Amtsblatt für- öie Staöt Witöbaö.

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Nr. 137.

Samstag, 24. Wovemver 1900

86. Jahrgang.

R u n o f ch a ir

Neuenbürg, 20. Nov. Hr. Rechts­anwalt Simon hier ist nach 2jähriger Rechtsanwaltpraxis im Bezirk auf die Stelle eines Kriegsgerichtsrats beim Mi­litärgericht in der Festung Posen berufen und wird sein neues Amt schon am 1. Dezember l. Js. antreten. Der Weggang des beliebten Rechtskundigen, der sich hier eine sehr umfangreiche Praxis geschaffen hat, wird bereits am 24. ds. Mts. er­folgen. (Enzth.l

Calw, 21. Nov. Die neu gebaute Vizinalstraße von Teinach nach Schmieh- Oberkollwangev wurde gestern in Anwesen­heit von Oberamtmann Völter, Oberbau­rat Leibbrand in Stuttgart und den Gemeinderäten der drei Ortschaften über­nommen. Die Straße verbindet die oberen Wald orte mit dem Teinach- und Nagold­thal und bildet ein wichtiges Verkehrs­mittel für den gesamten oberen Wald. Die neue Straße verursachte einen Auf­wand von über 160000 Mk; der Staat gab einen Beitrag von 40000 Mk.

In Altensteig wurde in voriger Woche die elektrische Beleuchtungseinrich­tung beendigt. Am Samstag Abend strahlten zum erstenmal in sämtlichen Häusern elektrische Lichter. Die ganze Einrichtung ist ein Unternehmen des Mühlenbesitzers F. Faist.

Nürnberg, 18. Nov. Ein bei Hellem Tage im Innern der Stadt in einer ziem­lich lebhaften Straße vorgekommener Raubmord erregt die Gemüter unserer Bevölkerung, da der Mordplan mit großer Raffiniertheit ausgeführt wnrde. Der Tapeziermeister Siffert war durch eine ihm zugestellte Postkarte veranlaßt wor­den, sich gestern Nachmittag aus dem Haust zu entfernen, um in einem Hanse in einer entfernten Straße eine Arbeit auszuführen. Nach Entfernung des Man­nes kam ein Bursche^ zu der Ehefrau Siffert und bewog sie, durch ihre Dienst­magd ein Paket für ihn abholen za lassen. Während der Abwesenheit des Mädchens erschlug der Bursche die Frau mit einem mitgebrachten Hammer, indem er ihr hiemit mehrere Schläge versetzte, so daß die Frau, die nicht mehr zum Bewußtsein kam, heute Morgen den Verletzungen er­legen ist. Es ist festgestellt, daß ein 2. Bursche, während der Mörder die Blut- that vollbrachte und dann aus einem von ihm erbrochenen Schranke 6700 Mark stahl, Wache vor dem Hause hielt. Die Thäter sind bis jetzt nicht ermittelt.

Berlin, 20 Nov. Die Beratung des Nachtrags-Etats für die China-Ex­pedition ,wird fortgesetzt. Abg. Basser­mann (ntl.) wendet sich gegen die gestri­gen Ausführnngen bes Abg. Bebel und gegen die Ausführungen über die Er- Werbung non Kiau - Tschou. In China sei die deutsche Nationalehre engagirt seit der Ermordung des Gesaudten von Ket- teler und habe Deutschland seine natio­nale Pflicht voll zu erfüllen. Die Ent­sendung von Truppen sei deshalb zu bil­ligen. Bezüglich der Jnscenirung der Sache müsse er sich der Kritik des Ab­geordneten Lieber anschließen; denn es seien hiebei Dinge vorgekommen, die einen theatralischen Anstrich hatten und dem deutschen Wesen nicht entsprechen. Dahin gehörten auch die vielen Reden. Hinsichtlich der vorgekommenen Plünder­ungen sei festgestellt, daß die deutschen Truppen dabei nicht beteiligt gewesen seien. Das gestern vorgetragene Pro­gramm des Reichskanzlers billigten seine Freunde, ebenso das Zusammengehen mit den andern Mächten und speziell das Abkommen mit England. Redner kriti- sirt in seinen weiteren Ausführungen ab­fällig, daß sich Deutschland mit der 80 Millionen-Anleihe an Amerika gewandt und betont, daß die Nichteinberufung des Reichstages im Sommer eine offenbare Verfassuugsverletzung gewesen ist. Der Standpunkt der Nationalliberalen sei, Wahrung deutscher Ehre und deutscher Rechte, Förderung deutscher Interessen, aber auch Achtung des Rechts der deut­schen Volksvertretung. Abg. v. Levetzow (kons.f erklärt ebenfalls das Vorgehen Deutschlands in China für geboten und freut sich über das Fortbestehen der deut­schen guten Beziehung zu Rußland. Abg. Richter (freis. Volksp.) erklärt, seine Par­tei sei der Meinung, daß unmittelbar nach der Ermordung des deutschen Ge­sandten eine militärische Machtentfaltung nötig gewesen sei. Die Uebernahme der Oberbefehle durch den Grafen Waldersee sei ein schwerer politischer Fehler Deutsch­lands gewesen. Redner glossirt die Wal- dersee'schen Ovationen und stellt dies in Gegensatz zu Moltke, er geht weiter, ein­gehend auf die kaiserlichen Reden, und sagt, es sei dringend geboten, dieselben in die Debatten hineinzuziehen, indem der Kaiser doch Stimmung zu machen suche für das, ,was er wünsche; die Volksver­tretung könne unmöglich stillschweigend darüber hinweggehen. Was das Wort

