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Meine Rüstung für den Einsall in Rußland bestand aus einem guten Reiseteppich, einem Paket der wenigst greulichen im Handel vorkommenden Tabakfabrikate, ein paar Bänden Tauchnitz und, als Würze dazu, einigen französischen Romanen. Einen wohlgefüllten „Seelentrost" verwahrte ich in der Tasche meines warmen Ulsters. Es war Mitte Oktober und die mageren, stei- nigen Felder lagen kalt und erstorben im Mondscheine da. In meinem Coups befanden sich außer mir noch zwei hübsche, stramme russische Offiziere mit weißen, juwelengeschmückten Händen, die auf der Heimreise von Paris begriffen waren, wo die Russen so gern ihren Urlaub verbringen.
Nachdem ich es mir auf meinem weichen, breiten Sitze möglichst bequem gemacht hatte, schlummerte ich bald ein, während meine militärischen Gefährten mir gegenüber sich Cigaretten drehten, über allerlei Einkäufe und Pariser Weiber plauderten und sich über vaterländische Angelegenheiten mit jener kühnen Freiheit äußerten, die der reisende Russe auswärts so gerne zur Schau trägt und die ihm zu Hause unter dem eisernen Szepter des „weisen Zaren" ein ganz unerreichbarer Luxus ist.
Als der Morgen dämmerte, fuhren wir durch die Festungswerke der alten preußischen Krönungsstadt Königsberg, der letzten Hauptstadt des Militärstaates Preußen, nach der russischen Grenze hin.
Nach dem Frühstück vertieften sich meine kriegerischen Reisegenossen in die Freuden des „Baccarat" und des Cigarettenrauchens. Aus ihrer Unterhaltung entnahm ich bald, daß ich den Hauptmann Gregory Schewitsch nnd den Lieutenant Alexis Michaelowitsch von der allervornehmsten Waffe, von der kaiserlich russischen Garde, vor mir hatte.
In dem ihrer Nation eigenen guten Französisch plauderten sie über allerlei landläufige Gegenstände, während das wechselnde Spielglück vollends über alles nicht in Paris verbliebene Taschengeld verfügte. Ihre Unterhaltung, der ich, anscheinend in mein Buch vertieft, meine Aufmerksamkeit zuwandte, war von größtem Interesse für einen ausgedienten amerika- mschen Offizier, der ihr romantisches Va- terland zum erstenmal besuchen wollte, und während ich die langweiligen Blätter umdrehte, war ich ganz Ohr. Unter anderm erörterten sie auch die kürzlich erfolgte Ernennung eines wahren Ungeheuers von einem boshaften, schlauen Beamten zum Chef der russischen Geheimpolizei.
Dieser Herr erfreute sich, obgleich er nicht slavischer, sondern deutscher Abstam. mung war, einer selbst für ein despotisches Land unerhörten Macht; von seinem gehej. men Lugaus in Petersburg traf die unsichtbare Hand dieses Michiavelli überall hin und sein hoher Rang, seine ausgedehnten Machtbefugnisse und sein hochwichtiges Amt verschafften ihm allezeit freien Zutritt bei dem neuen Zaren, dessen erhabener Name ihm als Donnerkeil diente.
„Gregory." sagte Alexis, „ich habe gehört, die Nihilisten seien gegenwärtig wieder sehr tätig und arbeiten aus Leibeskräften daran, ihre durch Loris Melikoff zerstörte Post- und Telegraphenverbindung wieder hcrzustellen."
„Das stimmt," erwiderte Gregory, indem er seine Karten mit dem geldgierigen Instinkt eines schlauen Slaven betrachtete, „diese armen Teufel können nicht über unsre Grenzen, ohne die höchste Gefahr zu laufen, lebenslänglich nach Sibirien geschickt oder zu noch Schlimmerem ver
urteilt zu werden. Der neue Polizeipräsident ist so klug wie Bismarck und so schlau wie Vidocq."
Nachdenklich drehte sich Gregory seine Cigarette und sagte: „Sie müssen jetzt verzweifelte Versuche machen, auf irgend eine noch nie dagewesene Weise herüber- zukommen, denn wenn es ihnen nicht ge- lingt, sich über neue Signale und eine andere Geheimschrift zu verständigen, so müssen sie ihre Verschwörungen für immer aufgeben. UebrigenS haben sic eine Unmasse Geld und verfügen über einige sehr gewandte Unterhändler."
