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haben sich ihr angeschlossen. Die Liga soll über die ganze Schweiz ausgedehnt werden.
Paris, 1. Jan. Mehrere Morgrnblät- ter wollen wissen, der gegenwärtig in Asien reisende Herzog von Orleans werde über die Ereignisse in Frankreich fortwährend unterrichtet. Die letzten, ihm vom Grafen von Paris übermittelten Depeschen würden wahrscheinlich seine Rückreise beschleunigen.
Paris, 3. Jan. Die „Libre Parole" beschuldigt Floquet, er habe veranlaßt, daß aus dem Panamagelde, einem persönlichen Freunde, einem ehemaligen russischen Diplomaten und jetzigen Mitarbeiter der Nowoje Wremja, 500 000 Mark ausgezahlt worden seien.
— Den in Petersburg thätigen jüdischen Advokaten wird die behördliche Weisung zugehen, ihre BerufSthätigkeit lediglich in den Städten auszuübcn, in welchen die Ansiedlung von Juden gesetzlich gestaltet ist. Zu gleicher Zeit soll die Zahl der jüdischen Apotheker erheblich vermindert werden.
— In einzelnen Gegenden Rußlands ist auch in diesem Jahr der Nothstand wieder sehr groß, so z. B. im Gouvernement Tula. Au» dem Kreise Bogoroditzk schreibt Graf BobrinSki, daß das Elend gar noch größer sei, als im vorigen Jahr. Geerntet wurde absolut nichts: weder Roggen, noch Hafer, noch Heu, selbst die Malve, der Ersatz für Brod, sei vollständig mißrathen, Brennholz und Stroh fehlen gänzlich; man reißt die Dächer ab, um die Stuben zu Heizen, man zerschlägt die Karren und verbrennt sie, und wirft die Holzgeräthe in den Ofen. Zudem wüthcn in der Gegend TyphuS und epidemische Kinderkrankheiten. Das Darlehen der Regierung, 30 Pfund Brod monatlich pro Kopf, nach Ausschuß der Kinder unter drei Jahren und der arbeitsfähigen Bevölkerung, reicht bei Weitem nicht aus, namentlich da Tausende des ländlichen und städtischen Proletariats hinzukommen, die gleichfalls Brod verlangen. De Baucrnhütten weisen überall ein Bild jammervollen Verfalls auf; da die Dächer fort sind und nur ein Nothdach die Insassen vor der Unbill des Winters schützt, träufelt überall der aufthaucnde Schnee durch; da es an Heizmaterial mangelt, sind die Wände mit Schimmel bedeckt; der Boden, durchnäßt und durchweicht, ist förmlich ein Sumpf, und in diesen Hütten liegen oft fünf, sechs Personen, Männer, Frauen, Kinder, dicht zusammengedrängt auf dem langen russischen Dhan, alle im Typhus, ohne Pflege, ohne jegliche Nahrung ... mit dem langen kalten russischen Winter vor Augen!
Die wahre Bedeutung der gegenwärtige» Borgänge in Frankreich
und ihre Rückwirkung auf Deutschland schildert rin in Paris lebender deutscher Schriftsteller geistvoll wie folgt: „Uebcr die Bedeutung dieser Vorgänge für Deutschland haben wir uns nicht zu täusche». Die französische parlamentarische Selbstherrschaft hat in Richtungen, welche die Lebcnsinteressen unserer Nation betreffen, zwiefach gewirkt: Es hat einerseits die französische Waffenmacht zu einer Höhe entwickelt, zu welcher sie zuvor noch nie gelangt war; es hat andererseits aber für die Erhaltung des Friedens gesorgt. Erstcres war für die Nation letzteres für die parlamentarische Republik eine Lebensfrage. Eine Nation wie die französische, welche Jahrhunderte lang eine leitende Stellung in Europa eingenommen hat, würde mit ihrer Vergangenheit und ihrem eigenen Wesen brechen, wenn sie sich damit beschiede, dte^
> Obmacht zu verlieren, in welcher sie den Reiz und die Aufgabe ihres Nationalen Daseins kennen gelernt hat.
Man hat gut sagen, die Franzosen sollten doch Vernunft annchmen nnd sich in die durch deutsche Siege geschaffene Lage fügen. Eine Nation nimmt keine Vernunft an, wie dies bei Einzclmenschen manchmal der Fall ist; sie wirkt wie eine Elementarkraft und geht ihres Weges. Selbst die verschiedenen Formen ihrer Staatsregierung ändern nichts an diesem Gange. Die kolossale Ausbildung der stehenden Heeresmacht war ein schreiender Widersinn bei einer Regierungsiorm, die sich auf rein bürgerlichen, parlamentarischen Einrichtungen aufbaute. Sie geschab mchksbesto- weniger, weil sie dem nationalen Lebensdrang entsprach. Gegenüber der riesigen Waffenmacht und der natürlich zum Kriege drängenden Militärpartei hat das Lebe, sinteresse der bürgerliche» Herrschaft bis jetzt das zum Frieden nötige Gleichgewicht gehalten. Bei einem Kriege würde das regierende Personal der Parlamentarier, Minister, Politiker aller Art mit samt dem bürgerlichen Präsidenten auf alle Fälle hlnwe ggesegt werden: im Falle des Sieges dnich einen ruhmge- krönten Feldberrn, tm Falle der Niederlage durch Revolution. Die Existenz der parlamentarischen Republik hing somit von der Erhaltung des Friedens ab. Trotz aller chauvinistischen Wühlerei und mancher störenden Zwischenfälle >st daher auch der Friede niemals ernstlich von der Republik bedroht worden. Das kann, falls die Grundlage der bestehenden Herrschaft thatsächlich zu- sammenbräche, anders werden. Verschwindet der Parlamentarismus, so verschwindet zugleich auch das Ausschlaggebende Gegengewicht, das die Wage der französischen Politik notwendigerweise zur Seite des Friedens beugte.
