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Unwetter heimgesucht, das namentlich in den Bezirksämtern Zweibrückeu und St. Ingbert schrecklich gehaust hat. Telephonleirungen wurden zerstört, zahlreiches Vieh ist in den Ställen er­trunken, mehrere Häuser wurden vom Blitz stark beschädigt. In St. Ingbert war gerade Jahrmarkt; dort wurden vie Buden einfach weggeschwemmt, den Besitzern ist dadurch ein empfindlicher Schaden verursacht. Die Felder sind stundenweit stark verwüstet, das Obst ist von den Bäumen geschlagen. Vier Stun­den lang ging ohne Unterbrechung ein wolken­bruchartiger Regen nieder.

In dem Prozesse der Verlagsfirma Philipp Reclam jun, in Leipzig gegen das Warenhaus Leopold Nußbaum in Halle (Hamburger Engroslager) hat das Reichsge­richt das Urteil des Oberlandesgerichts Naum­burg verworfen. Es wird dem Warenhaus Nußbaum dadurch verboten, die Reclamsche Universalbibliothek unter dem Ladenpreise zu verkaufen, für jede Zuwiderhandlung ist eine vom Vollstreckungsgericht festzusetzende Geldstrafe zu zahlen. Das Urteil ist insofern von großer Bedeutung, als es sich dabei um Einhaltung feststehender Verkaufspreise handelt.

Hamburg, 22. Juni. Die Polizei ent­deckte in der Sonninstraße eine Falschmünzer­werkstätte, in der falsche Ein- und Zweimark­stücke hergestellt wurden. Zahlreiche Stücke sind bereits im Umlauf. Die Falschmünzer find ein Hotelier, ein Kaufmann und ein Logisherr des Hoteliers. Alle drei wurden verhaftet.

Lenz, 20. Juni. Bis heute sind 902 Leichen von dem beim Grubenunglück von Cour- riöres umgekommenen Bergleuten zu Tage ge­fördert worden, so daß noch 193 aus den Gruben zu bringen find. Die Arbeiten zur Wiederherstellung der Schächte und Gänge in den Bergwerken nehmen ihren Fortgang.

Petersburg, 21. Juni. Der in Paris weilende Großfürst Wladimir wurde telegra­phisch zum Zaren berufen. Dieser Berufung wird eine große politische Bedeutung zugemefsen, Augenblicklich findet in Peterhof ein außer­ordentlicher Ministerrat statt, in welchem über die zu ergreifenden Maßregeln Beschluß gefaßt wird.Daily Telegraph" meldet, daß der Zar einen Vorschlag des Kriegsministers erwägt der dahin geht, 700 000 Kosaken zur Uuter- drückung der revolutionären Bewegung zu mo­bilisieren.

Tanger, 18. Juni. Der marokkanische Blaubart Mesfewi, der gegen dreißig Frauen und Mädchen umbrachte, hat in Marrakesch sein Verbrechen mit dem Leben gesühnt. Mes­fewi, ein Schuhmacher, der seine Opfer in den Laden lockte, ihnen dort Gewalt antat u. sie dann tötete und im Keller seines Hauses vergrub, sollte zuerst gekreuzigt werden. Später ent­schieden die marokkanischen Gerichte, daß er bei lebendigem Leibe eingemauert werden sollte. Vorher wurde er eine Zeitlang täglich ausge- peitscht. Die Schlußhandlung der Tragödie fand in voller Oeffentlichkeit statt. Um die Maurer, die Mesfewi einmauerleu, versammelte sich eine dichte Menschenmenge, die den vor Entsetzen am ganzen Leibe zitternden Verbre­cher verhönte. Zwei Tage lang hörte man ihn ununterbrochen in Todesangst schreien; von draußen antworteten ihm Spottreden. Am dritten Tage hörte man von d:m lebendig Be­grabenen keinen Laut mehr.

Lokales.

Wildbad, 23. Juni. Das erste Feuer­werk am Schwanensee verbunden mit Beleuchtung der Enzanlagen war trotz des ein­tretenden Regens von prächtiger Wirlfimg. Der Schwanensee mit seiner idyllischen Umgebung, der bergige Hintergrund eignen sich wunderbar zu einem derartigen pyrotechnischen Schauspiel. Die zahlreich an den Schwanensee gepilgerteu Zuschauer waren überrascht von der far­benprächtigen Wirkung der Beleuchtung, entzückt von den malerisch arrangierten Lämpchengruppen am Bergabhang beim See. Vielbewundert wurde der blumengeschmückte Nachen, der lautlos durch den See glitt mit seinen kostümierten Insassen. Und erst das

Feuerwerk selbst. Laute Ausrufe des Stau­nens und Entzückens konnte man hören beim Aufsteigen und Platzen der Raketen, beim Anblick der Feuerräder, Kaskaden, Buketts, Brillantbomben und Sterne, kvt» L tsu und des Wasserfeuerwerks. Alle, auch die verwöhn­testen Zuschauer waren befriedigt von dem reizenden Bild. Die Bläser der Kurkapelle spielten paffende Weisen zum Feuerwerk, be­sonders gefiel das Lied an den Abendstern aus Tannhäuser." Nach dem Feuerwerk eilten die Zuschauer im Sturmschritt der Stadt zu.

