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Kriegervereine legten Kränze am Denkmal nieder.
Hamburg, 19. Dez. Heute wurden wieder 2 Cholerafälle konstatiert.
Hamburg, 19. Dez. Das Hamburger Medicinal-Kollegium hat sämtliche Aerzte durch Cirkular aufgefordert, angesichts der auffallend vermehrten Choleraerkrankungen verdächtige Erkrankungen besonders zu beobachten und Ausleerungen Erkrankter sofort an das bakteriologische Institut einzusenden.
Altona, 19. Dez. Etwa 80 Arbeiter erschienen im städtischen Verwaltungshause und forderten Arbeit oder Brot. Nachdem man die Leute durch das Versprechen, möglichst viele Arbeiter einzustellen, beruhigt und zum Fortgehen bewogen hatte, fanden auf der Straße abermals Ansammlungen statt.
Triest, 19. Dez. Ein mit einer Ladung Petroleum von Newyork kommendes Schiff, Mariettina, ging im Atlantischen Ocean mit der ganzen Besatzung unter.
Paris, 19. Dez. Emanuel Arene hat dem ehemaligen Polizeipräfekten Andrieux, der bekannt hat, der Libre Parole mitgeteilt zu haben, daß Rouviec, Jules Roche und Emanuel Arsne Panamachecks erhalten haben, eine Herausforderung zum Duellzugehen lassen. Wie die Lanterne meldet, beabsichtigt der Abgeordnete Jumel, die Regierung zu interpellieren, wie der in das Archiv des Kriegsministers gehörige Brief der Firma Löwe in die Hände des Schwiegersohns Boulangers, des Hauptmanns Driant, gelangt sei.
Tntk<-Halt«nd«s.
Eine nette Bescheerung.
Humoreske von Hans Richter.
(Forts, und Schluß.)
Der plötzlich wieder in den siebenten Himmel erhobene Einjährige mußte ernstlich an sich halten, um nickt ans Freuden eine Art Jndianer-Kriegstanz anzufangen. Abermals kniff er Jettchen in die Wangen und verabreichte ihr einen zweiten Thaler.
„Nun noch eins, liebes Jettchen: Sie wissen ja besser wie ich, was ma» einer jungen Dame zu Weihnachten schenken kann, was ihr Freude macht. Geben Sie mir doch einen guten Rat!"
„Hm," unser Haupünann hat einen Handschuhkasten mit einem Dntzcnd Glacehandschuhen gekauft — zartblauer Sammt und Atlas mit silbernen Blumen, etwas Reizendes, Herr Rönne. Ich hab's gesehen, wie er ihn hinter seinem Bücherschrank versteckte."
„Hm", machte nun auch der Einjährige; „wo kauft man denn so'n Ding?"
„Bei Wertheimer ans dem Markte!"
„Ich danke Ihnen, auf Wiedersehen, mein gutes Jettchen!" Und überglücklich schoß Rönne davon und kaufte bei Isidor Wertheimer für fünfundvierzig Mark den schönsten Handschuhkasten, welcher je ein Mädchenauge entzückt — ohne eine blasse Ahnung davon, daß und von wem sein Redenz-vous beobachtet war.
Gerade als er Jettchen in den Hauseingang zog, kamen Hauptmann von Walberg und seine rechte Hand, Feldwebel Strecker, die Straße entlang. Dem Hauplmann blieb plötzlich das Wort im Munde stecken und seiner rechten Hand erging es nicht anders. Ihre Schritte verlangsamten sich plötzlich und schließlich blieben sie kurz hinter dem Hause stehen, als sei „auf der Stelle getreten" kommandiert worden. Der Eine sprach, er wußte selbst
nicht was; der Andere hörte zu und antwortete desgleichen.
Herr von Walberg war, was man dem jungen Gatten einer reizenden jungen Frau schließlich nicht verübeln wird, eifersüchtig wie ein Türke. Mit einer Köchin bandelte der hochgebildete Rönne gewiß nickt an, dagegen wußte seine Frau öfter das Gespräch auf ihn zu bringen, — Hölle, Tod und Teufel, was hieß das!
Oie reckte Hand fluchte innerlich nicht weniger! Bei seiner häufigen Anwesenheit in der Wohnung des "Hauptmannes hatte ihm das hübsche, adrette, dralle Jettchen stets sehr gut gefallen uud schließlich sein bisher gegen alle Frauenreizc unempfindlickes Herz völlig erobert, ihm auch aus seine mehr deutlichen als zarten Anspielungen zu verstehen gegeben, daß sie gar nicht abgeneigt sei, Frau Feldwebel und späterhin einmal Frau Gendarm zu werden. Hölle, Tod und Teufel, ihn wollte sie heiraten und mir diesem verflixte» Gelbschnabel gab sie sick abendlrch Stelldicheins in dunklen Hausfluren.
Nur die Hoffnung, Eise wiederzusehen, konnte Rönne die folgenden Tage versüßen. Im übrigen schienen der Hauptmann und der Feldwebel eine Wette eingegangen zu sein, wer ihm am besten zu „schleifen" verstehe.
So kam der Weihnacktsabend heran und auch in Sr. Majestät Kaserne herrschte Weihnachtsstimmnng. In der größte» Stube des Revieres versammelte sich die Kompagnie um einen strahlenden Christbauin, Wcih- nachislieder wurden gesungen, Leberwurst nut Kartoffeln und Sauerkraut gespeist, von dem Kompagnie-Chef eine Ansprache gehalten und von dem Feldwebel Strecker schließlich die Geschenke verteilt, als Taschentücher, Hosenträger, Cigarren, Tabakpfeifen und andere dem Soldaten nützliche und angenehme Dinge.
