Bundesrat nicht beiseitigen und die Reichsverfassung auf den Kopf stellen, man solle die Entwicklung abwarten. v. Bennigsen hofft baldige Wiedervereinigung beider Aemter, besonders jetzt, wo die partikularistische Stimmung im Wachsen sei. Liebknecht: Würde Deutschland von Frankreich oder Rußland angegriffen, dann würde ganz Deutschland einig sei, dasselbe habe er schon wiederholt mit aller Deutlichkeit erklärt. Richter bemerkt gegen Caprivi: An der Sicherheit .des Fundaments Deutschlands zweifle er nicht, aber das Verhältnis der Minister untereinander und zum Kaiser sei nicht, wie es sein sollte. Kanitz findet es charakteristisch, daß ein aktiver Beamter, wie Bennigsen, mit Richter gehe, v. Bennigsen: Seine Warnungen betreffend das Schulgesetz hätten sich erfüllt; er sei überzeugt, daß dieselben für die Entwicklung der Verhältnisse von Nutzen wären.
— Wenn auch die öffentliche Meinung sich gegen den Grafen Zedlitz und seinen Volksschulgesetzentwurf gestellt hat, seinem Charakter zollt Freund und Feind die entschiedenste Achtung. Selbst die „Freisinnige Zeitung" des Herrn Richter widmet ihm folgende Worte: „Graf Zedlitz war ein hochkonservativer Minister aber er war immerhin ein wirklicher Minister. Deshalb begleitete ihn auch die Achtung seiner politischen Gegner bei dem Rücktritt vom Ministerium. Es hat schon in Preußen Minister gegeben, welche glaubten, der Volksvertretung gegenüber sich Alles erlauben zu dürfen, während sie nach oben dafür desto serviler sich verhielten. Graf Zedlitz war nicht von dieser Art. Die Formen seines parlamentarischen Auftretens waren besser, als die seiner Vorgänger und auch mancher seiner zeitigen Kollegen. Weil Graf Zedlitz nicht blos nach unten, sondern auch nach oben ein festes politisches System vertrat, nahm er seinen Abschied, und zwar rechtzeitig. Seine beiden Amtsvorgänger konnten sich nicht rechtzeitig von ihrem Amte trennen und gerieten dadurch in unheilbare Situationen.
— Die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe wird einem am 24. ds. gefaßten Beschlüsse des Bundesrates zufolge am 1. Juni d. Js. in Kraft treten.
— Der Rückgang der französischen und das Fortschreiten der deutschen Sprache im Reichslande läßt sich besonders an der Hand der Entwicklung des reichsständischen Zeitungs- wesens verfolgen. Zur Zeit ist kein einziges selbstständiges Blatt mehr vorhanden, das sich durch ausschließliche Rücksichtnahme auf einen französischen Leserkreis halten könnte. Bei den zweisprachigen vergrößert der deutsche Teil sich immer mehr auf Kosten des französischen, oder es mußten gesonderte deutsche und französische Ausgaben veranstaltet werden. Letztere Wandlung macht auch vom 1. April ab die „Kol- marer Zeitung", eines der ältesten Blätter des Oberelsaß durch. Bezeichnend dabei ist das mit Rücksicht auf die Zunahme des deutschen und die Abnahme des französischen Leserkreises sich der Verleger entschlossen hat, die deutsche Ausgabe täglich, die französische dagegen jedoch nur zweimal wöchentlich erscheinen zu lassen.
Sargan, 26. März. Bei dem gestrigen Brande in dem Pfarrdorfe Sevelen, schweiz. Kanton St. Gallen, sind etwa 60 Häuser und die Kirche abgebrannt. Der Brand ist während eines starken Föhns entstanden.
Narceloua, 29. März. Gestern fand ein Dynamitanschlag gegen das neue Gefängnis statt. — Der ganze Hafen brennt, die Korvette Curra, die Dampfer Cässilla, Apollo, Swaller, Jaime, das Panzerschiff Lapa, die
Kriegsschaluppe Caiman sind vollständig verbrannt, mehrere Schiffe mußten auf Land laufen, andere in die Luft gesprengt werden, um eine weitere Ausdehnung des Feuers zu verhindern. Fast sämtliche Petroleumschiffe des Hafens sind verbrannt. Das Feuer entstand durch Unvorsichtigkeit beim Petroleumverladen am Ouai San Bertran. Eine Anzahl Matrosen wurde verwundet. In der Stadt herrscht ein ungeheurer Schrecken. Die Verluste sind vorläufig unberechenbar.
Kiew, 28. März. Infolge Futtermangels in letzter Zeit im Gouvernement Kiew wurden über 21000 Pferde getötet.
— Aus Warschau schreibt man unterm 23. März: Eine kühne Thal führte gestern der bekannte Bändiger Frhr. von Creytz aus. Als die Bändigerin Miß Cray den Löwenkäfig betrat, stürzte sich die 2jährige nubische Löwin „Asra" auf ihre Herrin und grub ihr die Pranken tief in die Brust Freiherr von Creytz, der Zeuge dieses Vorganges war, sprang kurz entschlossen in den Löwenkäfig, blendete mit einem Taschenm sser (ein anderes Instrument war nicht zur Stelle) die fauchende Bestie und befreite die in ihrem Blut schwimmende Dresseuse. Die Aerzte hoffen die schrecklich Zugerichtete am L.bcn zu erhalten. Der Freiherr von Creytz stammt aus Magdeburg und trat vor einigen Monaten in der dortigen Flora auf.
Aus Stadt und Umgebung.
