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Handwerk recht fühlbar, lieber die Ab-! neigung der jungen Leute, sich für ihren Lebensberuf dem Handwerk zuzuwenden, klagten die Meister öfters bei Besichtigungen sowie in den Sprechstunden. Die Lehrlinge gehen fast nur noch aus den allerärmsten Volksklasseu mit der geringsten Schulbildung hervor, während Knaben mit guter Handschrift meistens die Laufbahn als Schreiber dem Lehrlingsstande vorziehen. Haben sie außerdem noch gute Schulzeugnisse und besitzen Gewandtheit im Rechnen, so glauben die Eltern den Sohn zu einem höheren Beruf befähigt und lassen ihn oft unter großen Entbehrungen lieber Kaufmann werden oder schicken ihn sogar einige Jahre auf das Gymnasium. Das Vertrauen auf den goldenen Boden des Handwerks ist in den Kreisen, aus denen früher seine Angehörigen hervorgegangen find, leider entschwunden, obwohl gerade bei dem großen Mangel an Nachwuchs junge strebsame Handwerker die allerbeste Aussicht aus eine gute Zukunft haben. Viel Schuld daran tragen die in manchen Blättern immerfort wiederholten Behaupt- ungen, daß das Handwerk seine Berechtigung verloren habe und demnächst ganz von der wachsenden Großindustrie verdrängt werden würde. Diese Behauptung ist durchaus falsch. Das Handwerk lebt noch recht kräftig und wird niemals durch die Groß-Jndustrie beseitigt oder ersetzt werden können, wohl aber sind die geistigen und künstlerischen Anforderungen, welche au ein Handwerk gestellt werden, gewachsen, und ein Tischler oder Schlosser, der die Fortbildungsschule nicht mit Er folg besucht hat, wird nur geringe Aussicht haben, weiter zu kommen. Das steht fest, ein Handwerker, der sein Geschäft versteht und den Anforderungen entspricht, welche die fortgeschrittene allgemeine Wohlhabenheit und der ausgebildete Kuust- geschmack stellen, wird stets in allgemeiner Achtung stehen und der klingende Lohn wird ihm nie fehlen Leider wird den Handwerksmeistern die Ausbildung der Lehrlinge sehr erschwert durcb den Geist der Unbotmäßigkeit, der vielfach unter den jungen Leuten herrscht und leider nicht selten von den Eltern jgenährt wird.
Wnterhatlenöes.
Die MeeWamnspitze.
Humoreske von F. Grunner.
(Schluß.) (Nachdruck verboten.)
Nachdem der Kommissär sich einigermaßen beruhigt hatte, griff er nach dem Etui mit dem Meerschaumkunstwerk. Es hatte keinen Schaden gelitten. Da seine gewohnte Cigarre, wie bemerkt, nicht in die Mündung paßte, mußte er nach dem Bureau-Diener läuten. Diesem übergab er mit feierlicher Miene das Etui.
„Da gehen Sie hinüber in das nächste Cigarrengefchäft nnd lassen sie sich fünfzig Stück in diese Cigarrenspitze passende Rauchkräuter geben/'
„Sehr mohl, Herr Kommissär."
Der wohlbeleibte Diener humpelte davon. Es dauerte wohl eine Stunde, ehe er wiederkam.
„Mit Respekt: keine Sorte paßt hinein", weidete er. „Alle haben wir durchprobiert, entweder sind sie zu stark oder zu schwach. Der Herr Kommissär wird! sich, mit Respekt, Papier Herumwickeln! müssen."
! Ringhofer war darüber sehr ungehalten, umsomehr als er zu Hause in Ermangelung einer passenden Cigarre mittels Papierumhüllung den überschüssigen Raum in dem Meerschaum-Kunstwerk ausgefüllt hatte.
„Sie haben einfach die Thatsache zu melden, daß es in diesem Vorstadt-Ci- garren-Ladeu keine passende Sorte giebt. Mehr nicht! Merken Sie sich das und behalten Sie Ihre guten Ratschläge für sich," sagte er in scharf verweisendem Tone.
Der Diener konzentrierte sich daraufhin eiligst nach rückwärts, und das war für ihn sehr vorteilhaft. Denn erst nachträglich bemerkte der Kommissär, daß bei dem Probeanpaffen dem Hunde der wedelude Schweif abhanden gekommen war. Das gute Thier sah nun ziemlich unwahrscheinlich aus. Wüthend lief Ringhofer in dem Zimmerchen auf und ab.
„Diese Ungeschicklichkeit!" rief er ein über das andere Mal aus und besah sich wieder den kleinen Schaden. Schließlich besänftigte er sich einigermaßen und nahm zu der Wickelmethode die Zuflucht, um eine Cigarre aus der Prachtspitze rauchen zu können. Aber es war ein martyrienreiches Rauchen. Die Zähne mußte er fest zusammenbeißen, damit sie auf dem glatten Bernstein hafteten. Trotzdem drehte sich, kaum daß er eine Seite geschrieben, plötzlich der blasende Waidmann mit seinem schweifloseu Hunde nach unten. Die brennende Cigarre strich über das Papier und zeichnete auf diesem eine schwärzlich-braune Führte. Gleichzeitig machte sich ein brenzlicher Geruch bemerkbar.
