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Thea begann wieder eifrig zu malen, und Walter versenkte sich aufs Neue in den Anblick ihrer goldigen Locken.
Mit Anbruch des Winters war Graf Dinkelsbühl mit seiner Familie nach Berlin übergesiedelt, wohin auch Jürgen komman- dirt war, nachdem er sich entschlossen, die militärische Laufbahn nicht aufzugeben. Walter Mansberg hatte in dem gräflichen Hause seine Aufwartung gemacht, und da Komtesse Thea durchaus Malunterricht nehmen wollte, so wurde Walter ihr Lehrer.
Der junge Künstler war stolz auf das ihm geschenkte Vertrauen. Seine Lehrtätigkeit brachte ihn zugleich Thea wieder nahe, die sein ehrgeiziges Herz zu lieben meinte. Er war überhaupt ein anderer geworden, seit dem verflossenen Sommer. Der Ehrgeiz, die Sucht zu glänzen, sich rasch einen Namen zu machen, hatten ihn gepackt. Er ve gaß seinen früheren Idealismus, er malte jetzt für die große Menge, und was seinen Bildern an Tiefe der Empfindung, an künstlerischer Auffassung mangelte, das ersetzte er durch eine glänzende, blendende, in ihren Kontrasten überraschende Technik. Nun fanden seine Bilder rasch Abnehmer, sein Name stand in allen Blättern, die Kunsthändler bezahlten hohe Preise für seine Bilder — er war in Mode gekommen und machte ein glänzendes Geschäft-
Freilich mit seinem alten Lehrer, dem Professor Rotlorff, war er auseinander gekommen. Sie sahen sich nur noch hin und wieder im Küustlerverein, und daun behandelte ihn Professor Rollorf mit einer gewissen ironischen Ueberlegenheit, die deu ehrgeizigen Walter verletzte, sodaß er sich mehr und mehr von seinem alten Lehrer zurückzog. Er hatte ihn nicht mehr nötig!
Nur eines fehlte dem jungen Künstl»r zu seinem Glück: die gesellschaftliche Stellung. Und dazu sollte ihm die gräflich Dinkelsbühlsche Familie verhelfen. Er be- merkte wohl, daß sich in Theas Herzen eine gewisse Neigung für ihn regte, und darauf baute er seinen Plan. Nicht stürmisch wollte er Vorgehen — das hätte Alles verderben können; aber nach und nach wollte er sich fest in das Herz der Komtesse einnisten und dann — den Haupt- fchlag wagen.
Vorläufig spielte er mit großem Geschick den Resignirten. Aber in all' seinen Worten ließ er die Liebe zu Thea durchleuchten, und die versteckten Andeutungen feiner Leidenschaft, seines Unglücks machten auf das schwärmerische Herz der jungen, unerfahrenen Komtesse mehr Eindruck, als eine stürmische Werbung.
Nach einer Weile legte sie die Malge- rätschafken fort und sprang auf.
„Ich mag nicht mehr malen. Erzählen Sie mir etwas!" rief sie und warf sich in einen Schaukelstuhl, die Arme unter den Kopf legend.
Sie sah reizend aus, und Walter betrachtete sir mit stummem Entzücken, sodaß sie tief errötete.
„Sie machen mich noch böse," fuhr sie fort, aber sie sah nicht im Geringsten böse aus.
„Ich bin ja schon artig, gnädigste Komtesse . . .
„Haben Sie lange nichts von Liselotte von Jmhoff gehört? Man sagt, daß ihr Bild bei Schulte Aufsehen erregt."
Er zuckte mit einer leicht verächtlichen Bewegung die Schultern.
„Alte Schule, Komtesse — kein modernes Empfinden. Denken Sie nur — ein leicht bekleidetes Fischermädchen am Meeresstrande — die Wellen gehen hoch und treiben einige Schiffstrümmer an das felsige Ufer — düsteres Gewölk zieht auf, dazwischen leuchtet die Sonne mit fahlem Schein. — Unabwendbares Leid nennt Fräulein von Jmhof das Bild — manie- rirt, nicht wahr?"
„Ich finde den Gedanken sehr hübsch."
„Geschmackssache, Komtesse. Mir ist der Gedanke zu sentimental. Aber ich könnte mich mit dem Vorwurf noch befreunden, wenn ich nicht die Spekulation in ihm erkennen würde."
„Spekulation?"
„Ja — in einer ganz bestimmten Rich- tung — Diamantstein.,,
„Sie sprechen in Rätseln."
„Haben Sie nie darüber nachgedacht, Komtesse, weshalb wohl Fräulein von Jmhof die Verlobung mit Ihrem Herrn Bruder gelöst hat?"
Thea sah nachdenklich vor sich nieder.
„Ich glaube," entgeqnete sie zögernd, „Liselotte war eifersüchtig auf ihre eigene Schwester . . ."
„Eifersüchtig," lachte Walter. „Nein, wahrhaftig nicht! Ihr Herr Bruder war ihr zu wenig."
Verständnislos blickte Thea ihn an.
„Fräulein von Jmhof wollte sich nicht mit dem kleinen Gute Diemenstein begnü- gen, sie wollte Herrin von Diamantstein werden ..."
„Ich glaube gar," rief Thea mit spöttischem Auflachen. „Im klebrigen wäre sie es ja auch als Gatnn meines Bruders geworden."
„Sicher ist sicher — der Herr Baron von Diamantstein könnte sich nochmal ver- heiraten . -
„Und da meinen Sie, daß Liselotte selbst ihn heiraten wollte?"