(Berichtigung.) In dem Bericht IN Nro. 37 d. Bl. betreffend die Prüfung an der Fortbildungsschule soll es bei den Belobten heißen: Joh. Calmbacher bei Fr. Schulmeister Schreinermeister,
K. Pfeiffer bei Fr. Brachhold, Schreinermstr.
Zdlkdöad, 27. März. Heute früh machte der in Sprollenhaus stationierte Forstschutzwächter Rupf einen Gang durch den Wald auf den etwa zwei Stunden entfernten „wilden See". Mitten im Walde wurde plötzlich ein Schuß auf Rupf abgefeuert, derselbe ging glücklicherweise fehl, hart an seinem Ziel vorbei in eine nahestehende Buche. Der Thä- tcr, welcher jedenfalls ein Wilderer ist, konnte bis jetzt noch nicht ermittelt werden.
ßalmöach , 28. März. Vergangenen Freitag wurde hier ein junger Mann von ca. 27 Jahren verhaftet. Derselbe ist dringend verdächtig, in der Nacht vom 20. bis 21. ds. das einem hiesigen Bürger gehörige Bienenhäuschen in Brand gesteckt zu haben, mit welchem auch Bienenvölker verbrannten. Der Schaden, der hiedurch entstand, beziffert sich auf etwa 150
Ttckkchattkndks.
Dolorosa.
Roman v. A. Wilson. Deutsch v. A. Geisel.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten)
„In diesem Punkte thust Du der Mutter Unrecht, Elise." sagte der Pfarrer ernst, sie scheint leidenschaftlich an der Kleinen zu hängen und schreibt unter Anderem: „Erforderten es nicht gerade das Wohl und die Zukunft meines Kindes, mich für längere Zeit von dem Einzigen, was ich auf Gottes weiter Welt besitze, zu trennen, so wurde keine Macht der Erde mich bewegen, das Weltmeer zwischen mich und mein Herzblatt zu legen." Es liegen eben ganz eigentümliche Umstände vor, Elise, und da ich Dir die
selben leider nicht Mitteilen darf, begreife ich sehr wohl, daß Du Dir die Sache nicht zu erklären vermagst."
„Beantworte mir nur noch eine einzige Frage, Paul — hältst Du die Mutter für eine achtungswerte, Deiner Teilnahme würdige Frau?"
„Wenn ich ganz offen sein soll, Elise, so muß ich bekennen, daß mir manches unverständlich erscheint und ich in Folge dessen kein klares Urteil habe."
„Und hatte sie irgend welchen Anspruch auf Deinen Beistand?"
„Nn o ajenigen Anspruch, welchen das menschll oe E-end auf die menschliche Teilnahme hat >eb r"'s >mbe ich, als sie sozusagen noch ein Kind war, ihre Trauung vorgenommen und das Elend, welches die junge Frau und Mutter verfolgte, erregte mein tiefstes Mitgefühl."
„Dann läßt sich nichts witer tage n, Paul, und so weit es in meinen Kräften steht, werde ich Dir die Erfüllung der schweren Pflicht, die Du übernommen, erleichtern. Das verlassene Kind soll hier seine Heimat finden und, so Gott will, zu seinem Segen. Wo hat die Kleine bis jetzt gelebt?"
„Seltsamer Weile ist sie fest sieben Jahren in einem Kloster erzogen worden."
„So läßt sich annehmen, daß das Kind vor schlechter Gesellschaft nnd vor schlechtem Einflnß behütet worden ist."
„In wrlcher Weise >oll die fernere Erziehung geleitet werden?"
„Ihre Mutter har eme halbjährig an uns zu zahlende Summe zur Bestreitung aller nötigen Ausgaben, inkinstve eines hohen Schulgeldes, ausgeworfen; sie bittet mich indes, w-nu es meine Zeit gestatte, den Unterricht der Kleinen lieber selbst zu übernehmen und als Aeqnivalent hierfür das genannte Schulgeld zu betrachten, da sie das Kind nicht gern i» einer Schule sehe» würde
— doch überläßt sie dies völlig meinem Ermessen. Ich muß gestehe», daß meine Wünsche in diesem Punkt mit denen der Mutter Hand in Hand gehen; die Kleine könnte vielleicht das neben Deinem Schlafgemach liegende Zimmer erhalte» und Percy müßte dafür das Verandazimmer beziehen
— ich denke, er wird nichts gegen den Tausch einzuwenden haben."
„Selbstverständlich nicht — dafür ist er mein Sohn und Dein Neffe, der für uns Beide durch's Feuer geht," lachte Frau Lindsay. „Ich werde den Umzug sofort bewerkstelligen lassen, damit Alles in Ordnung ist, wenn die Kleine kommt — so Goit will, erleben wir Freude an unserer neuen Hausgenossin."
Damit verschwand Frau Lindsay und der Pfarrer schritt mit bedeutend erleichtertem Herzen hinaus in den Garten, gefolgt von Björn, der im Verlauf der Jahre sehr träge und ziemlich mürrisch geworden war — letztere Eigenschaft teilte er, wie Frau Lindsay scherzend zu sagen pflegte, mit tzannah. Während Doktor Hargrove eifrig damit beschäftigt war, die welken Blülen eines Rosenstocks abzuschneiden, ward die Gartenpforte hastig geöffnet und im nächsten Augenblicke rief Frau Lindsay's Stimme ihm heiter zu:
„Philister über uns, Pauli"
„Wie, ist die Kleine schon da?" fragte der Pfarrer bestürzt.
„Allem Anschein nach ist dem so; vor dem Thore hält ein Wage», auf dessen