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geworden, was Goethe im Reiche der Geister auf dem Gebiete der Kunst und Litteratur für uns gewesen ist. Auch er hat, wie Schiller von Goethe sagte, die Schlange erdrückt, die un eren Genius umschnürte. Goethe hat uns auf dem Gebiete der Bildung geeinigt, Bismarck uns politisch Denken und Handeln gelehrt. Und wie Goethe für immer als Stern an unserem geistigen Himmel steht, ist Bismarck uns eine Gewähr dafür, daß die Nation ihre Gleichberechtigung mit anderen Völkern und ihr Recht auf Einheit, Selbständigkeit und Macht niemals aufgeben kann. Er hat uns ein Beispiel gegeben, nie zu verzagen, auch in schwierigen und verworrenen Zeiten nicht. Er lehrte uns, uns selbst treu zu bleiben, und gab uns Selbstbewnßtsein und Unternehmungsgeist. In ihm kann sich, wie in einem Spiegel, die Nation selbst beschauen, denn er war vor allem ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes. Er ist nur auf deutschem Boden denkbar, nur für die Deutschen ganz verständlich. Dort vor uns liegt die Siegesallee Wenn diese stolze Straße von den Askaniern und Nürnberger Burggrafen bis zu dem großen deutschen Kaiser führt, so verdanken wir es in erster Linie dem Genie des Mannes, dessen Bild in Erz sich vor unseren Blicken jetzt enthüllen soll. Seiner Ausdauer, seinem heldenhaften Mut, seiner Klugheit und seiner Arbeit für die Dynastie, die aus dem südlichen Deutschland zu uns kam, um von hier aus Nord und Süd für immer zu verbinden. In der Mitte Europas gelegen, sind wir darauf angewiesen, immer eu veästto zu sein, aber wir sind stark genug, unsere Unabhängigkeit nach jeder Seite zu behaupten. Von Gegensätzen durchzogen in politischer, wirtschaftlicher und konfessioneller Beziehung, wird es niemals dem Reich an inneren Kämpfen fehlen, aber sie werden niemals im Stande sein, den Reif zu sprengen, der vor 30 Jahren geschmiedet worden ist. Dxopstc monumontum nortz xsromnrw. So möge denn des großen Mannes Name als Feuersäule vor unserem Volk herziehen in guten und schweren Tagen. Möge unser deutsches Volk seiner großen Zukunft in Friede und Freiheit, in Wohlfahrt und Stärke entgegengehen unter der Führung des glorreichen Hohenzollernhauses, auf desfen Schultern die Zukunft der Nation ruht. Der Reichskanzler schloß mit einem Hoch auf den Kaiser, die deutschen Fürsten und das deutsche Vaterland.
Berlin, 17. Juni. Dem „Kl. Journal" wird aus Peking gemeldet: Die Gesandten haben sich endlich über die Entschädigungsfrage geeinigt. Alle haben den amerikanischen Vorschlag an- genommen, die Entschädigung mit 450 Millionen Taels zu fixieren, die mit 4 Prozent zu verzin en wären. Danach hätte China jährlich 18 Millionen Taels an Zinsen zu zahlen. Mit der Amortisation der Schuldsumme soll erst in einigen Jahren begonnen werden. Rußland hat seine Einwendungen aufgegeben. Mehrere Gesandten haben noch an ihre Regierungen depeschiert, um die formelle Zustimmung zu dem einheitlich gefaßten Beschluß zu erlangen. Auch über die Steuerquellen, aus welchen die Entschädigungssumme
bestritten werden soll, haben sich die Gesandten geeiuigt. Es sollen dies sein die Abgaben auf Salz, die Julandzölle und ein Zuschlag von 5 Prozent auf die Seezölle. Für diesen letzteren hat der amerikanische Gesandte die Zustimmung der übrigen Mächte erhalten. Auch über die Details ist eine vollständige Ueber- einstimmung erzielt worden.
Lokales.
Wildbad, 17. Juni. Die gegenwärtig erscheinende 3. Auslage von Jen- sens „Schwarzwald" — ein im Allgemeinen recht empfehlenswertes Werk — enthält über Wildbads klimatische Verhältnisse recht ungünstige Auslassungen. So soll es im Winter ein rauhes Klima, im Sommer dagegen starke Hitze und schwül-unbewegte Luft aufweisen. Demgegenüber sagt Dr. L. Meyer, stellvertretender Vorstand der meteorologischen Zentralstation Stuttgart, in seiner Schrift über die klimatischen Verhältnisse Wildbads (Führer von Geh. Hofrat Dr. Weizsäcker) als Ergebnis jahrelanger Beobachtungen der hies. Station, „Freudenstadt, heute wohl die beliebteste Sommerfrische Württembergs, ist in den entscheidenden Sommermonaten nur 0,6° kühler als Wildbad, wo das mittlere Maximum im Juli 22,4", im August 21,5 ° erreicht. Während des Tages fließt die kühlere Luft aus dem oberen Enzthal das Thal hinab und die Luft ist demnach in Wildbad höchst selten längere Zeit unbewegt." Ferner: „MittleresMinimum im Januar — 3,6 (Schw. M.)
