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Hsro.
Sarnstcig, öerr 23. Dezember 1905.
41. Jahrgang.
IM" Wegen des Weihuachtssestes erscheint am nächsten Dienstag kein Blatt.
Friede aus Erden.
Mit ihren traulichen Friedensklänge» senkt sich die heilige Weihnacht über die deutschen Häuser. Das Wort vom „Friede auf Erden" null uns in diesem Jahre doppelt wie ein Klang aus einer andern Welt, wie eine Engelsbotschaft erscheinen. Ueberall Krieg, Kampf und Kriegsgeschrei!
Wir gedenken unserer auf fernem Boden für das Vaterland kämpfenden Brüder, wir spüren die Zuckungen des Kampfes auf Leben und Tod in unserem Nachbar« reiche, besorgt richten sich die dingen auf das haßerfüllte Kampfgewirr im inner» des Vaterlandes. Wie weit, ach wie weit sind wir nach zweitausend Jahren noch von dieser einen großen Aufgabe entfernt, die uns das Christentum in dem einzigen Worte stellt: Friede auf Erden.
Da flammen am heiligen Abend in den Häusern des deutsche» Volkes die Christbäume auf, und alle diese Häuser, sie er- scheineu an diesem Tage wie lauter kleine, winzige FriedenShäfen im großen Meere des Unfriedens — sie strahlen ihr Licht hinaus auf das Meer der Zeitkämpfe. Wohl heil« ten auch die Mauern des deutschen Hauses oft nicht mehr stand vor dem Ansturm der feindlichen Wellen des Zeitgeistes, aber die vielen Millionen deutscher Hausgemeinden, die im trauten Kreise um den Christbaum versammelt sind, in denen wirklich einmal an diesem Abend aller Hader schweigt, zeigen uns die friedenschaffende Macht. Sie heißt: Liebe!
Wohl ist es schön, daß in vielen deut- schen Häusern vom Kaiserpalast bis zur Arbeiterwohnung tznoch der Christbaum brennt, von Herzen die Weihnachtslieder gesungen werden und das Auge noch gläubig ruht auf dem Kind in der Krippe. So ist doch noch der Geist nicht erstorben, der mit dem Christkindlein auf die Welt gekommen. Gott gebe, daß dieser Geist tatkräftiger Nächstenliebe in den Herzen der Regierenden und Untertanen, der Fab« rikherrn und Arbeiter, in allen Ständen unseres Volkes immer lebendiger werde. Daun wird auch der schöne Weihnachtsfriede im Vaterland nicht fehlen: „Es kann nicht Friede werden, bis Seine Liebe siegt und dieser Kreis der Erden zu Seinen Füßen liegt."
Rundschau.
Stuttgart. Am Sonntag, 14. Januar findet hier in den Sälen des Stadt-
gartcns die „Laudes-Versammlung der Deutschen Partei" statt. Reichstagsabg. Prof. Dr. Hicber wird dabei über die Reichspolitik sprechen. Außerdem ist ein Referat von Dr. Karl Elben über die Eisenbahngemeinschaftsfragen in Aussicht genommen.
Die Berfassungskommission der Abgeordnetenkammer beschäftigte sich auch in ihrer gestrige» Sitzung niit dem Proportionalwahlverfahren. Die Kommission entschied sich schließlich mit 9 gegen 7 Stimmen für vie Zulassung der Stimmen. Häufung und strich mit demselben Stimmenverhältnis die Zulassung von wilden Wahlvorschlägen wieder aus ihrem seitherigen Beschluß. Das hiernach beschlossene Verhältniswahlverfahren unterscheidet sich von dem Verfahren, das für die Gemein- dewaylen in Städten mit mehr als 10000 Einwohnern von der zweiten Kammer beschlossen wurde, dadurch, daß bei den Gemeindewahlen w lde Wahlvorschläge möglich sind, bei den Landtagswahlen nicht, daß umgekehrt bei den Landtagswahlen die Stimmenhüusung bis auf 3 Stimmen möglich ist, bei den Gemeindewahlen nicht. D:e weitere Festsetzung des Kommissions- berichts gab nur noch zu wesentlichen Bemerkungen Anlaß.
