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richterstattung des Kandidaten in den Versammlungen. Zu einer solchen kann sich der betreffende Einsender vielleicht auch einmal einfinden; er ist freundlich emgeladen. Daß die „Feststellungen" in jenem Eingesandt für uns so sehr „un- angeuehm" wären, könnten wir nicht sa- gen. Wir werten sie wie viele "andere gegnerische Behauptungen. Daß Schrempf im Bezirk Neuenbürg über wirtschaftspolitische Fragen anders spreche als im Herrenberger Amt, weisen wir als unwahr zurück. Wer ihn bis jetzt hörte, kann nur bestätigen, daß er an Plätzen wie Neuenbürg, Höfen u. s. w. seine Ansichten so offen darlegte wie in bäuerlichen Orten. Dann wird auffallend gefunden, daß wir „betonen", Schrempf sei konservativ. Ja, wir geben ihn eben als das au§, was er ist und was er immer war. Der Herr Einsender meint, „es werde ängstlich jeder Anschein vermieden, als ob Schrempf auch nur ein bischen „liberal" sei. Das ist eine merkwürdige Beanstandung ! Wer konservativ ist, kann nicht auch zugleich liberal in politischem Sinn sein; wir Mürben für ein solches Zwittergeschöpf auch „danken", und wenn der Herr Einsender einen Kandidaten vorzöge, der in allen Farben schillert, so beneiden wir ihn um seinen Geschmack nicht! Auch in einem Bezirk, der „einen liberalen Abgeordneten in den Landtag sandtet (wie Einsender schreibt), müssen wir Schrempf als konservativ bezeichnen; das können uns auch die Herren der deutschen Partei nicht verübeln! Was die Besorgnis betrifft, wir Konservative könnten die „Anhänger der Liberalen" zu uns herüber ziehen, so sind wir überzeugt, daß dieselben es für richtiger halten werden, mit uns zu marschieren, als sich vom Herrn Einsender und seinen Gesinnungsgenossen mit fliegenden Fahnen ins Lager der Demokratie führen zu lassen, ste erinnern sich noch zu gut der schroffen Angriffe, die auf sie von demokratischer Seite seit langen Jahren bei jeder Wahl gemacht wurden — zuletzt bei der Laudtagswahl — und werden es ablehnen, die Demokratie, die sie noch immer als Feind kennen lernten und zu deren Bekämpfung ihre Führer sie früher stets energisch aufforderten, zu unterstützen. Führer, die ihrer Anhängerschaft plötzlich einen solchen politischen Frontwechsel zumuten, könnten sich in der Fügsamkeit ihrer Leute, die man auch nicht einfach wie Schachbrettfiguren herumschieben kann, täuschen. Wenn sie nicht ganz mit ihrer Vergangenheit brechen wollen, so müssen sie Angesichts der demokratischen und sozialistischen Gegner die Parole ausgeben: „Für Schrempf!" Wenn ihnen dann jener Herr das „politische Urteil" abspricht, so werden sie sich zu trösten wissen.
Herr Schrempf setzte am Donnerstag und Freitag letzter Woche seine Wahlreise im Bezirk fort und hielt Versammlungen, die teilweise gut besucht waren, in Ottenhausen, Schwann, Höfen, Dennach, Conweiler, Feldrennach und Birkenfeld. Daß an Plätzen wie Höfen keine Begeisterung für die Schrempf'sche Kandidatur ist, wußten wir zum Voraus. Wenn daher gegnerische Blätter wie „Wildbader Anzeiger" und „Beobachter" dies mit besonderem Behagen ausschlachten, so sagen sie nichts Neues. Geradezu lächerlich ist es aber, wenn der „Beobachter" schreibt, „die Höfencr Versammlung spiegle die Stimmung wieder, die im Neuenbürger
Amt gegen Schrempf herrsche". Das ist eine der großen Entstellungen und Ueber- treibungen, ohne die eine demokratische Berichterstattung selten auskommt. Bezüglich eines von Herrn Schrempf benützten Citats aus der „Ulmer Zeitung" wurde von einem anwesenden Ebinger Herrn, Redakteur Ostertag, behauptet, es sei nicht in jener Zeitung gestanden. Wenn Schrempf und Ostertag sich über einen Punkt nicht einigen konnten, so liegt durchaus noch kein Grund vor, anzunehmen, Schrempf habe nicht Recht gehabt. Die Herren Demokraten werden für jedes Citat aus irgend einem Blatt oder Buch auch nicht immer Belege bei sich führen! Im „Beobachter" wird der Vorgang in solch' selbstgefälliger, wichtigtuerischer und einseitiger Weise besprochen, daß man sich fragen muß: Warum dieser Aufwand an Worten wegen einer solchen Kleinigkeit ! ? — Bei der Birkenfelder Versammlung waren auch die Sozialisten stark vertreten. Ein Psorzheimer Sozialist trat Herrn Schrempf i» längerer Rede gegenüber, auf welche ihm treffend, und ruhig geantwortet wurde. Der Eindruck Schrempf's auf die anwesenden Bürger, die nicht auf sozialdemokratischer Seite standen, war ein sehr guter. Ende dieser Woche wird Herr Schrempf seine Wahlreise im Bezirk beendigen. Unser seitheriger Eindruck ist, daß wir dem Wahltag so ruhig entgegen sehen können wie vor 5 Jahren.