„Das ist wahr," erwiderte der andre und hob ab, „mein Onkel, der Gesandte, sagte mir, einige unsrer Telegraphenbeamten gehören auch zu ihrer Verbindung und leisten ihnen ganz unschätzbare Dienste."
„Nun, sie mögen so durchtrieben sein, als sie wollen, der neue Polizeichef ist doch noch ein wenig schlauer und wird sie schließlich in eine Sackgasse treiben."
„Vorausgesetzt, daß sie ihn nicht vorher ermorden," sagte Alexis und händigte seinem siegreichen Kameraden eine handvoll zerknitterte Noten ein — mit einem unterdrückten Fluch über sein Pech.
Gregory lachte, während er die Rubel wohlgefällig betrachtete und einsackte: „Die Nihilisten werden kaum glücklicher sein, als du, alter Bursche! Erinnerst du dich noch des hübschen Salons der Fürstin Trubetskoi in Paris?"
Alexis lächelte und streichelte in Erin- nerung an seine kürzlichen Eroberungen liebevoll seinen blonden Bart.
„Nun," fuhr der Hauptmann fort, „manch dickes blaues Paket von Noten der Bank von Frankreich sind von der „Haute Direktion" in diese weißen, juwe- lenblitzenden Hände geglitten, denn die Fürstin liefert Abschriften der nihilistischen Pläne, — ja, man hat mir sogar erzählt, sie habe Dinge in Erfahrung gebracht, die in Bälde die Verhaftung der —"
Mißtrauisch sah er nach mir hin und flüsterte seinem Gefährten einige mir unverständliche Worte ins Ohr.
„Bei Sankt Wladimir," rief Alexis, „das ist ja das Frauenzimmer, dessen seit dem Tod unsres lieben, alten Kaisers die ganze Polizei habhaft zu werden suchte? Na, die ist ein netter Bissen für den Hen- ker, wenn man sic erst hat! Sie soll, wie man sägt, von engelhafter Schönheit sein."
„O," stimmte Kapitän Gregory mit einem lüsternen Ausdruck auf seinem tata- rffchen Gesicht bei, „in diesem Fall wäre ich gar nicht ungern selbst,1s maitrs ä68 öpaulvs.'" Nun begannen die Offiziere sich zum Aussteigen fertig zu machen, denn wir näherten uns der letzten Grenzstadt.
„Schafsköpfe, bald bin ich eure wider- liche, rohe Gesellschaft los," dachte ich und vertiefte mich wieder in meinen Roman, denn ich hegte bei meinem Eintritt in Rußland nicht die mindeste persönliche Befürchtung.
Wozu auch? Ich war ja der glückliche Besitzer eines von der russischen Gesandt- schast sorgfältig visierten und „so rö^Is" erklärten Passes. Außerdem hatte ich auch noch die wärmsten Empfehlungen an den mit mir verschwägerten Constantin Weletsky, einen der Räte des Zaren, der als einstiger Page der hochseligen Zarin bei der kaiserlichen Familie hoch i» Gunst stand. (Forts, f.)
Vermischte s.
— Eine in Deutschland sichtbare Mond- finsternis steht am 19. Februar bevor.
Um 6 Uhr 53,4 Min. tritt der Mond in den Erdschatten. Das Maximum der Verfinsterung umfaßt vier Zehntel des Monddurchmessers und ist um 8 Uhr 0,1 Minuten zu erwarten. Der Austritt des Mondes aus dem Erdschatten erfolgt 9 Uhr 6,7 Minuten.
— (Ein 31stöckiger Zeitungspalast.) Wie aus Ncwyork gemeldet wird, ist die „Newyork Times" am 1. ds. in ihr neuerbaureS 31stöckiges Gebäude überfiedelt. DaS Gebäude ist, vom Fundament bis zur Dachspitze gemessen, 446 Fuß hoch und das höchste Gebäude der an „Himmelskratzern" so reichen Stadt Newyork. Der Bau dringt 55 Fuß in die Tiefe, quer durch die Mitte geht die 54 Fuß breite kürzlich eröffnete Tiefbahn. Die Uebersiedlung wurde um Mitternacht durch das Abbrennen eines Brillantfeuerwerks von der Spitze des Gebäudes gefeiert.
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