eilage zur „Wildbader Chronik."
Uro. 13.
IreiLag, öen 30. Januar: 1903
39. Jahrgang.
Unterhaltendes.
Der kleine Lord.
Bon
Iraners Hodgson Burnett.
(32. Forts.) (Nachdruck verboten.)
Es war nicht mehr, als ob er zu dem Knaben spräche, es war, als ob er sich selbst gegenüber ein Gelübde ablege.
Wie tief seine Liebe zu dem Enkel und sein Stolz auf ihn bereits Wurzeln geschlagen hatten, davon hatte er vorher eigentlich doch selbst keine Ahnung gehabt, und nie waren ihm die Schönheit und die Frische des Kindes und all seine glücklichen GabenIso leuchtend v»r Augen getreten. Dieser eigenwilligen Natur erschien eS als ein Ding der Unmöglichkeit, aufgeben zu sollen, woran er sein Herz gehängt hatte, und er war entschlossen, es sich wenigstens nicht leichten Kaufes entreißen zu lassen.
Wenige Tage, nachdem sie Mr. Havis- Ham ausgesucht hatte, fand sich die Frau, welche die Rechte eiuer Lady Fauntleroy für sich in Anspruch nahm, im Schlosse ein und zwar in Begleitung ihres Kindes. Sie wurde nicht angenommen. Mylord habe die Sache vollständig seinem Anwalt übertragen und wünsche nicht, in persönlichen Verkehr mit ihr zu treten, lautete der Bescheid, den Mr. Thomas mit Hoheit und Würde erteilte. Den Eindruck, den die Unbekannte aus ihn gemacht, gab er im Dienerschaftssaal rückhaltlos zum besten. Er hoffe, lange genug Livree in vornehmen Häusern getragen zu haben, sagte er, um zu wissen, was eine Dame sei und was nicht, und wenn dies eine Dame sei, so könne er Katze und Maus nicht unterscheiden,
„Die draußen in Court Lodge," setzte er selbstbewußt hinzu, „Amerikanerin hin oder her, die ist eine vom rechten Schlag — das sieht jeder Gebildete auf den ersten Blick. Ich hab's zu Henry gesagt, als wir den ersten Besuch dort machten."
Die Frau war sortgefahren — das hübsche, gewöhnliche Gesicht halb zornig, halb furchtsam. Im Laufe der verschiedenen Unterredungen, die er mit ihr haben mußte, war Mr. Havishain zu der Ansicht gelangt, daß sie, wohl leidenschaftlich und und frech, jedoch lange nicht so klug und ausdauernd und mutig war, als sie glaubte. Es gab Augenblicke, in denen die Lage, in die sie sich gebracht hatte, ihr über den Kopf zu wachsen Wen, und offenbar hatte sie sich keine Vorstellung davon gemacht, auf welch ernsten Widerstand ihre Ansprüche stoßen würden.
„Sie ist entschieden aus den niedersten Regionen des Lebens", bemerkte der Anwalt gegen Mrs. Errol. „Ohne alle Erziehung weder durch die Schule noch durch das Leben, ist sie durchaus nicht gewöhnt, mit Leuten wie wir auf gleichem Fuße zu Verkehren, und weiß sich dabei in keiner Weise zu benehmen. Der vergebliche Besuch im Schlosse hat sie voll- kommen eingeschüchtort — an Toben und Wüten darüber hat sie es natürlich nicht fehlen lassen, aber eingeschüchtert war sic doch. Der Graf wollte sie nicht em
pfangen, hat mich aber dann auf meinen Wunsch in die „Dorincourt Arms" — Sie kennen ja den kleinen Gasthof — begleitet, wo sie wohnt. Als sie ihn eintreten sah, wurde sie leichenblaß, einen Augenblick später war sie freilich wieder im besten Zug, in einem Atem zu drohen und zu fordern."
Allerdings war der Graf damals in seiner allerabweisendsten, vornehmsten Haltung, wie ein alter Riese aus Königs Geschlecht bei ihr eingetreten und hatte unter den weißen Augenbrauen hervor die Person fixiert, ohne sie eines Wortes zu würdigen, wie man sich etwa eine seltsame, aber widerliche Naturerscheinung besieht. Ohne eine Silbe zu äußern, hatte er sie all' ihre Redensarten hervorsprudeln lassen und dann erwidert: „Sie behaupten, die Fran meines ältesten Sohnes zu sein. Wenn Sie dafür voll- gültige Beweise vorlegen können, so haben Sie das Recht auf Ihrer Seite. In dem Falle ist Ihr Knabe Lord Fauntleroy. Daß die Sache gründlich geprüft werden wird, dessen dürfen Sic sich versichert halten, und wenn Ihre Ansprüche als berechtigt anerkannt werden müssen, so soll für Sie gesorgt werden. Sehen will ich weder Sie noch den Knaben, solange ich lebe — nach meinem Tode wird das Besitztum unglücklicherweise ihm anheimfallen."
Damit drehte er ihr den Rücken und schritt stolz und gelassen hinaus, wie er hereingetreten war.