Wildbad, 22. Juni.Die Haubenlerche," Schauspiel in 4 Akten. Ernst von Wildenbruch, der Meister des historischen Drama's, führt uns in diesem einfachen, aber deshalb nicht weniger wirkungsvollen Schauspiel ein Stück sozialen Lebens vor Augen. August Langen­thal, der Besitzer einer großen Papierfabrik ist ein Idealist, der alle seine Arbeiter zu sich em­porziehen möchte, der von Humanitäts- und Gefühlsdusel förmlich überfließt, wie sein 15 Jahre jüngerer Halbbruder Hermann von ihm sagt. Dieser wieder ist ein schlimmer Lebemann dem die Arbeit in der Fabrik ein Greuel ist. Die Fadrikarbeiterswitwe Schmalenbach hat eine Tochter, Lene, die den Büttgesellen Paul Jlefeld liebt. August Langenthal will aber diese Lene zu seiner Frau machen; sie willigt schließ­lich ein, um ihrer kranken Mutter die Mittel zu einem Kurgebrauch verschaffen zu könne», ohne Liebe nur mit Angst und Furcht im Herzen. Mehr als zu dem ehrfurchtgebietenden August fühlt sie sich noch zu Hermann hingezogen, der alle seine Berführungskünste spielen läßt und sie nnter dem Vorwände ihr zur Flucht zu verhelfen, auf sein Zimmer lockt. Hier versucht der zynische Verführer das Mädchen in seine Gewalt z» bekommen, da erscheinen August und der Büttgeselle in der Türe; ersterer ist von seinem Idealismus in etwas geheilt das Mädchen beteuert ihre Unschuld - August gibt sie frei und sie heiratet den Büttgesellen. Die Darsteller verdienen alles Lob, es ist dem Schreiber eine freudige Genugtuung bei dem diesjährigen Ensemble stets rückhaltlos loben zu können. Die Herren Schönfeld und Dr. Senger schufen lebenswahre Figuren; ebenso Herr Kaufmann als Büttgeselle und Herr Grosse als Onkel Ale, der die reichen Leute nicht leiden mochte - weil sie Geld haben. lüust not Isuat seien heute die Damen ge­nannt, von denen wiederum Frl. Groa als Lene für ihr seelenvolles Spiel die Palme verdient, aber auch Frl. Felsegg und Frau de Scheirder waren vortrefflich. Das Theater war trotz des schönen Sommerabends sehr gut besucht.

Das Trompeterkorps des Ulanenregi­ments Nr. 20, das gestern Nachmittag in den Anlagen konzertierte, hat den Kurgästen, die alle Tische des Platzes vor dem Theater besetzt hatten, mit seinen Darbietungen gut gefal­len. Nur Richard Wagner oder Webers Ju- bel-Ouverture von Kavalleriemusik zu hören ist gerade kein Genuß.

UnlerHattenöes.

Zwei Hundertmarkscheine.

(Forts.) Erzählung von Rudolf Jura.

(Nachdruck verboten.)

Dann legte sie den lieben Brief vor sich auf die mit rotem Tuch überzogene Platte des zierlichen Nnßbaumtischchens und blickte einige Minuten träumerisch ins Leere, um ih­ren kühnen Plan rasch noch einmal zu über­denken und möglichst kurz und deutlich in Worte zu fassen.

6. Kapitel.

Den Brief, den Anni vor sich liegen hatte, und dessen Oppoponaxduft sie begierig einat­mete, hatte folgenden Wortlaut:

Mein liebster Schatz!

Du wirst mir gewiß zürnen, daß ich so rasch und ohne Abschied von dir gegangen bin, und es tut mir leid nm den Kummer, den ich dir vielleicht damit gemacht habe. Aber ich bin deiner Verzeihung gewiß, wenn du bedenken willst, daß ich nur um deiner Ruhe willen so

handelte, wie ich gehandelt habe.-Als ich

dir vor ein paar Tagen so unvermutet begeg­nete, wallte die alte nie vergessene Liebe plötz­lich so mächtig in mir auf, daß ich mir we­nigstens einige,kurze Stunden deiner Gesellschaft gönnen mußte als Trost für meine unglückliche Einsamkeit. Nur deinen holden Anblick wollte ich genießen. Von Liebe zu sprechen war nicht meine Absicht.

