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Damen bei seiner letzten Anwesenheit in Krefeld versprochen hat.)
Dresden, 7. März. König Wilhelm von Württemberg ist gestern vormittag 10 Uhr 36 Min. zum Besuch des Königs Friedrich August in Dresden eingetroffen. Zum Empfang hatten sich am dortigen Bahnhof eingefunden: Der König van Sachsen und Prinz Johann Georg, ferner die Staatsminister v. Metsch, Frhr. v. Hausen, Rüger, Otto u. v. Schlicken, sowie der auch beim sächsischen Hof beglaubigte württem- bergische Gesandte in Berlin, Staatsrat Frhr. v. Varnbüler. Um 12 Uhr fand im Dresdener Residenzschloß ein Familiensrühstück von 9 Gedecken statt.
Schwerin, 8. März. Das heute erschienene Regierungsblatt teilt mit, daß der Großherzog die Entmündigung des Herzogs Paul Friedrich zu Mecklenburg und seiner Gemahlin, geborene Prinzessin zu Windisch-Grätz nach Maßgabe des Z 6 des bürgerlichen Gesetzbuches durch das Ministerinm des großhcrzoglichen Hauses hat anregen lassen. Zum Vormund wurde der Oberlandesstallmeister v. Stenglin bestellt.
— In der Marokko-Konferenz wurde von russischer Seite ein Plan entwickelt, der die Uebertragung der Polizei an Frankreich und Spanien vorsieht. Hierauf gab der deutsche Vertreter v. Radowitz folgende Erklärung ab: ,Eine der Grundlagen für die Arbeiten dieses Kongresses ist der Grundsatz der wirtschaftlichen Freiheit in Marokko, ohne jede Ungleichheit. Nun hängt diese wirtschaftliche Freiheit der Entwicklung der Handelsinteressen in Marokko in erster Linie von der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im scherifischen Reich ab. In der Ausübung seiner Souveränität wird der Sultan in Marokko die für die Sicherheit von Leben und Eigentum der Fremden notwendigen Maßregeln zu treffen haben. Es drängt sich den Signatarmächten die Notwendigkeit auf, zu Hilfe zu kommen durch die Schaffung einer an bestimmten Plätzen zn errichtenden Polizeitruppe. Die Signatarmächte, die an dieser Organisation gleichmäßig interessiert sind, werden berufen sein müssen, dabei mitzuwirken." Zum Schluß sprach der deutsche Vertreter di? Bereitwilligkeit aus, jeden Vorschlag zu prüfen, der diesen Grundsätzen Rechnung trägt. Der französische Vertreter, Revoil, betonte, daß eine Aktion Frankreichs und Spaniens keinen Rechten anderer Nationen im Wege stehen würde; Revoil gab hierauf in großen Zügen ein Programm der beabsichtigten Organisation; 2000 Mann eingeborene Polizei sollen in acht Häfen verteilt werden unter 16 weißen Offizieren und 32 weißen Unteroffizieren. Der zweite spanische Bevollmächtigte, Pcrez Caballero, führte aus, eine französisch-spanische Polizei würde die Grundsätze der wirtschaftlichen Freiheit und Gleichheit nicht bedrohen, da es sich nicht um Berwaltungs- sondern ausschließlich um Sicherheitspolizei handle.
Hlntei- haltendes.
„Herz und Ehre"
Erzählung von Arthur Zapp.
8) (Nachdruck verboten.)
Claus Wollmar machte eine Bewegung des Erstaunens; dann fuhr er finster zürnend fort: „Ihre Pflicht wäre es wenigstens gewesen, meinem Vater offen und ehrlich zu bekennen, welcher Schatten auf Ihrer Vergangenheit ruht und ihm die Entscheidung zu überlassen, ob er Ihnen unter diesen Umständen die Zukunft seiner Tochter anzuvertrauen gewillt sei oder nicht."
Viktor Lehnhard hielt seine Schritte an und sah mit Blicken, in denen sich Schmerz, Bitterkeit und Unwillen malten, seinem Begleiter ins Gesicht.