— (Eingesandt.) In den letzten Berichten über Schweickhardt'sche Wählerversammlungen ist soviel vom Liberalismus und vom „liberalen Kandidaten" die Rede. Hat wohl der „demokratische Gedanke" nur noch so wenig Zugkraft, daß man den Kandidaten der sogenannten Bolkspartei nicht mehr als den demokra- tischen ausgiebt, ihn vielmehr mit der allgemeinen Bezeichnung „liberal" versieht?! Man spricht sonst auf volkspar- teilicher Seite so gern von „Mischmaschpolitik", „Bauernfang" und dergl. Ist vas jetzt beliebte Vorgehen der Volkspartei nicht auch etwas derartiges!?
(Berichtigung.) In dem Artikel betr. Schulanfang in der letzten Nro. ds. Bl. muß es in der 7. Zeile statt 6 Jahren neun Jahren heißen.
MnterHorl-'tendes.
Auf der „Kolumbia".
Eine Seegeschichte von H. Rosen thal Bonin.
, 1) (Nachdruck verboten.)
Ich hatte mich von Newyork nach New-Orleans eingeschifft, dar war eine Reise von fünf Tagen, und ich dachte nicht, daß mir dabei etwas Besonderes paffiren würde. Deshalb hatte ich auch weder mein Testament gemacht und es bei der Gesandtschaft hinterlegt, noch etwa einem Freunde besondere Mitteilungen hinterlaffen — namentlich aus dem Grunde nicht, weil ich keinen Pfennig besaß, den ich Jemand testiren konnte, noch in Newyork irgend Jemand existirte, der sein Interesse daran gehabt hätte, zu erfahren, ob ich lebe oder tot sei.
Gerade zwei Jahre waren verflossen seit ich, die Brust von Hoffnungen ge- schwellt, in der großen Stadt am Hudson landete. Ich hatte mich redlich bemüht, meine Kenntnisse als Maschineningenieur zu verwerten, hatte mich tüchtig umge
tan, gestrebt, gerungen und wacker gearbeitet, — das Glück war mir ja durchaus nicht hold.
Ich brachte es zu nichts Rechtem; war ich einmal ein paar Schritte vorwärts gekommen, so warf mich sicher irgend ein widerwättiges Vorkommniß iu den allen Stand zurück, und mein Guthaben auf der Bank blieb der elende Notgroschen von 200 Dollars, den ich bei meiner Ankunft festgelegt hatte, und der sich absolut nicht vermehren wollte. Nun hatte ich die nutzlose Plackerei satt, der widerspenstigen Stadt Lebewohl gesagt, meine Barschaft in der Tasche nnd befand mich seit zwei Tagen schon unterwegs nach dem Lande der Baumwolle, der Pfirsiche und der kühnen Spekulation am Golfe von Mexiko.
Ich spazierte bei mäßig hohem Seegange auf dem Deck hin und her, schaute in die regelmäßigen aufsteigenden und absinkenden blauen Wogen de- Ozeans und war munterer und sorgloser, als während der beiden letzten Jahre auf dem festen Lande, obwohl ich einer höchst ungewissen Zukunft entgegenschwamm.
Seereisen erfrischen stets, stimmen heiter, machen fröhlich, und erwecken sozusagen Körper und Geist, wenn diese Neigung gezeigt haben, einzuschlafen, einzurosten. Ich machte diese Erfahrung bei fast allen Mitpassagieren, besonders jedoch bei mir selbst. Ich war in Newyork zuletzt etwas dumpf und stumpf geworden und nun nach ein paar Tagen schon keck, elastisch und hoffnungsvoll.
Das Schiff, auf welchem ich mich befand, gehörte einer Newyorker Gesellschaft an. Es war ein plumper, großer, alter, guter Kasten von unangenehmer Sargform, aber anständig eingerichtet, und die Reise wäre noch behaglicher gewesen, wenn sich nicht zu viel Passagiere an Bord befunden hätten. Unser Dampfer war jedoch überladen, und es herrschte in dem ganzen Schiff von unten bis oben Raummangelund Gedränge. Jeder brauchte nach amerikanischer Art seine Ellenbogen, und ich die weinigen auch, daher kam es, daß zwischen den Passagieren kein besonders gemütlicher Verkehr bestand. Nun, das war ja auch für die paar Tage der Reise nicht nötig, denn übermorgen sollten wir ja schon in die Floridastraße einfahren.
Da zeigte sich an dem bisher schön blauen Oktoberhimmel ein Dunststreifen, der fern im Westen, wo die Sonne untergehen sollte, auf dem Wasser lag, und eine seltsame, fast bernsteingelbe Färbung hatte. Er mahnte an Staub, so dünn und durchsichtig war er. Der Kapitän schaute öfters nach dem Streifen, der Steuermann und die Matrosen auch. Die Sonne versank in diesem sich vergrößernden Nebel und färbte ihn kupferrot. Kupferrot schimmerte auch das Meer, und kupfer- rot das Schiff mit allem, was darauf und daran war, als wäre es von einem sonderbaren bengalischen Feuerschein angehaucht. Diese eigentümliche Beleuchtung wäre sehr schön und interessant gewesen, wenn nur nicht eine dunkle Vorahnung das wirkungsvolle Naturspiel getrübt hätte.
Ich bemerkte nämlich, daß man recht eilig alle auf dem Deck umherstehenden Stühle, Bänke und Tische in die unteren Räume brachte, alles Lockere sestband und festschraubte und sogar die Leinwand der Zeltbeklerdung nicht nur einrollte, sondern ganz abnahm. Dann ertönte eine volle Stunde zu früh die Abendessenglocke. DaS