Beilage z. „Wildbader Chronik."
U°ro. 119. Ireitag, öen 7. Oktober- 1904 40. Jahrgang.
Unterhaltendes.
Der Polizei-Agent.
(24 Foiis. (Nachdruck verboten.)
„Leugnen Sie jetzt noch, Madame?" sagte Hamilton, indem er sich aufrichtete und der Verbrecherin das gefundene Geschmeide entgegenhielt. Aber die Gefragte würdigte ihn keines Blicks; schweigend und finster, wr« er sie damals im Coups gesehen, starrte sie vor sich nieder, und nur die rechte Hand hielt sie krampf- hast geballt, die Zähn» fest und wild zusammengebissen, und di» Augen, di« von solchem Liebreiz strahlen konnten, sprühten Feuer.
„Haben Sie etwas gefunden?" rief ihm der Kommissär entgegen.
„Alles was wir suchen," erwiderte Hamilton ruhig — „aber ist denn der Lohndiener noch nicht vom Telegraphen- amt zurück?"
„Eben gekommen. Er wartet im anderen Zimmer auf Sie."
„Gott sei Dank — jetzt treffen alle Beweise zusammen," rief Hamilton aus. „Ich ersuche Sie indes, Herr Kommissär, diese junge Dame in sehr gute Obhut zu nehmen, denn sie ist mit allen Hunden gehetzt."
„Haben Sie keine Angst — wir werden das saubere Pärchen sicher verwahren."
„Den Herrn kann ich Ihnen vielleicht abnehmen," lächelte der Polizeiagent, indem er in das benachbart» Zimmer trat und dort die für ihn eingetroffene Depesche in Empfang nahm. Er erbrach sie und las die Worte:
„In Islington gibt eS keinen Geistlichen Benthouse. — In ganz London nicht. Burton.
Herrn Hamilton, Telegraphenbureau, Frankfurt a. M."
Hamilton trat zum Tisch, auf den er den Schmuck und die telegraphische De- pesche legte, dann nahm er au» seiner Tasche die Liste der gestohlenen Banknoten, die er mit den bei der Zungen Dam« gefundenen verglich und einige rot an- strich, dann fügte er diesen noch ein an- dcres Papier bei, die genaue Beschreib, ung des im Hause der Frau Clive ge- stohlenen Schmucks, und als er damit fertig war, sagte er freundlich zu Burton:
„Dürfte ich Sie jetzt einmal bitten, Herr Burton, sich dies» kleine Bescherung anzusehen? Es wird interessant für Sie sei». — Lassen Sie den Gefangenen nur loS, meine Herren."
„Sie werden sich nie Ihres nichtswürdigen Betragens wegen entschuldigen können," sagte Burton finster, indem er aber doch der Aufforderung Folge leistete.
„Auch dann nicht?" frug Hamilton, „wenn ich Sie überzeuge, daß Sic einer großen — einer recht großen Gefahr entgangen sind?" frug Hamilton.
„Einer Gefahr? — wie so?"
„Der Gefahr, das Schlimmste z>, erleben, was ein anständiger Mann, außer dem Verlust seiner Ehre, erleben kann — sich lächerlich zu machen."
„Herr Hamilton —"
„Bitte lesen Sie hier die Depesche Ihres Vaters — seine Antwort auf meine Anfrage von heute morgen. — So — und hier haben Sie die Nummern der aufgefundenen Banknoten und hier endlich die genaue Beschreibung des Schmucks, von Frau Clives eigener, sehr zierlicher Hand. Zweifeln Sie jetzt noch daran, daß Sie eS nicht mit einem Fräulein Jenny Benthouse, sondern mit der leichtfertigen Lucy Fallow zu tun hatten? — Pst -- lieber Freund, die Sache ist abgemacht" — sagte aber der Agent, ater sah, wie bestürzt der junge Burton diesen nichtwegzuleugnenden Beweisen gegenüber stand. — „Nur noch «inen Blick werfen Sie jetzt auf die jung» Dame," fuhr er dabei fort, während er zugleich die Tür aufstieß und nach der trotzig und wild dastehenden Gestalt des Mädchens zeigte, — „Glauben Sie, daß jene Dame Ihnen bis London gefolgt wäre, und nicht vorher Mittel und Wege gefunden Hütte, Ihnen unterwegs zu entschlüpfen? Ueb- rigenS habe ich schon von Ems aus, so wie ich Korniks Geständnis erhielt, nach London an Frau Clive telegraphiert und sie gebeten, mir Jemanden zur Erkennung des jungen Frauenzimmers herzusenden. Der kann schon, wenn sie ihn rasch befördert hat, morgen mittag eintreffen, und dann, nachdem jeder Vorsicht Genüge geleistet und die äußerste Rücksicht ge- nommmen ist, um nicht «ine Unschuldige zu belästigen, werden Sie mir doch zugeben, Herr Burton, daß ich meine Pflicht erfüllt habe."
