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Aro. 2S.
Samstag, 4. WävZ 1893.
29. tatn'galig.
Wochen-Rmidschan.
Das Geburt ss e st S. M. des Kö n igs ist nicht nur in ganz Württemberg, sondern überall in Deutschland und sogar im fernen Auslande, wo Württcmberger wohnen, festlich begangen worden. Der König erhielt von einer Anzahl fürstlicher und privater Personen, Vereine rc. teils briefliche teils telegrafische Glückwünsche. Anläßlich des Geburtsfcstes des Königs ist ein reicher Regen von Ordensauszeichnungen und Titelverleih- ungen auf zahlreiche Glückliche niedergegangen. — In Ulm sind in den letzten 10 Jahren nicht weniger als 6 Mordthaten vorgekomme», bei welchen der Mörder unentdeckt blieb. Am letzten Sonntag ist nun dort der 7. Raubmord vorgekommen und es scheint, als ob auch diesmal der Mörder unentdeckt bleiben sollte. Der Ulmer Gemeinderat hat auf dessen Ergreifung eine Prämie von 600 Mk. gesetzt — Als Ursache der Entgleisung des Orientexpreßznges bei Großsachsenheim am letzten Montag soll sich ein Schwellenbruch herausgestellt haben und dieser soll die Folge der allzuschweren Maschine gewesen sein. — Da die rheinisch westfälischen Kohlengruben ein sogenanntes Syndikat zusammengebracht haben, welches gemeinsam die Kohlenpreise heben soll und am 1. März in Wirksamkeit trat, hat die württembergische Eisenbahnverwaltung den Versuch gemacht, »och kurz vor dem 1. März eine außerordentliche Kohlensubmission auf 2 400 000 Ztr. auszuschreiben. Die einzelnen Zechen aber, offenbar schon unter dem Einfluß jenes Kartels, forderten ungleich höhere Preise als im vergangenen Herbst, weshalb unsere Eisenbahnverwaltung sämtliche Offerte zurückwies. Die Börsenspieler hatten auf das Kohlensyndikat hin eine ungeheure Kurstreiberei veranstaltet, welche nun nach dem energischen Vorgehen der würtember- gischen und derbadischen Eisenbahnverwaltung jählings zusammenzubrechen droht.
Der deutsche Kaiser weilt in Berliw und wird wohl binnen kurzem auch auf dem brandenburgischen Provinziallandtag erscheinen, der letzten Montag wieder zusammen getreten ist und den Landrat Dornstedt, der wegen seines Eintretens für den Antisemiten Ahlwardt in der Stichwahl eine Rüge des Ministerpräsidenten und Ministers des Innern erhielt, mit großer Mehrheit wiederum zum Vorsitzenden gewählt hat. Der Kaiser hat einer Abordnung der deutschen Landwirte eine besondere Fürsorge der Reichsregierung soweit als irgend möglich in Aussicht gestellt. Wie schon in voriger Woche erwähnt, sülchten aber die deutschen Landwirte eine
schwere Schädigung ihrer Interessen, falls dem russischen Getreide der gleiche Eingangszoll von nur 3V« statt bisheriger 11 Mk. für den Doppelzentner gewährt würde, wie Oesterreich-Ungarn. Es heißt nun neuerdings, daß der Abschluß eines deutsch-russischen Handelsvertrags binnen kurzer Frist bevorstehe. Es wird sich also bald zeigen, ob und wie die Reichsregierung für die Interessen der Landwirtschaft eintritt. — Der deutsche Reichstag verhandelte in letzter Woche über verschiedene Etatsposttioncn. Bei der Beratung des Etats des Reichsjustiz- amts griff der württembergische Reichstagsabgeordnete Freiherr v. M ü n ch die Stuttgarter Richter, welche ihn bekanntlich zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt haben, heftig an. Es wurde ihm aber sowohl durch den württembergische» Bundesratsbevollmächtigten, Dr. Stieglitz, als den Reichstagsabgeordnete» Payer gehörig heimgeleuchtet. Freiherr von Münch scheint sich und seinen Wahlkreis noch nicht genügend blamiert zu haben. Die Militärkommission des Reichstags läßt sich mit der Beratung der Militärvorlage gemütlich Zeit und mehr und mehr gewinnt es den Anschein, daß der Reichstag selbst vor Ostern gar nicht mehr über die Militärvorlage abstimmen kann.