Aber, wie du weißt, überwältigten mich meine Gefühle, und ich fühlte mich in Versuch­ung, dich mit mir zu nehmen, dich von deinem Gatten und deinem ganzen bisherigen Leben loszureißen und dich an mein ungewisses Schick­sal zu ketten. Mein Gewissen verbot mir je­doch, dich in solche Gefahren zu stürzen, und um mich jeder Versuchung zu entziehen, und in meinem entsagungsvollen Entschluß nicht wieder wankelmütig zu werden, hielt ich es für meine Pflicht, sofort abzureisen. Schwer genug ist es mir geworden, deinem vermeintlichen Glücke dieses Opfer zu bringen, und ich habe es, wie ich nun erkenne, vergeblich gebracht. Vergeblich war mein Ringen, mich vou dir ab­zuwenden und dich zu vergesse».

Die Sehnsucht nach dir hat in den letzten Tagen immer unbezwinglicheren Besitz von mei­nem Herzen ergriffen, und da mich eine innere Notwendigkeit zwang, beständig an dich zu den­ken und an alles, was ich dich vor einigen Tagen habe reden hören und tun sehen, so bin ich schließlich zu der verführerischen Ueberzeu- gung gelangt, daß auch deine Liebe zu mir unauslöschlich ist, und daß du mein eigen ge­worden bist. Sage mir, daß mich meine Ueber- zeugung nicht täuscht, so habe ich das Recht, dich zu mir zu rufen. Denn ehrlich gesprochen, ich glaube dir an meiner Seite ein erfreuliche­res Leben bieten zu können, als das dein er- bärmlicher, spießbürgerlicher Gatte tun kann. Es hat mir geschienen, als ob du jetzt gerade in Dürftigkeit lebst. Ich aber verfüge jetzt, wie ich dir versichern kann, über ein Vermögen, dos beinahe Reichtum zu nennen ist. Was wiegt dagegen das unstete Leben, zu dem ich vorläufig noch gezwungen bin? Ich glaube nicht, daß es dir an Mut fehlen wird, für ein­ige Zeit ein Wanderleben zu führen. Habe ich übrigens erst alle meine Reichtümer verwertet und gut angelegt, so wird sich ja irgendwo im Ausland ein verschwiegenes Plätzchen finden, wo wir uns unerkannt niederlaffen und unsere Tage in Lust und Freuden verbringen können. Vielleicht hätte ich trotz alledem nicht den Mut gesunden, dich zu mir zu rufen, wenn ich es nicht nach einigen beunruhigenden Nachrichten, die ich in der Zeitung las, jetzt geradezu für meine Pflicht gehalten hätte, dir bei mir eine Zukunft zu bieten. Du hast also durch meine beiden Hundertmarkscheine Anannehmlichkeiten gehabt? Das tut mir leid. Selbstverständlich ist das nicht meine Absicht gewesen. Ich hatte diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen, ebensowenig die, daß dein armer Mann dadurch unschuldig in Verdacht kommen könnte. Da man nun aber einmal so weit gegangen ist, meine Scheine für falsch zu halten, so ist leider daran nichts zu ändern. Entweder wird nun dein guter Mann ins Loch gesteckt; dann bist du nun ganz verlassen und ohne Hilfe. Oder du lenkst den Verdacht der Schuld auf mich, was ich dir durchaus nicht verdenken kann dann bist du auch selbst bloßgestellt. In beiden Fällen ist es das Beste, du flüchtest dich in meine Arme. Wenn ich genau wüßte, daß dein Mann von seiner Reise noch nicht zurück ist. so hätte ich dir gleich das nötige Reisegeld geschickt. Aber für den Fall, daß er zu Hause ist, fürchte ich, es möchte ihm auffallen, und dich verraten. Teile mir daher umgehend mit, unter welcher Deckadresse ich das Geld senden soll, und ich werde es sofort telegraphisch an­weisen. Ich halte mich jetzt natürlich unter anderem Namen, in Straßburg auf und bitte dich, mir dahin nach Postamt 4 postlagernd unterAnni 200" zu schreiben. Bist du erst bei mir, so reisen wir schleunigst weiter, aus Wiedersehn! Mit heißen Küssen Dein Liebster.

Anni war über die Person des Briefschrei­bers keinen Augenblick in Zweifel gewesen. Da­ran, daß Georg wahrscheinlich aus Angst vor