„Meinen Sie wirklich," sprudelten seine Empfindungen über, „daß man gerechterweise diese Forderung an mich stellen konnte? Glauben Sie, daß es meine Pflicht war, mich selbst aus dem Paradiese, daS meine Augen bereits schauten, für immer zu verbannen? Ich mußte mir ja doch sagen, daß Ihr Vater, daß Sie
mich unerbittlich zurückweisen würden, sobald Sie von meiner Jugendsünde erfahren. Ich aber liebte Else mit aller Kraft meines Herzens, mir allen Fibern meiner Seele. Ich hatte gesehen, daß auch Sie mich liebte und da. war natürlich das Verlangen, sie die Meine zu nennen, mich ihrer Liebe zu erfreuen, übermächtig in mir und verdrängte alle Bedenken. Dazu kam, daß ich das Bewußtsein hatte, daß ich das, was ich als unbesonnener Jüngling gefehlt, längst ehrlich gesühnt hatte, daß gerade die Erfahrungen und Leiden jener furchtbaren Epoche meines Lebens mich gestählt, gegen jede Versuchung gefeit und mich schneller haben zum ernsten Mann reifen lassen. Ich hatte die Gewißheit, daß ich die Kraft und die Fähigkeit besaß, Else glücklich zu machen. Und da sollte ich hingehen und sollte ans freien Stücken zu Ihnen sagen: „Ich liebe Else, sie liebt mich, aber vor langen, langen Jahren ist -etwas geschehen, das Sie berechtigt, mich mit Schimpf und Schmach von Ihrer Schwelle zu weisen. Nein! Gibt es denn keine Sühne, gibt es denn kein Verzeihen und Vergessen?"
Viktor Lehnhard schwieg, erhitzt und erschöpft. Der Leutnant stocherte mit seiner Säbelscheide in dem Sand der Landstraße und bemühte sich mit innerer Anstrengung, sich von dem Eindruck frei zu machen, den die Worte und der Ton des Sprechenden auf ihn hervorgebracht hatten.
„Es ist nicht meines Amtes," sagte er, „die Frage zu entscheiden, ob ein Mann, der sich mit dem Strafgesetz und mit dem, was zu den selbstverständlichen Attributen eines anständigen Menschen gehört, i» Konflikt gebracht hat, das Recht auf eine volle moralische Amnestie besitzt, ob er beanspruchen darf, wieder als vollwertiges Mitglied in die gute Gesellschaft ausgenommen zu werden. Ich sehe nur, vaß ich nicht anders handeln kann noch darf, als ich handle. Ich weiß, daß ich mich den Anschauungen der Gemeinschaft, ui der ich lebe, unbedingt zu fügen habe und die Anschauungen meiner Kameraden verfehmen Sie und gebieten mir, die Zumutung, Sie als Schwager willkommen zu heißen, mit aller Entschiedenheit von mir zu weisen."
„Auch wenn Sie dadurch mein Glück, das Glück Ihrer Schwester zu Grunde richten," rief Viktor Lehnhard mit zuckenden Lippen.
Der Leutnant richtete sich hoch auf und stützte sich auf seinen Säbel.
„Ich weise jede Verantwortung von mir," entgegnen er kalt. „Das, was Sie jetzt erleiden, die Enttäuschung, die meine bedauernswerte, arme Schwester erfährt, ist eine Folge Ihrer einstmaligen Handlung, Ihrer Schuld und die logische Konsequenz gesellschaftlicher Anschauungen, die ich nicht geschaffen habe und für die ich nicht verantwortlich bin. Niemand hat ein Recht, von mir zu verlangen, daß ich gegen meine Ueberzeugung handle, und daß ich meinen Empfindungen, die in meiner Erziehung wurzeln und in den Anschauungen meines Standes, Gewalt antue."
„Gut! Mögen Sie es nie bereuen und mögen Sie die herbe Bitterkeit, die mich jetzt zu Boden drückt und mir alle Lebensfreude vernichtet, nie am eigenen Leibe erfahren! Ich will Ihnen nur noch bemerken, daß ich Ihre Entschließung als ein schweres, schreiendes Unrecht empfinde und daß andere, die Ihnen an tadellosem Lebenswandel und an Ehrenhaftigkeit nicht nachstehen, weniger hart und weniger unduldsam gegen mich gehandelt haben."
„Andere?"
„Mein Chef, Herr Meinardus, dem gewiß niemand in der ganzen Stadt bestreiten wird, daß er ein durch und durch ehrenhafter Mensch ist."
»Wie, er wußte?" rief der Offizier erstaunt zweifelnd.
„Er weiß alles, er wußte es schon, als ich bei ihm eintrat. Der Staatsanwalt, der in meiner Sache die Anklagebehörde vertrat, hatte ein so warmes menschliches Interesse für mich gefaßt, daß er mich nach Verbüßung meiner Strafe seinem Freunde Meinardus empfahl. lUnd Herr Meinardus dachte hochherzig und vorurteilsfrei genug, rm es mit mir zu versu- 'chen und mir zu helfen, wieder ein ehrlicher
Mensch zu werden. Er hat seine Güte nicht zu bereuen gehabt."
