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solcher keine Politik, aber er vertritt den Standpunkt, daß es nicht bloß wirtschaftliche und politische, sondern auch ideelle und unsichtbare Fragen sind, für die es wert ist, zu kämpfen in der Oeffentlich- keit. (Langandauernder Beifall).
Mannheim, 27. Sept.. Bei einer Revision der Bücher der Aktiengesellschaft für chemische Industrie in Neckarau bei Mannheim hat sich herausgestellt, daß diese seit vielen Jahren mit Unterbilanz arbeiten, welche vom Vorstand durch falsche Buchungen verdeckt wurden. Die Unterbilanz beläuft sich auf den ungefähren Betrag des Aktienkapitals von 2^/s Millionen Mark, welche als verloren angesehen werden. Infolgedessen wurde der Vorstand vom Aufsichtsrat veranlaßt, den Konkurs anzumelden. Die Direktoren sind verhaftet.
— Die Unterbilanz der Aktiengesellschaft für chemische Industrie in Neckarau scheint das Aktienkapital beträchtlich zu übersteigen. Die Fälschungen der Bilanzen sollen auf ca. 8 Jahre zurück datieren. Die Fabrik bezahlte jährlich 6—8 Prozent Dividende und bezahlte bedeutende Tantiemen, ohne daß das Geringste verdient wurde. Die verschiedenen Tantiemen wurden von dem Aktienkapital gezahlt.
Leipzig, 26. Sept. Die preuß. Regierung hat das Projekt des neuen Zentralbahnhofes für Leipzig genehmigt. Die Kosten des Bahnhofes, des größten der Welt, sind für beide Regierungen auf 105 Millionen Mark beziffert, für den Bau sind 12 Jahre vorgesehen.
Berlin, 29. Sept. Die Meldung ans dem Haag, Kaiser Wilhelm würde die Burengeneräle empfangen, darf nach einer Information des „Berl. Lok.-Auz." als zutreffend angesehen werden. Der Empfang wird sich in Form einer Audi- «nz vollziehen.
Paris, 29. Sept. Der Romanschriftsteller Emil Zola wurde in seiner Wohnung todt aufgefunden; er war infolge eines Unglückssalles erstickt. Seine Frau ist schwer erkrankt.
— lieber die näheren Umstände des Todes von Emile Zola, der heute in seinem Schlafzimmer todt aufgefunden wurde, wird noch folgendes gemeldet: Zola nebst seiner Gattin kehrten gestern Abend von der Sommerfrische znrück. Sie waren guter Stimmung und gingen frühzeitig zur 'Ruhe. -Als heute Morgen bis 9 Uhr die Dienerschaft nicht gerufen worden und auf das Klopfen an die Zimmerthüre nicht geöffnet wurde, wurde die Thüre mit Gewalt erbrochen. Emile Zola lag ausgestreckt inmitten des Zimmers. Seine Gattin atmete noch. Die Dienerschaft holte sofort einen Arzl herbei, welcher versuchte, Zola durch künstliche Athmung ins Leben zurückzurufen, aber vergeblich. Seine Gattin, welche die Besinnung wieder erlangte, konnte auf die an sie gerichteten Fragen antworten. Eine sofort vom Polizeikommissär angeordnete Untersuchung ergab, daß der Tod durch Ausströmen von Kohlengas aus dem verstopften Kamine erfolgte.
Wildbad, 30. Sept. Am Sonntag Mittag ist Herr Sägwerkbesitzer Wilhelm Treiber im Alter von 43 Jahren plötzlich vom Schlag gerührt worden und
kurz darauf gestorben, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein. Mit dem Verstorbenen ist ein äußerst tüchtiger Geschäftsmann aus dem Leben geschieden und viele verlieren in ihm einen treuen aufrichtigen Freund. Lange Jahre war er Schützenmeister des hiesigen Schützen- vereins und auch in den übrigen Vereinen ein gern gesehenes, stets gemütlichfröhliches Mitglied, dessen Humor manchen geselligen Abend verschönte. Ganz Wildbad betrauert seinen Heimgang und bringt der tiefgebeugten Witwe aufrichtige, herzliche Sympathie in ihrem Leide entgegen.
Unterhaltendes.
Am der Mitgift willen.
Roman von Arthur Zapp.
(Fortsetzung) (Nachdruck verboten.)
XIV.
Am andern Nachmittag kommt Klara an. Der Amtsrat ist aufs Feld hinausgeritten, Axel sitzt in seinem Zimmer und schreibt. Ada empfängt Klara. Von den beiden Männern ahnt keiner der Letzteren Gegenwart. Aeußerlich ruhig, nur uoch ein wenig blasser als früher ist Klara, während sie vom Wagen steigt. Ihre Augen freilich spiegeln ihre innerliche Erregung und Unruhe.
„Ein Unglücksfall?" Das sind die beiden hastigen Worte, die sie an Ada richtet, die ihr die Hand zum Gruße bietet.
Ada verneint.
„Augenblicklich ist er in keiner Gefahr", antwortet sie. „Es handelt sich um ein Duell."