anlange Pardon wird nicht gegeben, s" frage er den Kriegsminister, ob dies ein strikter Befehl des obersten Kriegsherrn sei. Redner giebt seiner Verwunderung Ausdruck wegen der Nichteinberufung des Reichstages und hegt schwere Bedenken be­züglich dieser Verfassungswidrigkeiten und hofft, daß dieselben nicht wieder Vorkom­men mögen. Reichskanzler Graf Bülow erklärt, er übernehme die volle morasi- sche Verantwortlichkeit für die Rede des Kaisers, die von der großeu Mehrheit der Bevölkerung nicht mißverstanden werde. Graf Waldersee habe die Ueber­nahme des Oberbefehls auf eine von außen her kommende Anregung übertra­gen erhalten. Die Abg. v. Kardorff (Freikons.) und .Rickert (freis. Vergg.) sind mit der Chinapolitik einverstanden, und tadeln die Nichtberufung des Reichs­tages und halten die Forderung der In­demnität für notwendig.

Marseille 22. Nov Kurz nach 9 Uhr Vormittags lief dieGelderland" im Hafen ein und gab 21 Salutschüsse ab, die die Hafenbatterie erwiderte. Am Landungsplatz hatte das Empfangsko- mite Aufstellung genommen. Gegenüber dem Landungsplatz waren Militärvereine mit ihren Fahnen ausgestellt. Im Hafen umschwammen zahlreiche Boote dieGel- derland". Aus der Volksmenge ertönten von Zeit zu Zeit Rufe:Es lebe Krü­ger! Hoch die Buren!" Um 10 Uhr brachte eine Schaluppe den Dolmetscher Krügers ans Land, der dem Ewpfangs- komite mitteilte, daß die Landung Krü­gers erst gegen Mittag erfolgen könne.

London. 21. Nov.Daily Tele­graph" meldet aus Shanghai vom 2. Nov.: Eine hier eingegangene Meldung besagt: Ein geheimes Dekret der Kaiserin, das heute telegraphisch verbreitet wurde, ermahnt alle Vizekönige und Gouverneure sich sofort zum Krieg gegen die Verbün­deten in allen Teilen des Landes bereit zu halten.

ist LssiKessenL?

A. L- M. In Nordamerika, Oesterreich Rußland, auch Deutschland bestehen große Holzr Verkohlungsanstalten zur Herst-llung von Thee- rc. und esstgsaurem Kalk, welch'letzterer hauptsäch lich auf Essigsäure verarbeitet wird, Ein Teil dieser Produktion wird zu Speisezwecken (mit Schwefel- oder Salzsäure) chemisch gereinigt und dann Essigessenz, wenn noch mit künstlichen Bou­quetstoffen versetzt, Weinessigeffenz genannt. Drese Essigessenzen wirken höchst ätzend und un­verdünnt als Gift wie schon mehrfach vorge­kommene Erkrankungen undTodesfälle beweisen.