„Ja — und Ihren Herrn Bruder überließ sie großmütig ihrer Schwester."
„Sie sind boshaft, Herr Mansberg!"
„Nicht im Geringsten, gnädigste Kom- tesse. Ich sage die volle Wahrheit. Ich weiß bestimmt, daß Fräulein von Jmhof, wie man zu sagen pflegt, ein Auge aus Ihren Herrn Onkel geworfen hat. Als Sie nach Diamantstein kamen, war ich schon einige Zeit dort — da habe ich denn meine Beobachtungen gemacht. Wenn Ihr Herr Bruder nicht dazwischen gekommen wäre, wer weiß, was geschehen wäre. Haben Sie jemals das Bild Fräulein von Jmhoss gesehen, welches Ihr Herr Onkel gemalt hat?"
„Niemals. — Ich weiß überhaupt nicht, daß Onkel Liselotte gemalt hat."
„Nicht eigentlich als Porträt — als Madonna — als Heilige — ich habe das Bild gesehen, so etwas kann nur ein Lie- bender malen. Ich weiß aber auch, daß Fräulein von Jmhof noch jetzt mit Ihrem Herrn Onkel in Briefwechsel steht."
„Das ist allerdings interessant."
„Nicht wahr? — Und die Großmut Ihres Herrn Onkels gegen Frau von Jmhof, die noch immer die Herrin in Diamantstein spielt, ist Ihnen nun erklärlich."
Komtesse Thea sprang auf.
„Ihre Erklärung ist jedenfalls sehr geistreich und malitiös, Herr Mansberg."
(Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
— Ein origineller Menschenfreund in Berlin sucht auf eine eigene Art junge Mädchen vor den Gefahren der Verführung zu schützen. Verkäuferinnen, die er in den von ihm besuchten Geschäften antrifft, läßt er durch Angestellte eines Privatdetektivinstituts beobachten. Sieht der Beobachter, daß ein Mädchen in verfänglicher Weise mit einem Manne zusammenkommt, so übergibt er ihm einen Brief seines Auftraggebers. Haben ihn die Mädchen erschreckt geöffnet, so lesen sie folgendes: „Sehr geehrtes Fräulein! Da so viele anständige und gutherzige Mädchen der Leidenschaft der Männer unterliegen, so habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, dies nach Möglichkeit zu verhindern. Von Ihrer Unschuld überzeugt, habe ich Sie beobachten lassen. Jetzt ist der Augenblick, wo ich Sie schütze. Zwar würden Sie gewiß den Fehltritt nicht aus Geldnot, sondern aus gewissermaßen entschuldbarer menschlicher Schwäche tun; dennoch gestatte ich mir, für alle Fälle ein Aequivalent zu geben. Ich bin auch bereit, Ihnen weiter zu helfen und bitte Sie, in diesem Fall sich an meine Adresse postlagernd u. s. w. zu wenden. Ich kenne Sie nicht persönlich, habe auch nicht den Wunsch, Sie kennen zu lernen, und will für Sie stets nur der unbekannte Beschützer sein." Dem Briefe ist jedesmal ein Hundertmarkschein beigelegt. Es kommt nicht selten vor, so versichert das „B. T.", daß die Mädchen nach dem Lesen dieses Briefes mit diesem und dem Hundertmarkschein auf und davongehen, ohne sich um den Herrn, mit dem sie sich ein Stelldichein gegeben hatten, zu kümmern.
— Eine lustige Geschichte wird einem russischen Blatte aus der Stadt Homel be- richtet: Der Schaffner betritt einen Eisen- bahnwagen der Polessjebahn. „Ihre Fahr- karten, meine Herren!" Die Reisenden geben ihm die Fahrkarten. „Na, Tantchen, Deine Fahrkarte!" sagt er zu einer Bäuerin die in einer Ecke fitzt und ein fettglänzen- des Tuch auf dem Kopfe hat. Die Frau schaut ihn verwundert an und blickt dann wieder ruhig zum Fenster hinaus. „Tante, hörst du denn nicht? Deine Fahrkarte will ich haben!" Die Frau sitzt, rührt sich nicht und schweigt, als ob sie die Sache nichts angehe. Der Schaffner verliert die Geduld. „Bist du taub?" ruft er und zupft die Frau am Aermel. Auf ihrem Gesicht zeigen sich alle Zeichen des Schreckens und des Erstaunens. „Siehst du mich denn?" fragte sie schüchtern. „So eine Gans!" erwiderte lachend der Schaffner, glaubst du denn, daß ich blind bin?" Die Reisenden lachten. Da fährt die Frau zusammen und sängt an, bitterlich zu weinen: „Er hat mich betrogen, der Räuber, er hat mich betrogen!" Dann erzählt sie fol- gendes: In Baranowitschi war sie mit einem „Pilger" zusammengetroffen. Als er erfuhr, daß sie nach Homel fahren wolle, um ihren Mann zu besuchen, schlug er ihr vor, sie solle für eine Opferkerze einen Rubel spenden, dann werde er ihr wie ein Kopftuch geformtes Käppchen aus dem ge- lobten Lande geben; dieses Käpphen werde sie für den Schaffner unsichtbar machen, so daß sie umsonst nach Homel fahren könne. Die Frau hielt diesen Handel vor- teilhast und erhielt für ihren Rubel die fettige Trankappe. Die Reisenden, denen sie die Geschichte erzählte, hatten Mitleid mit ihr und kauften ihr eine Fahrkarte.