Wenige Tage darauf wurde Mrs. Errol, die in ihrem kleinen Boudoir mit Schreiben beschäftigt war, ein Besuch ge- meldet. Das Mädchen, welches die An- Meldung zu bestellen hatte, schien sehr aufgeregt zu sein, und die vor Verwunderung ganz runden Augen des jungen Dinges sahen mit ängstlicher Teilnahme auf ihre Herrin.
„Der Gras selbst ist's, gnädige Frau," sagte sie zum Tode erschrocken.
Als Mrs. Errol ihr Wohnzimmer betrat, stand ein ungewöhnlich großer, imposanter alter Mann vor dem Kamine auf dem Tigerfell. Das scharfe, kühne Profil, der lange weiße Sckmurrbart und ein Ausdruck von Eigenwillen fielen ihr zuerst in die Augen.
„MrS. Errol, soviel ich weiß?" sagte er.
„Mrs. Errol," bestätigte sie.
„Ich bin Graf Dorincourt."
Er hielt einen Augenblick inne — un- willkürlich mußte er ihr in die Augen sehen. Diese Augen glichen ganz und gar denen, die er täglich mit ihrem kindlich licbecrfüllten Blick auf sich gerichtet sah, daß es eine merkwürdige Empfindung in ihm hervorrief.
„Der Junge sieht Ihnen sehr ähnlich," sagte er plötzlich.
„Das hat mau mir häufig gesagt, Mylord," erwiderte sie, „aber es macht mir größere Freude, wenn man ihn seinem Vater ähnlich findet."
Lady Lorridaile hatte recht gehabt, ihre Stimme klang besonders süß und lieblich, und ihr Benehmen war höchst natürlich und würdig, auch schien sein unerwartetes Erscheinen sie keineswegs aus der Fassung zu bringen.
„Jawohl," versetzte der Graf, „er sieht auch — meinem Sohne ähnlich." Er zerrte heftig an den Enden des weißen Bartes. „Wissen Sie, weshalb ich hierher gekommen bin?"
„Mr. Havisham ist bei mir gewesen und hat mir gesagt, daß Ansprüche geltend gemacht werden —"
„Und ich komme, Ihnen zu sagen, daß diese Ansprüche genau untersucht und bestritten werden sollen, falls sich dazu irgend eine Möglichkeit bietet. Ich bin gekommen, Ihnen zu sagen, daß der Junge mit allen Hilfsmitteln des Gesetzes verteidigt werden soll. Seine Rechte —"
„Er soll nichts besitzen, was nicht wirklich und wahrhaftig sein Recht ist," unterbrach ihn die sanfte Stimme, „selbst wenn irgend ein Gesetz ihm dazu verhelfen könnte."
„Das kann das Gesetz leider nicht," sagte der Graf, „sonst würde es geschehen, Dieses erbärmliche Geschöpf und ihr Kind —"
„Vielleicht hat sie ihren Knaben ebenso lieb, wie ich meinen Ceddie, Mylord," sagte die kleine MrS. Errol, „und wenn sie die Frau Ihres ältesten Sohnes gewesen ist, so ist jener Lord Fauntleroy, und mein Kind nicht."
Sie hatte so wenig Angst vor ihm wie Cedrik, sie sah ihn gerade so unerschrocken an, wie jener, und das that dem Manne wohl, der sein lebenlang ein Tyrann gewesen war. Es war ihm so selten begegnet, daß jemand gewagt hatte, ihm gegenüber andrer Meinung zu sein, daß es den Reiz der Neuheit für ihn hatte.
„Ihnen wäre es wohl bedeutend lieber, wenn er nicht Graf Dorincourt zu werden hätte?" fragte er etwas gereizt.
Ein leichtes Rot flog über das liebliche Gesicht.
„Graf Dorincourt zu sein, ist ein hohes, glänzendes Los, Mylord, das weiß ich wohl, allein am meisten liegt mir daran, daß er werden soll, wie sein Vater war — gut und gerecht und allezeit wahr und treu."
„In schneidendem Gegensatz zu dem, was sein Großvater war."
„Ich habe bis jetzt nicht das Glück gehabt, seinen Großvater zu kennen," erwiderte Mrs. Errol, „aber ich weiß, daß mein Kind glaubt —" sie hielt inne, sah den Grafen ruhig an und setzte dann hinzu: „Ich weiß, daß Cedrik Sie lieb hat!"
„Würde er das wohl auch gethan haben, bemerkte der Graf trocken, „wenn Sie ihm gesagt hätten, weshalb ich Sie nicht im Schlosse empfange?"
„ Nein," erwiderte Mrs. Errol bestimmt, „ich glaube kaum, deshalb wollte ich ja nicht, daß er es erfahren sollte."
„Nun," sagte der Graf rauh, „viele Frauen gibt es nicht, die in diesem Falle geschwiegen hätten."
Er begann auf einmal, hastig im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei der Bart grausamer als je mißhandelt wurde.
„Ja, er hat mich lieb," sagte er, „und ich habe ihn lieb. Ich kann nicht sagen, daß mir das oft mit Menschen passiert 'ist. Ich Hab' ihn lieb. Im ersten Augen-