Beilage zur „Wildbader Chronik."
Ars. IS.
Isreitag, Herr 13. Iseöruav 1903
39. Jahrgang.
ALnterhattenöes.
Der Diamant des Levantiners.
Erzählung aus dem Orient von R o s ent h al-Bonin. t) (Nachdruck verboten.)
Ich saß an einem schönen Maimorgen des Jahres 1864 in einem Zimmer in Pera, dem europäischen Viertel Konstantin opcls. am Fenster und schaute über die blauen Fluten des goldenen Horns, auf denen es von schnell dahinschießenden Dampfbarkassen, breiten, langsam fahrenden Kohlenkähncn, stinken schmalen Ruderbooten (Kaiks), buntbedachten Gondeln und kleinen Segelschiffen mit braunro- ther Leinwand wimmelte, zu dem emporsteigenden, weißschimmernden Häuserge- wirr des jenseitigen Ufers hinüber und plante, da der Tag luftig war, einen Ausflug nach einer ler schön liegenden stillen Ortschaften des Bosporus.
Ich war bei der preußischen Gesandtschaft angestellt, hatte aber jetzt zwei Monate. Ferien, die ich jedoch nicht zur Reise in die Heimath benutzen konnte, weil ich aus verschiedenen Gründen schlecht bei Kasse war. Ein derartiger erzwungener Aufenthalt ist in der warmen Jahreszeit in der Hauptstadt des osmanischen Reiches recht langweilig, da gewöhnlich alle Bekannten fort sind. Ich schlug daher ziemlich mißmuthig meine Zeit tot, so gut ich konnte, das heißt, ich aß reichlich, schlief viel, ging ins Cafee und verschaffte mir frische Luft durch Fahrten auf den Küstendainpfern des Bosporus und des Goldenen Horns.
, So dachte ich auch heute den Tag zuzubringen. Da meldete mir mein armenischer Diener, daß ein Herr mich zu sprechen wünsche.
„Name — Karte?" frug ich.
„Will der Herr nicht geben", antwortete der Diener.
„So kann ich ihn nicht empfangen."
„Ist ein feiner Herr, Levantiner — große goldene Uhrenkette. Sagte der Herr, er kenne den Gnädigen und der Gnädige kennen ihn auch", berichtete der Armenier in seinem schönsten Deutsch, das er in Warschau gelernt hatte.
„Nun, so laß ihn ein, bleibe aber bei der Thür im Borzimmer", entschied ich.
Wenige Augenblicke später trat der steinreiche levantijche Bankier Ephraisi in mein Zimmer. Zu einer großen Abendgesellschaft, wie solche in jedem Winter der Bankier gab, war mit dem Gesandtschaftspersonal auch ich eingeladen gewesen. Der reiche Herr hatte nach scharfen Blicken in mein Gesicht und sorgfältiger Musterung meiner ganzen Erscheinung mich einiger Worte gewürdigt und des Ferneren noch im Laufe des Abends mich ein bischen aufmerksam behandelt. Seitdem — das waren jetzt vier Monate her — hatten wir uns nur flüchtig auf der Straße gesehen und höflich begrüßt. Herr Ephraisi schien mir heute weniger zuversichtlich und selbstbewußt aufzutreten, alK sonst, und es kam mir vor, als sähe er gelber aus, als
liege in seinen unruhigen schwarzen Vogelaugen ein ängstlicher Ausdruck.
„Was verschafft mir die Ehre, Herr Baron?" fragte ich den Krösus.
„Sind wir allein, unbehorcht?" forschte der Bankier, sich nach der Thür, durch welche er eingetreten war, umschauend.
Ich öffnete die Thür und gab meinem Diener die Weisung, bis ich ihn riefe, im Vorzimmer auf mich zu warten.
„Mau hat mir gesagt," begann jetzt der Bankier, „daß Sie früher Kriminalbeamter gewesen seien und in besonderen Geschäften der Gesandtschaft nach dieser Richtung hin sich als sehr geschickt erwiesen hätten. Ich benöthige eines Mannes von Scharfsinn und Erfahrungen, eines Mannes von Stand und Verschwie- genheit, und deshalb habe ich mich entschlossen, in einer Vertrauenssache mich an Sie zu wenden, mein Herr. Es ist selbstverständlich, daß die Vergütung für die Zeit und Mühe, welche Sie etwa in dieser Angelegenheit mir widmen wollen, Ihrer Stellung entsprechen würde."
„Womit kann ich Ihnen also dienen, Herr Baron?" entgegnete ich darauf, ein wenig unbehaglich, weil mir bekannt war, daß Herr Ephraisi bisweilen bedenkliche Geschäfte machte, das will sagen, — hohen Herrn europäischer Abkunft Geld zu hohen Zinsen lieh. Ob der reiche Mann jetzt in einen derartigen Handel verwickelt war und fürchtete, eine ordentliche Schlappe zu erleiden?
Ephraisi's scharfe Augen hatten eine Sekunde blitzartig mein Gesicht gestreift.
Der kluge Geschäftsmann schien meinen Gedankengang errathen zu haben.
