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halb 9 Uhr noch nach Triberg transportiert und nach ihrer sofortigen Vernehmung am gleichen Abend wieder auf freien Fuß gesetzt.
Unterhaltendes.
kine krsahrung.
Humoreske von Auguste Werner.
(Schluß.) (Nachdruck verboten.)
Als Frau Rotenberg nach dem Frühstück wieder hinaufeilte — Jeanne war nicht erschienen - da hörte sie schon von Weitem ein fröhliches Lachen und die Stimme der kleinen Französin in den hellsten Tönen erklingen, — die männlichen Brummtöne aber hatten offenbar einen zärtlichen Beiklang erhalten — Frau Rotenberg riß die Tür auf und fand ihre düstere Ahnung bestätigt: die eine ihrer beiden jungen Kräfte hatte das Kunststück fertig gebracht, sich unter Zuhilfenahme ihrer Thränen mit dem „damenscheuen" jungen Gelehrten zu verloben! — „Mein Kompliment" sagie die konsternirte Vorsteherin zu Jeanne, verbesserte aberraschin „meinenGlückwunsch"!
Run, Jeanne ließ sich verschmerzen. Paula blieb ihr ja, ihr Liebling. „Sehen Sie nur, Paulchen, da ist der Mensch von heute früh wahrhaftig wieder am Fenster". Und Fran Rotenberg hinter der Gardine versteckt, winkte ihrem Liebling eifrigst zu, heranzukommen, und sich den „Unglücksmenschen" auch einmal anzusehen. — Es war in späterer Nachmittagsstunde, und Frau Rotenberg harte sich soeben noch einmal gründlich über die Aufregungen des Morgens gegen Paula ausgesprochen. — „Der da drüben ist eigentlich an allem Schuld, sogar an Jeannes Verlobung. Hätte ich nicht mit Jeanne gezankt, so hätte sie keine Tränen zur Verfügung gehabt. Mit ihren Tränen hat sie's erreicht." „Machen Sie mir ja keine solche Streiche, Paulchen!" — „Niemals!" sagte Paula mit düsterer Stimme.
„Unglaublich", sagte Frau Rotenberg, noch immer hinter der Gardine, „er geht nicht vom Fenster fort. Uebrigens ein hübscher Mensch, nobel sieht er aus, wie ein Offizier in Civil. Aber wenn das Herüberstarren nicht aufhört, bin ich gezwungen, polizeilichen Schutz — kommen Sie nur mal her, Paulchen. und sehen sie selbst." Gehorsam erhob sich Panla von ihrer Stickerei und trat ans Fenster, um aber im nächsten Augenblick lodten- blaß zurückzufahren. Gleichzeitig verschwand auch „der von drüben" vom Fenster.
„Um Himmelswillen", schrie die entsetzte Vorsteherin auf, und hittt Paula ihr Riechfläschchen unter die Nase. Das englische Salz wirkte auffallend, in Paulas Wangen kehrte die Farbe mit brennender Glut zurück, wich aber, als plötzlich die Hausglocke gezogen wurde, einer abermaligen Blässe, dabei fuhr Paulas Hand nach dem Herzen. Frau Rotenberg fand nicht Zeit, diese merkwürdigen Symptome länger zu beobachten, denn aus dem Nebenzimmer kamen die Pensionärinnen herein, um ihre fertigen Strafarbeiten zu präsentiren, und gleich darauf erschien in der oberen Zimmertür Tom, der langjährige Diener des Hauses mit auffallend verwirrtem Gesichtsausdruck. — „Ein Herr —" stotterte er — „ein junger Herr -- er will durchaus hier herein
— und — und." Weiter kam Tom nicht, denn er wurde bei Seite geschoben, und im Rahmen der Tür erschien wirklich ein junger Herr und zwar derselbe, der noch vor kurzem gegenüber am Fenster gestanden, — und er breitete die Arme aus und rief: „Paula —". Und Paula, deren „reizendes" Benehmen noch heute früh erst als „in jeder Beziehung nachahmenswert" gepriesen worden, flog auf ihn zu und sank an seine Brust . . . „Joachim —".
„Sie war ihm „durchgebrannt", allerdings aus edlen Motiven. — Die hatte ihm „entsagen" wollen, da sie nicht vermögend war, und er, wie sie gewußt, eine glänzende Partie machen konnte. Sie wollte „seinem Glück nicht im Wege sein". — Er aber hatte von „seinem Glück" andere Ansichten. Er ruhte nicht, bis er Paula wiedergefunden, — und nun sollte sie ihrer: Trotzkopf noch länger aufsetzen, wenn sie's vermochte. — Nein, sie vermochte es nicht! Sie hatte ja unter der Trennung schon zu sehr gelitten — widerstandslos sank sie in seine Arme ...
Und das alles vor den Pensionärinnen, welche mit hdchentzückten Mienen den Auseinandersetzungen gefolgt waren. Ein ganzer Roman spielte sich vor ihren Augen ab! — Ihre Blicke wichen nicht von dem interessanten Paare.
„Dort hinaus!" raunte die fassungslose Vorsteher n ihren Schutzbefohlenen zu, und deutete gebieterisch nach dem Nebenzimmer, — aber, o Schrecken! — In der Türe desselben stand Jeanne uud schmiegte sich soeben innigst an Doktor Günther an. — Es war himmlisch. — Wenn die Eltern oder Vormünder der ihr anvertrauten Seelen in diesem Moment hier hereingeschaut hätten! Frau Rotenberg erfaßte ein Schwindel bei diesem Gedanken.
