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sche Gemeindeordnung kannte bis vor Kurzem nur Bürgermeister, die alle fünf Jahre aus der Mitte der Gemeinderäte neuzuwählen waren. Der Gehalt wurde auf die Höhe von 17 000 Mk. festgesetzt.
— Die Einführung des Zuckers in die Heeresverpflegung ist wiederum in Anregung gebracht worden, und es sollen erneut Versuche damit vorgenommrn werden. Wie verlautet, werden bei jedem Armeekorps für vier Kompagnieen jetzt und namentlich im Sommer längere Uebungsmärsche beabsichtigt, bei denen von den befähigteren Mannschaften Versuche mit reinem Zucker und mit Pastillen aus Zucker mit Kaffee- oder Zitronensatz, in Wasser in den Trinkbechern aufgelöst, angestellt werden, um zu ermitteln, ob sich dadurch Strapazen leichter ertragen lassen. Von vielen Aerzten werden die Vorteile der Zuckerverpflegung der Mannschaften in Abrede gestellt und behauptet, wenn diese im Heere eingeführt würde, so wäre der Hauptvorteil auf Seiten der Zuckerfabriken und Rübeubauer. Alle Präparate zum leichteren Ertragen von Anstrengungen haben sich bis jetzt so gut wie nicht bewährt, selbst diejenigen der vielfach erprobten Kolanuß haben neu- nenswerte Erfolge nicht aufzuweisen gehabt. Die Anstellung eingehender Versuche in dieser Hinsicht kann aber nur freudig begrüßt werden. Man darf jedoch dabei keineswegs außer Acht lassen, daß eine rechtzeitige Gewöhnung an Anstrengungen und Strapazen den Körper zum Ertragen derselben befähigter macht, als dies irgend eine Pastille oder ein Stück Zucker zu thun im Stande wäre. Je einfacher sich die Verpflegung des Soldaten im Felde gestaltet und je unabhängiger er in dieser Beziehung gestellt wird, desto größer ist der Vorteil für den Einzelnen wie für die Gesamtheit.
Berlin, 24. April. Zn der Angelegenheit des amerikanischen Kapitäns Coghlau, welcher kürzlich eine Schmährede aus die Deutschen hielt und ein Spottlied auf deu Kaiser vortrug, bemerkt die „Nordd. Allg. Zeitung": Die politische Tragweite derartiger Taktlosigkeiten eines einzelnen fremdländischen Offiziers wollen wir schon deshalb nicht überschätzen, weil er sie, wie es scheint, in angeheitertem Zustande begangen hat. Wir nehmen Akt davon, daß seine Vorgesetzte Behörde sofort eine Korrektur eintreten ließ.
Lokales.
Wildbad, 25. April. Herzog Ro bert von Württemberg, Bruder von Herzog Albrecht, ist gestern Abend hier eingetroffen und im K. Badhotel abgestiegen. Heute früh begaben sich Se. Kgl. Hoheit in Begleitung des Kgl. Jägermeisters Graf v. Dillen zur Auerhahnjagd ins hiesige Revier, waren aber durch die regnerische Witterung vom Jagdglück nicht begünstigt. Heute Vormittag kehrte der hohe Gast wieder nach Stuttgart zurück.
— Das Haus des Hrn. Schreiuermstr. Schulmeister hier wurde bei dem heutigen Verkauf von Hrn. Sägermstr. König um die Summe von 6510 Mk. erworben.
Der Kaiser auf der Auerhahnjagd.
Alljährlich, wenn die schwellenden Knos- pen der Buchen den grauen Winterwald
mit ahnungsvollem Grün überhaucheu, wenn die ersten Frühlingsboten vereinzelt aus dem fernen Süden wieder bei uns eintreffen, wenn vor der Sonne sengenden Strahlen der Schnee aus des Schwarzwaldes dunklen Bergen zu schwinden beginnt, dann regt sich im Herzen des edelsten unter den Vögeln, des Auerhahnes, die Liebe. Er, der das ganze Jahr hin- durch als Einsiedler gelebt, der die Gemeinschaft der Hennen auf das Strengste ge- mieden, der stolz, ja pflichtvergessen denselben die Sorge um die Aufzucht seiner letztjährigen Nachkommenschaft überließ, auch er zahlt jetzt der „alles bezwingenden" Liebe seinen Tribut — er tritt auf die Balz. Das ist die Zeit, wo Deutschlands waidgerechtester Jäger, Kaiser Wilhelm II. alljährlich zur Ausübung der Auerhahnjagd als Gast bei seinem Onkel, dem Großherzog von Baden, weilt. Dort, wo der alte Rhein seine liebliche Tochter, die Murg, in seine Vaterarme schließt, dort öffnet eines der schönsten aller Thäler, das herrliche Mnrgthal, dem Wanderer seine gastlichen Thore. Hier liegt, fast 1000 Meter über dem Meere, fernab vom Getriebe der Welt, das auf einem Ouader- unterbau im Blockhausstil erbaute Jagdschlößchen Kaltenbronn. Einfach und an- spruchslos wie sein Aeußeres ist seine Einrichtung. Den einzigen, für das Jägerauge allerdings herrlichsten Schmuck bildet eine Sammlung hervorragender Hirschgeweihe und Rehkronen, welche die Wände des Speisesaales und der Korridore schmücken. Auf speziellen Wunsch des Kaisers ist an der Einrichtung nichts geändert worden, die Einfachheit gerade ist es, welche dem hohen Herrn den Aufenthalt dort oben so lieb macht.