Herr Burton schwieg und sah ein paar Sekunden still vor sich nieder; aber sein bessere» Gefühl gewann doch die Oberhand. Er sah ein, daß er sich von einer Betrügerin hatte täuschen lassen, und Hamilton die Hand reichend, sagte er herzlich:
„Ich danke Ihnen, Herr — ich werde da» nie vergessen."
„Ein desto schlechteres Gedächtnis werde ich dann für unser letztes kleines Intermezzo haben," lachte der Polizei- agrnt, dir dargedotene Hand derb schüt tclnd. „Und nun, mein lieber Herr Burton, reisen Sie, wenn Sie meinem Rat folgen wollen, so rasch Sie mögen nach England zurück. Für die beiden Schuldigen werde ich schon Sorge tragen, und in sehr kurze: Zeit denke ich Ihnen nachzufolgen."
Dem Kommissär erklärte Hamilton bald den Zusammenhang der Verhaftung deS Herrn Burton, den er dadurch nur hatte so lange aushalten wollen, bis er die Beweis» von der Schuld jener Person beibrachte — das war jetzt geschehen, und er selber brachte jetzt d.e an dem Morgen von Burton zerrissene und von ihm wieder sorgfältig zusammengeklebrc Vollmacht zum Vorschein, die als beste Legitimation für ihn dienen konnte.
Am nächsten Tag traf richtig ein Polizeibeamter, der Fräulein Lucy Fallow persönlich kannte, in Frankfurt ein, und Hamilton erhielt die Genugtuung, seinen ersten Verdacht völlig bestätigt zu finden. Gleich danach reiste Herr Burton allein
ab, währ.nd Hamilton noch einige Tage brauchte, bis er die Uebersendung der Weripapiere und Banknoten nach England regulieren konnte. Dann erst folgte er mit seinen Gefangenen nach England, von denen er aber nur das Mädchen hinübrrbrachte.
Kornik machte unterwegs einen verzweifelten Fluchtversuch und sprang, wäh- rend der Zug im vollen Gange war, zwischen Lüttich und Namur aus dem Fenster des Waggons, aber er verletzte sich dabei so furchtbar, daß er starb, ehe man ihn auf die nächste Station tragen konnte.— Ende. —
Vermischte».
— In einem Gäuort de» Bezirks Calw kam letzter Tage ein 72 Jahre alter Mann vom Wirtshaus heim, wo ein neues Grammophon aufgestellt worden war. Voll Staunen betrachtete er die neue Erfindung und konnte nicht klug daraus werden. Als er nach Hause kam, rief er seinem Sohne zu: „Jakob, gang schnell inS Rößle, do ist a Trompet, dui schwätzt von selber, dui mußt au seha und haira!"
— In der „Konstanzrr Zeitung" erzählt Max Bittrich nachträglich ein hübsches Sommeridyll von den Gestaden de» Schwäbischen Meere». Er schreibt: „Neben mir sitzt seit einigen Mittagen ein forsch dreinblickender Herr. Sein großer Schnauzbart wackelt fortwährend, bis der letzte Gast am Tische sitzt und die Saaltöchter die Suppe auftragen. Der Bart wackelt weil von 12'/, Uhr bis zum Beginn deS Essen» tagtäglich eine kräftige Rede über die Unpünktlichkeit der Welt den Mund verläßt. Man erzählt sogar, wer auch nur einmal nach dem Glockenschlag eintrete, werde trotz aller vorhergegangenen Freundlichkeit von dem Schnauzbart keines Gruße» mehr gewürdigt. Draußen im Garten geht der Herr zwischen 3 und 4 Uhr wie ein Automobil seinen bestimmten, 5 Minuten langen Weg ununterbrochen auf und ab, immer zwischen zwei bestimmten Stühlen, und dann entfernt er sich, um zu baden. Nur hat ihn noch niemand in oder bei der gemeinsamen Badeanstalt gesehen. Doch jetzt ist das Rätsel gelöst. Mit guten Käme: «den fuhr ich in einem flmken Motorboot über den See. Da sah einer unserer Reisegenvssen durch das Fernrohr etwas Sonderbare»: eine auf dem Wasser stehende Zeitung. „Ich laß mich fresse, „'S sich e Zeitung!" rief er. Wir fuhren rasch darauf zu, und siehe da, unser Tischnachbar Schuauzbart lag, durch eine umgeschnallte Schwimmbüchse gehalten, auf dem Rücken im Wasser und las sein Leibblalt. Von unten Kühlung, von oben Belehrung — mehr kann man nicht verlangen. An der Mittagstafel erzählte unser sonderbarer Schwimmer, es gebe auf der Welt nichts schöneres, als täglich seine 3 Stunden auf dem Rücken zu liegen, unter sich etwas so gesundes wie das Wasser, über sich Himmel und Sonne und wenigstens — eine Zeilung, damit man in aller Einsamkeit dos Neueste nicht nur schlucken, sondern auch verdauen könne."