Vellage r. AAbaütt Lkronik.
Lssro. 10.
Unterhaltendes.
Süße Iöhren.
Von Albert Graf von Schlippenbach
Mit Genehmigung des Verlages von „Dies Blatt gehört der Hausfrau l" Berlin SW lS.)
9) (Nachdruck verboten.)
Nach einigem Suchen fand ich endlich einen Strohhnt, den ich gewöhnlich auf dem Lande trug. Er war nicht mehr neu, auch nicht modern und von zweifelhafter Frische, aber es war wenigstens eine Kopfbedeckung. Entschlossen setzte ich ihn auf und eilte zunächst nach dem Telegraphenamt.
Die einfache, kurze Mitteilung über die Ankunft der Knaben erschien mir Gerda gegenüber zu kalt und unfreund, lich. Nach einigem Zögern telegraphierte ich daher:
Janko und Hrenko wohl und munter eingetroffen. Ich bin entzückt über Deine reizenden Knaben." Jawohl! Reizende Knaben! Brummend zahlte ich sieben Mark für diese Lüge.
Anstatt noch ein kurzes Nachmittags- schläfchen zu halten, beschloß ich, in den Zoologischen Garten zu gehen. Die neueste Erfahrung hatte mich gegen eine allezeit lobenswerte Aufführung meiner Pflegekinder wieder etwas mißtrauisch gemacht. Außerdem fühlte ich das dringende Bedürfnis, Karl und dem Slm iraken meine Meinung zu sagen. Natürlich wandte ich mich zunächst nach dem großen Bärenzwinger. Dort hoffte ich die Knaben zu finden. Vergeblich! Weder von Janko und Hrenko, noch von Karl und dem ehemaligen Hundejungen war etwas zu sehen. Auf eine Frage hin belehrte mich ei« Wärter, daß noch ein zweiter kleiner Zwinger links vom Eingang sei. Dorthin lenkte ich meine Schritte.
Schon von weitem hörte ich ein lebhaftes Stimmengewirr, ein Kreischen und Johlen, dazwischen lautes Lachen. Eine Ahnung ließ mich schneller vorwärts eilen. Nun stand ich vor dem Zwinger und drängte mich durch das Sonntagspublikum hastig durch, wobei mir verschiedentlich wenig schmeichelhafte Worte nachgerufen wurden. Was ich dort vor mir zu sehen bekam, war aber auch geeignet, mich zu schnellem Handeln zu veranlassen.
Janko, Hrenko und Chocholuszik standen hinter der eisernen Barriere, unter der sie durchgekrochen sein mußten, dicht an das Gitter des Zwingers gedrängt. Der ehemalige Hundejunge und Bären- fütterer kommandierte in seinem heimischen Idiom, und Meister Petz machte gehorsamst die schönsten Kunststücke, die jedesmal einen lauten Freudenausbruch der Menge zur Folge hatten. Meine Pflegekinder aber belohnten jede Kunst- leisiung durch große Stücke Brot, die der Bär wie ein großer Hund ihnen aus der Hand nahm. Wie leicht konnte die Bestie einmal rascher zuschnappen und mit dem Leckerbissen die Finger erwischen, oder mit den Branken Zuschlägen, anstatt sie bittend auszustrecke! . Bei dem Ge
srriiag, Sen rr. Januar 1-04
danken lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Rufen hätte die Kinder wahrscheinlich erschreckt, sie die letzte Vorsicht vergessen machen und leicht ein Unglück hecbeigeführt.
Deshalb turnte ich mit einem kühnen Satz ebenfalls über die Schutzwehr und riß die Knaben zurück, die eben zur Abwechslung dem behaglich brummenden Bären den dicht an das Gitter geschmiegten Kopf krauten. Gleich darauf hatte ich den Slowaken am Kragen und schüttelte ihn ordentlich ab.
Wie kannst Du Lümmel Dich unterstehn, die Kinder einer derartigen Gefahr auszusetzen?" herrschte ich den verblüfften Slowaken außer mir vor Zorn an. „Augenblicklich kriecht Ihr wieder unter der Barriere zurück! befahl ich weiter und wollte noch einige scheltende Worte zufügen, kam aber nicht dazu.
„Ich muß Sie ersuchen, mein Herr, mir sofort zu folgen!" hörte ich eine grollende Stimme hinter mir. Ich wandte mich um und sah in das ernste Gesicht eines Beamten. Das war ja recht angenehm! Aus dem Publikum wurden Stimmen laut. Tie einen nahmen für den Wärter, die anderen für die Kinder und mich Partei.
„Wie können Sie so unverständig sein und Ihre Kinder gegen das ausdrückliche polizeiliche Verbot in unmittel' bare, gefähüiche Näh; des bösen Tieres bringen? Das ist ja einfach gewissenlos," zürnte der Beamte mit strafender Miene. Ich wollte ihn unterbrechen, aber er fuhr mit gehobener Stimme fort: „Anstatt den Mutwillen der Knaben zu zügeln, gehen Sie ihnen mit dem schlechtesten Beispiel voran und überklettern selbst die Schutzwehr. So etwas ist mir ja noch gar nicht vorgekommen! Sie kenneu wohl den Groben-Unfug-Paragraphen nicht?"
