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Lokales.

Wildbad, 5. Sept. Am Montag Nachmittag folgte auf die Turnhalleein. wcihung ein äußerst gelungenes Kinder- fest. Sogar der Himmel konnte nicht umhin, er mußte ein recht heiteres Ge- sicht zeigen, obwohl morgens noch dichte Nebelwolken unheildrohend um den Wild- bader Kopf hingen, wahrscheinlich aus p-rem Neid, daß die Wildbader Kinder n cht sehen sollten, wie die Wetterfahne sich schon gegen Nordosten gedreht und der frische Wind die düstere Gesellschaft, welche die Fahne am Sonntag so saftig geweiht, demnächst davon jagen werde, um der lachenden Sonne Platz zu machen. Ein stattlicher Festzug bewegte sich durch die Stadt und bald saßen die Scharen um die Kaffeetische in der Turnhalle, gierigen Blicks nach den kollossalen Kannen schielend, die den süßen Trank enthielten. Spiele, Deklamationen, Karoussel, Pfeifen, Schwirren, Musik, das alles war ein Volksfestleben, wie man es toller nicht er­blicken kann. Aber vergnügt, seelenver­gnügt waren alle, jung und alt, und Herr Itadtschultheiß Bätzner konnte es als großer Kinderfreund nicht übers Herz bringenes zog ihn hinab unter die froh- liche Schar, die jubelnd am Rathaus vorü- bergezogen war. Herr Stadtpfarrer Auch hielt eine kleine Ansprache an die Kinder nnd nachdem sich der Festzug noch an die Trinkhalle begeben, endete ein aus voller Brust gesungenesNun danket alle Gott" die schöne Feier.

Unterhaltendes.

Der vergangene Auditor.

Im Hofbräuhauskeller zu München wurde der Genuß der schönen, lauen Sommernacht mit dem Schlage Zwölf vorichriftsmäßig dadurch abgeschnitten, daß der Genuß des Münchener Nektars durch Einschlagen des Spundens für heute ebenfalls seinen Abschluß gefunden, und da die verehrten Stammgäste an dem runden Tische zum Schwärmen allein nicht gekommen, so verabschiedete sich einer nach dem andern, oder sie gingen partieenweise zurück nach der Stadt über die Brücken, unter welchen der schäumende grüne Berg­strom den Heimkehrenden eine gute Nacht zurauschte. Und eine gute Nacht konnte es werden. Morgen warjaSonntagRuhetag, Ausschlaftag! Der Regimentsauditor, den wir uns als Opfer dieser wahrheitsge- treuen Erzählung ausersehen und welchen wir auf Schritt und Tritt verfolgen wer­den, sperrte mit solch seligen Gefühlen die Hausthüre seiner Wohnung auf und stol­perte infolge tiefer Finsternis über die zwei Treppen hinauf zu seinen Gemächer«. Er kam selten zu so später Stunde nach Hause. Dieses mochte auch dem Pudel der im ersten Stock wohnenden alten Dame auffallen. Der Pudel war ein treues Tier, die Dame aber ebenso zuwider als häßlich und ein Begegnen mit ihr hielt der Auditor immer für ein böses Omen. Jetzt bellte der Hund, als ob Räuber und Mörder vor der Thür stän­den. Der Auditor hatte inzwischen seine Hagestolzenwohnüng erreicht und stolperte er mußte sich diese Gattung von Fort- kommen selbst zugestehen in sein Zim­mer, wo er erst nach Umwerfen einiger Stühle die Streichhölzchen fand. Noch

bevor er Licht gemacht, klopfte es schon von unten herauf, daß sein Stubenboden erzitterte. Es war die alte Madame, welche sich die weiteren Störungen ihrer Nachtruhe verbat. Der Auditor lächelte. Dieses Klopfen war ihm nicht mehr fremd und zum Zeichen, daß er davon Notiz genommen, schlug er mit seinem Stiefel­zieher gleichfalls dreimal an den Stuben­boden, als wären es gleichsam drei Zei­chen der heiligen geheimen Feme.

Bald schlief er den Schlaf des Ge- rechten, wie dies nur immer in der süßen Nacht vom Samstag auf Sonntag mög­lich ist. Nach einer anstrengenden Woche voll Arbeit wollte er so recht den bib­lischen Rat befolgen: sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten sollst du ruhen. Ec ruhte auch köstlich, bis der Tag graute. Dieser graut aber im Sommer schon sehr bald und mit einem etwas verdrießlichen Gesichte blickte er nach dem Plafond sei­nes Zimmers, über welchem die ein Stock­werk höher wohnenden Insassen auf und ab trabten, als wären sie als Krautein­treter angestellt, so daß das ganze Haus erzitterte.

ES währte nicht lange, da klopfte es auch schon wieder von unten herauf. Die so früh aus ihrem Morgenschlummer ge­störte Dame mochte glauben, der Auditor mache auch diesen Spektakel, und ihr Klopfen wurde so hitzig, so vielsagend, daß der Auditor, von oben und unten gleichsam in einem Kreuzfeuer, mit beiden Füßen aus seinem Bette sprang, sich in den Schlafrock warf und zum Fenster eilte. Dasselbe öffnend, streckte er seinen Kopf so weit als möglich hinaus, um so seine Ohren vor dem inneren Tumulte zu verschonen.