Für heute aber machte sie gute Miene zum bösen Spiel, sie arrangirte sogar ein kleines Verlobungssouper und übernahm die Rolle der Brautmutter.
— Den ersten freien Moment aber be- nutzte sie, um an ihren Schreibtisch zu flüchten und eine Annonce aufzusetzsn, laut welcher sie zu sofortigem Antritt zwei Lehrerinnen suchte — aber nur „bewährte Kräfte in gesetztem Alter" sich zu melden haben.
Seitdem walteten im Pensionat Rotenberg stets nur ältliche Erscheinungen mit melirtem Haar und goldenen Lorgnetten des Erzicherinnenamtes.
— Ende! —
Vermischtes.
— Wie cs manche Geschäftsleute anfangen, um billig verkaufen zu können, darüber sei, nach dem Berliner „Kon- fektio iär" folgendes mitgeteilt: Da wird irgendwo in einer größeren oder kleineren Stadt mit völlig unzureichenden oder gar keinen Mitteln ein Geschäft gegründet. Kredit gibt es in Hülle und Falle, der Geschäftsinhaber, der meist persönlich nichts zu riskieren hat, da er ja nichts hat, lebt einen guten Tag. Einige Gläubiger, die zu laut sch.eien, werden zuerst, wenn irgend möglich aus den laufenden Einnahinen befriedigt, die andern werden vertröstet, — aber eines Tages wendet sich der Geschäftsinhaber direkt oder durch eine mehr oder minder vertrauenswürdige Mittelsperson in einem betrübten
Zirkular, in dem seine persönlichen Eigenschaften, seine große Tüchtigkeit und sein Riesenfleiß über den grünen Klee gelobt werden, an die „Nachsicht seiner Gläubi- ger," schiebt alle Schuld auf die „Ungunst der Verhältnisse," die „schlechte Geschäftslage," die „erdrückende Konkurrenz" und bietet dann schließlich einen außergerichtlichen Vergleich von 25, 30. 40 oder 50 Proz, unter Garantie von Verwandten, die nur mit größter Mühe zu bewegen waren, diese Opfer zu bringen. Das Zirkular schließt dann mit einer dringenden Bitte um Annahme des Vergleichs und der versteckten Drohung, daß es im Konkurse noch viel weniger ober gar nichts geben würde. Der Geschäftsinhaber und seine Hinterleute spekulieren darauf, daß seine Lieferanten ihn nicht fallen lassen werden, und er spekuliert meistens nicht falsch. Nötigenfalls wird unter der Hand einigen Krakehlern der Mund vollgestopft, manchmal werden auch noch 5 oder 10 Prozent zugelegt, oder kommt es je zur Konkurseröffnung, dann kaust ein Verwandter das Warenlager zu einem Spottpreis auf. Das Ende ist auf jeden Fall, daß der Geschäftsinhaber mit einem Schlage für billiges Geld seiner Schulden los ist — er ist „saniert!" Nun beginnt der Tragödie zweiter Teil. Der Geschäftsmann, der seine Waren zu 30 oder 40 Proz. des Fakturenwertes erhalten hat, kann naturgemäß auch zu ganz anderen Preisen verkaufen als seine reelle Konkurrenz und verdient noch trotzdem ein hübsches Stück Geld. Einige Zeit lang, vielleicht ein, zwei, auch drei Jahre lang geht dann die Sache wieder gut, bis wieder ein recht schönes, gut assortiertes und noch nicht bezahltes Lager von ganz neuen Lieferanten vorhanden ist. Dann beginnt der Kreislauf von neuem, es wirb wiederum „saniert". Wer drei oder vier solcher Sanierungen hinter sich hat und ein geschickter Macher ist, wird allmählich ein vermögender Mann, ohne daß ihm das Gesetz, obwohl er zu den gefährlichsten Jndustrierittern gehört, etwas auhaben kann
— Bei der gegenwärtigen Zwetsch- genzeit wird man auch wieder der Gewohnheit der Kinder begegnen, daß diese nach dem Genüsse der Zwetschgen die Kerne zerschlagen, um sich an dem vermeintlichen süßen Inhalt zu laben. Hiervor ist entschieden zu warnen; denn diese Kerne sind sehr reichhaltig an Blausäure, die schon in geringen Quantitäten genossen, Vergiftungserscheinungen verursacht und sogar den Tod herbeifllhrt. Darum Vorsicht.
(Die Parfüm fabrikation der Riviera.) Einem im Berner „Bund" erschienenen Aufsatz über die Parfümfabrikation an der Riviera entnehmen wir Folgendes: Schon früher hatte sich G-asse, jetzt der gewerbreichste Ort der Riviera, durch seine Parfümfabrikation bekannt gemacht. Jetzt besitzt Grasfe 35 Essen- zensabriken. Im Durchschnitt werden jährlich 1 200 000 k§ Rosen u. 300 000 KZ Orangenblüten verbraucht und für 5 Mill. Fr. destillirte Essenzen verkauft. Die Blumenfelder nehmen einen Raum von 25 000 kg, ein. Vcllauris hat 9 Parfümsabrikcn. Das wichtigste Produkt dieser bedeutenden Industrie ist das Neroliöl, das aus dea Blüten der bitteren Orangen hergestellt wird. Ein Kilo dieses Oels kommt auf 300 Fr. zu sichen.