„Aber" — der Leutnant stieß in einer ärgerlichen Aufwallung mit dem Säbel auf — „das hat er wissentlich vor mir geheim gehalten."
„Weil er es für seine Menschenpflicht hielt, zu schweigen, weil ich in seinen Augen wied r ein anständiger Mensch geworden bin, dem er selber sich nicht scheut, freundschaftlich die Hand zu drücken und in seiner Familie Gastfreundschaft zu gewähren. Und nun, Herr Leutnant Wollmar, Hab ich eine letzte Bitte an Sie."
Claus Wollmar runzelte ferne Stirn und seine Augen blickten noch kühler, noch abweisender und unnahbarer als vorher.
„Ich wollte Sie und Ihre Angehörigen bitten," fuhr Viktor Lehnhard weich fort, „daß Sic meine arme Mutter schonen."
„Schonen. Wie meinen Sie das?"
„Ich deutete Ihnen bereits an, daß meine Mutter den Grund, warum Sie sich weigern, mich in Ihre Familie aufzuuehmen, und warum Sw mich zwingen, auf Else zn verzichten, nie erfahren darf."
Der Leutnant machte eine Bewegung unmutigen Erstaunens.
„Wie, Ihre Mutter wüßte nicht, daß —"
„Daß ich einst schwer gefehlt und dafür im Gefängnis gebüßt habe. Sie weiß es nicht.
Den Mienen Claus Wollmars war deutlich ein so starker Unglaube ausgeprägt, daß Viktor Lehnhard mit tiefer Bitterkeit rief:
„Sie glauben mir nicht. Einem Manne wie mir braucht man ja nach Ihrer Anschauung nicht zu glauben. Aber ich schwöre Ihnen bei dem Heiligsten und Teuersten, was mir noch geblieben, bei der Liebe zn meinerMutter, daß sie nicht ahnt, daß ich einst meine Ehre verloren habe."
„Aber das ist ja unmöglich!" konnte sich Claus Wollmar nicht enthalten zu rufen.
„Es ist eine Tatsache, die sich mit wenigen Worten erklären läßt. Meine Eltern wohnten damals in einer kleinen Stadt der Rheinprovinz. Meine Mutter war, als das Unglück geschah, leidend. Unter dem Vorwand, daß sie strengster Schonung bedürfe, hielt mein Vater allen Verkehr von ihr fern; natürlich litt er ebensowenig, daß ihr eine der Zeitungen, die über meinen Fall berichteten, vor die Augen kani. Als mein Prozeß zu Ende war, siedelte mein Vater mit meiner Mutter nach England über. Bon mir hieß es, ich sei in England auf einer Studienre se. — Auch mein Vater war, wie Sie, hart und unerbittlich. Nur in Gegenwart meiner Mutter zwang er sich zn einer unbefangenen, ruhigen Miene, so schwer ihm die Komödie auch ang kommen sein mag. — Und nun überlasse ich Ihnen, ob Sie meine Mutter schonen wollen oder nicht."
„Ich glaube Ihnen," erwiderte der Leutnant mit einem verstohlenen Blick in das vor heißer Bewegung zuckende Gesicht semes Begleiters. „Und ich habe keine Veranlassung, Ihrer Frau Mutter einen Schmerz zuzufügen."
„Ich danke Ihnen."
Noch stand Viktor Lehnhard zögernd und seine Lippen bewegten sich, seine Brust rang heftig, als wolle noch etwas an die Oberfläche. Da tat er plötzlich einen tiefen, seufzenden Atemzug, wie jemand, der in schwerem stillem Kampf einen drängenden Herzenswunsch überwunden hat. Dann lüftete er seinen Hut und schritt mit schnellen Schritten die Chaussee entlang.
Leutnant Wollmar aber kehrte um, um sich zu seinen Eltern zu begeben, tieferschüttert wider Willen.
(Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
— Der Münchener Turmkraxler Franz Adl- myr hatte sich zu Kaisers Geburtstag nach Berlin begeben, uw seine bayrische Kunst in den Dienst des preußischen Patriotismus zu stellen. Von der Art, wie er zur Verherrlichung des Festes beitrug, entwirft die „Fr. d. Presse" folgendes Bild: Gestern abend, kurz vor 6 Uhr, bestieg Adlmuyer den Turm der Georgenkicche, um auf deren blanker Spitze eine der beiden mitgebrachten Fahnen (eine schwarz-weiße und