Nach Kurzem sah er seine Hausge­nossen in Joppe und Hut, mit dem Ge- birgsflocke bewaffnet, aus dem Hause treten und leichten Schrittes in der Rich- tung nach dem Bahnhofe forteilen.

Der Himmel war wunderschön blau; eine herrliche Frische kühlte ihm die Stirne undich mache auch eine Landpartie!" war der sofortige Entschluß des aus sei­nen süßen Träumen gestörten Auditors.

Aber wohin? Er nahm seinen Taschen- geschäftskalender zur Hand und suchte den heutigen Sonntag, den 8. Juni, der als der letzte auf der Seite verzeichnet stand; er blätterte um und sah mit Vergnügen, daß der nächste Montag alsBenno, Stadt- und Landespatron" ebenfalls rot verzeichnet war. Er hatte ans Ver­sehen ein Blatt überschlagen und gar nicht darauf geachtet, daß Benno auf den 16. Juni, also gerade acht Tage später fiel uud nicht auf den nächsten Tag, welcher erst der 9. Juni war.

Der Auditor trabte auch bald in sei­nem Zimmer auf und ab, dieses und jenes zusammensuchend; denn da sein Bedienter von dem plötzlichen Entschlüsse seines Herrn nichts wußte und daher wie ge­wöhnlich erst um sieben Uhr kam, so hatte der Auditor für seine Toilette selbst zu sorgen. - <

Die alte Frau klopfte wohl wieder nachdrücklichst; diesesmal aber konnte er nicht helfen, die Schuld lag an dem Bau­meister, warum hatte er so miserabel ge­baut.

Alsbald stand auch unser Auditor im bequemsten Kostüm fertig da und mit dem Schlage fünf Uhr verließ er das Haus,

um nach dem ziemlich entfernten Bahn- Hose zu eilen. Vorforglib blickte er zu seinem Fenster empor, ob er es zu schließen nicht vergessen da, Entsetzen! bemerkte er den alten Kopfgeist vom ersten Stock in furienhafter Erscheinung in Miene und Bewegung am offenen Fenster.

Recht guten Morgen!" rief sie ihm grollend hinab, dann schlug sie das Fen­ster mit einem unverständlichen Fluche zu und wanderte wahrscheinlich wieder ins Bett. Der Auditor aber eilte dem Bahnhof zu und murmelte für sich selbst: DaS ist fatal, der erste Morgengruß von einem bösen, erzürnten alten Weibe: das bedeutet Malheur!"

Doch schon nach wenigen Schritten hatte er es wieder vergesien, da ihn der Reiseplan jetzt vor allem beschäftigte. Dieser stand alsbald fest. Er wollte einen längst projektierten zweitägigen Abstecher zur Ausführung bringen, mit der Bahn über Rosenheim nach Oberaudorf fahren, von dort eine Gebirgspartie über Grafen- herberg nach Bayerisch Zell machen, da übernachten und andern Tages gemütlich über Schliersee wieder nach München zu­rückzukehren.

Der Bahnzug nach Rosenheim schien auf seiue Ankunft gewartet zu haben. Er hatte gerade noch Zeit, ein Billet zu lösen und in die Halle hinaus zu eilen, wo ihn der Kondukteur noch schnell in die nächste Wagenabteilung hineinschob, und fort ging es, den blauen Bergen zu. Zwei Tage Freiheit köstlichesGefühl! Es war ein herrlicher Sommermorgen, kein Wölkchen war an dem tiefblauen Himmel zu sehen. Die Berge grüßten in scharfen, kantigen Umrissen bis zum Bahn- Hase herein. Der Auditor suchte den Wendelstein, auf dessen südlicher Adachung er noch heute herumkrabbeln sollte, und mit wonnigen Gefühlen zündete er sich eine Cigarre an, die er seinem wohlge- füllten Etui entnahm.

Hie und da in Trautweinsbayzri- schem Hochland" blätternd, das stets in seinem Reisetäschchen stak, welches er nicht vergessen hatte umzuhängen, dann wieder die näherkommenden Gebirge bewundernd, kürzte er sich die Fahrt nach Rosenheim angenehm ab. Dort angekommen, nahm er ein frugales Frühstück zu sich, aus dessen Materie man hätte schließen können, daß das Taumeln der letzten Nacht nicht infolge eines vorübergehenden Schwindels, sondern von einem Kruge zu viel Hof. bräuhauskellerbierherkam.Saure Leber" hieß seine Parole, und der Schoppen Rheinwein schien seinem Magen wieder zu schmeicheln.

Der nach Kufstein abgehende Zug gab sein Signal und schon führte er den Au­ditor in südlicher Richtung den herrlichen Jnnstrom entlang, zu beiden Seiten be- waldete Berge, über welche nackte Fels­häupter hersbb'-ickten und dem Reisenden die frohe Kunde brachten, daß er in das Heiligtum der Bergwelt eingetreten sei. Neubeuern zur Linken, Braunenburg, das Eldorado der Münchener Künstler zur Rechten, kamen in Sicht; dann engt sich das Thal, und nahe dem Strome und der Hochstraße entlang, eingeschlossen von den mächtigen Gebirgsstöcken des hohen Kaiser­gebirges und dem zum Stocke des Wen­delsteins in sanften Terrassen ansteigenden Mittelgebirge, brauste der Zug der tiro. lischen Grenze zu. (Forts, folgt).