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Fahnen. Ihr werdet fechten gegen ein gut bewaffnetes, verschlagenes und grausames Volk. Kommt Ihr an den Feind, so wißt: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Führt die Waffen so, daß noch nach tausend Jahren kein Chinese es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Euch begleitet der Segen Gottes und die Gebete des ganzen Volkes und meine Gedanken folgen jedem Einzelnen von Euch. Eröffnet der Kultur für alle Zeit den Weg und nun reiset glücklich. Adieu Kameraden!
— Die N. Fr. Presse schreibt: „Der Empfang, den die deutsche Truppenabteilung aui ihrem Wege nach Genna in Tirol und Italien gefunden, ist eine Illustration deS Dreibunds, wie sie kaum wir- kungsvoller gedacht werden könnte. Die Herzlichkeit, mit der man den deutschen Offizieren entgegenkam, war ganz anderer Art, als eine durch internationale Rücksichten gebotene Höflichkeit. Als Kameraden wurden die Deutschen von Oestereichern und Italienern begrüßt, als Angehörige einer Freundesarmee, als Waffenbrüder. Die amtlichen Kreise und die Bevölkerung wetteifern in dem Bestreben, den Söhnen Deutschlands Liebes zu erweisen. In Innsbruck wie in Verona und anderen Städten konnten deutschen Soldaten vergessen, daß sie in der Fremde seien, denn wärmer und herzlicher war die Stimmung auch bei ihrem Abschied in der Heimat nicht."
Belgrad, 28. Juli. Die Glückwunsch-Depesche des Zaren zur Verlobung des Königs Alexander hat hier die politischen Kreise sehr beruhigt. Nach dem Kirchenbuche ist Frau Draga Lunjarza Maschin im Jahre 1867 geboren. Milan ließ sich von der Nationalbank heute 30000 Frks ausbezahlen. (Fft. Z.)
Paris, 28. Juli. Gestern sind hier etwa 40 Fälle von Hitzschlag vorgekommen, wovon 14 tätlichen Ausgang nahmen.
London, 28. Juli. „Daily Expreß" wird aus Shanghai vom 27. gemeldet: Li-Hung-Tschang empfing die Nachricht, daß Prinz Tuan getötet worden sei. Die Boxers seien in der letzten Zeit in zwei Parteien geteilt. Die eine will die Mand- schus niederwerfen und die Ming-Dynastie wieder aufrich en, die andere rritt für Prinz Tuan ein. Ein zweifelhafter Kampf außerhalb des südlichen Thores der Stadt fand statt und die Partei des Prinzen Tuan wurde geschlagen. Prinz Tuan ist gefallen.
London, 28. Juli. „Daily Expreß" meldet aus Schanghai vom 26.: Li-Hung- Tschang erklärte, die fremden Gesandten befänden sich schon auf dem Wege nach Tientsin, wo sie am Sonntag eintreffen sollen.
Telegramm der Wildbader Chronik.
Monzab. Mailand, 30. Juli. Heute Nacht wurde König Humbert nach der Preisverteilung bei einem Wettturnen, als er um 10 Uhr 20 seinen Wagen bestieg, von drei Schüssen, von denen einer ins Herz ging,getroffeu. Er starbum 11 Uhr 30. Der Mörder, Angelo Bressi aus Prato in ToScana, wurde alsbald verhaftet. Er konnte nur mit Mühe der Volkswut entrissen werden. Derselbe gestand cynisch sein Verbrechen.
Vermischtes
— Die Pferde mit Strohhüten zu bekleiden, dürfte bei der jetzt herrschenden Hitze empfehlenswert sein. Seit einigen Tagen sieht man die Pferde des Herrn Brauereibesitzers Wegner in Stettin-Grabow, welche für Fahrten nach auswärts bestimmt und die daher den scharfen Sonnenstrahlen besonders ausgesetzt sind, mit Strohhüten versehen. Die Hüte sind aus festem Bast in gefälliger Form gearbeitet. Sie haben ausgeschnittene Ohrlöcher, an welchem wieder Ohrenfutteralc aus dünnem, grünem Stoff angesetzt sind, um die Pferde vor der lästigen Fliegen- und Mückenplage zu schützen. Die Hüte bieten den Pferden Schutz vor dem bei plötzlich eintretender Hitze entstehenden Sonnenkoller und vor Gehirnaffektion. Es empfiehlt sich, diese in England und Amerika bereits bestehende Sitte allgemein einzuführen, da dadurch nicht nur den Pferden eine Wohlthat erwiesen wird, sondern auch der Besitzer sich gegen den plötzlichen Verlust wertvoller Tiere sichert.
— Ein deuisches Schulschiff wird von einem privaten Verein gebaut werden. Es soll 450000 Mk. kosten. Das Schiff wird als dreimastiges Vollschiff durchweg aus deutschem Material gebaut und zur Aufnahme bis zu 200 Schiffsjungen eingerichtet. Es besteht die Absicht, außer der Erziehung der Schiffsjungen in einem einjährigen Knrsurs auch noch ungefähr 25 jungen Leuten in einem vierjährigen Kursus die volle seemännische Ausbildung zum Besuch drr Steuermannsschule an Bord des Schulschiffes zu ermögliche«.
MntevHalitenöes.
Lenchen.
Eine Erzählu g von Dr. Emil Freiburger (Fortsetzung.^ (Nachdruck oerb.)
Es wird unter allen Ständen wenig Frauen geben, die es nicht schmerzlich empfinden, wenn sie die Mitgift, welche sie in die Ehe eingebracht haben, angegriffen sehen. Am schmerzlichsten aber wird es einer Frau auf dem Lande fallen, welcher von ihren Eltern Grundstücke mitgegeben wurden. Sie hat auf diesem Acker, dieser Wiese, in diesem Weinberg chon als Kind gearbeitet. Ein Stück von ihrem Leben klebt daran. Sie erhält nun diese Güter bei ihrer Verheiratung als Eigentum zugeschrieben, sie sind durch den Ehevertrag gegen Unfälle, gegen Verschwendung, Dergantuug des Mannes gesichert, sie bleiben für Mutter und Kinder die letzte Zuflucht in der Not. Da kommt in der Ehe die Stunde, wo die ehemalige Tochter der Eltern, die Frau, die Mutter mit diesem Gedanken brechen, wo dieser Schatz angetastet werden soll. Die mißlichen Verhältnisse, die Not stellen an sie das Ansinnen, eine Handschrift, welche auf ein solches Grundstück lautet, zu unterzeichnen. Die Hand, das Herz sträubt sich und sucht einen Ausweg; der Ausweg heißt diesmal: den Wunsch des Onkels erfüllen. Die Hanfbäuerin, vor diese Frage gestellt, sah jetzt die Sache doch ein wenig anders an. Lenchen zählte allerdings erst 17 Jahre, und es mußte der Mutter lieber sein, die Tochter ginge erst mit 19 Jahren übers Meer. „Aber zeigte sich Lenchen nicht jetzt schon in allem sehr selbständig? Führte sie nicht schon in meinem letzten Wochenbette, als fünfzehnjähriges Mäd
chen mit großem Geschick die ganze Haushaltung? Allerdings ist vorauszusehen, daß sie das Heimweh bekommt, daß sie auch manchmal sich in eine unangenehme Lage versetzt findet, und kein weibliches Wesen besitzt, dem sie ihre Not klagen, bei dem sie sich Rat und Trost holen könnte. Aber sie ist ja nicht ungeschickt mit der Feder, sie kann brieflich sich bei nns aussprechen. Ja, schließlich ist das nicht so weit. Sie ist nicht auf immer gebunden, sie kann zurückkehren, wenn es mit dem Onkel nicht geht. Wir sagen auf Probe, vorerst auf ein halbes Jahr. Man muß auch nicht allzu ängstlich sein. Wenn sie nun gar noch hört, daß der Vater entschlossen ist, später mit uns allen auszuwandern, wird sie sich darein schicken."
So überlegte und sprach die Bäuerin still vor sich hin, stand vom Tisch auf und ging in die Küche, um nach den Milchtöpfen im Brunnentrog zu schauen. Denn das Milchgeschäft gab sie nicht aus den Händen, nicht einmal dem Lenchen, dem sie doch sonst alles überließ, vertraute sie es an. Sie rahmte jetzt einige Töpfe und Schüsseln in den fast schon vollen großen Rahmtopf ab, als Lenchen mit Frida in die Küche trat.
„Mutter, hast Du etwas für mich zu thun?" frug die Tochter.
Du könntest im Garten die Bohnen und den Salat gießen."
„Das that ich soeben, und Frida half mir. Sie stellte sich schon .ganz gut dabei an."
„Ei, da will ich ihr doch ein Rahm- brot streichen; denn das ist ihr das Liebste. Aber wenn die Jüngste so fort macht, werden wir ja die Aeltste bald nicht mehr brauchen und sie kann mit gutem Gewissen zum Onkel nach Amerika gehen."
„Ist es Euch denn recht, Mutter, wenn ich nach Amerika gehe? Der Vater schien zufrieden, wenn ich hier in dir Nähe einen Dienst annähme, wie Du ja auch gedient hast."
„Gewiß, Lenchen, ich habe auch gedient. Aber das muß ich denn doch sagen: Lieber wäre es mir bei einem Onkel als bei fremden Leuten gewesen. Fremdes Brot schmeckt oft sehr bitter; und daß eines meiner Kinder bei fremden Leuten dient, das kann ich nicht und am wenigsten Dir wünschen, wenn es noch einen anderen Ausweg giebt."
„Aber, Mutter, so sage mir doch ganz offen: Steht es denn wirklich mit uns so schlecht, wie der Vater sagte?"
Ja, Kind, es steht nicht gut mit uns. Wir können dem Onkel die schweren Zinsen nicht bezahlen und auch sonst will es bei der großen Familie nirgends mehr recht reichen. Der Vater borgt da und dort. Jetzt will uns niemand mehr leihen, als wenn wir den Krautacker versetzen, den ich von meiner Mutter bekam. Und wenn wir das auch thun, so wird es uns doch nur auf kurze Zeit helfen Wir stellen dadurch eine Stütze an das Haus. Da hat der Vater schon recht."
„Es würde also auch nicht viel helfen, wenn ich bei fremden Leute diente und euch den Lohn gäbe?"
„Natürlich nicht!" erwiderte die Mutter.
„Was könnte unS dann noch helfen?"
„Der Onkel könnte uns helfen, wenn er uns den Zins nachließe."