Strecker hatte es natürlich so einznrichten verstanden, daß gerade heut der Kompagnie- Dienst den Einjährigen traf. Diesen focht es wenig an: ein leises Zunicken und Lächeln der ebenfalls anwesenden Frau von Walberg verständigte ihn, daß seine Wünsche in Erfüllung gehen sollten.
Leider hatte aber auch der Hauptmann dieses Lächeln bemerkt und zog daraus nun seine besonderen Schlüsse. Er platzte beinahe vor Wut und Eifersucht.
Kaum hatte Rönne's Bursche alias Putzkamerad ausspionirt, daß der Feldwebel die Kaserne verlassen habe, so brach auch Rönne auf. Im Hausflur der Walberg'scken Wohnung erwartete ihn Jettchen und führte ihn in ein Hinterzimmer. I» der Vorfreude bemerkte er gar nicht, daß die sonst so resolute und zutrauliche Köchin heut sehr verschämt that. Er drückte ihr ein Geldstück in die Hand und dann den sorglich eingepackten Handschuhkasten: „Das ist für Sie, Jettchen und das stellen Sic in das Zimmer des Fräuleins!"
Jettchen huschte nickend hinaus und Rönne wartete geduldig, bis es seiner Angebeteten gelingen werden, zu ihm zu schlüpfen.
In dem großen Salon fand die Bescheerung statt : eine Fülle kostbarer Geschenke waren unter dem strahlenden Tannenbaum ausgebreitct. Doch nur um des Gastes willen heuchelte Herr von Walberg eine Festfreude, von welcher er innerlich weit entfernt war. Darüber vergaß er auch den Handschuhkasten, und erst als die übrigen Geschenke verteilt waren, gedachte er dessen.
,Jette bringen Sie mal den Kasten Herrin! rief er in den Korridor hinaus, und
Jetteerschien mit einem sorglich eingewickelten Packetchen.
„Noch eine Kleinigkeit, meine Theure, wie Du sie oft gewünscht," fuhr er fort.
Frau von Walberg riß den Umschlag ab und stieß einen Ruf des Entzückens aus, ihr Gatte jedoch einen ganz gotteslästerlichen Fluch: ans dem Packetchen war ein Brief zur Erde gefallen, Rönne's ihm bekannte Handschrift:
„Mein süßes Lieb!
Endlich also darf ich Dich wieder allein sehen, Dich an mein Herz drücken. Die Köchin wird Dich auf unabfällige Weise benachrichtigen, wenn ich komme —"
Weiter las er gar nicht.
„Er muß sterben!" schrie er, rannte nach seinem Säbel, schüttelte die beiden Damen, welche ihm entsetzt in die Arme fiele», ab und stürzte in den Korridor, wo ihm Jette verstört entgegentrat.
„Wo baden Sie ihn versteckt, den Elenden, den Frauenverführer? donnerte er sie an.
„Erbarmen Sie sich," schluchzte Jettchen und rang die Hände. Er meint es ja ehrlich, Ostern will er heiraten."
„Wen? meine Frau!" schrie der Hauptmann, fuchtelte ihr mit der blanken Klinge vor der Nase herum, daß sie laut schreiend i» die äußerste Ecke dcs Ganges zurückfuhr, und stürzte in die Küche. Da lag auf dein Tisch eine Soldaten-Mütze, an der Thür hing ein Mckitär-Mantil, doch von Rönne war nichts zu sehen. Fluchend tobte Herr von Walberg umher, bis er eine Tapetenthür entdeckte, welche in einen dunklen niedrigen, znm Anfbewahre» von Scheuergerät dienende» Raum führte. Er stieß sie auf und griff mit starker Hand hinein.
„Heraus, erbärmlicher Halunke, heraus I"
Und nun wand sich etwas heraus, ein Etwas, das den Hauptmann wie Loth's Weib erstarren und die geschwungene Waffe seiner Hand entfallen ließ.
Strecker stand vor ihm, mit zerzaustem Haar, berußtem Gesicht und zerdrückter Uniform zwar, aber unveikennbar der Feldwebel Strecker.
„Mensch, wie kommen Sie hierher?" stöhnte Walberg.
Ja — das war ganz einfach: er hatte sich den Weihnacktsabend dazu auserlesen, mit Jettchen in's Reine zu kommen und das war auch geschehen, nachdem sie seine» Verdacht in Betreff Rönne's durch den Bericht von dessen heimlicher Verlobung mit Fräulein Marburg entkräftet hatte. Der Herr Hanptmann habe ja auch schon den Kasten herein holen lassen, den der Einjährige nach dem Beispiel des Herrn Hanpt- maimes für seine Braut gekauft habe. Na ja, dann sei ihm aber doch Angst geworden so daß er sich versteckt habe . . . u. s. w.
Das Gesicht des Herr» Hauptmanns war immer länger geworden.
„Es war natürlich nur ein Irrtum, mein lieber Strecker, bleiben Sie nur ruhig hie?," sagte er sanft, steckte den Säbel wieder in die Scheide und schlich zu de» Damen hinüber, welche, da sie inzwischen mit echt weiblichem Scharfsinn den Zusammenhang erraten, ihn mit lautem Lachen empfingen. Er holte selbst den richtigen Handschuhkasten herbei, worauf seine Gattin ihm die demütig erbetene Absolution gewährte. Dan» wurde auch Rönne hervorgerufen und die seltsame Bescheerung endete unter allgemeinem Jubel!