Die ungeheure Waffenmacht, die sich im Gegensätze zur bürgerlichen Herrschaft entwickelt hat, erhält ihren Daseinszweck erst, wenn diese Herrschaft verlassen wird. In den Händen eines bürgerlichen Präsidenten ohne persönliche Initiative, eines bürgerlichen Ministeriums, das mehr oder minder kümmerlich sein Leben fristete und eines Tausends von sogenannten Volksvertretern ist d>e>e Macht bislang zwar stets eine Drohung für den Frieden, doch niemals eine unmittelbare Gefahr gewesen. In den Händen einer diktatorisch wallenden Persönlichkeit oder auch tyrannischer Comitss erlangt sie eine andere Bedeutung. Eine Wandlung in diesem Sinne erscheint für das kommende Jahr nicht ausgeschloffen. Ihre gegenwärtigen Anfänge schon verdienen von deutscher Seite die ernsteste Beachtung."
Was sich jetzt vollzieht, ist der Verfall der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich, die in einem Morast versinkt. Mit ihr schwindet aber auch die Garantie für die französische Friedlichkeit. Deutschlaud hat jedenfalls das lebhafteste Interesse an der Erhaltung der republikanischen Staatsform in Frankreich.
TnkrhMudks.
Unschuldig!
Eine Waidmanns-Erzählung von HerUMU» Robolsky.
Ganz am Ende des Dorfes, mehrere tausend Schritte von den übrigen Wohn-i
stätten entfernt, lag die Försterei Grundbach, welche ein ansehnliches Einkommen gewährte und zur staatlichen Oberförsterel Pferdinghausen gehörte.
Grashof hieß der jetzige Förster, ein Mann, der etwa dreißig Jahre alt sein mochte. Er hatte längere Zeit als Beamter an der russischen Grenze gestanden und war während der letzten Jahre viel hin und her versetzt worden. Nach einem blutigen Zusammentreffen mit Wilderern verlieh ihm die zuständige Behörde die ruhigere Stelle in Grundbach.
Obwohl der tüchtige Forstmann keine Furcht kannte, freute er sich doch, von der fortwährenden Aufregung erlöst zu sein und gerade eine Stelle wie di« jetzige bekommen zu haben. Zu den nunmehrigen Nebenein- nahmen seines Amtes gehörte die Nutznießung großer Waldwiesen und der Ertrag eines nicht unbedeutenden Ackcrstückes. Gres- dof stammte selbst vom Lande und verstand sich auf die Landwirtschaft. R"Eii<h fehlte ihm noch die helfende und mitschaffende Lebensgefährtin; aber er war bereits mit einem jungen, fleißigen Mädchen verlobt, und in nicht allzuferner Zeit sollte die Hochzeit des jungen Paares stattfinden.
Einstweilen führte eine Haushälterin die försterliche Wirtschaft, und eine tüchtige Magd verrichtete die sogenannten gröberen Arbeite».
Grasbofs Vorgänger war in Grundbach hochbetagt gestorben. Oie Wittwe hatte den nicht unbedeutenden Viehstand, die Futtervorräte, das Korn rc., ebenso alle WirtjckaflS» gegenstände dem neuen Beamten zu mäßigem Preise, einstweilen allerdings auf Credit, überlasse», denn dem Jungesellen fehlte jegliches Baarvcrmögen. Was aber der Bräutigam nicht besaß, sollte später die Verlobte riiitbringen.
Die Wirtschaft der Försterei rentirte ausgezeichnet. Die Beamten waren deshalb fast alle wohlhabend geworden. Am Schluß jeder Woche fuhr die Hofmagd in einem äußerst praktischen Po»ny-Ei»späi»ier nach der nur zwei Stunden entfernten Stadt und verkaufte dort allerlei Wirtschaftserzeugnisse, wie Butter, Käse, Wurst, Eier, auch zuweilen jung? Tauben, Hähne und fette Enten, die von den Städtern alle sehr begehrt waren. Zur Zeit der Obsternte kamen dazu prachtvolle Kirschen, Birnen und Pflaumen und ebenso mancherlei Gemüsearten.
Jede dienstfreie Stunde widmete der unermüdliche Forstmann seiner Wirtschaft. Er beaufsichtigte Alles. Es kam ihm gar nicht darauf a», wenn der Knecht gerade durch andere notwendige Arbeit abgerufen wurde, selbst den Pflug zu führen. In Küche und Keller ließ er sich von der Haushälterin persönlich,über die geringsten Dinge Auskunft erteilen. Das zu verkaufende Federvieh wählte er aus, und über Alles führte er streng und genau Buch.
Unter solcher Leitung kam die Wirtschaft gedeihlich vorwärts. Nur an einem Punkte haperte es oft: das Geld wurde dem fleißigen Manne zu Zeiten reckt knapp. Was an Baar eingtng verschlangen die der Wittwe zu zahlenden Zinsen nnd der nicht unbedeutende Lohn des Dienstpersonals.
Wenn ich erst meine Emilie heimgeführt habe, wirdS schon anders werden! tröstete sich der Bräutigam; „der Schwiegerpapa will ja helfen, und bin ich erst der Zinsenlast los, so gehts noch besser vorwärts mit Allem I"