Beilage z.Wildbader Chronik."

Urs. 21. Arreitcrg, öerr 29. ApriL 1904 40. Jahrgang.

Mnterhattenöes.

Äns Nacht Min Licht.

von Hugh Conway.

33) (Nachdruck verboten.)

Endlich in St. Petersburg! Der Brief, welche» ich überbringe, und der­jenige, welcher mir vorausgegangen ist, sichern mir einen wohlwollenden Empfang von seiten des edlen Vertreters Ihrer Majestät in der russischen Hauptstadt. Er hört mein Gesuch aufmerksam an; er verspottet cs nicht als lächerlich. Zwar sagt er, mein Vorhaben sei ohne Beispiel, doch erklärte er es wenigstens nicht für unausführbar. Schwierigkeiten, große Schwierigkeiten seien vorhanden; da aber mein Geschäft ein rein privates, ohne jegliche politische Tendenz ist, und da meine Briefe das magische Autograph einer Person tragen, welcher der edle Lord gefällig sein möchte, sagte er mir nicht, daß diese Hindernisse unüberwind­lich sind. Ich muß geduldig tage-, viel­leicht wochenlang warten, kann aber versichert sein, daß alles, was irgend möglich ist, geschehe» werde. Es solle, wie die Zeitungen melden, gerade eine jener kleinen Reibungen zwischen den beiden Regierungen stattgefunden haben, die oft zur Folge haben, daß selbst ge­ringere Bitten als die meinige abgewiesen werden. Doch, wir werden ja sehen . . .

Wer der Gefangene sei und wo er sich befinde? werde ich gefragt,

Ach! das kann ich nicht jagen. Ich kenne ihn nur unter dem Namen eines Doktor Ceneri, eines Italieners, eines Freiheitsapostels, Patrioten und Ver­schwörers, und ich war nicht töricht ge­nug, zu glauben, daß er unter dem Namen, unter welchem ich ihn kannte, verhört und verurteilt worden sei. Ich hielt denselben für falsch, auch glaubte der Lord bestimmt zu wissen, daß niemand dieses Namens während der letzten Monate verurteilt worden sei. Daran liege aber nichts. Sobald einmal die Erlaubnis gegeben war, würde die Poli­zei mit den Daten, welche sie von mir erhalten, den Mann schon ausfindig machen.Und jetzt guten Morgen;" sobald als möglich sollte ich von der Gesandtschaft Nachricht erhalten.

Noch ein Wort der Warnung, Mr. Vaughan!" sagte Se. Lordschaft.Sie sind nicht in England. Bedenken Sie, daß ein vorschnelles Wort, selbst ein Blick, eine zufällige Bemerkung geaen irgend einen Fremden, neben dem Sie bei Tisch sitzen, Ihre Pläne zu Wasser machen kann. Das Regierungssystem hier ist anders als bei uns daheim."

Ich dankte ihm für seinen Rat, ob- wohl ich keiner Warnung bedurfte, denn in Wahrheit haben die Engländer in Rußland nur allzugroße Scheu vor Spionen und den Folgen einer ungebun­denen Zunge. Mau findet mehr von uns ihrer Schweigsamkeit, als ihrer Schwatzhaftigkeit wegen verdächtig, und ich lief also nicht Gefahr, mir durch letz­tere zu schaden.

Ich ging in meinen Gasthof zurück und brachte die nächsten Tage hi», so gut ich konnte. Nicht, als ob mir dies unter gewöhnlichen Umständen so schwer geworden wäre; denn St. Petersburg war einer der Orte, welche ich schon längst gerne besucht hätte. Alles war mir hier neu und fremd, die Gebräuche des Studiums wert; mich interessierte aber für den Augenblick gar nichts, denn mein ganzes Verlangen ging dahm, Ceneri aufzusuchen.

Da ich wußre, daß der Gesandte alles tun werde, was in seinen Kräften stand, so war ich nicht so töricht, ihn zu über- lanien, sondern wartete geduldig und still, bis ich einen Brief erhielt, welcher mich auf die Gesandtschaft rief, wo ich von Lord *^* freundlich empfangen wurde.

Es ist alles in Ordnung," sagte er. Sie werden sich nach Sibirien begeben mit Vollmachten, welche der unwissendste Schließer oder Soldat verstehen wird. Ich habe natürlich meine Ehre verpfän­det, daß Sie auf keine Weise einen Fluchtversuch des Sträflings unterstützen wollen und daß Ihr Geschäft rein pri­vater Natur sei."

Ich drückte meinen Dank aus und bat um Instruktionen.

Bor allem rate ich Ihnen, sich nach dem Palaste zu begeben," sagte er.Der Zar wünscht den excentrischen Engländer zu sehen, welcher eine so lange Reise unternehmen will, bloß um ein paar Fragen zu stellen."

