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Berlin 27. Juli. Nach einem Münchener Telegramm des Lokalanzeigers überschlug sich zwischen Waldsassen und Mitterteich das Automobil des französischen Prinzen Eugen Mural. Der Prinz ist tot; er wollt: seine Gemahlin in Karlsbad, wo sie zur Kur weilt, besuchen. Ein weiteres Telegramm meldet: Prinz Eugen Murat war einer der eifrigsten Sportsleute Frankreichs. Seine Abreise von Paris war vor 4 Tagen dem Pariser Automobilklub angezeigt worden. Der 31jährige Prinz hinterläßt drei Kinder. Er ist ein Vetter des Prinzen Joachim, des Chefs des Hauses Murat. Seine Gattin ist eine Prinzessin aus dem Hause der Ducs Ney d'Elchingen.
Petersburg, 24. Juli. Der kaiserliche Ukas, in welchem dieAuflösung der D u m a dekretiert wird, wird eifrig besprochen. Der Stadthauptmann wurde mit außerordentlichen Vollmachten versehen. Alle Druckereien, in denen liberale Zeitungen hergestellt werden, sind geschlossen worden. Alle Zugänge zu den Hauptstraßen werden von I n - fanterie, Kavallerie und Artillerie bewacht. Ein großer Teil der Duma-Mitglied er, die die Stadt nicht verlassen haben, werden polizeilich bewacht. Alle Akten der Reichsduma, soweit sie nicht von einigen Mitgliedern vorher bei Seite geschafft wurden, find beschlagnahmt worden.
Petersburg, 26. Juli. Die neuesten, aus dem ganzen Reiche eintreffenden Nachrichten bestätigen, daß die Auflösung der Reichsduma überall ohne Anzeichen von bevorstehenden Unruhen ausgenommen worden ist. Die revolutionären und die sozialistischen Organisationen mahnen überall zur Ruhe, da der Zeitpunkt für einen Generalstreik der denkbar ungünstigste set, weil die Bauern in der Ernte beschäftigt seien. Auch würden diejenigen Gouvernements, die völlig auf die Zufuhr von auswärts angewiesen seien, infolge des Bahnstreiks durch Hungersnot zu Grunde gerichtet werden.
Warschau. 26. Juli. Auf der Weichselbahn hielten heute in der Nähe von Warschau 20 mitfühlende Personen einen Zug mittels der Notbremse auf. Sie bemächtigten sich der Lokomotive und des Gepäckwagens und töteten den Gendarmen, der einen Transport von Geldkisten begleitete. Die Räuber fuhren darauf unter Zurücklassung der Personenwagen einige Kilometer weiter, wo sie mit einer andern, größeren Bande zusawmentrafen, mit der sie die Geldkisten erbrachen und ihnen 15000 Rubel entnahmen. Sie entkamen mit ihrem Raube im Walde.
— General Stössel, der mit dem preußischen Verdienstorden für Tapferkeit ausgezeichnet, ist bekanntlich in Rußland wegen feiger Uebergabe von Port Arthur zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wird kaum zum Vollzug kommen; der Zar wird Gnade walten lassen. Aber abgesehen davon, hat der Spruch des Kriegsgerichts große Ueberraschung hervorgerufen, besonders in Japan. Dort hält man daran fest, daß Stöffel sich in einer Weise verteidigt habe, die den Dank des Vaterlands verdiene. Die japanischen Offiziere versichern, daß die Verteidigung Port Arthurs die einzige Kriegsleistung gewesen sei, auf die Rußland stolz sein könne. Besonders die Belagerer von Port Arthur erklären, der Fall von Port Arthur sei der Unfähigkeit und Feigheit der russischen Marine zuzuschreiben, die im Hafen blieb, anstatt zu kämpfen. General Nogi, der die Belagerung von Port Arthur leitete, gab seinem tiefen Entsetzen über das Urteil Ausdruck, und wandte sich telegraphisch an Persönlichkeiten in Rußland, um nähere Einzelheiten zu erfahren. Ein hochgestellter General schrieb: „Ich bedaure diese außerordentliche und unerklärliche Bestrafung. Ich erkenne an, daß General Stöffel das Aeußerste leistete, und ich hoffe, daß der Kaiser Gnade walten lassen wird.
Chicago, 27. Juli. Die Hinterlassenschaft des verstorbenen Chicagoer Großkaufmanns Marshall Field wird vom Nachlaßgericht auf 130 Millionen Dollars, sein Grundbesitz auf 50 Millionen Dollars geschätzt. Mehrere Jahre hindurch sind auf 105 Millionen Dollars dieses Vermögens keine Steuern bezahlt worden.