Im österreichischen Landtag haben zur Abwechslung die Antisemiten eine Skandalszene hervorgerufen. Graf Taaffe besinnt sich noch immer, ob er den Reichsrat auflösen soll oder nicht.
Die französische Deputiertenkammer hat die kolossale Krcditforderung für Schaffung einer besonderen Kolonialarmee, um alle übrigen Truppen für einen, etwaigen Krieg mit Deutschland frei zu machen, mit allen gegen 4 Stimmen angenommen. Der französische Senat hat den unstreitig bedeutenden Staatsmann Frankreichs, Jules Ferry, mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Jules Ferry war bekanntlich wegen des „Abenteuers von Tonking" ganz aus der politischen Karriere hinausgeworfen worden. Um so größer ist nun Ferrys Triumph und viele glauben, daß er nach Ablauf der Wahlperiode Carnots zum Präsidenten der Republik gewählt wird.
Eine schwere Sorge erwächst den Engländern neuerdings wieder mit der afghanischen Frage. Der Emin Abdurrhaman von Afghanistan ist alt und krank; wenn er stirbt, wollen die Russen Afghanistan besetzen und haben, um für alle Fälle gerüstet zu sein, ihre Garnison in Kerki am Amu- dariaflusse, nahe der afghanischen Grenze, bedeutend verstärkt. Die Engländer können aber eine Besetzung Afghanistans durch Ruß
land unmöglich dulden; denn sind die Russen erst m Kabul, werden sie auch bald in Bombay sein und ganz Indien den Engländern wegnehmcn. Deshalb schwärmen auch die Engländer so sehr für den deutschen Kaiser, weil sie hoffen, der Dreibund werde ihnen früher oder später doch einmal die russischen Kastanien aus dem Feuer holen. — Von einer Aufgabe ihrer Goldwährung wollen die Engländer offenbar nichts wisiew und die Amerikaner wissen sich mit ihrem- vielen Silber nicht mehr zu raten noch zu helfen. Die amerikanischen Staatsmänner sinnen deshalb jetzt auf Mittel und Wege, um wenigstens den fortwährenden Goldabfluß aus den Vereinigten Staaten aufzuhalten.
Die russischen Diplomaten hüllen sich' während der Hochzeit des Prinzen Ferdinand von Bulgarien noch immer in Schweigen. Um so eifriger wühlt Rußland unter der griechisch-orthodoxen Geistlichkeit Bulgariens.- Der Bischof von Tirnova hat letzten Sonntag- gegen den Bulgarenfürsten eine so beleidigende Predigt gehalten, daß die empörten Bürger von Tirnova den Mann einfach in ein Kloster zwangsweise abführten und von der bulgarischen Regierung eine Absetzung des Bischof verlangten; auf religiöse Konflikte rechnet offenbar Rußland. Damit kann es das russische Volk zur Begeisterung für einen „heiligen Krieg" entflammen.
Württemberg.
Gestorben: 1. März zu Stuttgart Rechtsanw., Justizrat August Oesterlen, 1848 Assessor beim Stadtgericht Stuttgart, seit 1850 Rechtsanwalt, 1868/70 Abg. zum Zollparlament für den 11. Wahlkreis (Backnang, Marbach, Vaihingen), Landtagsabg. für Waiblingen 1850 ber der 2. und 3. Landesversammlung, Abg. für Hall 1862/76, Mitglied des Stuttg. Gemeinderats 1853/65, Vorsitzender der Anwaltskammer, früher Vorstand der Stuttg. Bürgergesellschaft, Ausschußmitglied des Verschönerungsvereins, 73 I. a.; 28. Febr. zu Ulm Lazaritinsp. a. D. Gust. Vogel, Ritter 2. Kl. des Friedrichsordens, 56 I. a.
Stuttgart, 28. Febr. lieber hundert Arbeiter sind mit Räumungs- und Wiederherstellungsarbeiten auf der Unfallstelle bei Großsachsenheim beschäftigt. Sämtliche Wagen werden heute zur Ausbesserung nach der Maschinenwerkstätte in Cannstatt gebracht. Von den Personenwagen wurde nur der RestaurationS- wagen auch im Innern beschädigt. Die gesamte Ausstattung an Tafel- und Küchengeräten ist zertrümmert. Nachdem cs nunmehr den angestrengten Bemühungen gelungen ist, eines