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bleibt noch zwei Tage in Rom unv begibt sich sodann in Neapel und Sizilien.
'Netersömg, 26. Sept. Vorgestern erschoß sich hier Fürst Krapotkin, Lieutenant im Garde-Regt. zu Pferde; der Selbstmord macht in der Petersburger Gesellschaft großes Aufsehen, da kein Grund ersichtlich ist. Der Censor verbot sofort sämtlichen Blättern irgend etwas über diesen Selbstmord zu bringen.
— Bekanntlich ist vor einiger Zeit gemeldet worden, daß der Zar und die Zarin unlängst in St. Petersburg die Cholerahospitäler besucht haben. Die Kaiserin soll nach dem Berichte eines Blattes, bei dieser Gelegenheit eine Schwester, die sich unter den Qualen der Krankheit wand, durch Worte ermutigt und sie umarmt haben. Hierzu meldet nun der „Figaro", daß der Papst der Zarin für diese mutvolle That Segen und Glückwunsch gesandt und hinzugefügt habe, daß er besonders für die Kaiserin beten würde, „weil sie eines seiner liebsten Kinder sei, wenn sie auch seiner Kirche nicht angehöre." Der Zar, über diese Kundgebung sehr gerührt, habe dem Papste gedankt und erwidert, daß er und die Kaiserin nur ihre Herrscherpflicht erfüllt hätten.
Aostsw am Don, 28. Sept. In der Nacht vom 26. ds. überfiel eine bewaffnete Bande von 15 Mann bei der Station Kono- kowo den nach Rostow fahrenden Zug, überwältigte das Stations- und Zugspersonal, verwundete und beraubte den im Zuge befindlichen Eisenbahnkassenboten, dem sie 5000 Rubel abnahmen, und verwundete den zweiten Maschinisten und einen Techniker. Der Kassenbote erlag seinen Wunden.
Dolorosa.
Roma» v. A. Wilson. Deutsch v. A. Geisel (Nachdruck verboten)
(Fortsetzung.)
X1VX. Kapitel.
„Welche Thorheit, dem Schicksal widerstreben zu wollen! Was wir als wunderbaren Zufall priesen, ist längst im Rate der Götter beschlossen."
Während Frau Orme diese Worte äußerte, legte sie die Feder nieder und schloß müde die Augen.
„Sagten Sie etwas, Frau Orme? fragte Frau Walter, welche über ihre Strickarbeit eingenickt w r, bestürzt ansehend und ihre G bieterin unsicher anblickend.
„Es thut mir leid, wenn ich Sie gestört habe, Anna," sagte Frau Orme, „seit ich mich der Schriftstellern zugewandt habe, ist bie Liste m-iner Untugenden durch die schlechte Gewohnheit, laut zu denken, vermehrt worden." - Frau Walter lächelte und warf einen scheuen Blick ans das ziemlich umfangreiche Manuskript, welches auf dem Schreibtisch lag.
Auf der Marmorplatte des Mitteltisches stand eine Krystallkarraffe mit goldfunkelndem Wein, wie ihn Capri hervorbringt; Frau Orme näherte sich dem Tisch, füllte den venezianischen schmalen Becher und trank in kurzen Zügen. Frau.Orme's Wohnung in Neapel lag nn der Riviera di Chiaja, zunächst der Villa Reale und bot einen entzückenden Anblick auf die Strada Margellina.
Der lange Aufenthalt im Süden hatte Frau Orme's Gesundheit wieder völlig erstarken taffen; die vollen Wangen schimmerten in rosiger Frische und die Augen hatten wieder den früheren Glanz. — Das kostbare mattlila Seidenkleid ließ ihren zarten Teint auis Vor
teilhafteste hervortreten und in den goldenen Haarwellen barg sich ein Zweig wilder Rosen und Anemonen.
Die schöne Frau blickte wie traumverloren hinab auf den freien Platz; jetzt klang draußen im Korridor ein fester Schritt und gleich darauf ward an die Thür gepocht.
„Herein! rief Frau Orme und fast zu gleicher Zeit öffnete sich die Thür und die hohe Gestalt des Generals Douglas erschien auf der Schwelle.
„Willkommen General," rief die Dame dem Eintretenden heiter entgegen! „ich sehe daß die als Höflichkeit der Könige bezeichnet. Pünktlichkeit auch den Amerikanern innewohnt."
Der General hatte sich der schönen Frau genähert und einen Kuß auf die schlanke weiße Hand, die sie ihm willig überließ, gedrückt.
„Wenn ich heute auf den Glockenschlag pünktlich erschienen bin, gnädige Frau." begann er sodann in halblautem Ton, „so muffen Sie es schon meiner Ungeduld zu Gute halten. Sie versprachen mir, mein Schicksal solle sich heute entscheiden, aber bevor ich weiter spreche, flehe ich Sie an, mir wenigstens heute das Glück einer Unterredung unter vier Augen zu gewähren."
Der Blick des Generals flog bezeichnend über Frau Walter hin, die nickend in ihrem Sessel saß.
Frau Ornn's Blick streifte gleichfalls die alte Dame und dann sagte sie lächelnd und kopfschüttelnd:
„Sie ängstigen sich ohne Not, Herr General; Anna schläft ganz fest und wird uns nicht belauschen. .Ich wüßte gar nicht, wie ich mir vorkäme, wollte ich die alte treue Seele hinausschicken; mein Schatten kann mir nicht treuer sein, als Anna es ist."