Die Testamentsvollstrecker haben deshalb jetzt vom Gericht Anweisung erhalten, 2 800 000 Dollars Steuern nachzuzahlen.
Newyork, 24. Juli. Der Luftballon- sport gestaltet sich im Staate Newyork allmählich zu einer gleichen Landplage wie in seinen Anfängen der Automobilsport. Die Einwohner von Long Island, wo die Luftschiffer mit Vorliebe landen, wollen bereits eine Anti-Luft- schiffervereinigung gründen, da die Luftschiffer bei der Landung mit Vorliebe in schönen Gärten niedergehen, in denen sie große Verwüstungen anrichten. In der Staatslegislatur ist die Einbringung eines Gesetzes angeregt worden, welches Lustschiffern das Bestehen einer Prüfung vorschreibt und Ersatzleistungen für angerichteten Schaden festsetzt.
Hlntevhattenöes.
„Aor."
Eine dramatische Geschichte aus junger Ehe von Paul Grabein.
(Forts.) (Nachdruck verboten.)
Gegenüber solcher brutaler Gewalt blieb Frau Jutta nichts übrig, als mit einem herzzerbrechenden Aufschrei auf das Sofa hinzusinken und dort ihr Debüt in „Weinkrämpfen" zu geben, was bei ihr mit überraschender Geschicklichkeit von statten ging. Der junge Ehemann war erst sehr mannhaft, setzte sich gelassen an den Eßtisch und tat, als ob er nichts hörte und sähe. Als aber das Geschluchzt beängstigend wurde, fragte er doch schließlich ob ihr schlecht wäre. Keine Antwort nur verstärktes krampfhaftes Schluchzen! In geheimer Angst trat er nun zu ihr — kehrte aber dicht vor dem Sofa noch einmal um, denn es fiel ihm noch im letzten Augenblick die weise Mahnung eines eheerfahrenen Freundes ein, gerade beim ersten Zwist nicht klein beizugeben, denn das set entscheidend für alle späteren Fälle. Er schwenkte also ab, und tat, als ob er nur mal auf die Veranda hinaussehen wollte. Frau Jutta, die hinter dem vorgehaltenen Taschentuch hervor dies Mannöver des Gegners wohl bemerkt hatte, fuhr nun noch stärkeres Geschütz auf. Ihren Lippen entquollen einige leise Klagelaute, als ob sie einen Schmerz trotz aller Energie nicht länger mehr ganz unterdrücken konnte, und dann wurde es — mäuschenstill. Das hatte überraschenden Erfolg! Diese plötzliche Stille war Rolf unheimlich. Er drehte sich um, lauschte und fragte einmal, zweimal, was ihr denn sei? Keine Antwort. Immer di.se schreckliche Stille! Im nächsten Augenblick saß der geängstigte junge Ehemann neben seiner „schwer leidenden Gattin." Und das Resultat? Ich schäme mich für ihn, es berichten zu muffen: Küsse. Bitten um Verzeihung, Schwüre, nochmals Küsse und endlich großmütige Verzeihung, bei der sich die kleine Frau ungeheuer gut vorkam und zugleich ein köstliches Gefühl leisen Triumphes im stillen Herzen empfand, daß sie bei diesem ersten Messen ihrer Kräfte so gut abgeschnitten hatte. Der Präzedenzfall war also geschaffen, vor dem der kundige Freund den armen Rolf gewarnt hatte!
Die Sonne lächelte also wieder am Ehehimmel, und es war gewiß nur billig, daß auch „Fox" ihres Scheins teilhaftig wurde. Er wurde daher wieder zugelassen und zeigte sich dankbar, indem er allerlei Künste ausführte, Zigarrenasche mit der Pfote abstrich, ein brennendes Streichholz auspatschte und ähnliche Tricks vollführte, womit er seine neue Herrschaft eine halbe Stunde weidlich ergötzte. Lachen und Jubel tönte so im Hause, bis endlich nach allen Leiden und Freuden dieses Mittags die erschöpfte Natur ihr Recht forderte und man sich zu dem gewohnten Ruhestündchen zurückziehen wollte. Arm in Arm schritten die Gatten dem Schlafgemach zu, nach dem „Fox" mit erstaunlicher Ortskenntnis plötzlich im Galopp vorauseilte. Als sie nachkamen, fanden sie ihn dort sehr vergnügt auf der Chaiselongue vor, seinen dicken Wanst auf dem seidenen Daunenkissen räkelnd, auf dem Frauchens rosiges Antlitz bisher zu ruhen pflegte. Es ist wahr, sie fand das im ersten Augenblick selbst nicht sehr nett; als aber Rolf in aufloderndem Zorn
über diese Entweihung der trauten Stätte den frechen Köter mit rauhem Griff von dem Ruhe, bett schleudern wollte, da tat Frau Jutta das Tier plötzlich wieder leid, sie fand es so nett, daß „Fox" ihre Absicht so klug vorausgeahnt hatte und bei dem Schläfchen auch mit dabei sein wollte und bat also, ihm die Freude nicht zu stören. Das war nun wieder ein kalter Wasserstrahl für Rolf. Wie? Dieses trauliche mit seinem Weibchen, diese schönste Stunde seines Tages sollte er nun auch noch mit diesem,Vieh teilen? Nein, nimmermehr! Er stellte also die Alternative: „Du hast zu wählen zwischen ihm und mir!" Frauchen aber hatte es sich nun mal in ihren blonden Starrkops gesetzt, den neuen Hausgenossen in die intimste Familiengemeinschaft aufzunehmen und blieb daher bei ihrem Entschluß. „Warum denn auch nicht? Er stört dich doch gar nicht!"