Ada bemerkt nicht, daß Klara leise aufatmet. Das Gesicht, in das sie for- schend blickt, hat einen ruhigen gefaßten Ausdruck. Ada ist erstaunt und empört, während sich doch auch zugleich ein leises Gefühl der Genugthuung in ihr erhebt. Wie gleichgiltig sie sich verhält! Sie liebt ihn sicherlich nicht— denkt Ada.
Sie führt ihren Gast in den Salon und besorgt eine Erfrischung, die Klara nicht zurückweist, denn sie ist von der Reise abgespannt und müde. Während Klara sich an dem ihr Vorgesetzten Wein und den aufgetragenen Speisen erquickt, berichtet Ada. Sie erzählt von Herrn Guntermanns Besuch und daß die beiden Männer einen Streit gehabt haben müssen, dem dann die Forderung zum Dnell gefolgt sei.
Klara hört mit gespanntem Interesse zu. Ein schwaches Rot bedeckt die Farblosigkeit ihres Gesichts.
„Herr Guntermann kam in Deinem Auftrag?" bemerkt Ada halb fragend, halb vorwurfsvoll.
Klara nickte. Sie ist unendlich erschüttert bei dem Gedanken, daß sie indirekt die Veranlassung des Streites und der Duellforderung gewesen. Daß Herrn Guntcrmanus Mission gescheitert ist, weiß sie bereits. Er selbst hat es ihr brieflich kurz mitgeteilt, ohne jedoch bezüglich eines zwischen ihm und Axel stattgehabten Streites auch nur die leiseste Andeulung zu machen.
„Es handelt sich lediglich um Geldsachen," erwiedert 'sie. „Und ich begreife nicht —" Sie bricht ab und legt sinnend die Hand an die Stirn.
„Wann soll das Duell stattfinden?" fragt sie jetzt.
„Schon morgen — morgen in aller Frühe," giebt Ada hastig Bescheid. „Die Zeit drängt, kein Augenblick ist zu verlieren. Vergebens habe ich schon in Axel gedrungen, er Mrt nicht auf mich. In meiner Angst kam ich auf den Gedanken, an Dich zu depeschieren. Vielleicht, daß Du ihn bewegen kannst, seinen Streit mit Herrn Guntermann friedlich beizulegen."
Klara sieht in das erregte Gesicht der Sprechenden. Ada's Mienen zucken, ihre ängstlich blickenden Augen, die Blässe ihres Gesichts spiegeln deutlich die Empfindungen wieder, von denen sie bewegt wird.
Sie liebt ihn noch immer! sagt sich Klara und ein eisiges Gefühl durchströmt sie. Sie erhebt sich und hinter dem Stuhl stehend, legt sie ihre beiden Hände auf die Lehne. Kühl und abweisend entgeg- nete sie: „Ich bezweifle, daß meine Einmischung von irgendwelchem Nutzen wäre, ja, daß sie überhaupt statthaft ist."
„Aber Du bist doch seine Frau!"
„Du vergissest, daß ich es bald nicht mehr sein werde."
Ada sieht die vor ihr Stehende er staunt, empört an.
„Bei einer solchen Veranlassung," sprudelte sie erregt, „vergißt man doch jeden Hader und jede Uneinigkeit. Und Ihr standet Euch doch noch vor Kurzem so nahe!
„Wir werden uns bald ganz fremd gegenüberstehen," erwidert Klara, deren Gesicht einen immer finsteren, kälteren Ausdruck annimmt. „Es kommt mir taktlos und unangemessen vor, wenn ich mich jetzt in Axel's Privatangelegenheiten mischen soll, die mich doch nichts mehr an- gehen. Und er selbst würde sicher am allermeisten lavon überrascht sein und es peinlich empfinden."
Sie kehrt sich ab — es ist ihr unmöglich, der vor Angst Verzehrten länger ins Gesicht zu sehen, die um Axel's Leben bangt, als gehöre es ihr. Sie tritt an das Fenster und sieht zum Firmament hinauf, als wollte sie sich nach der Wetterlage erkundigen. (Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
— Ein Stammtisch der Taubstummen ist eine der Kuriositäten der Reichshaüpt- stadt. In einem Kaffee, dessen bekannt billige Preise für alle Diejenigen etwas anziehendes haben, die wegen des Genusses einer Taffe Kaffee ihrem Geldbeutel nicht allzuviel zumuten dürfen, steht mitten im Zimmer ein Tisch, um den sich alle Nachmittage ein seltsamer Chor von Stammgästen versammelt: eine Gesellschaft von Taubstummen. Während an den anderen Tischen Alles in die Lektüre der Zeitungen vertieft ist, höchstens hier und dort ein im Flüstertöne gehaltenes Gespräch hörbar wird, herrscht im Kreise jener taubstummen Z Stammgäste die lebhafteste Unterhaltung. Da werden wortlos, mit Gesten und Mienen, die hochpolitischen Tagesfragen diskutiert, da wird für die Buren gestritten und auf die Fleischpreise geschimpft: man kann zwar nicht hören, wohl aber sehen, wie eifrig uud zäh die Unterhaltenden ihren Staudpunkt vertreten. So geht es einige Stunden lang, dann erhebt sich Einer nach dem Andern mit 1 stummem Abschied-gruß.