Wenn der Graf sich unangenehm berührt fühlte, so wußte er jedenfals seine Gesichtszüge zu beherrschen und der fatalen Situation die beste Seite abgewinnend, schob er seinen Sessel so, daß Frau Walter, falls sie wirklich aufwachte, sein Gesicht nicht sehen konnte. Hierauf wandte er sich an Frau Orme und fragte leise und sichtlich gespannt:
„Gnädige Frau, — haben Sie den Inhalt meines Briefes in Erwägung gezogen?"
„Ja, Herr General entgegnete die Dame gelasien; sie schien kein Auge dafür zu haben, daß der General ihr seine Hand entgegenstreckte und nästelte nachlässig an dem in ihrem Haar befestigten Rosenzweig.
„Gnädige Frau," fuhr Douglas in wachsender Erregung fort, indem er seine flammenden Blicke fest auf seine schöne Gefährtin heftete., „ich hoffe, Sie treiben nicht etwa Ihr Spiel mit mir?"
„Nein, Herr General, ich bin über das Alter hinaus, in welchem man derartige Angelegenheiten spielend behandelt, des Lebens ernste Seite steht mir allzu deutlich vor Augen, als daß ich in einen Fehler verfallen sollte, welchen ich vor nicht langer Zeit an Ihnen rügte."
„O, erinnern Sie mich n cht an die schwere Kränkung, die ich Ihnen zugefügt, gnädige Frau", rief der General mit leidenschaftlichen Bitte; ich habe mir selbst schon die heftigsten Vorwürfe darob gemacht. Ich hoffe. Sie lassen meiner Selbsterkenntniß Gerechtigkeit wiederfahren und betrachten den Antrag, welchen mein gestriges Schreiben Ihnen brachte, als Sühne für eine Beleidigung die ich mir selbst nie verzeihen kann und werde."
„Ah — so wollen Sie Ihren Heiratsantrag nur in dieser Weise angefaßl wissen, Herr General."
„O nein — nein — Sie »vollen mich absichtlich mißverstehen," war die hastig« Entgegnung oes Generals und dann fuhr er in flehendem Tone fort: „Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter — sagen Sie mrr, was ick, zu hoffen habe! Ich habe Ihnen Alles zu Füßen gelegt, was ein Mann, ein Edelmann der Frau, die er über Alles liebt und hochachtet, bieten kann!"
Frau Orme's marmorschönes Gesicht erhellte sich und ein mattes, wenn auch eiskaltes Lächeln zeigte sich in den eiskalten Zügen.
„Rekapiruliren wie kurz die Thatsachen, Herr General," sagte sie endlich gleichmütig; „vor einigen Monaten boten Sie mir ihr Herz, oder wenigstens Alles, was Sie von diesem Artitel noch besitzen, und da ich dies Dankesgeschenk entrüstet zurückwies, vervollständigten Sie Ihren Antrag gestern in der Weise, daß Sie mir nochmals Ihr Herz einschließlich Ihrer Hand und Ihres Namens — anboten. Ich schließe daraus, daß es im Allgemeinen in der Aristokratie nicht Sitte ist, Herz und Hand zusammen zu vergeben. Habe ich Recht?"
„Nein, tausendmal nein," rief er lebhaft und danu setzte er mit bebender Stimme hinzu: „Seien Sie barmherzig, Olivia, enden Sie diese zerstörende Ungewißheit!"
„Ihre Hand erhaschend, führte er dieselbe an seine Lippen und sie ließ es ruhig geschehen. Dann blickte sie ihm kalt und ernst ins Gesicht und sagte:
„Sie bitten mich Ihre Gattin zu werden und wissen doch ganz genau, daß ich keine Liebe für Sie empfinde, daß es daher andere und zwar eigennützige Motivs sind, welche mich Ihrem Anerbieten geneigt erscheinen lassen."
„Ich erwarte und verlange nichts weiter, als daß Sie meine Gattin werden," rief der General feurig; „auf mein Haupt falle die Strafe, wenn es mir nicht gelingen sollte. Ihnen Liebe für mich einzuflößen. Ich begehre nur Ihre Hand — Ihr Herz, Olivia, will ich mir schon erobern!
„Und wenn Sie dennoch unterliegen?"
„Das fürchte ich nicht; Ihr Herz wäre das erste, welches meiner Bewerbung auf die Dauer widerstände! Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte — wenn Sie kühl und gleichgültig verharren, so wäre es schon Seligkeit für mich, in Ihrer Nähe weilen zu dürfen!"
„Eine Seligkeit, die Ihnen doch mit der Zeit vielleicht allzu theuer bezahlt erscheinen dürfte," sagte die schöne Frau spöttisch lächelnd; „das Heiratsgelübte kann unter Umständen zur hemmenden Fessel werden."
„Ich habe alles bedacht, alles erwogen, und ich fürchte nur eins — daß Sie mich abweisen könnten, Olivia."
„Seltsam — ein Mann in Ihrem Alter setzt sich doch sonst nicht leicht über die Traditionen seiner Kaste hinweg,- fürchten Sie mcht, daß Ihre aristokratischen Vorfahren sich im Grabe umdrehen könnten, wenn es geschehe daß ein Douglas, der Erbe eines stolzen pa- trizischen Namens und Geschlechts sich mit einer Tochter des Volkes verbände?
„Für mich kommt nur Eins in Betracht — ich liebe das Weib und damit ist alles gesagt. Es mag 'Ihnen paradox erscheinen, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich, bevor ich Sie kennen lernte, nicht wußte, was Liebe ist! Erst seit ich mit Ihnen zusammengetroffen babe ich die L-.ebe kennen gelernt und ich schwöre es Ihnen auf d:e Ehre der Douglas, daß dies buchstäblich wahr ist!"
„Auf die Ehre der Douglas! O, freilich dann muß ich Ihnen glauben — was könnte