Wenn nun die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Kaisers auf dem Kaltenbronn eintrifft, dann beginnt für die dort stationirten Jagdbeamten eine Zeit fieberhafter Thätigkeit. In erster Reihe gilt es nun die Auerhähue zu „verhören". Zu dem Zwecke haben die Be- amten allabendlich abzupürschen, um die Hähne beim „Einstehen" „auszumachen", d. h. diejenigen Bäume ausfindig zu machen, auf welchen der Hahn gegen Abend „auf- zubaumen" pflegt, um dort zu schlafen. Gewöhnlich ist der „Schlafbaum" auch der „Balzbaum" des Hahnes, manchmal aber auch — und dies ist eine Eigentümlichkeit gerade der ältesten Hähne, der Schlauesten unter den Schlauen — „reitet" er des Morgens nach dem Erwachen ab, um auf einem entfernt stehenden Baume zu balzen. Immer aber pflegt es ein bestimmter Baum zu sein, welchen der Auerhahn während der ganzen Balzperiode als Balzplatz sesthält. Diese Plätze mit Sicher- heit festzustellen, versteht man unter dem Fachausdruck „den Hahn ans«iachen." Ist nun ein Hahn „ausgemacht und bestätigt", d. h. ist durch mehrfache Beobachtung festgestellt, daß der Hahn den betreffenden Baum als festen Balzplatz gewählt hat, dann werden zu diesem tagsüber Pürsch- wege angelegt oder bereits vorhandene sorgfältig von Blättern und Aesten gereinigt, um das „Anspringen" des Hahnes zu ermöglichen. Auf dem Kaltenbronn werden derart alljährlich 30—50 Hähne bestätigt, eine Arbeit, welche die höchsten Anforderungen an die Thätigkeit der Beamten stellt, welche aber von diesen freudig überwunden wird, wenn das Resultat der
Kaiserlichen Jagden den Hoffnungen und Wünschen entspricht. Die Jagd spielt sich etwa wie folgt ab:
Eine Stunde etwa, bevor am östlichen Horizont die ersten fahlen Streifen das Erwachen des jungen Tages anzeigen, fährt der Kaiser in Begleitung seines Führers, dem Großherzogl. Hofjägermeister von Schilling, dem für die Morgenbalzjagd bestimmten Reviere zu. Dort angekommen, wird ausgestiegen und die letzte Strecke zu Fuß zurückgelegt. Dann wird, unter sorgfältigster Vermeidung jeden Geräusches, der Pürschweg beschritten, welcher den kaiserlichen Jäger bis etwa auf 200 Schritte dem Valzbaum nahe bringt. Noch herrscht ringsum jenes wunderbare Schweigen, welches nur dem Nadelwalde eigen ist. Da beginnt sich im Osten der Himmel zu färben. Schon vermag das spähende Auge einzelne entferntere Gegenstände zu erkennen — da horch! Was ist das? Ein Ton wie das Brechen eines dürren Astes klingt an das Ohr des lauschenden Waidmannes. Einen verständnisvollen Blick tauschen die Jäger aus, da klingt es wieder . . . lack . . . tack . . . tack . . ., dann schnell hintereinander tacktacktacktack in absteigender Tonleiter, dann folgt der Schleifer schwschw- schwiiischsch. Das ist das Liebeslied des „großen Hahnes", der Balzgesang des königlichen Vogels. Jetzt beginnt für den Waidmann derjenige Theil der Jagd, welcher den Hauptreiz derselben bildet. Nun treten die Intelligenz und körperliche Gewandtheit des Menschen, mit den feinen Sinnen des Wildes in Wettstreit. Der Hahn nämlich, dessen Gesichts- und Gehörsinn so fein ausgebildet ist, daß er auf weiteste Entfernung jede verdächtige Bewegung, jedes ungewohnte Geräusch wahrnimmt, ist während der zweiten Strophe seines Balzliedes des Schleifers, taub und blind — „im Liebestaumel", sagt der Volksmund. Der waidgerechte Jäger weiß es besser, warum. Beim „Schleifer" nämlich öffnet der Hahn den Schnabel bis zu seiner ganzen Größe. Dabei legen sich die Augenlider fest aufeinander, und im Innern des Kopfes preßt sich je ein halbmondförmiger, gebogener Knochen, derart vor jeden Gehörgang, daß dieser auf wenige Augenblicke für jedes Geräusch verschlossen ist. Dieser Abschluß ist ein so absoluter, daß selbst Fehlschüsse aus nächster Nähe von dem Hahn nicht vernommen werden. Diese nur wenige Sekunden andauernde Zeit des Schleifens muß der Jäger zum „Anspringen" be- nutzen. Nur zwei bis drei Schritte kann sich der „Anspringende" während jedes Schleifers dem Hahne nähern, dann muß er wieder, gedeckt hinter einem Felsen oder Stamm, oft in der unbequemsten Stellung mäuschenstill verharren, denn nach jedem Gesang sichert der Hahn aufmerksam seine Umgebung ab.
Wie in allen Jagdarten, so auch in dieser ist der Kaiser Meister. Jeder Schleifer bringt den Hahn seinem Verhängnis näher. Schon hat der Kaiser den Balzbaum bis auf Schußweite erreicht, aber vergebens sucht das geübte Auge in dem Gewirr der Tannenäste nach dem Hahn. Jetzt schleift dieser wieder. Gewandt springt der Kaiser nach rechts, um vielleicht von dort aus besseren Einblick in das Geäst zu finden. Vergebens! Nochmals und abermals muß er zur Seite springen