„Die Angelegenheit betrifft meinen Sohn," sagte er, um meine aufsteigenve Besorgnis sofort niederzuschlagen, und bei diesen Worten athmete er schwer und beklommen auf. „Mein Sohn ist nämlich seit vier Wochen spurlos verschwunden."
„Verschwunden. Hier in Konstantin- opel?" fiel ich einigermaßen verwundert ein. „Nein, in Kairo. — Bitte, lassen Sie sich den Hergang erzählen, verehrter Herr. Ich war in den Besitz eines kost baren, seltenen Brillanten gelangt, den ich dem Khedive*) zum Kauf anbieten wollte. Der Edelstein hat einen Wert von etwa dreihunderttausend Franken, es ist ein rosa Brillant. Ich sandte meinen Sohn mit dem Stein nach Kairo. Er ist sonstein höchst zuverlässiger, solider junger Mann. Ich erhielt dw Nachricht von ihm, daß er wohlbehalten in Kairo angelangt und im Hotel Shepheard abgestiegen sei, darauf nach fünf Tagen noch einen Brief, welcher mich davon in Kenntnis setzte, daß er meinen Brief an Saref Pascha abgegeben habe — es ist dies eine einflußreiche Persönl chkeit am Hofe des Khedive — und von dem Pascha außerordentlich liebenswürdig empfangen worden sei; der Pascha habe ihm versichert, daß er zweifellos in wenigen Tagen zur Audienz vorgelassen würde.
Von da an blieben alle Nachrichten von meinem Sohn aus und meine De-
*) Es war damit der kürzlich verstorbene Ismail Pasch i gemeint, der damals noch ^tmf der Höhe seines Glanzes in Kairo eine orientalisch-üppige, verschwenderische Hofhaltung führte.
peschen und Briefe unbeantwortet. Ich schrieb an den Besitzer des Gasthofes; man berichtete mir, daß am achten Tage nach der Ankunft in Kairo mein Sohn eines Abends ausgegangen und seitdem nicht mehr in den Gasthof zurückgekom- men sei; man sei selbst in großer Sorge, da der Herr seine Sachen so zurückge- lassen hätte, als ob er nur einen Spa- ziergang habe unternehmen wollen. Man habe in der Stille nachgeforscht jedoch nichts erfahren. Ich schrieb darauf an meinen Agenten in Kairo, einen ortskundigen, mit allen Verhältnissen vertrauten Mann. Dieser berichtete mir nach einer Woche, daß er trotz des eifrigsten Suchens auch nicht den geringsten Anhaltspunkt entdeckt habe, wohin mein Sohn sich begeben und wo er geblieben sein könne. Am Morgen des verhängnisvollen Tages habe er meinen Sohn noch gesprochen. — Ich eilte daraufhin selbst nach Kairo, bin dort zehn Tage geblieben und habe alles Erdenkbare unternommen. Mein Josua ist jedoch gerade wie von der Erde verschlungen und mit ihm der Stein, den er, meinem Rathe folgend, stets bei sich getragen hat. Nun komme ich zu Ihnen, mein Herr, und bitte als unglücklicher, geängstigter, verzweifelter Vater um ihre Hilfe."
Dabei wischte der Bankier sich die Thränen, welche über die gelben Wange» des schlaffen Gesichtes herabrollten, ab.
Der sichtbar schwere Kummer des alten Mannes, der hier so hilf- und ratlos vor mir stand, bewegte mich. Ich hatte sonst nicht gern mit Levantinern zu thun, und in meiner jetzigen Stellung bei der Gesandtschaft war die Uebernahme eines derartigen Privataustrages auch mißlich. In diesem Falle kam jedoch außer dem Reichtum und Ansehen des Bankiers auch ein allgemein menschlicher Beweggrund dazu, und deshalb wies ich die Sache nicht kurz von der Hand.
„Gestatten Sie mir, Herr Baron, vorerst noch eine Frage," entgegnete ich. „Es giebt doch hier ansässige ausgezeich. nele englische Detektivs, es sind in Kairo, wie mir bekannt, solche ebenfalls zu haben. Weshalb wenden Sie sich nicht an diese in steter Uebung befindlichen Männer? Weshalb kommen Sie gerade zu mir, der diesen Beruf ja eigentlich aufgegeben hat?"
„Ich habe vier Detektivs in Kairo mit der Sache betraut, aber es sind jetzt fast zwei Wochen vergangen, ohne daß die Herren das Geringste in der Un- giückSsache zu Tage gefördert hätten. Ich habe bei meiner Rückkunft von Kairo zwei solche Leute von hier dorthin geschickt, sie scheinen auch nicht mehr Erfolg zu haben. Heute Nacht fiel mein Gedanke auf Sie, verehrter Herr; ich erinnerte mich, daß man mir gesagt hat. Sie seien ein Jahr in Kairo gewesen und hätten der Gesandtschaft in einem ähnlichen dunklen Fall ausgezeichnete Dienste geleistet. Als ich an Sie dachte, verehrter Herr, kam mir wieder ein Hoffnungsschimmer, ich konnte den Morgen kaum erwarten, bis es mir möglich war, zu Ihnen zu eilen. Ich bin sicher, der Himmel hat mir diesen Gedanken eingegeben, und jetzt weisen Sie mich