Rolf antwortete hierauf mit einem stummen, aber beredten Blick. Dann nahm er stillschweigend sein neben Frauchens Kiffen liegendes Schlummerkissen — noch eiu Geschenk Juttas aus der Brautzeit mit der Widmung: „Schlummere süß!" — sah mit bitterem Lächeln aus diese hoh evplle Devise und schritt dann langsam hinaus, mit der Miene eines Mannes, de» man aus seinen heiligsten Rechten verjagt hat. Wirklich, er tat Frau Jutta furchtbar leid, wie er so abzog; aber was war er nur so eigensinnig?! Nein, darin mußte man ihn nicht noch unterstützen. Und sie ließ ihn wirklich hinausgehen.
Wohl eine Viertelstunde lag Rolf schon im Herrenzimmer, in den finstersten Gedanken und voll tiefsten Mitleids mit sich selber!, da tat sich plötzlich die Tür auf, und herein huschte seine böse kleine Frau. Im nächsten Augenblick lag sie, ohne ein Wort zu sagen , schon neben ihm auf seiner Chaiselongue und schmiegte sich zärtlich an ihn, wie in stummer Abbitte für vorhin. Rolf, plötzlich wieder seiner Qual entrissen, traute indessen seinem Glück noch nicht so ganz und fragte vorsichtig nach „Fox". „O, der ist draußen in der Küche bei Anna gut ausgehoben. Selig und voller Dankbarkeit schloß Rolf sein gutes Frauchen, das so voller Sehnsucht zu ihm geeilt war, in seine Arme, was sie sich gern gefallen ließ. Freilich, wenn er geahnt hätte, was sie zu dieser Trennung von „Foxi" im gründe bestimmt hatte — nämlich eine permanente unerträgliche Invasion von kleinen Plagegeistern! Aber wozu erst von so unästhetischen Dingen sprechen? Nein, es war viel besser so. — So ließ ihn denn Frau Jutta ruhig in seinem holden Wahn und nahm sich unter seinen Küssen nur vor, gleich morgen „Fox" einmal gründlich zu waschen.
Als Rolf am nächsten Mittag vom Bureau kam, empfing ihn Frauchen mit einem geheimnisvollen Lächeln und sichtlich freudiger Erregung. Sie ließ ihm nicht mal Zeit, Hut und Stock abzunehmen, sondern zog ihn gleich bei den Händen mit sich fort nach der Küche zu. Er ahnte, daß sie eine Ueberraschung für ihn habe, und plötzlich ging ihm auch der Gedanke auf. Gewiß etwas mit „Fox". Und richtig, wie sie die Küchentür aufmachte, rief sie fröhlich : Na, wie gefällt er dir heute? Nicht wahr, jetzt steht er anders aus?" Rolf blickte gespannt aus die halb geöffnete Tür; da stand vorm Herd in seiner vollen Breite „Fox" und — wahrhaftig, er sah anders ans, ganz anders sogar! Nämlich über und über mit Rußflecken bedeckt, wie ein Schecken anzusehen, Der von Frauchen höchst eigenhändig gewaschene und blendend weiß strahlende Köter hatte es sich nämlich gleich darauf im Kohlenkasten bequem gemacht, und wie zum Hohn hing dem Schmutzfinken noch das kokette blaue Schlei; chen um den Hals, mit dem seine Herrin ihn ge- schmückt hatte.(Fortsetzung folgt.)
Stcrnöesbrrch-GHvonik.
der Stadt Wildbad vom 24. Juli bis 28. Juli
Geburten:
24. Juli Klaus, Wilhelm. Fabrikarbeiter hier, 1 Sohn.
Aufgebote:
25. Juli Eisenmann, Albert, Schreinermeister in Has
lach u. Knaupp, Josefine von Andelfingen.