Nein, das war denn doch mehr, als ein königlich preußischer Assessor in Ruhe hinnehmen konnte. Mit erregter Stimme suchte ich dem Menschen die Situation klar zu machen. Je heftiger ich wurde, um so gröber antwortete der Beamte. Er bestand darauf, mit uns nach dem Direktionsgebäude zu gehn und schien nicht übel Lust zu haben, uns eventuell mit Gewalt dorthin zu schleppen.
So peinlich wie mir, so unangenehm .war augenscheinlich auch dem Bären das «Einschreiten des Wärters. Er sah darin lediglich eine unerwünschte Unterbrechung seines Vergnügens. Unwillig brummend, richtete er sich erst auf und lief vor dem Gitter auf und ab. Jetzt stutzte er vor dem Wasserbassin.
„Zurück!" rief der Beamte warnend — aber es war zu spät. Klatschend sauste die Branke des zornigen Gesellen wieder und wieder in das Bassin, so daß uns eine Flut seines schmutzigen Inhalts überschüttete. Wie ich später hörte, beliebte das Tier auf diese Art dem Publikum gegenüber sein Mißfallen darüber zu äußern, daß ihm, nach seiner Ansicht, nicht genügend Brot gespendet wurde.
Vorläufig hatte ich allerdings keine Zeit, darüber nachzudenken, ob der Zornausbruch von Meister Petz berechtigt war
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oder nicht; ich mußte mir zunächst das übelriechende Wasser aus dem Gesicht wischen. Das ging ja noch, aber mein Anzug war über und über mit großen, nassen, lehmigen Flecken bedeckt, die natürlich nicht zu entfernen waren. Und wie sahen die Kinder aus! Die neuen Kleider konnten jetzt den Glauben er- wecken, Janko und Hrenko hätten tagelang in einer Ziegelei gearbeitet. Besonders die Hellen Blusen hatten sich in triefende schmutzige Lappen verwandelt. Nicht besser ging es Chocholuszik, der nur höchst überrascht auf seinen — nein, meinen Anzug starrte, dessen Pracht für immer vernichtet schien.
„Ivan! Vieh infamiges!" schrie er plötzlich wütend und machte den Versuch, sich durch die Gitter in den Zwinger zu quetschen und den treulosen Freund aus der slowakschen Heimat durchzuprögeln. Rechtzeitig erwischte ihn noch der Wärter am Kragen und zog ihn energisch zurück, während das schlechte Gewissen den Bären in die äußerste Ecke des Zwingers trieb. Jetzt erschien auch endlich Karl. Atemlos kam er angelaufen. Unter dem Arm trug er ein großes Paket mit Brot. Entsetzt riß er die Augen auf, als er den Zustand unserer Kleider bemerkte. Mich streifte er allerdings nur mit einem flüchtigen Blick, aber beim Anblick der Knaben fing er laut zu jammern an.
„Ach Gott, ach Gott! Was hat man denn nur mit Euch gemacht, meine armen Kinderchen?" klagte er und versuchte den Schmutz von den völlig verstummten und sehr niedergeschlagen dreinschauenden Rangen mit dem Taschentuch abzuwischen.
„Wie konntest Du die unverständigen Knaben mit dem Esel, dem Slowaken, hier allein lassen?" fragte ich streng.
„Ach, Herr Baron, die lieben Kinderchen baten mich, ihnen noch mehr Brot für den Bären zu holen, und da —"
„Schon gut!" unterbrach ich seinen Wortschwall — „Durch Deine Nachlässigkeit hätte hier das größte Unglück entstehen können."
„Unglück?" Karl wurde weiß wie eine frisch getünchte Wand. „Wie ist denn das nur möglich?"
„Das wirst Du zu Hause erfahren," schnitt ich ihm abermals die Rede ab. Dann forderte ich den Beamten auf, mich nach dem Direktionsgebäude zu begleiten. Unter dem Lachen des Publikums zogen wir Schmutzfinken ab. Mir war, als müßte ich Spießruten laufen. Zum Glück war ich auf der Direkt on bekannt. Nach wenigen Minuten konnten wir durch die sonntäglich geputzte Menge, die uns lachend nachblickte, nach Hause gehn.
Froh, endlich meine Wohnung erreicht zu haben, wollte ich eben das Portal öffnen, als cs sich auitat, und in seinem Rahmen die ebenso hüb'che wie sarkastisch veranlagte Komtesse Ehrenfels erschien. Erstaunt, spöttisch musterte mich die junge Dame. Trotzdem wir auf jedem Ball die erste Fran^aise zusammen tanzten, lebten wir in beständiger Fehde. Und gerade ihr mußte ich in diesem Aufzug begegnen! Sicherlich wußte es morgen balb Berlin VV. Meinen Gruß erwiderte sie mit einem freundlichen Neigen des Kopfes, aber ich