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der Stahlblock wird jetzt mit allen Zeremonien begraben werden.
— Der Aufstand in Deutsch-Südafrika ist offenbar im Erlöschen. Der Tod hat dem alten Witboi er- spart, den völligen Zusammenbruch seines Stammes zu erleben. Er hielt die Aufständischen zusammen und sammelte die Zersprengten immer wieder — wir Deutsche haben einen gefährlichen Gegner weniger. — lieber die Ursache seines Abfalls von den Deutschen urteilt die „Frkf. Ztg>: Es scheint, daß religiöse Beweggründe mit im Spiel waren, ein „Prophet" hat ihm, der das Gottesgnadentum, die göttliche Mission, schon in seinen früheren Kämpfen für sich in Anspruch genommen hatte, die Ueber- zcugung erweckt, daß sich nun die Zeit erfüllt habe, um die Mission der Befreiung von fremder Herrschaft zu Ende zu führen. Dazu kam die durch herausfordernde Aeußerungen von Deutschen gewonnene Erkenntnis, daß nach Niederwerfung der Hereros auch den Witbois das bisherige Maß von Selbständigkeit
genommen und rücksichtsloser gegen sie vorgegaugen werden solle. So sagte sich der alte Manu von den Deutschen los, erklärte feierlich den Krieg und unterzog sich als Siebzigjähriger nochmals den Strapazen eines für beide Teile gleich anstrengenden Feldzuges. Hätte man Leutwein seinem Wunsche gemäß im Schutzgebiete gelassen, so wäre vielleicht durch "dessen persönlichen Einfluß noch eine gütliche Beilegung möglich gewesen. Aber man hielt das für überflüssig, und so mußten sich die früheren schlimmen Erfahrungen wiederholen. Der Gegner hat sich als un- gemein widerstandsfähig erwiesen und unseren Truppen sehr viel Schaden zugefügt, wenn er auch in den Hauptkämpfen weichen mußte.
Lokcrl.es.
Sitzung des Kewemderats
vom 18. November 1905.
Auf Antrag des Gasverwalters Güth- ler wird beschlossen, der Bereinigung der städtischen Gaswerke Württembergs behufs gemeinsamen Bezugs ihres Kohlenbedarfs und gemeinsamer Verwertung ihrer Nebenprodukte beizutreten und den Gas- Verwalter Güthler mit Einleitung des Weiteren und späterer Berichterstattung über die getroffenen Vereinbarungen zu beauftragen.
Bezüglich der von Fr. Sch mi d z. Anker und G. F a a s, Schmiedmeister eingcreich- ten Wirtschaftsconcessionsgesuche gibt der Gemeinderat die Erklärung ab, daß er d e Bedürfnisfrage zwar nicht bejahen könne, im übrigen aber die Gesuche dem Kgl. Oberamt befürwortend vorlege.
MrrterHcrLLenöes.
Im Banne der Pflicht.
Erzählung von A. L. Lindner.
9) (Nachdruck verboten.)
Bis hierher waren Markus und Lukin mit ihren Untersuchungen gekommen, als Lisbeth die Herren zu Tische bitten ließ. Die jüngeren Kinder fühlten sich, nun das Begräbnis vorüber, ganz offenbar wie von schwerem Druck befreit, und ihre vordem ängstlich gedämpften Stimmen hatten schon wieder so ziemlich den gewohnten Klang. Bei Jürgen war es besonders auffallend. Er kam langsam, aber sicher und wäre nicht abgeneigt gewesen, schon wieder ein paar Schulanekdolen zu erzählen, wenn nicht die Anwesenheit Lukins und das ernste Gesicht des Aeltesten doch etwas auf seine Stimmung gedrückt hätten.
Lisbeths Augen gingen unruhig von einem zum andern. Sie verstand nichts von Geschäften, aber so viel war ihr doch klar, daß des Vaters Tod einschneidende Veränderungen in ihrem und der Kleinen Leben herbcisühren würde. Ein Losrei- ßeu von vielem Lieben, Altgewohnten würde unvermeidlich sein. Darüber hinaus gingen ihre Gedanken freilich noch nicht. Sie legte liebkosend ihre Hand auf die des Bruders, der schweigsam dasaß, als stecke er tief in Rechenexempeln.
„Wie ist es, Markus, seid Ihr bald fertig?" fragte sie.
„Bestes Kind, wo denkst du hin? Kaufmännischer Nachlaß ist nicht so im Handumdrehen geordnet.
„Aber es ist doch alles in Richtigkeit, wickelt sich glatt ab?" fragte sie in einer unklaren Anwandlung von Besorgnis.
„Na", sagte Lukin bedächtig. „Auf einige Enttäuschung werdet Ihr Euch wohl gefaßt machen müssen. Das ist meine Ansicht. Aber wir sind einstweilen noch bei den Anfängen, können noch nicht klar sehen. Morgen spätestens werden wir Euch das Resultat vorlegen können."