Diese Ehre würde ich gern abgelehnt haben, aber es gab kein Mittel, sie zu umgehen, und so raffte ich mich denn auf, um dem Selbstherrscher so gut wie möglich gegenüberzutreten. Der Wagen des Gesandten stand vor dem Tor und in wenigen Minuten kamen wir im kai­serlichen Palaste an.

Ich habe nur noch eine wirre Er­innerung an Schildwachen, glitzernde Offiziere, ernstschauende Kammerherren und andere Beamte; an vornehme Trep­penhäuser und Hallen, an Gemälde, Statuen, Teppiche und Vergoldungen. Meinem Führer folgend, betrat ich ein großes Zimmer, an dessen einem Ende ein edelaussehender Mann in Uniform stand, und ich wußte, daß ich in Gegen­wart des Herrschers war, dessen Wink Millionen und Millionen seiner Mit­menschen gehorchten, des Kaisers aller Reußen, des weisen Zaren Alexander II., des Souveräns, dessen Macht sich von der höchsten Civilisation Europas bis über das tiefste Barbarentum Asiens erstreckte.

Als vor zwei Jahren die Nachricht j seines grausamen Endes England er­reichte, gedachte ich seiner, wie ich ihn an diesem Tage sah, in der Vollkraft des Lebens, groß, gebietend und herablassend, ein Mann, dessen Anblick einem Wohltat.

Gegen mich war er besonders freund­lich und herablassend, und sein Benehmen gab mir eine solche Sicherheit, wie man sie einer so hochgestellten Persönlichkeit gegenüber überhaupt nur haben kann. Lord *** stellte mich mit Namen vor, und nach einer gebührenden Verbeugung wartete ich auf die Befehle des Zaren.

Er schaute mich eine Sekunde lang forschend an. Dann sprach er zu mir auf französisch und ohne viel fremden Accent:

Ich höre, daß Sie nach Sibirien gehen wollen?"

Mit der gnädigsten Erlaubnis Eurer Majestät."

Um einen politischen Sträfling zu sprechen, nicht wahr?"

Ich bejahte.

Es ist eine gar weite Reise für einen solchen Zweck."

Mein Geschäft ist von dringendster Wichtigkeit für meine ganze Existenz, Eure Majestät."

Privatangelegenheiten, wie mir Lord *** sagte?"

Er sprach in einer raschen, ernsten Weise, welche mir zeigte, daß er keine Umschweife dulde, und ich beeilte mich, ihn zu versichern, daß meine ersehnte Zusammenkunft mit dem Sträfling ganz privater Natur sei.

Ist er ein Freund von Ihnen?"

Vielmehr ein Feind, Eure Maje­stät; aber mein und meiner Gattin Glück stehen auf dem Spiele."

Er lächelte bei meiner Erklärung. Ihr Engländer haltet viel auf Eure Frauen. Gut also, Mr. Vaughan, es geschehe, wie Sie wünschen. Der Mini­ster des Innern wird Sie mit den weit­gehendsten Vollmachten und Pässen ver­sehen. Loa vo^uAö!"

So entlassen, entfernte ich mich mit den vorgeschriebenen Verbeugungen, heim­lich betend, daß kein burcaukratischer Zopf die Ausfertigung des verspro- chenen Dokumentes verzögern möge.

Binnen drei Tagen erhielt ich die­selben. Der Paß ermächtigte mich, falls ich es für gut fand, bis an das Ende der asiatischen Besitzungen des Zaren zu reisen, und war so gehalten, daß er mir die Notwendigkeit ersparte, an jeder neuen Distriktsgrenze einen andern Paß zu lösen. Erst nachdem ich gesehen hatte, wieviel Mühe, Unannehmlichkeiten und Aufenthalt mir dieser magische Streifen Papier ersparte, erkannte ich im vollen Umsange die Größe der mir erwiesenen Gnade. Diese wenigen geschriebenen, mir unverständlichen Worte waren ein Zan- berspruch, dessen Macht niemand Wider­stand leisten konnte.

Jetzt hatte ich die Möglichkeit, zu reisen; aber wohin sollte ich gehen? Um das zu ermitteln, brachte man mich zu einem hohen Polizeibeamten, welchem ich meine Angelegenheit darlegte. Ich be­schrieb Ceneri, gab ihm, so gut ich's .vermochte, beiläufige Daten über die Zeit seines Vergehens und Prozesses und bat um Auskunft, wie ich es am besten an­stellen würde, um ihn in seinem Verban- nungsorte aufzufinden.

Man behandelte mich sehr höflich. Die russische Beamtenwelt ist überhaupt ein Muster von Höflichkeit gegen Leute, welche von den richtigen Stellen aus nachdrücklich empfohlen sind. Man iden­tifizierte Ceneri auf der Stelle und teilte mir seinen wahren Namen und seine geheime Geschichte mit. Ich erkannte den Namen sogleich als einen mir wohlbe-