte, wie ihm das Blut siedend heiß in Stirn und Schläfen stieg.

Die Nachbarin stieß die Nebenstehende hastig in die Seite, sagte ein paar flüsternde Worte und verschwand dann über die Straße fort in ihrem Hause.

Kurt wußte kaum, wie er sein Erscheinen erklären sollte. Jeden Augenblick hoffte er im Türrahmen ein blondes, vertrautes Mädchen­haupt auftauchen zu sehen. Doch nein, es kam niemand. Nur das erstaunte, sonderbar ver­schlossene Gesicht seiner Wirtin sah ihm ent­gegen. Sie nickte kaum.

Ich habe meine Zimmer bereits vermietet," sagte sie kurz.

Er atmete schwer.

Ich bin auch nicht mit der Absicht herge­kommen, bei Ihnen zu wohnen," sagte er ge­preßt.Ich wohne drüben im Weißen Hirsch."

Er wollte noch mehr sagen, eine Bitte, eine Frage um das Anneli, und vermochte es vor diesen kühlen, argwöhnischen Blicken nicht. So hilflos war er sich in seinem ganzen Leben nicht vocgekommen wie zu dieser Stunde.

Sie sah besorgt über das Tal hinüber und musterte dann forschend iein erregtes Antlitz.

Warum können Sie uns denn nicht in Frieden lassen? Die ganze Nachtbarschaft hat's dem Anneli verdacht, mit Ihnen gehalten zu haben. Mir freilich find erst zu spät die Augen aufgegangen. Zuerst mit schönen Worten, nachher mit Geschenken haben Sie's versucht. Nein, ich vergebe meine Zimmer an solche Mieter nicht mehr. Das Mädel geht wie eine Tote herum, seit Sie fort sind. Wirklich, ich hätte besser gedacht von Ihnen, Herr Wegelin!"

Er stand und rührte sich nicht. Die Röte in seinem Antlitz wich einer schrecklichen Blässe.

Ich ich verstehe Sie nicht! Wo wo ist sie?" stieß er zwischen den Zähnen hervor.

Sie zuckte die Achseln.

Was geht's Sie an! Zum Schwager hinun­ter, nach Thale zu. Sie wird so bald nicht heimkehren, Gott sei Dank.

Als er keine Antwort gab, sondern in Qual und Unruhe stand, wurde sie freundlicher.

Das können Sie mir doch nicht verdenken, daß wir das Mädel zu gut für das Gerede der Nachbarn ist. War ja doch das einzige Kind meiner seligen Schwester! Gleich als Sie fort waren, hat's begonnen. Zuerst der Bäcker Rögel drüben, der sie zur Frau haben wollte, dann Amtmanns Liese und Schreiners Adolf haben mich auf das seltsame Wesen des Anneli aufmerksam gemacht. Stundenlang ist sie mutterseelenallein in den Bergen umherge­laufen. Und blaß und hohläugig hat sie drein­geschaut. Und mit niemand geredet aus der Nachbarschaft, kaum daß sie den Mund zum Gruß öffnete, wenn jemand vorüberging. Und den einen Abend den einen Abend habe ich sie oben, oben in Ihrem Zimmer, dicht vor dem Tisch gefunden, wo Ihre Bücher immer lagen, als Sie noch bei mir gewohnt haben. Das Gesicht ln den Händen, und die Hände auf dem Holz, und wie ein Weinkrampf hat's den ganzen Körper durchschüttelt. Wie ich auch ge­fragt, wie ich auch gescholten habe, kein Wort hat man aus so einem verstockten Dinge Heraus­kriegen können. Sehn Sie da war's mir klar, da wußte ich, d> ß was Wahres an dem Gespött der Leute sein mußte. Ich hab's dem Anneli ja an de» Augen angesehen, daß ihr irgend ein fremdes Wesen im Kops steckte."

Die Frau schwieg und wischte sich mit der Schürze den Schweiß vom Antlitz.

Nein, schön ist das wahrhaftig nicht von Ihnen gewesen, so einem armen verwaisten Mädchen den Kopf zu verdrehen, Herr Wegelin!"

Er wandte sich um. Zuerst hat es ausge­sehen, als ob er ohne Wort und Gruß wieder zurück und in die Berge hineinlaufen wollte, doch beherrschte er sich noch. Obgleich seine Gedanken das Tal hinab, den Weg entlang wanderten, den sie, das Anneli, gegangen war, blieb er doch noch bei der Frau stehen, die ihm soeben die Gewißheit von des Mäd­chens Liebe verkündet, doch widerstrebte es ihm, vor diesen neugierigen Augen von seinen heiligsten Empfindungen zu sprechen.

Ernst schüttelte er den Kops.

Ich werde das dumme Gerede der Leute schon zum Schweigen bringen, verlassen Sie sich darauf. So wahr ich hier vor Ihnen stehe, Frau Wirtin, so wahr haftet kein Fleckchen an dem Anneli."

Er hatte weich und warm und bestimmt gesprochen.

Ganz erstaunt hob sie den Kopf. Und als sie die Augen des Mannes so stolz und frei aus sich gerichtet sah, nickte sie erleichtert vor sich hin.

Ich habe damals so gut von Ihnen ge­dacht, als Sie mit dem Kinde aus dein Bauern­wägelchen zu uns kamen."

Tun Sie's auch weiter so/ sagte er hastig, den Hut emporhebend. Ihn zogs mit aller Gewalt den Weg zurück. Ohne sich weiter um die verblüffte Frau zu kümmern, lief er durch die Berge weiter und weiter iu den Abend­sonnenschein hinein. Er kannte den Pfad, der von Treseburg durch den Hirschgruud führte, an der Roßtrappe entlang zum Wirtshaus, in dem ein Schwager von Annelis Tante seit Jah­ren der Besitzer war.

Ob sie auch heute zeitig heimkehrle?

An rankendem Gestrüpp, an schäumenden Wasserfällen und starren Felsvorsprüngcn vor­über schritt er dahin. Und während ihn so das frische Werden des Frühlings umgab, sah er plötzlich das Harzer Land im Winterkleide wieder vor sich, sah es so still, so verschneit und einsam wie an jenem Tage, als ein blon­des Mädchen bei seiner Rückkehr am Herdseuer gesessen und den Kindern das Märchen von der Fraü Holle erzählt hatte.

Geht ein braves Kind an ihr vorüber, das an e>nem Sonntage zur Welt gekommen, so hört es ein wundersames Klingen unter dem Busch am Wege. Und es sieht ein zauber­schönes Antlitz daraus hcrvorlächeln, sieht zwei weiße Arme sich ihm entgegenstrecken und