Nachdem dies sich noch zwei Mal wiederholt hatte — und das letzte Mal auf einem Schreiben, das dem Dberkom- missär vorgelegt werden sollte! — entschloß sich Herr Ringhofer, das Geburtstaggeschenk zunächst bei Seite zu legen. Ein unangenehmes Gefühl verspürte er auch in den Zähnen, es mar ihm, als ob sie auf einmal nicht mehr ganz fest stünden.
So kam es, daß er beim Fortgehen ans dem Bureau die theuere Gabe vergaß und sich ihrer erst erinnerte, als er schon den halben Heimweg zurückgelegt hatte. Eiligst strebte er nun zurück. Da bemerkte er schon von Weitem Iden dicken Bureaudiener vor dem Hausthore stehend und behaglich blaue Wölkchen in die Luft blasend, aus einer — — ja aus seiner, des Kommissärs Meerschaumpfeife! Das war ja doch der Weidmann, der immer „Halali" blies. Zornsprühend stürzte Ringhoser auf den Mann zn, der mit abgewendetem Kopfe stand und lächelnd jungen Mädchen zusah, die beim Klange einer Drehorgel sich zierlich im Kreise drehten. Er hatte keine Ahnnng von dem Unwetter, das jetzt ans ihn niederprasselte.
„Meine Cigarrenspitze! . . . Wie kön- nen Sie es wagen, sich an ihr zu vergreifen", schnaubte der plötzlich neben dem Büreaudiener auftauchende Kommissär. Als der Alte so unverhofft das zornige Gesicht Riughofers sah, erschrack er, sein Mund that sich jäh auf — u«d die Meerschaumspitze lag zerbrochen auf dem Pflaster!
„Wie können Sie sich erlauben, aus meiner Meerschaum —"
Die Worte erstarben dem Kommissär auf den Lippen, als der verdutzte Diener die beiden Teile der zertrümmerten Meerschaumspitze aufhob. Das war ja gar nicht seine Spitze! Diese trug keinen Waidmann samt Hund, sondern eine und allerdings sehr lädierte Schäferin, die ein Lämmchen am Bande führte . . .
„Ach, dann entschuldigen Sie, aber ich dachte, weil meine Spitze auch ähnlich ausschaut," vollendete er in gänzlich verändertem, stotterndem Tone.
„Aber, Herr Kommissär, wie werd' ich denn," sagte der Alte und sah mit trübseliger Miene auf die Ueberreste seiner Prachtspitze. „Ein Drittel war sie schon angeraucht und ohne das kleinste Flekerl."
Ringhofer drückte ihm eine Geldnote in die Hand : „So, für den Schreck und für die Cigarrenspitze," sagte er mit säuerlichem Läckeln.
Dann holte er sich die eigene und machte sich ganz langsam auf den Heimweg.
„Hast Du auch nicht deine Meerschaumspitze vergessen, und in gutem Zustande ist sie doch noch " ? rief ihm Frau Josefine schon in der Thür entgegen.
Der Kommissär bejahte müde.
„Ich habe Nachmittags in dem „Praktischen Wegweiser für das Hauswesen" darüber nachgelesen. Putzen mit einem Stückchen Rehleder empfiehlt sich. Auch ist es vorteilhaft, immer dieselbe Eigarren- sorte zu rauchen. Die Färbung wird dann gleichmäßiger".
Ringhofer zog nervös seinen Ueber- rock aus: „Ich weiß das alles, liebe Jo- sesine. Indessen habe ich, Du errathest meine Meinung, die Spitze doch nicht lediglich zum Anrauchen, sondern, nicht war, als Mittel zum Rauchen."
Die Hausfrau sah ihn erstaunt an: „Aber, Flori, Du erlaubst mir auch gar nicht, mich um dich zu kümmern. Nein, das thust Du nie. Dazu hast Du natürlich keine Zeit."
Mit feuchten Augen eilte sie aus dem Zimmer. Der Kommissär zog die Achseln hoch. „Diese entsetzliche Spitze," murmelte er, „nun geht wieder das Schmollen los."
Da kam Robert, sein Vierjähriger, herangestürmt uud umarmte ihn soweit es ging. Beim Anblicke des Krauskopfes zuckte ein Gedanke durch das Hirn des Herrn Florian Ringhofer. Er nahm aus dem Ueberrocke das Etui mit der Meerschaumspitze und legte es ganz still ans einen Sessel. Hierauf begab er sich geräuschlos in seine Studierstube ....
Als er zum Abendessen gerufen wurde, kam ihm Frau Josefine mit verlegenem Gesichte entgegen:
„Flori ... es ist ein Malheur passiert! — — Denke Dir nur, Robertchen hat das Etui von Deiner Meerschaumspitze in die Hand bekommen — und-"
„Und?!" Ter Kommissär machte ein streng fragendes Gesicht.
„Das Kind hat sie aus den Boden geworfen —"
Hinter den gesenkten Lidern des Herrn Florian Riughofer zuckte es: „ . . . Und sie ist doch nicht am Ende zerbrochen ?"
„Allerdings, Flori — —"
„Da hast Du die Bescheerung," sagte der Kommissär, im Tone sanften Vorwurfes und wandte sich ab, damit Frau Josefine sein Schmunzeln nicht sehen sollte.