Calmbach, 21. Dez. Bei der heutigen Gemeinderats-Wahl wurden gewählt: Karl Seyfried, Maurermeister mit 172 Stimmen, PH. Rau, Kirchenpfleger mit 166 Stimmen, Rich. Barth, Holzhändler mit 142 Stimmen, Chr. Barth, Schmiedmeister mit 125 Stimmen. Letzterer auf 2 Jahre an Stelle des Hrn. Schöninger. Die nächsten in der Stimmenzahl sind: Eg. Wurster mit 123, Maurermeister Kiefer mit 110 Stimmen.
Calw, 20. Dez. Der langjährige Oberamtsbaumeister Claus, ein hervorragend tüchtiger Baumeister, hat um seine Pensionierung nachgesucht. Die heutige Amtsversammlung genehmigte das Gesuch und nahm zugleich infolge Teilung des Bezirkes in 2 Teile die Wahl von 2 Oberamtsbaumeistern vor. Unter 11 Bewerbern wurden gewählt Werkmeister Köhler hier (voriges Jahr Stellvertreter des Oberamtsbaumeisters Kiefner in Jlsfeld.) Die beiden Stellen sind mit je 2100 Mk. dotiert; die Inhaber können Privatgeschäfte in jedem Umfange machen.
Tübingen, 19. Dez. (Schwurgericht). Der 23 Jahre alte ledige Bäckergeselle und Taglöhner Karl Lehrer aus Sondelfingen, der am 31. Okt. d. I., abends in einem Eisenbahnwagen während der Fahrt von Tübingen zur Haltestelle Lustnau auf seine Geliebte, die ledige Marie Barth
von Sondelfingen schießen wollte, um sie seinem Entschluß gemäß, zu töten, seinen, Zweck aber nicht erreichte, weil der Schuß versagte, hatte sich wegen versuchten Mords za verantworten. Der Angeklagte, der geständig war, wurde wegen versuchten Totschlags zu der Zuchthausstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt.
Tübingen, 20. Dez. (Schwurgericht.) Der 20 Jahre alte Goldschmied Jakob Roll von Oberjettingen, der in der Nacht vom 19. Nov. wegen geringfügiger Ursachen auf den Maurer Jakob Koch zwei scharfe Revolverschüsse abgefeuert hatte, ohne zu treffen, wurde wegen versuchten Totschlags zu Jahr Gefängnis verurteilt.
Reutlingen, 21. Dez. Die bürgerlichen Kollegien lehnten ein Gesuch der Metzgergenoffenschast um Aufhebung der Fleischsteuer ab. Oberbürgevmeister Hepp betonte, daß man in Stuttgart mit dieser Maßnahme keine guten Erfahrungen gemacht habe, denn die Fleischpreise seien dieselben hohen geblieben.
Hanau, 2l. Dez. In der Umge- gend von Hanau find gestern abend Erdstöße verspürt worden.
Aus dem Odenwald, 21. Dez. Die Reinhard'scheMillionen-Erb- schaft ist insofern in ein neues Stadinm getreten, als zwei Rechtsanwälte aus Leipzig sich erboten haben, zur Erlangung der so vielen Millionen alles unentgeldlich zu tun, sich selbst nur einen kleinen Prozentsatz vorbehaltend. Am vorigen Sonntag war in Neckarclz in Anwesenheit der Leipziger Rechtsanwälte und eines Advokaten aus Mosbach in besagter Angelegenheit eine Versammlung, wo Vertreter der Interessenten aus Baden, Hessen und Bayern anwesend waren. Die meisten Erbberechtigten stellt der südliche Odenwald, da nämlich der Erblasser in Wald-Michelbach geboren sein soll. Einer der Leipziger Anwälte hielt sich unlängst einige Wochen in London auf, um die nötigen Schritte zur Erlangung des Kapitals in die Wege zu leiten.
— Generalleutnant v. Trotha hat einem journalistischen Besucher u. a. folgendes erklärt: „Ganz offen will ich Ihnen sagen und Sie dürfen es auch ohne weiteres veröffentlichen, daß ich seit dem Tage, wo ich, dem Befehle meines Kaisers folgend, in die Ocffentlichkeit trat, keine ruhige Stunde mehr hatte. Und wahrlich, übler als der Gegner im Felde hat mir ungerechtes Urteil im Heimatlande mitgespiell. Ich werde mich übrigens, nachdem ich meinem obersten Kriegsherrn Bericht erstattet, auch vor der Ocffentlichkeit rechtfertigen."