In Wahrheit ahnte er den Stand der Dinge bereits zur Genüge, aber es war sein Grundsatz, bei Tische niemals von unangenehmen Dingen zu reden. Das nützte nichts und schädigte nur die Verdauung.
„Morgen?" fragte Jürgen. „Na, das ist gut, Freitag gedachte ich nach Schwär- zenstein zurückzukehren. Ich sehne mich nach meinen Büchern."
Markus warf ihm einen erstaunten Blick zu. Regte sich jetzt endlich bei dem Bruder der Lerntrieb, nachdem die Lehrer bisher immer seinen Mangel an Eifer, trotz seiner großen Begabung, bedauert hatten? In Wahrheit empfand der Leichtfuß die Stimmung des ganzen Hauses als drückend und sehnte sich nur nach etwas freierer Atmosphäre.
„Wenn du nach Schwarzenstein kommst, wirK du gut tun, dich hinter den Büchern energisch aus die Hosen zu setzen, mein Jungchen", sagte Lukin.
„Weshalb betonst du das „Wenn" so, Onkel?"
„Nun, so auf alle Fälle. Der Tod Eures Vaters könnte doch am Ende man
che Veränderung bedeuten."
„O, aber meine Karriere laß ich mir nicht verderben. Vater würde sich ja noch im Grabe umdcehen, wenn ich nicht wenig- stens mein Abiturium machte. Das war sein ausdrücklicher Wille. Nein, dafür muß auf sieden Fall Rat geschafft werden."
„Gut, gut, das wird sich auch finden," sagte Lukin mit unerschütterlicher Ruhe. „Einstwtilen müssen wir nun wieder an die Arbeit. Wir haben noch viel vor uns. Komm, Markus."
Sie gingen und die übrigen Familienmitglieder zerstreuten sich. Jürgen stärkte seine Nerven nach oll dem Erschütternden der letzten Woche an einem Roman von Srcher-Masoch, HanS, ein geistig und körperlich zurückgebliebener Junge, verkroch sich mit der kleinen Helene ins Kinderzimmer, und Karla folgte Lisbech zu allerhand häuslichen Anordnungen. Das arme Kind empfand von den jüngeren Geschw stern den Tod des Bakers weitaus am tiefsten, S>e fürchtete sich allein zu sein und folgte der Aeltesten, Schutz und Anhalt suchend, treppauf, treppab, glücklich, wenn man ihr einen Auftrag erteilte und nach ihren Kräften zu Helsen erlaubte.
Inzwischen nahmen die Untersuchungen im Kontor ihren Fortgang, aber das Resultat ward nicht befriedigender. Das erste, was sich beim Oeffnen des Pultes präsentierte, war ein zusammengeschnürtes Bündel unbezahlter Rechnungen, einige vom Vorjahre, die meisten aber viel weiter zurückdatiert. Rechnungen von Schustern und Schneidern, zumeist aber von Lieferanten, untermischt mit mehr oder weniger nachdrücklichen Mahnbriefen. Diese allein repräsentierten schon eine nicht erhebliche Schuldenlast, und Markus war ganz blaß, als er sie durchsah. Ihm selbst waren Schulden immer als etwas ganz Unerlaubtes. Unehrenhaftes erschienen, sieka- men unwittelbarhinteroffenkundigemBetrug.
Der alte Dornburg gehörte zu den Leuten, die ihren Kindern grundsätzlich keinen Einblick in ihre pekuniären Verhältnisse gewähren, er hatte stets auf behagliche Lebensführung gehalten und aus seine Art und in seinem Kreise ein Haus gemacht. Was Wunder, wenn seinen Kindern kein Verdacht kam, wenngleich sich in der Stadt längst das Gerücht verbreitet hatte, es stehe nur schwach um die Firma Heinrich Dornburg.
Weit schlimmer als die unbezahlten Rechnungen war die Zahl der auf HauS und Geschäft eingetragenen Hypotheken und Schuldverschreibungen. Sie überstiegen selbst Lukins Erwartungen sehr, so daß sie ihm den Ausruf „Verfluchte Wirtschaft" entlockten. Das Haus war völlig überlastet. Vor 20 bis 30 Jahren hätte das noch so hingehen können, seitdem aber hatten sich die Zeiten gründlich geändert. Der Betrieb war zurückgegangen. Die Baulichkeiten entsprachen nicht mehr den modernen Anforderungen, die Stadt hatte sich vergrößert, und aus einer günstigen Geschäftslage war das Haus in eine solche zweiten Ranges herabgeglitten. Ein eventueller Käufer mußte alles in Betracht ziehen.
„Ihr werdet jedenfalls keinen Groschen übrig behalten und könnt Gott danken wenn Ihr nach deni Verkauf herauszahlen könnt," meinte Lukin, „Eure Mutter hat, soviel ich weiß, kein Vermögen gehabt, nicht wahr?"
„Nein, sie war eine von sieben Schwestern und konnte eben nur ihre Aussteuer mitbekommen" sagte Markus. (,F. folgt.)