WntsrHcrtterröes.
Gntlarvt.
Roman von Emil Droonberg.
(Forts.) Nachdruck verboten.
„O, das war unter dem päpstlichen Regiment noch viel schlimmer," erzählte der Wirt. „Damals war fast keine Straße mehr in den Bergen sicher, während doch jetzt die meisten ungefährdet von den Reisenden benutzt werden können. Freilich, daß das Banditenwesen hier ganz aufhört, werde ich und vielleicht auch Sie nicht erleben, denn es ist für den italienischen Charakter ein Reiz damit verknüpft, der durch die Aufregung und Gefahr, welche damit verbunden ist, noch erhöht wird. Doch Signor, haben Sie die Absicht, heute Abend noch weiter zu wandern?"
„Gewiß, ich will noch bis Askoli!"
Der geschwätzige Wirt wollte eben eine neue Frage an ihn richten, als Peitschenknall, das Geklingel von Maultieren, das Wiehern von Pferden und Geschrei von Vetturins den Weg heraufscholl, der sich, von einer Wendung des Berghanges verborgen, zu dem Plateau hinaufzog.
Eiben Augenblick horchten beide auf das Geräusch, im nächsten aber sprengte schou einer der Reiter, der den übrigen vorausgeeilt, vor die Herberge und rief laut nack dem Wirt und der Bedienung. Zugleich sprang er vom Pferde und warf dem diensteifrig herbeieilendeu Wirt die Zügel zu.
Der Reisende war ein seiner, ernster Mann, mit vielem Anstand und vornehmer Würde in seinem Wesen, die aber
jetzt mit seltsamer Aufgeregtheit gemischt schien.
Er mochte etwa fünfundvierzig Jahre zählen und ein aufmerksamer Beobachter hätte mit Erstannen eine frappierende Ähnlichkeit in seinen Zügen, mit denen des jungen Mannes vor der Herberge, wahrnehmen können, über welche selbst der Altersunterschied der Beiden nicht hinwegzutäuschen vermochte. Selbst der Klang der Stimme, mit welcher er nach dem Wirt gerufen hatte, schien derselbe zu sein.
Der Neuangekommene hatte den Wirt sofört auf die Seite gezogen, ohne dem jungen Manne mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Er hatte seine Stimme möglichst gedämpft, aber doch vermochte Jener Alles zu verstehen, was er mit dem Wirt verhandelte.
„Sind seit zwei Tagen viele Fremde an Ihrer Herberge vorübergekommen," leitete er das Gespräch ein.
„Nicht eben viele," war die Antwort.
Dann werden Sie sich gewiß noch erinnern, ob in dieser Zeit eine Gesellschaft vielleicht verdächtig aussehender Männer hier vorbcikam, bei der sich eine junge Dame befand. Besinnen Sie sich genau! Die Beantwortung dieser Frage ist für mich von größter Wichtigkeit."
„Ich habe seit Wochen hier keine junge Dame gesehen," berichtete der Wirt. „Der junge Mann, den sie draußen auf der Veranda sahen, fragte mich schon danach."
Der Fremde richtete jetzt zum erstenmal einen forschenden Blick auf den Forstgehilfen. Es mußte etwas in seinen Gesichtszügen sein, das in fesselte, denn er wandte seine Augen lange Zeit nicht wieder von ihm weg.
„Wer ist er," fragte er dann hastig.
„Ein Deutscher, der bei dem Marquis Poerio als Forstgehilfe in Stellung ist."
„Und warum fragt er?"
„Es ist vor einigen Tagen eine junge Komteß von den Banditen entführt worden," erzählte der Wirt, erfreut die soeben gehörte Neuigkeit wieder an den Mann bringen zu können. „Und er fragte mich, ob sie etwa hier vorüber gebracht worden wäre, da der einzige gangbare Weg in das Hochgebirge hier vorüberführtj Ich mußte aber seine Frage verneinen."
Der Fremde hielt seine Augen an den Boden gehestet.
„Die Entführte ist meine Tochter," sagte er dann plötzlich, wie zu einem Entschluß gekommen. „Ich bin der Marquis Agliardi und biete Ihnen eine reiche Belohnung, wenn Sie mir eine Spur von meiner Tochter Nachweisen können. Ich bin mit nur wenigen Gefährten in die Berge aufgebrochen, um sie zu suchen, denn es war vorauszusehen, daß wir sie nicht finden würden, wenn ich eine Militärmacht anfgeboten hätte. Ich halte Sie für einen ehrlichen Manu, deshalb erzähle icki Ihnen das offen, indem ich Sie zugleich auffordere, mir alles zu sagen, was Sie etwa über die Verstecke und Gewohnheiten der Banditen wissen?"
Der Wirt fuhr sich mit der Hand durch das struppige Haar und drehte nachdenklich die phrygische Mütze in der Hand, dann blickte er sich vorsichtig um und entgegnete mit leiser Stimme: