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Isaak Jdinger von hier, dessen Reisenden Armand Levy ans Brumath i. E., Joseph Kolbing ans Karlsstadt und Joseph Schneckenbnrger von Fürstenberg zur Last, die sich heute vor der Ferienstrafkammer zu verantworten hatten. Die Gesellschaft hatte,um Schwung ins Geschäft zu bringen, dem Publikum vorgeschwindelt, ein Teil desselben fließe Waisenhäusern in Lahr (Reichswaisenhaus), Mannheim oder Landstuhl zu, die Haussegen würden von den Waisenkindern oder auch den Damen des Franenvcreins gestickt rc. Katholiken stellten sie in Aussicht, daß Blessen für die Käufer gelesen würden n. dergl. Levy die Seele des Geschäfts, erhielt 2 Jahre Zuchthaus, Edinger 5 Monate Gefängnis, außerdem jener 300 Mk., dieser 200 Mk. Geldstrafe. Die beiden anderen Angeklagten wurden freigesprochen.
München, 31. Juli. Die bisherige Primadonna des hieß Hoftheaters, Frl. Milka Ternina, geht, wie dem „Berl. T." geschrieben wird, auch in diesem Winter zu Gastspielen nach Amerika. Frl. Ternina bezog im festen Spielverhältnis zur Münchener Hofoper zuletzt eine Gage von 27 000 Mk. Als dieser Kontrakt zu Ende ging, bot ihr Intendant v. Possart für den Abend 700 Mk. und garantirte ihr acht Spielabende im Monat innerhalb der acht Monate umfassenden Spielzeit. Das wäre einer Gage von rund 45000 Mk. gleichgekommeu, einer Summe, wie sie weder in Berlin noch in Wien bezahlt wird. Die Künstlerin lehnte diesen Kontrakt jedoch ab und verpflichtete sich hier nur zu solchen Bedingungen, die ihr den größten Teil des Jahres zu Gastspielen Zeit lassen.
— In St. Ludwig im Elsaß ist das Nest einer weitverzweigten Gaunerbande ansgehoben worden. Bei der Haussuchung wurden Geld und Schmucksachen im Werte von etwa 30 000 Mk. beschlagnahmt. Die Diebe selbst sind größtenteils entkommen. Nur eine Frau, deren Mann, ein Italiener, sich unter den Geflüchteten befindet, ist verhaftet worden. Diese hat gestanden, daß die Leute einer weit verzweigten Diebesbande angehören, die in Straßburg, Karlsruhe, Baden-Baden, Freiburg i. Br.. Basel, Zürich, Luzern, Genf u. s. w. arbeitet.
— Das Bergmusikkorps in dem Harzstädtchen Clausthal suchte einen Dirigenten. Der Gehalt beträgt 17 00 Mk. Unter den 300 Bewerbern befanden sich 200 mit konseroatoristischer Bildung.
Berlin, 31. Juli. Die Berliner „Neuesten Nachrichten" berichten, daß der Kaiser zum gestrigen Bismarck Gedenktag nach Friedrichsruh einen Kranz aus Lorbeer und Palmen und ein Telegramm aus Bergen gesandt habe, das am Jahrestage des Todes des Fürsten noch einmal der unsterblichen Verdienste des großen Toten um das deutsche Vaterland gedachte. Fürst Herbert Bismarck legte den Kranz des Kaisers an dem Sarkophage nieder.
— Betreffend das Züchtigungsrecht der Lehrer hat der preußische Kultusminister einen neuen Erlaß hinausgegeben, der den Notstand des Erziehers gegenüber unartigen Rangen in etwas mildert. Wo nämlich die Schuldisziplin bei Nichtanwendung der körperlichen Züchtigung gefährdet erscheint, soll sich der Lehrer als „befreit von der Schranke der vorherigen Besprechung einer von ihm zu verhängen
den Züchtigung" betrachten dürfen. Der unbegreifliche erste Erlaß hat also schon jetzt eine gewisse Korrektur gefunden.
Berchtesgaden. 1. Ang. In dein Befinden der Kaiserin sind erfreuliche Fortschritte eingetreten. Die Kaiserin geht in den Zimmern und im Garten ohne Beschwerden umher und unternimmt täglich Spazierfahrten. Die Abfahrt nach Wilhelmshöhe erfolgt am 3. August nachmittags.
NnierHerl'tenöss.
Entlarvt.
Kriminalroman von Friedrich Halt.
(Fortsetzung.) (Nachdr- verboten.)
Und wie er heute früh im Park sich gesagt hatte: „Hier ist kein Mord begangen, der Baron ist Selbstmörder," so sagte er jetzt mitvollster Ueberzeugung: „Der Baron ist kein Selbstmörder, hier ist ein Mord begangen. „Wer aber war der Mörder? Wer konnte ein Interesse an dem Tode des Barons haben?
Vielleicht die Baronin ? Gefesselt durch das eheliche Band an einen viel älteren Gatten, hatte sie, das frohe, lustige wilde Weib, dies Leben unerträglich gefunden, es unter allen Umständen zu lösen. Und wenn diese Annahme richtig war, wenn sie den Mordanschlag geplant, wer war es, der die tödtliche Kugel ans den Gemordeten abgeschossen hatte?
Die Baronin oder ihr Detter von I)oskor ? — der sich nach den Mitteilungen Ecksteins sehr viel erlauben durfte, aber beide waren zur Zeit, als der Baron ermordet wurde, nicht am Orte der That gewesen.
War vielleicht Voigt der gedungene Meuchelmörder, der mit dem Herrn von Noskor, diesem hochfahrenden, stolzen Manne, jetzt noch im Briefwechsel stand, vielleicht deshalb mit dem Herrn Baumeister in Correspondenz war, um seinen Lohn für die Blutthat einzufordern? Aber auch diese Annahme war nicht stichhaltig, denn der Maler wußte bestimmt, daß Voigt, nachdem der Baron schon als Leiche gefunden, lange Zeit mit Herrn von Noskor in dessen Zimmer gewesen und wenn Voigt einer solchen That fähig gewesen, wenn er der wüste, nicht sriedehaltende Mensch war, wie er dem Maler geschildert worden, dann wäre er auch bestimmt nicht schüchtern bei Einforderung des Sündengeldes gewesen, er wäre gewiß nicht eher aus Joskors Wohnung, nicht eher vom Gutshofe gegangen, bis er das Blutgeld in seinen Händen gehalten hätte.
Und Werner? Er war in der Nacht Wächter gewesen, als das Gut des Barons in Flammen aufging, bei welchem seine Mutter den Tod fand. Der Mann war mehrere Tage darauf von Marienthal fortgegangen, einige Monate nachher wurde der Baron im Park erschossen. Und was konnte Werner zur Begehung einer solchen grausigen That gebracht, welcher nur denkbar faßliche Grund ihm die Mordwaffe in die Hand gegeben haben? Es ist die Frage: „was hat den Mörder zur That gebracht?" — wenn auch nicht oft, aber doch in einzelnen Fällen ein undurchdringliches, psychologisches Rätsel geblieben, an dessen Lösung die gewandtesten Kriminalisten, die scharfsinnigsten Psychologen vergebens ihre Kräfte setzen. Dies wußte der Maler, aber er wußte auch, daß es zwar ein nicht gelöstes psychologisches Rätsel,
aber eine nicht zu bestreitende Thatsache ist, wie Mörder von einem nicht zu er» klärenden Triebe, dessen Macht sie nicht zu widerstehen vermögen, immer und immer nach dem Orte ihrer finsteren That gedrängt werden; oft noch nach vielen Jahren, während sie vielleicht in dieser Zeit den Erdboden nach allen Richtungen ruhelos durchstreiften, sie mußten aber endlich doch nach der Stelle zurückkehren, wo sie das Verbrechen begangen, und nicht selten lenkten sie dadurch Verdacht auf sich und brachte» sich damit dem rächenden Gesetz in die Hände.
* *
Nebel stiegen aus Moor und Wiesen ans, schnell trat die Dunkelheit ein; Albrecht verließ die kleine Hütte; bald hatte er sich dem Parke genähert. Mit der größten Vorsicht schlich er nach den Birken, bei welchen er eben den Werner, über den er beim Wirt Erkundigungen eingezogen, am gestrigen Abend aus dem Park kommend, bemerkt hatte, er mußte annehmen, daß, wenn Werner wieder käme, er denselben Weg nehmen werde, den er gestern gegangen. Am Rande eines dichten Gebüsches, etwa zwanzig Schritte von den Birken, legte sich Albrecht auf den Rasen, er konnte von hier ans nach der Stelle sehen, wo der Fußpfad lag, den Werner gestern benutzt hatte. Es mochte halb elf Uhr sein, als der Maler bemerkte, wie Werner nnter den Erlen hervortrat, und über die Lichtung huschend, bei ihm vor- übcrkam.
Werner ging nach dem Park, stets im Schatten der Bäume, lautlos folgte Albrecht Werner durchschnitt etwa die Hälfte des' Parks, nach dem Gvtshofe zu, dänn bog er links nach der Gartenmauer ab, dort war ein breiter, von einer Veranda gedeckter Weg, kaum vierzig Schritte davon legte er sich imSchatten einesBanmes nieder.
Etwa zwanzig Schritte von dem Platze, wo sich Werner jetzt befand, stand eine dichte Baumgrnppe; Albrecht wußte dieselbe geräuschlos zu erreichen, um sich dort zu verbergen.
Eine halbe Stunde später, es mochte elf Uhr sein, kamen zwei Personen auf dem Wege unter der Veranda vorüber, Dieselben gingen Arm in Arm, den Bewegungen nach zu urteilen, mußten Sie ein Gespräch führen, jedenfalls aber sehr leise, denn so scharf auch Albrecht lauschte, er hörte doch nicht ein Wort.
Werner stand auf, er schlich sich fort, aber der Maler blieb noch zurück, er suchte sich klar zu werden über das, was er gesehen. Unbeweglich blieb er auf der Stelle liegen, und seine Gedanken trieben ein Bild nach dem andern bei ihm vorüber und das letztere Bild zeigte ihm die verhafteten Mörder.
Stille lag Wald und Feld; still, geisterhaft still war cs im Park, kein Geräusch verriet, daß noch ein Mensch hier sei, daß hier in dunkler Nacht unter dem milden Sternenhimmel noch vor einigen Minuten Herzen geschlagen, mächtig bewegt durch wilde Leidenschaften, fast erstarrend beim leisesten Geräusch, erbebend, fürchtend, daß der Rächer sich nahen werde, daß das blutige Haupt des geinordeten Gatten sich zeigen könne, dort unter dem Baum, unter der Veranda an der Mauer, allüberall trat es dem Weibe entgegen, das den Kiesweg auf und niedergeschritten, ruhelos angstvoll. (Fortsetzung folgt.